Autorin mit Faible für Außenseiter
Anna Gavalda liebt ihre schrägen, nie im Mittelpunkt der Gesellschaft stehenden Figuren. Auch privat ist sie gerne allein, umgibt sich mit Büchern und Geschichten.
"C'est super ici, des livres et des disques, des livres et la musique - vous avez de la chance d'avoir ca ... "
Wenn man Anna Gavalda eine Freude machen will, muss man sie nur in einen gutsortierten Buch- und Plattenladen mitnehmen. Das Optimal im Münchner Glockenbachviertel ist eine Institution für Vinyl-Liebhaber, aber es gibt hier auch CDs, Bücher und Wein. Anna Gavalda stellt sich vor das Bücherregal und kann sich gar nicht satt sehen.
"Das ist das Paradies auf Erden, hier gibt es ja nur gute Bücher! Ich achte immer zuerst auf die Bücher - sogar als ich mir in Paris eine Wohnung gekauft habe: Da habe ich die genommen, in der die interessanteren Bücher standen. Auch wenn diese Bücher nun weg sind, glaube ich, dass es in der Wohnung gute Schwingungen gibt."
Anna Gavalda erinnert sofort an ihre eigenen Romanfiguren: ein bisschen schräg vielleicht, wenn sie über Schwingungen und Geister spricht, aber sehr sympathisch. Kurze blonde Locken, legere Kleidung, neugieriger Blick. In ihrem neuen Roman "Nur wer fällt, lernt fliegen" heißen die beiden Hauptfiguren nach einem französischen Schlagersänger und nach einem Lied von Michael Jackson - nämlich Billie. Von Billie Jean.
Zurück auf die Straße, wir gehen weiter. Anna Gavalda fühlt sich an einen Roman erinnert, über den Besitzer eines Londoner Schallplattenladens: nämlich High Fidelity von Nick Hornby:
"Connais-tu le livre de Nick Horby, High Fidelity? On croitait que c'est ici. Oui. Ein Platz, der so ein bisschen aus der Zeit gefallen ist ..."
"Hier? Aber überhaupt nicht! Das ist für mich wie eine Oase. Menschen, die gute Musik hören sind keine Nostalgiker, sondern die sind wie Königinnen und Könige, die haben wirklich verstanden, um was es geht im Leben. Wenn ich hier in München leben würde, dann würde ich hier bestimmt Dreiviertel meiner Zeit verbringen."
"Hier? Aber überhaupt nicht! Das ist für mich wie eine Oase. Menschen, die gute Musik hören sind keine Nostalgiker, sondern die sind wie Königinnen und Könige, die haben wirklich verstanden, um was es geht im Leben. Wenn ich hier in München leben würde, dann würde ich hier bestimmt Dreiviertel meiner Zeit verbringen."
Eine französische Patisserie, wir testen jetzt mal, ob es auch schmeckt:
"Je veux bien un chocolat."
"Alors chocolat chaud?"
"Oui."
"Alors chocolat chaud?"
"Oui."
Im Deutschen ist das Buch allen Außenseitern gewidmet, im Französischen heißt es "les clandestins".
"Für mich sind das Leute, die einen inneren Reichtum besitzen. Den sie aber verstecken - einfach weil das heutzutage gar in ist. Ein Typ der viel Geld verdient, wird von allen geschätzt. Aber jemand, der sich mit dem Philosophen Immanuel Kant auskennt oder besser als jeder andere ein Mille feuille macht - also diese Nachspeise hier in der Vitrine, so jemand bekommt eher keine Anerkennung. Und das finde ich schade, weil ich glaube, dass es nichts Wichtigeres gibt, als Wissen, Kultur, Leidenschaft, die Lust etwas zu lernen."
Woher kommt denn ihre Zuneigung für solche Leute?
"Das ist ganz einfach meine Familie. Mein Leben ist nicht sehr gesellig. Ich gehe selten aus, ich lebe sehr abgeschieden, sehr allein. Das Wichtigste in meinem Leben kann man nicht von außen erkennen. Ich habe mit meinem Schreiben viel Geld verdient, aber das interessiert mich nicht besonders, ich hab viel verschenkt oder gespendet. Da sympathisiere ich eher mit einer Künstlerin wie Francoise Sagan, die auch arm gestorben ist. Die echten Künstler sind nicht reich, denn um kreativ zu sein, muss die eigene Situation etwas Unbequemes haben."
Familiäre Beziehung zu den Romanfiguren
Anna Gavalda spricht über ihre Romanfiguren, als wären sie tatsächlich - wie sie sagt - ihre Familie. Über Billie, die Hauptfigur in ihrem neuen Roman "Nur wer fällt, lernt fliegen", sagt sie, diese Figur sei das Schönste, das sie je erfunden habe. Es ist die Geschichte eines Mädchens, das in einem Wohnwagen auf einer Müllkippe aufwächst, zuhause geschlagen wird und deren Weg in die Alkoholabhängigkeit schon vorgezeichnet scheint - bis sie in einem Schultheaterstück zusammen mit einem anderen Außenseiter die Hauptrollen vorspielen darf.
Die Freundschaft zwischen dem Mädchen von der Müllkippe und dem zierlichen, schwulen Junge aus gutem Hause gibt den beiden den Mut, den Gemeinheiten ihrer Umgebung zu trotzen. Das erinnert an Anna Gavaldas berühmtestes Buch über eine ungewöhnliche WG in Paris, an "Zusammen ist man weniger allein". Im Grunde dreht sich in ihren Romanen alles um zwei Dinge: Freundschaft und Freundlichkeit. Und um die Idee, dass Menschen herausfinden müssen, was sie gut können, wofür sie eine Leidenschaft haben - ob als Koch, Schmuckdesigner oder Floristin. Das ist ihr Lieblingsthema, wie sie bei einer Tasse heiße Schokolade in der Patisserie erzählt:
"Ich bin wirklich eine große Verfechterin von Bildung. Das einzige, was dich aus deinem Elend herausholen kann, ist die Schule. Deswegen sind Lehrer auch so wichtig: Wenn die so eine Billie in ihrer Klasse haben, sind sie die einzigen, die sie retten können. Mir wird oft vorgeworfen, ich würde Bücher schreiben, die unbedarft oder naiv sind, aber ich weiß aus meiner persönlichen Erfahrung, dass es solche Menschen gibt - die mit Kleinigkeiten im Grunde Leben retten können. Und auf meiner Ebene mache ich das ja auch: Ich kümmere mich um Menschen, die in der Scheiße stecken. Das gefällt den Literaturkritikern nicht, es heißt: Liebeswürdigkeit schafft keine gute Literatur."
"Also verstehe ich das richtig: Sie sind einerseits sehr neugierig auf die Welt und gleichzeitig sagen Sie, am liebsten sind Sie allein zu Hause und schreiben?"
" Aber ja. Wenn man alleine ist, nimmt man die Dinge genauer wahr. Wenn du in einer Gruppe verreist, erlebst du weniger. Wenn du alleine unterwegs bist, wirst du gezwungen, Menschen kennenzulernen. Du musst alleine sein, um wirklich neugierig zu sein. Aber natürlich ist es schöner, wenn es eine selbst gewählte Einsamkeit ist und man Freunden von seinen Erlebnissen erzählen kann. Ich habe außerdem meine Leser. Ich bin eigentlich niemals einsam, weil ich in meinen Büchern davon erzählen kann, was ich erlebt habe."