Bénédicte Savoy: "Afrikas Kampf um seine Kunst"

Ein Gespenst namens Restitution

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Zu sehen ist das Cover des Buches "Afrikas Kampf um seine Kunst" von Bénédicte Savoy.
Die Rückgabe von Kulturgut ist von den politischen Beziehungen zwischen Europa und Afrika nicht zu trennen, macht Bénédicte Savoy deutlich. © Deutschlandradio / C. H. Beck
Von René Aguigah |
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Die Debatte um die Rückgabe von Europäern geraubter Kunst aus Afrika ist gar nicht so neu, wie sie erscheinen mag. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy zeigt in ihrem neuen Buch, dass vieles schon einmal gesagt wurde, aber trotzdem wenig geschah.
Es ist keine zwei Wochen her, da fordert der Botschafter Nigerias, Yusuf M. Tuggar, in der "FAZ": "Afrikas Kulturschätze müssen zurückkehren". Schon seit 50 Jahren verlange Nigeria die Rückgabe der geraubten Benin-Bronzen. Jetzt endlich sei Zeit für konkretes Handeln.
Die Benin-Bronzen sind nur die prominentesten all der Kulturgüter aus Afrika, die sich in europäischen Museen befinden. 1897 bei einer militärischen Aktion der Briten gegen das damalige Königreich Benin geraubt, befinden sich heute rund 1000 davon in Deutschland. "Und solange die Beutestücke aus solcher Aggression in anthropologischen und ethnologischen Museen liegen, die gleichsam als moralische Totenkammern für die kolonialen Gräueltaten dienen, dauert die Aggression fort", so Tuggar.
Rückgabeforderungen seit 50 Jahren? In den Augen einer breiteren Öffentlichkeit hat die aktuelle Debatte in den Jahren 2017/18 begonnen. Da versprach der französische Präsident Macron, die Voraussetzung für die Restitution des afrikanischen Erbes an Afrika zu schaffen – und zwar "innerhalb der nächsten fünf Jahre".
Zwei Experten, Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, entwickelten in seinem Auftrag ein umfassendes Konzept, wie das umgesetzt werden kann – auf Deutsch veröffentlicht unter dem Titel "Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter" (Matthes & Seitz Berlin, 2019). Jetzt legt Savoy ihr neues Buch "Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage" vor.

Die Geschichte einer Verhinderung

Wenn der "Bericht" von Savoy und Sarr Sachverstand und Handlungsempfehlung miteinander verbindet, so greift das neue Werk der Kunsthistorikerin Savoy anders in die Debatte ein, nämlich durch die Kraft von historischem Material und historischer Erzählung. Es berichtet aus der jüngsten Zeitgeschichte zwischen 1965 und 1985. Seine Grundeinsicht lautet: "Fast jedes Gespräch, das wir heute über die Restitution von Kulturgütern nach Afrika führen, fand vor 40 Jahren schon einmal statt."
Savoys Rekonstruktion ist die Geschichte einer Verhinderung. Sie spielt auch auf der politischen Bühne, aber vor allem auf der Ebene von Ministerialbürokratie und Kulturfunktionären, in Beratungen, Empfehlungen, Korrespondenzen. Es sind vor allem Museumsleute, an deren vielgestaltiger Hinhalte- und Abwehrstrategie Rückgaben scheitern.
Die ersten Forderungen, Kunst aus den ehemals kolonisierten Ländern zurückzugeben, datieren aus der Zeit um 1960, jenem "afrikanischen Jahr" als 18 Länder auf dem Kontinent unabhängig wurden. Bereits 1965 ahnt der aus Benin stammende Journalist Paulin Joachim, wie die Europäer darauf reagieren würden.
In der Zeitschrift "Bingo" versetzt er sich in die Perspektive der ehemaligen Kolonisatoren und lässt sie wie ein Bauchredner sprechen: "Wir haben geplündert, um die künstlerischen Produktionen der schwarzen Welt vor Würmern und Termiten, vor dem Rauch eurer Hütten zu schützen. In Wahrheit schulden uns die Afrikaner unendliche Dankbarkeit für die Arbeit, die wir da geleistet haben. Sie verdanken uns das Überleben ihrer traditionellen Kunst, die heute in den Augen der ganzen Welt ihr seit Langem geleugnetes Genie veranschaulicht."

Erfundene Statistiken, wissentliche Unwahrheiten

Tatsächlich taucht das Argument, die Europäer hätten die Kunst der Afrikaner doch "gerettet" – vor dem Verfall, zum Nutzen der Menschheit –, immer wieder auf. Wie überhaupt die Argumente, aus denen sich die Abwehrstrategie der Europäer zusammensetzt, wie Talking Points wiederkehren: Die deutschen Museen seien sauber, "die Erwerbungen der Berliner Museen sind von jedem Makel frei", wie es in einem Brief des Leiters der "Stiftung Preußischer Kulturbesitz" von 1972 heißt.
Oder: Der Zustand der Museen in der, wie es damals hieß, "Dritten Welt" sei ungeeignet, die afrikanischen Länder unfähig, die eigene Geschichte zu bewahren und auszustellen. Wohingegen deutsche Museen Weltoffenheit auszeichne, und wenn man den Restitutionsforderungen nachgebe, drohe die "Auflösung aller zentralen öffentlichen Sammlungen und damit das Ende eines ganz wesentlichen Teils unseres kulturellen Lebens". In akribischer Archivarbeit weist Savoy nach, dass Akteure wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz oder mancher Museumsdirektor auch vor frei erfundenen Statistiken oder wissentlichen Unwahrheiten nicht zurückschrecken.
Zu den eindrucksvollsten Analysen des Buches gehört die der "Emotionalität", wie sie ausdrücklich im vertraulichen Papier einer 1978 gegründeten "Arbeitsgruppe 'Rückgabe von Kulturgut'" thematisiert wird. "Emotional", das waren für die deutschen Fachleute die ehemals kolonisierten Länder, die "moralischen" oder "öffentlichen" Forderungen. "Entemotionalisieren" bedeutete dagegen der Verweis auf die Rechtslage – oder auch, tatsächlich geschehen, der Verweis auf die islamische Revolution im Iran 1979, als Illustration für Hass auf den Westen im Süden Welt.

Restitutionsfrage ist nicht isolierbar

Zurecht macht Savoy Operationen wie diese als "Emotionsverschiebung" sichtbar. Die vermeintliche Affektlosigkeit der Fachleute erweist sich als Mittel im Kampf der Experten. In der Sphäre der Politik ist es Hildegard Hamm-Brücher, Staatsministerin im Außenministerium, die sich den Restitutionsforderungen gegenüber offen zeigt. Zu konkreten Maßnahmen kommt es nicht mehr, sie scheidet mit dem Regierungswechsel 1982 aus dem Amt.
Von all den Gespenstern, die in Europa umgehen, ist jenes namens "Restitution" eines der beharrlichsten. So begrenzt der Raum von Museen sein mag, so speziell manche Fachfrage im Konkreten wird, Bénédicte Savoy macht unübersehbar, dass die Restitutionsfrage nicht isolierbar ist.
Die Rückgabe von Kulturgut wäre integraler Bestandteil anderer politischer, gesellschaftlicher Beziehungen zwischen europäischen und afrikanischen Ländern. Es ist an der Zeit, der Frage das Gespenstische zu nehmen, die Verdrängung, die zombiehafte Wiederkehr. In diesem Sinne ist es Zeit für Realpolitik.

Bénédicte Savoy: "Afrikas Kampf um seine Kunst. Geschichte einer postkolonialen Niederlage"
Verlag C. H. Beck, München 2021
256 Seiten, 24 Euro

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