Über die Unmöglichkeit, eine grausame Geschichte zu fassen
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Nach dem aufsehenerregenden Dekolonisationsfestival am Stadttheater NTGent will nun der Regisseur Luk Perceval die Geschichte und Identität Belgiens in einer Trilogie verarbeiten. Der erste Teil befasst sich mit dem kolonialen Erbe im Kongo.
Als dem belgischen König Leopold II der Kongo bei der Berliner Kongo-Konferenz 1884/85 als Privatbesitz zugesprochen wurde, begann für die Bevölkerung des rohstoffreichen Landes ein Martyrium ungeheuren Ausmaßes: 10 Millionen Menschen starben; mit ungeheurer Brutalität wurde die gesamte Bevölkerung für die Kautschukernte herangezogen; mit Verstümmelung, Mord und Vergewaltigung reagierte das von den belgischen Kolonialherren ausgehobene Söldnerheer "Force Publique" auf Unterschreitungen der unerreichbar hohen Fördermenge.
Der afroamerikanische Missionar William Henry Sheppard dokumentierte dies und schuf Aufmerksamkeit für ein blutiges Verbrechen, das manche Historiker als "Holocaust avant la lettre" bezeichnen, das in Belgien aber weitgehend verdrängt wird. 25 Prozent der belgische Abiturienten wissen nicht einmal, dass der Kongo einst belgische Kolonie war.
Luk Perceval will in einer auf die belgischen Nationalfarben bezogenen Trilogie solche Blindflecken der belgischen Geschichte aufarbeiten. Der erste Teil "Black / The Sorrows Of Belgium I: Congo" ist ein Gruppenbild von vier schwarzen und vier weißen Schauspielerinnen und Schauspielern, die Sheppards Beobachtungen folgen.
Das ist kein Dokumentartheater, kein pädagogisches Projekt, sondern ein Theater, das sich seiner Unzulänglichkeit angesichts des ungeheuren Geschehens bewusst ist und dies in Momenten der stillen Ratlosigkeit deutlich macht. Und doch: Percevals Theaterinstallation will letztlich Versöhnung und inszeniert im Schlussbild den Traum vom Schwarze und Weiße verbindenden Stammesritual, befeuert vom furiosen Theatermusiker Sam Gysel.