Belgien

Brüssel feiert seine Belle Époque

Das neue Fin-de-siècle-Museums in Brüssel
Das neue Fin-de-siècle-Museum in Brüssel © dpa / pa / Beauloye
Von Kerstin Schweighöfer · 06.12.2013
Um die Jahrhundertwende war Brüssel ein wichtiges Zentrum für Avantgardekunst und galt als Jugendstilhauptstadt Europas. Diese Epoche soll nun wieder lebendig werden - in einem neuen Museum.
Es dauerte ein Jahr länger als geplant, aber nun ist es endlich soweit: Die Belle Époque hat in Brüssel ihr eigenes Museum bekommen, das Musée Fin de siecle. Es führt von Realismus und Impressionismus über Jugendstil und Symbolismus bis hin zum Ersten Weltkrieg:
Die Wahl dieser Epoche kommt nicht von ungefähr: Um die Jahrhundertwende war Brüssel ein wichtiges Zentrum für Avantgardekunst und galt als Jugendstilhauptstadt Europas. Dafür hatte nicht zuletzt eine Gruppe von 20 Künstlern gesorgt, die radikal mit dem Akademismus brachen. 1883 schlossen sie sich zum Kunstkreis Les XX zusammen, erklärt Christine Ayoub vom neu eröffneten Museum:
"Das war eine Vitrine für die Avantgarden, es war eine ganz, ganz wichtige Künstlergemeinschaft, die hat zehn Jahre gedauert, danach wurde es die Libre Esthétique, bis zum Ersten Weltkrieg, also 1914. Und die haben in diesen Sälen des Museums ausgestellt. Deshalb ist es sehr schön, das Musée Fin de Siecle jetzt zu haben, denn es hat ja auch historischen Hintergrund."
Basis der Kollektion ist eine Schenkung - rund 230 Jugendstil-Objekte, vor allem angewandte Kunst: Möbel, Porzellan, Silber, Schmuck. So entstand die Idee, aus dem neuen Museum eine Art Gesamtkunstwerk zu machen. Die Epoche als Ganzes soll wieder lebendig werden, mit all ihren Facetten. Also nicht nur Bildende Kunst, auch Architektur, Literatur, Film und Oper.
Die Zeit, in der die Bilder laufen lernten
Deshalb arbeitet das neue Museum eng mit anderen Instituten zusammen. Zum Beispiel der Nationalen Oper de Munt: Die stellte neben der Musik auch Fotos zur Verfügung, Plakate sowie Bühnenversatzstücke von Opern aus der Zeit der Belle Époque: "Salammbo" zum Beispiel, "Hérodiade" oder Richard Wagners "Parzifal".
Den Höhepunkt bei der Architektur formen die multimedialen 3D-Rekonstruktionen der wichtigsten art nouveau-Häuser Brüssels, darunter die Villa Bloemenwerf von Henry Van de Velde sowie die Maison Horta, das Wohnhaus plus Atelier des berühmten Jugendstilarchitekten Victor Horta.
"Sitzende Dame" von Paul du Bois im Fin-de-siècle-Museums in Brüssel
"Sitzende Dame" von Paul du Bois im Fin-de-siècle-Museums in Brüssel© dpa / pa / Beauloye
Und da die Belle Époque die Zeit ist, in der die Bilder laufen lernten, kommen auch Stummfilmfreunde auf ihre Kosten. Die Cinématheque hat alte Filme beigesteuert aus dem Seebad Ostende, damals das St. Tropez der Belgier – und Heimatstadt des Malers James Ensor, dem das neue Museum einen ganzen Saal widmet:
"Hier seine dunkle Periode, dann die Masken, die bei ihm auftauchen. Er lebte ja sehr einsam in Ostende in seinem Familienhaus, mit seiner Mutter, seiner Tante, seiner Großmutter, die unten den Familienladen hatten."
Ebenfalls mit einer ganzen Reihe großformatiger Werke vertreten ist Fernand Khnopff, neben Ensor wichtigster Vertreter des belgischen Symbolismus. Auch seine "Liebkosungen" fehlen nicht: Sie zeigen einen jungen Mann mit einer Leopardensphinx.
Auch deutsche Sammler und Kunstexperten zog es nach Brüssel
Weniger bekannt dürften einem großen Publikum außerhalb Belgiens die Arbeiten von Léon Spilliaert sein oder George Minne: Mit ihnen wird der Rundgang durch das Museum abgeschlossen, denn mit ihnen kündigt sich bereits der Expressionismus an. Vor hundert Jahren waren sie auch in Deutschland ein Begriff, denn damals zog es auch deutsche Sammler und Kunstexperten nach Brüssel.
Wer schon mal da ist, sollte nach dem Museumsbesuch bleiben und einen Avantgarde-Spaziergang dranhängen. Um das reiche Erbe zu bewundern, das die Belle Époque im Straßenbild von Brüssel zurückgelassen hat. Stadtführer Stefan van de Camp kennt es wie seine Westentasche.
Der Spaziergang könnte beim Hotel Tassel beginnen, mit dem der Jugendstil 1892 in Belgien eingeläutet wurde. Und im Horta-Museum enden. In diesem Doppelhaus aus Wohnhaus und Atelier weilte der große Architekt bis 1915, so Stadtführer van de Camp:
"Beide sind fast organisch wie mit Lianen miteinander verbunden. Es gibt auch viele Tierelemente, einen Dragonfly, eine Libelle, die man oben sehen kann."
Nicht mehr vorhanden hingegen ist der Palais du Peuple, der Volkspalast für die sozialistische Partei, dessen Fassade Horta – als erstes Gebäude in Brüssel – komplett aus Eisen und Glas konstruierte. Dieses Meisterwerk fiel vor rund 50 Jahren der Abrisswut der Stadtväter zum Opfer:
"Es hat internationale Proteste gegeben, aber trotzdem hat man es abreißen lassen 1960, um einen Büroturm zu bauen, das ist wirklich traurig."
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