Belletristik

Auf der Suche nach Thomas Bernhard

Der österreichische Roman- und Theaterautor Thomas Bernhard, aufgenommen im Juni 1976.
Alexander Schimmelbusch geht dem Gedanken nach, wie es wäre, wenn Thomas Bernhard noch leben würde. © picture alliance / dpa
Von Gerrit Bartels |
Alexander Schimmelbuschs Held bekommt seinen Jackpot per Post. Ein dicker Brief, aus dem hervorgeht, dass der Autor Thomas Bernhard noch lebt. Der Ich-Erzähler macht sich auf die Suche – ein spaßiger Roman, bewusst jede Tiefe verweigernd.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Journalistin oder Schriftsteller, leben aus welchen Gründen auch immer gerade in Wien und bekommen eines Tages ein dickes Briefkuvert zugesandt, in dem sich ein paar Reiseberichte von Thomas Bernhards Verleger befinden - und zwar Reiseberichte, die eindeutig belegen, dass Bernhard gar nicht vor 25 Jahren gestorben ist, sondern nach der erfolgreichen Therapie seiner eigentlich unheilbaren Autoimmunerkrankung heute noch lebt, unter dem Namen Franz-Josef Murau, so wie der Held aus Bernhards Roman "Auslöschung". Was würden Sie tun?
Sie würden vermutlich dasselbe machen, was der Held und Ich-Erzähler von Alexander Schimmelbuschs Roman "Die Murau Identität" macht: sich an die Fersen von Bernhard heften und versuchen ihn zu einem Gespräch zu bewegen. Zumal Schimmelbuschs Erzähler,der zufällig auch Alexander Schimmelbusch heißt, schon einmal Kontakt hatte mit Bernhards (fiktivem!) Sohn Esteban, einem Derivatehändler und Börsenspekulanten.
Ein überkandideltes und leicht klamaukhaftes High-Society-Setting
Esteban war dem Roman-Schimmelbusch ein Jahr zuvor in New York von dem Maler Julian Schnabel vorgestellt worden, "mit dem ich dort ein Interview geführt hatte, anlässlich der deutschen Erstausgabe seines philosophischen Surfbuchs, in dem er nachzeichnet, wie er auf einer Welle aus Rotwein und Selbstmitleid schließlich zu sich selbst geritten sei." Also reist Schimmelbusch erst nach New York, um von Esteban Näheres über seinen Vater zu erfahren, später nach Mallorca, wo Bernhard lebt. Hier bekommt er einem "offiziellen Termin", eine knappe halbe Stunde lang, um Bernhard zu erleben: redend, redend, redend.
Die Idee ist smart: einen kontrafaktischen Roman über einen noch lebenden Thomas Bernhard zu schreiben, einen Was-wäre-wenn-Roman über einen Schriftsteller, dessen Leben so gut dokumentiert ist, dass es ein Leichtes sein müsste, es weiterzuspinnen. Das aber will Schimmelbusch gar nicht: Er hat sich für eine Mischung aus Bernhard-Übertreibungsaneignung und Bernhard-Mythos-Dekonstruktion entschieden.
Er entwirft ein überkandideltes und leicht klamaukhaftes High-Society-Setting mit sich selbst als lebenstechnisch runtergekommenen und mit Geld weiter um sich werfenden Helden: Erste-Klasse-Flüge, Hotel- und sogenannte Vista-Suites auf Fähren nach Mallorca, Fahrten im "restaurierten Rolls Royce Silver Ghoul aus dem Nachlass von Alfried Krupp", immer wieder die besten (Weiß)-Weine und Römerquelle-Mineralwasser.
Der Erzähler Schimmelbusch, der Held dieses Buches, ist die Parodie eines Bernhard-Helden, und auf der Suche nach Bernhard liest er nach und nach, das ist die zweite Ebene dieses Romans, die Verlegerberichte. Hier spricht dann also Unseld übers Bernhard-Finanzieren, Schwimmen, seinen Sohn oder Verlegernöte. Nicht anders als Schimmelbusch oder Bernhards Sohn Esteban lebt auch dieser Unseld nicht nur auf hohem, sondern höchsten Fuß.
Mischung aus Schelmen- und Poproman
In diesen Passagen hat man den Eindruck, dass Schimmelbusch die Idee für sein Buch beim Lesen von Unselds "Chronik" und dem Bernhard-Unseld-Briefwechsel gekommen sein muss, so gut bekommt er den Ton seiner fiktiven Unseldschen Reisenotizen hin. Natürlich muss man im Verlauf auch auf ein paar Bernhard-Titel und Bernhard-Ohrensessel-Anekdoten nicht verzichten (und Bernhard war ja selbst kein Kost- und Luxusverächter), auch nicht auf den Bernhard-Sound beim Treffen von Schimmelbusch und Bernhard am Ende des Buchs, auf ein paar Witze auf Kosten von Bernhards Intimfeind Peter Handke, auf ein paar überdrehte Literaturbetriebsgeschichten.
"Die Murau Identität" ist eine Mischung aus Bernhard- (und auch Unseld!)-Satire, Schelmenroman und sehr, sehr späten Poproman - schön unterhaltsam, spaßig, einigermaßen komisch, jede Tiefe bewusst verweigernd. Am Ende ist man aber ganz froh, dass Thomas Bernhard seinen Tod nicht fingiert hat. Er lebt ja in seinen nach wie vor unverwüstlichen, überaus lesbaren Büchern weiter, und das dann doch viel besser als bei Alexander Schimmelbusch.

Alexander Schimmelbusch: Die Murau Identität
Metrolit, Berlin 2014
208 Seiten, 18 Euro

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