Ben Lerner: "Die Topeka Schule"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
395 Seiten, 24 Euro
Zusammenhalt und Chancengleichheit - das war einmal
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In seinem neuen Roman beschreibt der New Yorker Schriftsteller Ben Lerner die immense soziale und kulturelle Spaltung der USA. Was die amerikanische Gesellschaft einst zusammenhielt, ist längst passé. Und kommt wohl auch nicht wieder.
Männer halten gern Referate. Es ist oft ihre Art der sozialen Verortung im Raum: Reden, bis die Anwesenden begreifen, dass sie eine Autorität vor sich haben.
Ähnlich verhalten sich auch die meisten Männer in diesem wundervollen Roman des New Yorker Erfolgsautors Ben Lerner: Sie reden, um zu gewinnen.
Das gilt vor allem für Adam, der an einem nationalen Debattierwettbewerb teilnimmt. Dabei lernt er schnell, dass es nicht darauf ankommt, die anderen mit relevanten Argumenten zu überzeugen, sondern viel mehr, sie zu überwältigen - und am besten gar nicht erst zu Wort kommen lassen. Einfach an die Wand reden, schon allein durch Schnelligkeit.
Wo die Küstenbewohner nur drüberfliegen
Im Roman wird es treffenderweise so beschrieben: "Einem Anthropologen oder einem Gespenst, das die Flure der Russell High School durchstreifte, käme das schulübergreifende Debattieren weniger wie ein Redewettstreit als wie ein rituelles Zungenreden vor."
Diese Schule könnte überall sein, aber der Roman konzentriert sich auf Topeka, eine mittelgroße Stadt in Kansas, im Mittleren Westen der USA, also mittendrin - und damit weit entfernt von den beiden Küsten. "Middle America", wie es zuweilen genannt wird, oder etwas böser: "Flighover Country". Dort also, wo Küstenbewohner aus gehobenen Schichten höchstens drüberfliegen.
Mit Artikulation gegen toxische Männlichkeit
Hier erlebt Adam seine Jugend, seine erste große Liebe und die Kraft, die ihm seine rhetorischen Fähigkeiten verleihen. Wir befinden uns im Jahr 1996, als man noch keine Nachrichten ins Smartphone hackte, oder seine Meinung in sozialen Netzwerken schrieb, sondern tatsächlich direkt miteinander sprechen musste.
Das erfährt auch Adams Mutter leidvoll, als sie zu Hause von wütenden Männern Drohanrufe bekommt. Sie ist prominente Autorin eines feministischen Buches und legt nie auf, wenn sie von toxischen Männern beschimpft wird, sondern bittet sie einfach, etwas lauter zu sprechen, etwas artikulierter. Sie könne sie nicht verstehen. Und die meisten fallen darauf rein, sie werden lauter und verschlucken sich am eigenen, ungenügend artikulierten Frauenhass.
Adam beschließt, angespornt von seinen Psychotherapeuten-Eltern, alles zu tun, um toxische Männlichkeit bei sich gar nicht erst aufkommen zu lassen. Seine Artikuliertheit soll ihm dabei helfen. Sie hilft ihm aber vor allem dabei, den sozialen Status zu halten und auszubauen.
Die zersplitterte Gesellschaft
Richtige Rhetorik und pointierte Konversation ist bis heute ein wichtiges Distinktionsmerkmal der oberen Mittelklasse in den USA. Daran hält Adam sich. Und grenzt sich ab von Schulkameraden, die er Jahre später bei einem Heimatbesuch, aus New York kommend, wieder trifft.
Männer, die nie die richtige Sprache gefunden und auch nicht die psychotherapeutischen Mittel von Adams Eltern zur Verfügung haben, Konflikte zu lösen. Männer, die damals in ihrer Jugend ausgegrenzt wurden und jetzt MAGA-Hats tragen. Make America Great Again. Es sind Trump-Anhänger, die Adam beweisen, dass die gemeinsame amerikanische Erzählung nicht mehr gilt.
Ben Lerner, der viel aus seiner eigenen Biografie schöpft, hat mit "Topeka School" einen Roman geschrieben, der sich nicht nur mit Leichtigkeit durch seine verwobenen Erzählebenen und Figuren-Perspektiven bewegt, sondern auch detailgenau von der immensen sozialen und kulturellen Spaltung in den USA erzählt. Ein Buch darüber, wie zersplittert diese Gesellschaft inzwischen ist. Dabei war Zusammenhalt und Chancengleichheit immer eine Art amerikanische Kernidentität, wichtig für das Funktionieren der US-Gesellschaft.
Ben Lerner schreibt darüber, warum diese Zeit vorbei ist. Und vermutlich auch nicht wiederkommt. Egal, wer im November die Wahlen gewinnt.