Beliebiges Sammeln von Eindrücken
Erst kommt die Bewegung, dann der Gedanke. Das Unterwegssein und Reisen ist bei kaum einem Autor so sehr zur produktiven Routine geworden wie bei dem Niederländer Cees Nooteboom.
Bevor ihm 1980 mit "Rituale" der internationale Durchbruch gelang, verdiente er sein Geld als Reiseschriftsteller. Und von Anfang an wurde in seinen Romanen und Geschichten vor allem von einem erzählt: vom Reisen. Auch sein Spätwerk besteht größtenteils aus Reisebüchern, zumeist in der eher ungeformten Form von Notaten.
Im "Schiffstagebuch" ist der Gobetrotter-Grandseigneur wieder auf allen Weltteilen unterwegs. Er nimmt teil an einer Überfahrt von Südafrika nach Montevideo, besucht die Pyramiden der Mayas in Mexiko, mischt sich ins Menschengewimmel in Benares und schaut den hinduistischen Leichenverbrennungen am Ganges zu; er rekonstruiert ein niederländisches Kriegsdrama im Nordwesten Australiens, schüttelt den Kopf über die Zementschlepperinnen an der Grenze von Argentinien und Bolivien und folgt den Spuren der Kolonialliteratur auf Bali.
Mit Vorliebe sucht er die Enden der Welt auf, die für ihn immer auch existentielle Abbruchkanten sind, wo die Melancholie wuchert. Er begibt sich an die äußerste Spitze Südamerikas, umrundet Kap Hoorn und friert in Hammerfest, der "nördlichsten Stadt der Erde". Dort sinniert er darüber, wie man das aushält, monatelang im Dunklen zu leben. Bücher lesen? CDs hören? Angesichts der aufgegebenen russischen Siedlung Pyramiden auf Spitzbergen muss er an einen Buchtitel von Dimitri Verhulst denken: "Die große Vergeblichkeit der Dinge."
Diese Vergeblichkeit steckt die Prosa an. Während Nootebooms frühe Reiseerzählungen durch atmosphärische Qualitäten überzeugten, bleibt das "Schiffstagebuch" stimmungsschwach. Zu sehr drängt sich der Aufzeichnende mit seinen Assoziationen und Bildungsreminiszenzen vor. Man hat den Eindruck eines beliebigen Sammelns von Eindrücken und kulturgeschichtlichen Details. Rasche Besichtigungen, Impressionen aus örtlichen Museen, dazu ein paar Reflexionen, für die man wahrlich nicht weit reisen müsste.
Mit leichtem Schaudern vergegenwärtigt Nooteboom die oft tödlichen Schicksale früherer Extremreisender. Vor diesem Hintergrund erscheint die beliebige Erreichbarkeit aller Ziele als große Vergleichgültigung der Welt. Die heroischen Expeditionen – sie bekommen rückwirkend einen geradezu schalen Beigeschmack. Wozu die Mühe?
Natürlich könnte man zur Verteidigung sagen: Heute reist man eben so, mit viel Vorwissen, touristischen Handbüchern und schnappschussfreudiger Digitalkamera in der Jackentasche. Überall ist immer schon ein anderer, dessen Mobiltelefon gerade klingelt. Vielleicht hat es etwas Verlogenes, im Reisen noch die Anspannung des Abenteuers, die Neugier des Entdeckers oder die authentische Selbsterfahrung zu inszenieren. Nootebooms Notate wären demnach letzte Schwundformen der Reiseliteratur. Für die Beliebigkeit und Lustlosigkeit der Lektüre entschädigen solche Einsichten allerdings nicht.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Cees Nooteboom: Schiffstagebücher. Ein Buch von fernen Reisen
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
285 Seiten, 19,90 Euro
Im "Schiffstagebuch" ist der Gobetrotter-Grandseigneur wieder auf allen Weltteilen unterwegs. Er nimmt teil an einer Überfahrt von Südafrika nach Montevideo, besucht die Pyramiden der Mayas in Mexiko, mischt sich ins Menschengewimmel in Benares und schaut den hinduistischen Leichenverbrennungen am Ganges zu; er rekonstruiert ein niederländisches Kriegsdrama im Nordwesten Australiens, schüttelt den Kopf über die Zementschlepperinnen an der Grenze von Argentinien und Bolivien und folgt den Spuren der Kolonialliteratur auf Bali.
Mit Vorliebe sucht er die Enden der Welt auf, die für ihn immer auch existentielle Abbruchkanten sind, wo die Melancholie wuchert. Er begibt sich an die äußerste Spitze Südamerikas, umrundet Kap Hoorn und friert in Hammerfest, der "nördlichsten Stadt der Erde". Dort sinniert er darüber, wie man das aushält, monatelang im Dunklen zu leben. Bücher lesen? CDs hören? Angesichts der aufgegebenen russischen Siedlung Pyramiden auf Spitzbergen muss er an einen Buchtitel von Dimitri Verhulst denken: "Die große Vergeblichkeit der Dinge."
Diese Vergeblichkeit steckt die Prosa an. Während Nootebooms frühe Reiseerzählungen durch atmosphärische Qualitäten überzeugten, bleibt das "Schiffstagebuch" stimmungsschwach. Zu sehr drängt sich der Aufzeichnende mit seinen Assoziationen und Bildungsreminiszenzen vor. Man hat den Eindruck eines beliebigen Sammelns von Eindrücken und kulturgeschichtlichen Details. Rasche Besichtigungen, Impressionen aus örtlichen Museen, dazu ein paar Reflexionen, für die man wahrlich nicht weit reisen müsste.
Mit leichtem Schaudern vergegenwärtigt Nooteboom die oft tödlichen Schicksale früherer Extremreisender. Vor diesem Hintergrund erscheint die beliebige Erreichbarkeit aller Ziele als große Vergleichgültigung der Welt. Die heroischen Expeditionen – sie bekommen rückwirkend einen geradezu schalen Beigeschmack. Wozu die Mühe?
Natürlich könnte man zur Verteidigung sagen: Heute reist man eben so, mit viel Vorwissen, touristischen Handbüchern und schnappschussfreudiger Digitalkamera in der Jackentasche. Überall ist immer schon ein anderer, dessen Mobiltelefon gerade klingelt. Vielleicht hat es etwas Verlogenes, im Reisen noch die Anspannung des Abenteuers, die Neugier des Entdeckers oder die authentische Selbsterfahrung zu inszenieren. Nootebooms Notate wären demnach letzte Schwundformen der Reiseliteratur. Für die Beliebigkeit und Lustlosigkeit der Lektüre entschädigen solche Einsichten allerdings nicht.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Cees Nooteboom: Schiffstagebücher. Ein Buch von fernen Reisen
Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011
285 Seiten, 19,90 Euro