Beleidigtsein in Lyrikformat

Günter Grass reagiert: Sein Eingeständnis, als junger Mann Angehöriger der Waffen-SS gewesen zu sein, löste ein vielfältiges Medienecho aus. In seinem neuen Lyrikband "Dummer August" sieht sich Grass als Opfer - und macht sich zugleich unangreifbar. In seinen Notaten findet Verständigung vor allem mit der Natur statt. Die Waffen-SS-Vorwürfe als solche reflektiert und analysiert er gar nicht eigens.
Günter Grass hat in den letzten Jahren immer wieder Tuschzeichnungen und Aquarelle mit Gedichten verknüpft, als eine Art Tagebuch, und mit derlei Gelegenheitsnotaten kommentierte er auch das aktuelle Geschehen, ob es nun das Waldsterben war, die Krisen des Jahrhunderts oder das eigene Älterwerden.

Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass er auf die Ereignisse des letzten Sommers, die ihn selbst betrafen, nun mit solch einem großformatigen Band reagiert: Im August 2006 war in einem Interview, das er der FAZ gab, zu lesen, wie er seine Mitgliedschaft als 17-Jähriger in der Waffen-SS im Nachhinein bewertet, Anlass war damals die Veröffentlichung seines autobiographischen Buches "Beim Häuten der Zwiebel".

Nicht unbedingt die Mitgliedschaft in der Waffen-SS als solche, sondern vor allem sein Umgang damit stieß in der Öffentlichkeit dann auf starke Kritik. Er wurde, im August, zum "dummen August" – dieses Wortspiel charakterisiert den neuen Band auch in seinen literarischen Mitteln sehr gut.

Es sind kurze Notate, in denen sich Grass mit der Natur verständigt: Kühe spielen eine große Rolle, Pilze und Buchen, und er zeichnet auch gern mal einen Distelzweig oder sein "Wappentier", die Nacktschnecke. Dagegen ist nichts einzuwenden, obwohl es doch stark auffällt, wie sich Grass damit unangreifbar macht, seinen privaten Metaphern- und Gefühlshaushalt ausstellt und die Waffen-SS-Vorwürfe als solche gar nicht eigens reflektiert und analysiert.

Er fühlt sich als Opfer und findet Widerhall in seiner engsten Umgebung, während eines sommerlichen Aufenthalts an der dänischen Ostsee. Das stärkt: "Makel verpflichtet", heißt eine der typischen Zeilen, und in anderen ahnt man, was die Feuilletonschreiber so anrichten:

"Sie aber kennen die Scham nicht,
nur des Scharfrichters Ehrgeiz juckt sie,
verletzend zu sein."


Grass empfindet sich hier als großen, einsamen Dichter – der er jedoch niemals war. Er hat die Öffentlichkeit von Anfang an gesucht und sie immer für seine Zwecke benutzt, auch das lange Interview in der FAZ war eigentlich dazu ausersehen, seine Autobiographie groß zu bewerben. Dass sich Grass verletzt und beschämt fühlt, hat akut vielleicht etwas damit zu tun, dass er die taktischen Winkelzüge des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher unterschätzt hat und sich von ihm hinters Licht führen ließ.

Wäre dieser Band lediglich eine subjektive Bestandsaufnahme mit Bildern der Natur, würde man ihn einfach als authentisches Selbstzeugnis sehen und über seinen literarischen Wert nicht weiter nachdenken. Im letzten Gedicht allerdings lässt sich Grass hinreißen und nennt "das Niederträchtige als das Mächtige" beim Namen: Es sitzt als Zeitung in "Frankfurt am Main".

Und er vergleicht sich in diesem letzten Gedicht mit Goethe. Da wird es prekär. Goethe nämlich hat "den Orden von Napoleons Hand" auch noch nach den Karlsbader Beschlüssen stolz getragen, als sich der Wind gedreht hatte und die Preußen "die Spitzen der vielbesungenen Freiheit kappten"; Goethe hielt dem "Niederträchtigen und Mächtigen" weiter stand. Wie soll man das nun verstehen, man glaubt es kaum: Grass vergleicht hier seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS und seine spät eingestandene "Scham" darüber mit dem Orden, den Goethe von Napoleon erhalten hatte. Die Ästhetik der Nacktschnecke war da doch besser.

Rezensiert von Helmut Böttiger

Günter Grass: Dummer August. Gedichte, Lithographien, Zeichnungen
Steidl-Verlag, Göttingen 2007
80 Seiten, 25 Euro