Belziger Experimente
In und rund um das brandenburgische Städtchen Belzig hat sich im letzten Jahrzehnt eine Vielzahl von Künstlern und Therapeuten, Biobauern, Ökohandwerkern und Ökoingenieuren niedergelassen. Ausgelöst wurde dieser Boom durch zwei große Alternativ-Gemeinschaften, die sich kurz nach der Wende dort niederließen.
Heute lebt im Hohen Fläming eine so dichte Alternativszene, wie sonst nirgends in den Neuen Bundesländern. Auch wenn es zum Teil Befremden gibt: Die Alteingesessenen und die alternativen Zugezogenen kommen erstaunlich gut miteinander zurecht.
"Ein Stückchen runter noch, am Briefkasten, da wohnen auch Leute von hier, die auch hier mit dem Gut zu tun haben. Also überall. Das ist auch schön so. Weil, sonst würden ja die Dörfer aussterben, sag ich mal. Die Alten sind dann nicht mehr und die vielen Jungen gehen in die Stadt, und seitdem das Landgut hier ist, sind viele junge Leute hier und nette Leute. Und das ist schön."
Jeden Tag um die Mittagszeit macht die Postbotin Inge Reiman mit ihrem Postauto am Bioladen des Dörfchens Lübnitz halt. Seit 25 Jahren schon trägt sie hier die Post aus. Eine Landstraße, geduckte, alte Häuser und zwei holperige Seitenwege, mehr gibt es hier nicht. In der kleinen Dorfkirche liest ein zugereister Priester einmal im Monat die Messe. Vier Mal am Tag hält der Bus aus Belzig. Viel los war hier nie – bis vor drei Jahren ein Bioladen im Dorf eröffnete. Betrieben von einer alternativen Hofgemeinschaft.
Reimann: "Hier sind so viele Häuser gewesen, die nicht bewohnt sind und man freut sich dann, dass da wieder Leute wohnen. Dass die sich die Häuser schön machen, dass Kinder auf die Welt kommen. (...)Wenn ein Haus jahrelang leer stand und plötzlich geht es los, steht die Rüstung und die Maler kommen. Finde ich immer schön."
Und das, obwohl die meisten dieser neu Zugezogenen einen anderen Lebensstil pflegen als die Postbotin. "Eher alternativ", sagt sie lachend.
20 Erwachsene und 12 Kinder leben in der Lübnitzer Hofgemeinschaft. Auf einem wunderschönen, langgestreckten Gutshof aus rotem Backstein. Zu DDR-Zeiten wurde er als LPG betrieben, nach der Wende dann stillgelegt. Die neue Hofgemeinschaft bewirtschaftet nun zwei Hektar Acker. Sie halten Kühe und Hühner und betreiben neben dem Laden eine eigene Bäckerei, eine freie Schule für die Kinder, ein Ingenieursbüro für regenerative Energieanlagen und eine Holzmanufaktur. Gleich gegenüber, aus dem Fenster des Bioladens gut sichtbar, ist schon die nächste WG zu Hause. Kurz nach der Hofgemeinschaft bezog eine Gemeinschaft von Ökologischen Gartenarchitekten ein anderes, leer stehendes Haus.
Reimann: "Andere Menschen denken vielleicht anders drüber, aber mir gefällt es hier, ja. Ich komm auch gut mit den Leuten klar, überhaupt gar keine Probleme. Ich sag immer, wenn es überall so wäre, dann wäre es für uns viel leichter. Weil, hier steht der Mensch im Mittelpunkt, und nicht, was fahr ich für ein Auto oder wie viel Geld habe ich."
Selbstverständlich ist so eine Haltung nicht. Denn was sich rund um das beschauliche, 80 Kilometer von Berlin gelegene Städtchen Belzig ereignet hat, das nennen selbst manche der Zugezogenen eine "Invasion der Alternativen."
Bekannt ist der brandenburgische Naturpark Hoher Fläming sonst für seine sanfte Hügellandschaft, für endlose Wälder, für Burgen, Schlösser und alte Dorfkirchen. Und ganz sicher auch für seine brachliegende Wirtschaft. Produzierendes Gewerbe gibt es wenig. In den vergangenen zwei Jahrzehnten aber hat sich hier ganz leise etwas anderes entwickelt: Eine Vielzahl von "Aussteigern", von Künstlern, Therapeuten und Biobauern, Öko-Ingenieuren und Öko-Handwerkern hat sich in der Gegend niedergelassen. Es dürfte sich um die wohl dichteste Ansiedlung von "Alternativen" in den neuen Bundesländern handeln.
Roland Ficht, ein ehemaliger Westberliner Hausbesetzer, weiß, wie es dazu kam. Seit 17 Jahren lebt er am Rand von Belzig im Zegg, dem Zentrum für Experimentelle Lebensgestaltung. Einem der ersten Alternativprojekte in der Region.
Ficht: "Es gab das Zegg und eine Außenstelle von dem Berliner Suchthilfeverein Synanon. Der ist dann irgendwann Pleite gegangen, aber es gab ein paar Leute, die haben weiter gemacht und das nennt sich jetzt Skarabeus und die hatten auch einen gemeinschaftlichen Lebensansatz. Das waren so die ersten Akupunkturpunkte, die hier so westliche Subkultur im Fläming implementiert haben, sag ich mal. Und die haben sich vermischt mit der östlichen Subkultur und so hat das alles mal angefangen."
1991, kurz nach der Wende, zogen knapp 50 idealistische, westdeutsche Alternative ins neu gegründete Zegg. Umgeben von Acker und Wald wollten sie sich auf einem "grünen", 16 Hektar großen Gelände, das vormals dem Ministerium für Staatssicherheit gehört hatte, in neuen, gewalt- und konkurrenzfreien Formen des menschlichen Miteinanders versuchen. Heute leben hier 60 Erwachsene und 20 Kinder.
Das Zegg ist nicht nur eine Lebensgemeinschaft, es ist auch ein großer Seminarbetrieb. Von Musikworkshops, wie etwa "Lieder des Herzens aus aller Welt", über Familienaufstellung und Klangschalenmassage bis zu Tantra-Seminaren steht hier alles auf dem Programm, was auf dem alternativen Heilmarkt derzeit en vogue ist. Roland Fichts Zegg-Mitbewohnerin Barbara Stützel:
"Ja, wir haben immer wieder drei bis vier Seminare am Wochenende gleichzeitig. Zwischen 30 und 80 Gäste ist eigentlich die Regel am Wochenende."
Zu den großen Festivals im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und zur Jahreswende kommen bis zu 500 Menschen hierher.
Ficht: "Was wir herausfinden wollen, ist, wie kann man mit vielen Menschen zusammenleben, ohne dass man sich gegenseitig permanent auf den Geist geht. Also, wie man kann mit vielen Menschen zusammen leben und eine Kultur dabei aufbauen, die alle fördert und alle zufriedener macht und wo man sich nicht durch die Unterschiede der Menschen gegenseitig aufreibt oder behindert."
Doch auf Dauer wurde auch den meisten Zegg-Aktivisten das Leben in der Großgemeinschaft zu anstrengend. Aber anstatt fortzuziehen gründeten viele im Umland kleinere WGs - oder auch ganz normal eine Familie. Auch Seminargäste fanden Gefallen an der Gegend. So hat es angefangen, mit der "Alternativbesiedlung" des Hohen Flämings. Heute gibt es rund um Belzig wohl kein Dorf mehr, in dem nicht mindestens eine WG zu finden ist. Die Entwicklung hat sich längst verselbstständigt. Roland Ficht:
Ficht: "Diese Szene, die sich hier angesiedelt hat, die hat inzwischen so eine Eigendynamik und Schwerkraft entwickelt, das die Menschen, die kommen nicht mehr unbedingt wegen dem Zegg oder etwas anderem hierher."
Sie kommen, weil es hier "Gleichgesinnte" gibt, Menschen auf "ähnlicher Wellenlänge". Oder auch einfach wegen der Atmosphäre, der spürbaren Aufgeschlossenheit.
Zurück in Lübnitz. Die Postbotin Reiman ist längst weiter gezogen. Aber im Bioladen herrscht um die Mittagszeit ein reger Betrieb. Seit sechs Jahren gibt es hier die Hofgemeinschaft, seit drei Jahren den Laden, in dem die Alternativszene der Gegend sich gern zu Cappuccino und Milchkaffee trifft. Ein Großteil der Kundschaft begrüßt sich mit Umarmung und Küsschen. Alles ist gemütlich in Holz gehalten. In den Regalen stapeln sich selbstgemachte Marmeladen und das Gemüse aus der eigenen Ernte. Sowohl drinnen als auch draußen, auf der viel befahrenen Landstraße, stehen Tische und Stühle bereit.
Zu den Stammkundinnen des Hofladens zählt Sabine S. (der Name ist der Redaktion bekannt). Eine etwas exzentrisch gekleidete Person, die zwei lange, spitzenbesetzte Blümchenkleider übereinander trägt und einen kurzen Mantel dazu.
"Es gibt auch sehr viele Stellen, wo die Alternativszene hier sehr kritisch beäugt wird und an anderen Stellen gibt es eine ganz, ganz schöne Vermischung, wo da was zusammen kommt. Für mich ist eine Stelle auf jeden Fall dieser Laden hier."
Denn in einer Parallelgesellschaft leben laut S. die Alternativen hier in der Gegend nicht.
"Ich mein, die Menschen, die hier in der DDR groß geworden sind, die haben ein anderes soziales Netzwerk, als ich das vom Westen her gewohnt bin. Und ich bin hierher gekommen, weil ich ein soziales Netzwerk mit aufbauen wollte, und habe dann festgestellt, viele Menschen von hier, die hier schon immer leben, denen ist das eine Gewohnheit und was ganz Selbstverständliches."
Sabine S. betreibt in Potsdam einen kleinen Laden. Ursprünglich hatte sie dort ihre eigenen und die Bilder anderer Künstler aus dem Hohen Fläming ausstellen und verkaufen wollen. Aber die Bilder verkauften sich nicht, stattdessen florierte die nebenbei angebotene Kleidung vom Romantik-Label NoaNoa. Heute ist Sabine S. Inhaberin einer gut gehenden Boutique. Zwar gehört auch S. zu der Gruppe, die 2002 die Lübnitzer Hofgemeinschaft gründeten, aber vor zwei Jahren ist sie mit ihrem Lebengefährten in ein Nachbardorf gezogen.
"Weil ich jahrelang in Gemeinschaften gelebt habe und jetzt ist einfach mal gut ganz allein und zu zweit zu leben und das zu genießen, die anderen zu besuchen."
Trotzdem erinnert sich Sabine S. noch gerne und gut daran, wie es anfing, damals, 2003, als es auf dem Gut eine große Sommerbaustelle gab. Drei Wochen lang campierten 200 freie Handwerksgesellen auf dem verfallenen Gutshof und setzten für freie Kost und Logis einen Teil der Gebäude wieder in Stand.
"Da war soviel Leben hier in dem Dorf durch diese freien Wandergesellen. Das war wahnsinnig schön, mit gebratenen Wildschweinen und mit Tänzen in der Nacht. Das sind ja nicht nur Dachdecker und Zimmermänner gewesen, sondern aus allen Gewerken, Kirchenmaler, Filzer, Künstler, ganz ganz schön war das."
Nachdem die Männer aus dem Dorf den Maibaum nicht hatten aufstellen können und die zugereisten Gesellen ihnen dabei halfen, war auch das Eis zu den alteingesessenen Lübnitzern gebrochen.
"Da gab es über die Handwerker ganz viel Kontakt plötzlich zu dem Dorf, zu ganz vielen Leuten aus der Region, das war dann plötzlich wie ein Tor, das da aufgegangen ist. Die sind gekommen und haben uns Matratzen gebracht für die ganzen Gesellen, haben uns Fahrräder gebracht. Also, wo es ganz viel Unterstützung auch gegeben hat."
Man ist hier am Ort seitdem vielleicht zu keinem wirklichen Miteinander, wohl aber zu einer freundlichen Koexistenz gekommen. Und nicht nur bei der Postbotin Reimann hat sich Dankbarkeit über die merkwürdigen Zuwanderer breit gemacht. Ganz dringend braucht die Region jeden Zuwachs. Zwar ist der Landkreis Potsdam-Mittelmark, zu dem der Hohe Fläming gehört, der einzige in Brandenburg, in dem die Bevölkerungszahl seit Anfang der 90er-Jahre nicht dramatisch gesunken ist. Sie ist sogar deutlich gestiegen. Aber dies verdankt sich allein dem rapiden Anwachsen des Gewerbegebiets bei Potsdam. In Städtchen wie Kleinmachnow, Stahnsdorf oder dem Nuthetal ist die Bevölkerung seit 1992 um 70, teilweise sogar 85 Prozent angewachsen. Im Hohen Fläming dagegen, in Wiesenburg-Mark, Niemegk und Ziesar ist sie um zehn bis fünfzehn Prozent gesunken. Und die, die gehen, sind vor allem die unter 30-Jährigen.
Wieviel die Region den neuen Zuwanderern verdankt, das weiß vor allem Barbara Klembt. Die Bürgermeisterin der Partei Die Linke steht der 800-Seelen-Gemeinde Wiesenburg/Mark vor. Einer Gemeinde, der die Zugezogenen sichtbar neuen Schwung verpasst haben:
Klembt: "Man versauert nicht im täglichen Einerlei und nicht im Leiden um möglicherweise junge Leute, die weggehen, die nicht nur bloß ihre Jugend mitnehmen, sondern auch ihr Wissen, mit dem sie sich hier ausgestattet haben oder beim Studium andernorts. Dadurch, dass andere Leute hier herziehen, die wieder frisches Wissen mitbringen und frische Aktivität, hilft es dann ganz gut."
Barbara Klembt ist eine bedächtige, zurückhaltende Frau. Aber sie gilt als diejenige Politikerin in der Region, die wie keine andere die Alteingesessenen und die neu Zugezogenen zusammen bringt. Seit fast 25 Jahren ist sie im Amt. Zu DDR-Zeiten war sie zunächst Zweite Bürgermeisterin, zuletzt wurde sie vor einem Jahr mit 90 Prozent aller Stimmen als Bürgermeisterin bestätigt. Einfach ist die Lage, die sie hier zu verwalten hat, nicht. Die Gemeindekassen sind leer, die Arbeitslosigkeit liegt bei neun Prozent. Aber die Bürgermeisterin ist trotzdem verhalten optimistisch.
"Wir sind nicht die reichste Gegend und wir sind auch nicht die, die riesige Einrichtungen hat, sondern eine dünn besiedelte, ein Stückchen weg von Zentren, aber trotzdem keine tote. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Sache, dass man das Selbstbewusstsein auch findet."
Dieses Selbstbewusstsein, das finden sie hier in Wiesenburg durch ein aktives Gemeindeleben und ein umfangreiches Kulturprogramm. Das Engagement der Zugezogenen spielt dabei längst eine große Rolle. In der Kunstperle Fläming etwa engagieren sich alteingesessene und neu gezogene Künstler und Kunstinteressierte, "Bürgerliche" genauso wie die "Alternativen". Gleiches gilt bei der Bildung. Die Betreuung in den Kindergärten und Schulen wurde fast völlig umgekrempelt.
Klembt: "Also bei uns sind zum Beispiel viele Eltern, die sich sehr aktiv in die Gestaltung der Kinderbetreuung mit einbringen, in die inhaltlichen Konzepte in den Kindergärten. Zugezogene, jüngere Leute, die einfach kommen und sagen, Mensch, nur die Tatsache, dass es eine schöne Gegend ist, reicht uns nicht. Wir wollen gucken, dass unsere Kinder, wenn sie hier den Kindergarten besuchen, sehr viel über die Natur lernen, sehr viel bewusster mit ihrer Umwelt umgehen lernen und so weiter."
So wurden etwa die Spielplätze im Ort umgestaltet. Und so ist, unter Leitung der Künstlerin Ute Paulmann-Boll, die mit ihrer Familie vor vier Jahren nach Wiesenburg zog, der Kleine-Weltgarten entstanden - im ehemaligen, seit der Wende brachliegenden Schulgarten. Es ist ein regional-internationales Stück Erde geworden, ein "Grünes Klassenzimmer" mit Zengarten, Weidentipis, mediterranen Kräutern, Bienenstock und Feuerstelle. Erst letzte Woche haben die Schüler hier draußen gemeinsam eine Kürbissuppe gekocht. Mit selbst geernteten Kürbissen versteht sich.
Aber so idyllisch, wie es klingt, ist es nicht. Dass sie immer wieder auch gegen Vorurteile kämpfen muss, daraus macht Barbara Klembt kein Geheimnis. Vorurteile, vor allem gegen die Tantra-Seminare, deren sexuelle Befreiungstheorie vielen etwas zu weit geht. Auch das alternative Therapeutentum im Zegg ist manch Alteingesessenem zu esoterisch.
Doch eines steht selbst bei Skeptikern außer Frage: Bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze sind die alternativen Zugezogenen enorm erfinderisch. Am Wiesenburger Bahnhof entsteht derzeit ein ökologischer Campingplatz, initiiert und geleitet von ehemaligen Zegg-Bewohnern. Zur Eröffnung mit einem "Ecotopia"-Camp werden im kommenden Sommer um die 400 Gäste erwartet.
Ein kreativer Arbeitsplatzerfinder ist auch der Biologe Dr. Joachim Niklas.
"Wir wollen Holz aus unserer Heimat für die Region."
Joachim Niklas hat früher ein Planungsprojekt für Abwassertechnologie in Belzig geleitet. Nebenbei hat er im Hohen Fläming Wald gekauft und ein wenig Waldwirtschaft betrieben. Inzwischen ist er Betreiber eines Sägewerks. Denn er merkte:
"... dass ich mein Holz an Firmen verkaufe, die das weiter vermitteln an Sägewerke, die sagen wir mal 80 Kilometer von hier entfernt sind."
Hin und zurück war das Holz also 160 Kilometer unterwegs.
Niklas: "Was noch günstig ist für den bundesdeutschen Durchschnitt, der liegt bei 240 Kilometer pro Stück Holz, was Sie kaufen. Das war mir nicht geheuer und ich dachte, es wäre eigentlich sinnig hier die Wertschöpfungskette auch anzuschließen an das Holz."
Also hat Joachim Niklas das "Ökokombinat Flämingholz" gegründet.
Niklas: "Öko und Kombinat, das deutet ja schon auch an, dass da Ost und West zusammen kommt. Und das ist bei uns auch der Fall, die Hälfte kommt aus dem Westen und die Hälfte kommt aus dem Osten."
Joachim Niklas war 1991 Mitbegründer des Belziger Zeggs, des Zentrums für Experimentelle Lebensgestaltung. Aber seit vielen Jahren schon lebt er mit seiner Familie in einem hübschen Haus am Waldrand. Perspektivisch wird er bei Flämingholz einmal vier oder fünf Mitarbeiter haben. Ebenso wie einige seiner Partner, die sich mit eingemietet haben auf das große Gelände, das vormals der Telekom gehörte.
Niklas: "Ich habe einen Partner, der gleichfalls selbstständig ist. Wir bauen das Sägewerk auf, betreiben den Holzhandel und angeschlossen sind die selbständigen Tischler und Zimmerleute, die im Idealfall das Holz, das wir sägen, direkt verwerten. Das heißt, auf der einen Seite kommt der Stamm rein in die Halle und auf der anderen Seite kommt der Schreibtisch raus."
Vernetzung, neue Konzepte, wie etwa die Entwicklung des Steintalers, einer eigenen Regionalwährung, mit der man regional Waren und Dienstleistungen tauschen kann, und natürlich die ökologische Landwirtschaft: Die zugezogenen Alternativen haben der Region viele neue Impulse gegeben. Längst aber haben sich diese Ideen verselbständigt.
Das sieht man auch der Kreisstadt Belzig an: Gleich unten, im Touristenzentrum des Rathauses werden neben Landkarten Bioprodukte aus der Region verkauft. Und oben, im Büro der Bürgermeisterin Hannelore Klabunde, steht – natürlich - naturtrüber Belziger Apfelsaft auf dem Tisch.
Klabunde: "Die Vermarktung der regionalen Produkte, …dass man sich mehr bewusst wird, auf die örtlichen Produkte, die von Ökologie geprägt sind, da ist auch das Zegg wieder Vorreiter."
Im ökologischen Ansatz sieht die Bügermeisterin die Zukunft für die Region. Schließlich sind Tourismus und Gesundheitswirtschaft – Belzig ist ein Kurort mit Steintherme und Solebad – die wichtigsten Wirtschaftszweige. Man rüstet sich auch schon für den Deutschen Wandertag, der 2012 hier im Hohen Fläming stattfindet.
Klabunde: "Das einzige, was noch fehlt, ist, dass wir eine eigene Dachmarke haben. Dass wir unsere Region damit vertreten unter einem Dach. (…) Ökologischer Anbau aus dem Hohen Fläming, mit einem Namen, der noch entwickelt werden muss."
Den größten Sieg, den man bislang errungen hat, ist aber ein anderer, nämlich der gemeinsame Schulterschluss gegen die Neonaziszene.
Nicht, dass die Rechtsradikalen damit ganz aus dem Hohen Fläming verschwunden wären. Fuß fassen können aber haben sie nicht. Die Belziger Initiative gegen rechts, das Belziger Forum und das dazugehörige Infocafe der Winkel, werden von dem von der Bundesregierung gegründeten "Bündnis für Demokratie und Toleranz - Gegen Extremismus und Gewalt" als "vorbildliches" Projekt, als "Musterbeispiel an Stärkung der demokratischen Kultur vor Ort" gelobt.
Gegründet hat das Belziger Forum der vormalige Bürgermeister. Geleitet wird es von Ramona Stuckis, einer ehemaligen Zegg-Bewohnerin. Aber eine wirkliche Rolle spielt das nicht mehr.
"Ein Stückchen runter noch, am Briefkasten, da wohnen auch Leute von hier, die auch hier mit dem Gut zu tun haben. Also überall. Das ist auch schön so. Weil, sonst würden ja die Dörfer aussterben, sag ich mal. Die Alten sind dann nicht mehr und die vielen Jungen gehen in die Stadt, und seitdem das Landgut hier ist, sind viele junge Leute hier und nette Leute. Und das ist schön."
Jeden Tag um die Mittagszeit macht die Postbotin Inge Reiman mit ihrem Postauto am Bioladen des Dörfchens Lübnitz halt. Seit 25 Jahren schon trägt sie hier die Post aus. Eine Landstraße, geduckte, alte Häuser und zwei holperige Seitenwege, mehr gibt es hier nicht. In der kleinen Dorfkirche liest ein zugereister Priester einmal im Monat die Messe. Vier Mal am Tag hält der Bus aus Belzig. Viel los war hier nie – bis vor drei Jahren ein Bioladen im Dorf eröffnete. Betrieben von einer alternativen Hofgemeinschaft.
Reimann: "Hier sind so viele Häuser gewesen, die nicht bewohnt sind und man freut sich dann, dass da wieder Leute wohnen. Dass die sich die Häuser schön machen, dass Kinder auf die Welt kommen. (...)Wenn ein Haus jahrelang leer stand und plötzlich geht es los, steht die Rüstung und die Maler kommen. Finde ich immer schön."
Und das, obwohl die meisten dieser neu Zugezogenen einen anderen Lebensstil pflegen als die Postbotin. "Eher alternativ", sagt sie lachend.
20 Erwachsene und 12 Kinder leben in der Lübnitzer Hofgemeinschaft. Auf einem wunderschönen, langgestreckten Gutshof aus rotem Backstein. Zu DDR-Zeiten wurde er als LPG betrieben, nach der Wende dann stillgelegt. Die neue Hofgemeinschaft bewirtschaftet nun zwei Hektar Acker. Sie halten Kühe und Hühner und betreiben neben dem Laden eine eigene Bäckerei, eine freie Schule für die Kinder, ein Ingenieursbüro für regenerative Energieanlagen und eine Holzmanufaktur. Gleich gegenüber, aus dem Fenster des Bioladens gut sichtbar, ist schon die nächste WG zu Hause. Kurz nach der Hofgemeinschaft bezog eine Gemeinschaft von Ökologischen Gartenarchitekten ein anderes, leer stehendes Haus.
Reimann: "Andere Menschen denken vielleicht anders drüber, aber mir gefällt es hier, ja. Ich komm auch gut mit den Leuten klar, überhaupt gar keine Probleme. Ich sag immer, wenn es überall so wäre, dann wäre es für uns viel leichter. Weil, hier steht der Mensch im Mittelpunkt, und nicht, was fahr ich für ein Auto oder wie viel Geld habe ich."
Selbstverständlich ist so eine Haltung nicht. Denn was sich rund um das beschauliche, 80 Kilometer von Berlin gelegene Städtchen Belzig ereignet hat, das nennen selbst manche der Zugezogenen eine "Invasion der Alternativen."
Bekannt ist der brandenburgische Naturpark Hoher Fläming sonst für seine sanfte Hügellandschaft, für endlose Wälder, für Burgen, Schlösser und alte Dorfkirchen. Und ganz sicher auch für seine brachliegende Wirtschaft. Produzierendes Gewerbe gibt es wenig. In den vergangenen zwei Jahrzehnten aber hat sich hier ganz leise etwas anderes entwickelt: Eine Vielzahl von "Aussteigern", von Künstlern, Therapeuten und Biobauern, Öko-Ingenieuren und Öko-Handwerkern hat sich in der Gegend niedergelassen. Es dürfte sich um die wohl dichteste Ansiedlung von "Alternativen" in den neuen Bundesländern handeln.
Roland Ficht, ein ehemaliger Westberliner Hausbesetzer, weiß, wie es dazu kam. Seit 17 Jahren lebt er am Rand von Belzig im Zegg, dem Zentrum für Experimentelle Lebensgestaltung. Einem der ersten Alternativprojekte in der Region.
Ficht: "Es gab das Zegg und eine Außenstelle von dem Berliner Suchthilfeverein Synanon. Der ist dann irgendwann Pleite gegangen, aber es gab ein paar Leute, die haben weiter gemacht und das nennt sich jetzt Skarabeus und die hatten auch einen gemeinschaftlichen Lebensansatz. Das waren so die ersten Akupunkturpunkte, die hier so westliche Subkultur im Fläming implementiert haben, sag ich mal. Und die haben sich vermischt mit der östlichen Subkultur und so hat das alles mal angefangen."
1991, kurz nach der Wende, zogen knapp 50 idealistische, westdeutsche Alternative ins neu gegründete Zegg. Umgeben von Acker und Wald wollten sie sich auf einem "grünen", 16 Hektar großen Gelände, das vormals dem Ministerium für Staatssicherheit gehört hatte, in neuen, gewalt- und konkurrenzfreien Formen des menschlichen Miteinanders versuchen. Heute leben hier 60 Erwachsene und 20 Kinder.
Das Zegg ist nicht nur eine Lebensgemeinschaft, es ist auch ein großer Seminarbetrieb. Von Musikworkshops, wie etwa "Lieder des Herzens aus aller Welt", über Familienaufstellung und Klangschalenmassage bis zu Tantra-Seminaren steht hier alles auf dem Programm, was auf dem alternativen Heilmarkt derzeit en vogue ist. Roland Fichts Zegg-Mitbewohnerin Barbara Stützel:
"Ja, wir haben immer wieder drei bis vier Seminare am Wochenende gleichzeitig. Zwischen 30 und 80 Gäste ist eigentlich die Regel am Wochenende."
Zu den großen Festivals im Frühjahr, im Sommer, im Herbst und zur Jahreswende kommen bis zu 500 Menschen hierher.
Ficht: "Was wir herausfinden wollen, ist, wie kann man mit vielen Menschen zusammenleben, ohne dass man sich gegenseitig permanent auf den Geist geht. Also, wie man kann mit vielen Menschen zusammen leben und eine Kultur dabei aufbauen, die alle fördert und alle zufriedener macht und wo man sich nicht durch die Unterschiede der Menschen gegenseitig aufreibt oder behindert."
Doch auf Dauer wurde auch den meisten Zegg-Aktivisten das Leben in der Großgemeinschaft zu anstrengend. Aber anstatt fortzuziehen gründeten viele im Umland kleinere WGs - oder auch ganz normal eine Familie. Auch Seminargäste fanden Gefallen an der Gegend. So hat es angefangen, mit der "Alternativbesiedlung" des Hohen Flämings. Heute gibt es rund um Belzig wohl kein Dorf mehr, in dem nicht mindestens eine WG zu finden ist. Die Entwicklung hat sich längst verselbstständigt. Roland Ficht:
Ficht: "Diese Szene, die sich hier angesiedelt hat, die hat inzwischen so eine Eigendynamik und Schwerkraft entwickelt, das die Menschen, die kommen nicht mehr unbedingt wegen dem Zegg oder etwas anderem hierher."
Sie kommen, weil es hier "Gleichgesinnte" gibt, Menschen auf "ähnlicher Wellenlänge". Oder auch einfach wegen der Atmosphäre, der spürbaren Aufgeschlossenheit.
Zurück in Lübnitz. Die Postbotin Reiman ist längst weiter gezogen. Aber im Bioladen herrscht um die Mittagszeit ein reger Betrieb. Seit sechs Jahren gibt es hier die Hofgemeinschaft, seit drei Jahren den Laden, in dem die Alternativszene der Gegend sich gern zu Cappuccino und Milchkaffee trifft. Ein Großteil der Kundschaft begrüßt sich mit Umarmung und Küsschen. Alles ist gemütlich in Holz gehalten. In den Regalen stapeln sich selbstgemachte Marmeladen und das Gemüse aus der eigenen Ernte. Sowohl drinnen als auch draußen, auf der viel befahrenen Landstraße, stehen Tische und Stühle bereit.
Zu den Stammkundinnen des Hofladens zählt Sabine S. (der Name ist der Redaktion bekannt). Eine etwas exzentrisch gekleidete Person, die zwei lange, spitzenbesetzte Blümchenkleider übereinander trägt und einen kurzen Mantel dazu.
"Es gibt auch sehr viele Stellen, wo die Alternativszene hier sehr kritisch beäugt wird und an anderen Stellen gibt es eine ganz, ganz schöne Vermischung, wo da was zusammen kommt. Für mich ist eine Stelle auf jeden Fall dieser Laden hier."
Denn in einer Parallelgesellschaft leben laut S. die Alternativen hier in der Gegend nicht.
"Ich mein, die Menschen, die hier in der DDR groß geworden sind, die haben ein anderes soziales Netzwerk, als ich das vom Westen her gewohnt bin. Und ich bin hierher gekommen, weil ich ein soziales Netzwerk mit aufbauen wollte, und habe dann festgestellt, viele Menschen von hier, die hier schon immer leben, denen ist das eine Gewohnheit und was ganz Selbstverständliches."
Sabine S. betreibt in Potsdam einen kleinen Laden. Ursprünglich hatte sie dort ihre eigenen und die Bilder anderer Künstler aus dem Hohen Fläming ausstellen und verkaufen wollen. Aber die Bilder verkauften sich nicht, stattdessen florierte die nebenbei angebotene Kleidung vom Romantik-Label NoaNoa. Heute ist Sabine S. Inhaberin einer gut gehenden Boutique. Zwar gehört auch S. zu der Gruppe, die 2002 die Lübnitzer Hofgemeinschaft gründeten, aber vor zwei Jahren ist sie mit ihrem Lebengefährten in ein Nachbardorf gezogen.
"Weil ich jahrelang in Gemeinschaften gelebt habe und jetzt ist einfach mal gut ganz allein und zu zweit zu leben und das zu genießen, die anderen zu besuchen."
Trotzdem erinnert sich Sabine S. noch gerne und gut daran, wie es anfing, damals, 2003, als es auf dem Gut eine große Sommerbaustelle gab. Drei Wochen lang campierten 200 freie Handwerksgesellen auf dem verfallenen Gutshof und setzten für freie Kost und Logis einen Teil der Gebäude wieder in Stand.
"Da war soviel Leben hier in dem Dorf durch diese freien Wandergesellen. Das war wahnsinnig schön, mit gebratenen Wildschweinen und mit Tänzen in der Nacht. Das sind ja nicht nur Dachdecker und Zimmermänner gewesen, sondern aus allen Gewerken, Kirchenmaler, Filzer, Künstler, ganz ganz schön war das."
Nachdem die Männer aus dem Dorf den Maibaum nicht hatten aufstellen können und die zugereisten Gesellen ihnen dabei halfen, war auch das Eis zu den alteingesessenen Lübnitzern gebrochen.
"Da gab es über die Handwerker ganz viel Kontakt plötzlich zu dem Dorf, zu ganz vielen Leuten aus der Region, das war dann plötzlich wie ein Tor, das da aufgegangen ist. Die sind gekommen und haben uns Matratzen gebracht für die ganzen Gesellen, haben uns Fahrräder gebracht. Also, wo es ganz viel Unterstützung auch gegeben hat."
Man ist hier am Ort seitdem vielleicht zu keinem wirklichen Miteinander, wohl aber zu einer freundlichen Koexistenz gekommen. Und nicht nur bei der Postbotin Reimann hat sich Dankbarkeit über die merkwürdigen Zuwanderer breit gemacht. Ganz dringend braucht die Region jeden Zuwachs. Zwar ist der Landkreis Potsdam-Mittelmark, zu dem der Hohe Fläming gehört, der einzige in Brandenburg, in dem die Bevölkerungszahl seit Anfang der 90er-Jahre nicht dramatisch gesunken ist. Sie ist sogar deutlich gestiegen. Aber dies verdankt sich allein dem rapiden Anwachsen des Gewerbegebiets bei Potsdam. In Städtchen wie Kleinmachnow, Stahnsdorf oder dem Nuthetal ist die Bevölkerung seit 1992 um 70, teilweise sogar 85 Prozent angewachsen. Im Hohen Fläming dagegen, in Wiesenburg-Mark, Niemegk und Ziesar ist sie um zehn bis fünfzehn Prozent gesunken. Und die, die gehen, sind vor allem die unter 30-Jährigen.
Wieviel die Region den neuen Zuwanderern verdankt, das weiß vor allem Barbara Klembt. Die Bürgermeisterin der Partei Die Linke steht der 800-Seelen-Gemeinde Wiesenburg/Mark vor. Einer Gemeinde, der die Zugezogenen sichtbar neuen Schwung verpasst haben:
Klembt: "Man versauert nicht im täglichen Einerlei und nicht im Leiden um möglicherweise junge Leute, die weggehen, die nicht nur bloß ihre Jugend mitnehmen, sondern auch ihr Wissen, mit dem sie sich hier ausgestattet haben oder beim Studium andernorts. Dadurch, dass andere Leute hier herziehen, die wieder frisches Wissen mitbringen und frische Aktivität, hilft es dann ganz gut."
Barbara Klembt ist eine bedächtige, zurückhaltende Frau. Aber sie gilt als diejenige Politikerin in der Region, die wie keine andere die Alteingesessenen und die neu Zugezogenen zusammen bringt. Seit fast 25 Jahren ist sie im Amt. Zu DDR-Zeiten war sie zunächst Zweite Bürgermeisterin, zuletzt wurde sie vor einem Jahr mit 90 Prozent aller Stimmen als Bürgermeisterin bestätigt. Einfach ist die Lage, die sie hier zu verwalten hat, nicht. Die Gemeindekassen sind leer, die Arbeitslosigkeit liegt bei neun Prozent. Aber die Bürgermeisterin ist trotzdem verhalten optimistisch.
"Wir sind nicht die reichste Gegend und wir sind auch nicht die, die riesige Einrichtungen hat, sondern eine dünn besiedelte, ein Stückchen weg von Zentren, aber trotzdem keine tote. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Sache, dass man das Selbstbewusstsein auch findet."
Dieses Selbstbewusstsein, das finden sie hier in Wiesenburg durch ein aktives Gemeindeleben und ein umfangreiches Kulturprogramm. Das Engagement der Zugezogenen spielt dabei längst eine große Rolle. In der Kunstperle Fläming etwa engagieren sich alteingesessene und neu gezogene Künstler und Kunstinteressierte, "Bürgerliche" genauso wie die "Alternativen". Gleiches gilt bei der Bildung. Die Betreuung in den Kindergärten und Schulen wurde fast völlig umgekrempelt.
Klembt: "Also bei uns sind zum Beispiel viele Eltern, die sich sehr aktiv in die Gestaltung der Kinderbetreuung mit einbringen, in die inhaltlichen Konzepte in den Kindergärten. Zugezogene, jüngere Leute, die einfach kommen und sagen, Mensch, nur die Tatsache, dass es eine schöne Gegend ist, reicht uns nicht. Wir wollen gucken, dass unsere Kinder, wenn sie hier den Kindergarten besuchen, sehr viel über die Natur lernen, sehr viel bewusster mit ihrer Umwelt umgehen lernen und so weiter."
So wurden etwa die Spielplätze im Ort umgestaltet. Und so ist, unter Leitung der Künstlerin Ute Paulmann-Boll, die mit ihrer Familie vor vier Jahren nach Wiesenburg zog, der Kleine-Weltgarten entstanden - im ehemaligen, seit der Wende brachliegenden Schulgarten. Es ist ein regional-internationales Stück Erde geworden, ein "Grünes Klassenzimmer" mit Zengarten, Weidentipis, mediterranen Kräutern, Bienenstock und Feuerstelle. Erst letzte Woche haben die Schüler hier draußen gemeinsam eine Kürbissuppe gekocht. Mit selbst geernteten Kürbissen versteht sich.
Aber so idyllisch, wie es klingt, ist es nicht. Dass sie immer wieder auch gegen Vorurteile kämpfen muss, daraus macht Barbara Klembt kein Geheimnis. Vorurteile, vor allem gegen die Tantra-Seminare, deren sexuelle Befreiungstheorie vielen etwas zu weit geht. Auch das alternative Therapeutentum im Zegg ist manch Alteingesessenem zu esoterisch.
Doch eines steht selbst bei Skeptikern außer Frage: Bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze sind die alternativen Zugezogenen enorm erfinderisch. Am Wiesenburger Bahnhof entsteht derzeit ein ökologischer Campingplatz, initiiert und geleitet von ehemaligen Zegg-Bewohnern. Zur Eröffnung mit einem "Ecotopia"-Camp werden im kommenden Sommer um die 400 Gäste erwartet.
Ein kreativer Arbeitsplatzerfinder ist auch der Biologe Dr. Joachim Niklas.
"Wir wollen Holz aus unserer Heimat für die Region."
Joachim Niklas hat früher ein Planungsprojekt für Abwassertechnologie in Belzig geleitet. Nebenbei hat er im Hohen Fläming Wald gekauft und ein wenig Waldwirtschaft betrieben. Inzwischen ist er Betreiber eines Sägewerks. Denn er merkte:
"... dass ich mein Holz an Firmen verkaufe, die das weiter vermitteln an Sägewerke, die sagen wir mal 80 Kilometer von hier entfernt sind."
Hin und zurück war das Holz also 160 Kilometer unterwegs.
Niklas: "Was noch günstig ist für den bundesdeutschen Durchschnitt, der liegt bei 240 Kilometer pro Stück Holz, was Sie kaufen. Das war mir nicht geheuer und ich dachte, es wäre eigentlich sinnig hier die Wertschöpfungskette auch anzuschließen an das Holz."
Also hat Joachim Niklas das "Ökokombinat Flämingholz" gegründet.
Niklas: "Öko und Kombinat, das deutet ja schon auch an, dass da Ost und West zusammen kommt. Und das ist bei uns auch der Fall, die Hälfte kommt aus dem Westen und die Hälfte kommt aus dem Osten."
Joachim Niklas war 1991 Mitbegründer des Belziger Zeggs, des Zentrums für Experimentelle Lebensgestaltung. Aber seit vielen Jahren schon lebt er mit seiner Familie in einem hübschen Haus am Waldrand. Perspektivisch wird er bei Flämingholz einmal vier oder fünf Mitarbeiter haben. Ebenso wie einige seiner Partner, die sich mit eingemietet haben auf das große Gelände, das vormals der Telekom gehörte.
Niklas: "Ich habe einen Partner, der gleichfalls selbstständig ist. Wir bauen das Sägewerk auf, betreiben den Holzhandel und angeschlossen sind die selbständigen Tischler und Zimmerleute, die im Idealfall das Holz, das wir sägen, direkt verwerten. Das heißt, auf der einen Seite kommt der Stamm rein in die Halle und auf der anderen Seite kommt der Schreibtisch raus."
Vernetzung, neue Konzepte, wie etwa die Entwicklung des Steintalers, einer eigenen Regionalwährung, mit der man regional Waren und Dienstleistungen tauschen kann, und natürlich die ökologische Landwirtschaft: Die zugezogenen Alternativen haben der Region viele neue Impulse gegeben. Längst aber haben sich diese Ideen verselbständigt.
Das sieht man auch der Kreisstadt Belzig an: Gleich unten, im Touristenzentrum des Rathauses werden neben Landkarten Bioprodukte aus der Region verkauft. Und oben, im Büro der Bürgermeisterin Hannelore Klabunde, steht – natürlich - naturtrüber Belziger Apfelsaft auf dem Tisch.
Klabunde: "Die Vermarktung der regionalen Produkte, …dass man sich mehr bewusst wird, auf die örtlichen Produkte, die von Ökologie geprägt sind, da ist auch das Zegg wieder Vorreiter."
Im ökologischen Ansatz sieht die Bügermeisterin die Zukunft für die Region. Schließlich sind Tourismus und Gesundheitswirtschaft – Belzig ist ein Kurort mit Steintherme und Solebad – die wichtigsten Wirtschaftszweige. Man rüstet sich auch schon für den Deutschen Wandertag, der 2012 hier im Hohen Fläming stattfindet.
Klabunde: "Das einzige, was noch fehlt, ist, dass wir eine eigene Dachmarke haben. Dass wir unsere Region damit vertreten unter einem Dach. (…) Ökologischer Anbau aus dem Hohen Fläming, mit einem Namen, der noch entwickelt werden muss."
Den größten Sieg, den man bislang errungen hat, ist aber ein anderer, nämlich der gemeinsame Schulterschluss gegen die Neonaziszene.
Nicht, dass die Rechtsradikalen damit ganz aus dem Hohen Fläming verschwunden wären. Fuß fassen können aber haben sie nicht. Die Belziger Initiative gegen rechts, das Belziger Forum und das dazugehörige Infocafe der Winkel, werden von dem von der Bundesregierung gegründeten "Bündnis für Demokratie und Toleranz - Gegen Extremismus und Gewalt" als "vorbildliches" Projekt, als "Musterbeispiel an Stärkung der demokratischen Kultur vor Ort" gelobt.
Gegründet hat das Belziger Forum der vormalige Bürgermeister. Geleitet wird es von Ramona Stuckis, einer ehemaligen Zegg-Bewohnerin. Aber eine wirkliche Rolle spielt das nicht mehr.