Bénédicte Savoy: "Museen. Eine Kindheitserinnerung und die Folgen"

Im gelehrsamen Kampf für die Restitution

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Bénédicte Savoy steht mit rotem Schal in einem Treppenhaus.
Mehr als ein Erinnerungsbuch: In ihrem Memoir erzählt die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy zeigt, wie der Einsatz für die Restitution zu ihrem Lebensthema wurde. © Cover: Greven Verlag / Hintergrund: Deutschlandradio
Von René Aguigah |
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Mit großer Leidenschaft setzt sich die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy dafür ein, dass Raubkunst aus der Kolonialzeit zurück in ihre Herkunftsländer gebracht wird. Auf welche Widerstände sie dabei stößt, berichtet sie in ihrem Essay.
Als Bénédicte Savoy Anfang des Jahres im Programm von Deutschlandfunk Kultur gefragt wurde, wie es sich für sie, die Kunsthistorikerin, anfühle, den notorischen akademischen Elfenbeinturm zu verlassen und mitten im Sturm einer politischen Auseinandersetzung zu stehen, da kam die Antwort prompt: "Es geht nicht um meine Person, es geht um die Sache."
Es folgte ein langes Gespräch, in dem Savoy leidenschaftlich für jene Sache argumentiert, die sie zu ihrer gemacht hat: die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter, die in europäischen Museen verwahrt werden.
Der Schlüsseltext in dieser Angelegenheit, der Bericht, den der französische Präsident Macron beauftragt hatte, erscheint soeben auf Deutsch (Felwine Sarr, Bénédicte Savoy: "Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter", übers. v. Daniel Fastner, Matthes & Seitz Berlin).
Zugleich veröffentlicht Savoy einen eigenen schmalen Band. "Museen. Eine Kindheitserinnerung und die Folgen" heißt er. Tatsächlich skizziert sie hier knapp, wie sie die Kunsthistorikerin wurde, die sie heute ist. Und auf den ersten Blick scheint es, in diesem so reichen wie leicht erzählten autobiographischen Essay würde es in erster Linie um Bénédicte Savoy als Person gehen.

Die blutigen Praktiken des Kolonialismus

Die folgenreichste Kindheitserinnerung steht am Anfang. Da sitzt die sechsjährige Bénédicte in der Pariser Wohnung ihrer Eltern vor dem Fernseher, die Nachrichten laufen, Juni 1978. Der Nachrichtensprecher berichtet vom Appell des damaligen Unesco-Generalsekretärs, für die Rückkehr von Kunstwerken in ihre Ursprungsländer zu sorgen, "die sie unter historischen Umständen verloren haben, die man besser nicht allzu genau beschreibt". Umstände, die man besser nicht beschreibt? "Verdrängung live", kommentiert Savoy.
Was mit der nebligen Anspielung gemeint war, lag für das erwachsene Publikum von 1978 auf der Hand, wurde aber nicht ausgesprochen: die teils blutigen, jedenfalls asymmetrischen Praktiken, mit denen die Franzosen während des Kolonialismus kulturelle Gegenstände aus den unterworfenen Ländern in ihren Besitz nahmen. Eine Art "Familiengeheimnis", wie Savoy schreibt.
Folgenreich wurde die Erinnerung, insofern sie im Rückblick entdeckte, wie fortgeschritten der politische Wille, angeeignetes Kulturgut zurückzugeben, Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre schon einmal war. Der Wille wurde gebrochen und vergessen. Die gegenwärtigen Debatte um die Restitution ist ein zweiter Versuch – den Bénédicte Savoy nicht wieder scheitern sehen mag.

Vernebelung auf höchster staatlicher Ebene

Die Abschnitte des Buches gleichen impressionistisch hingetupfte Erinnerungen. Savoy erzählt, wie sie als Pariser Schülerin ihre Freistunden im Centre Pompidou verbrachte, am liebsten "innerhalb von Kunstwerken".
Sie berichtet, wie sie 1994 – während ihrer Studienzeit in Deutschland – verfolgte, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl mehrere während des Zweiten Weltkrieg geraubte Gemälde an Frankreich zurückgab – und der französische Präsident Mitterand in seiner Dankesrede formulierte, dass doch "alle Museen Europas" voller Werke seien, "die unter Bedingungen erworben oder erobert wurden, auf denen man gar nicht länger herumzureiten braucht". Vernebelung auf höchster staatlichen Ebene.

Museen als Zeitmaschinen

Savoy beschreibt Museen als "Zeitmaschinen", in denen die Zeit, aus der die Objekte stammen, auf die Gegenwart der Besucher trifft. Prekär ist eine dritte Zeit, jene nämlich, in der die Objekte ins Museum kamen: die Umstände der Herkunft, der Provenienz der Objekte, die bis heute so selten in den Museen selbst klar ausgewiesen ist. Hier wird der Text fast knallig.
Eine Szene aus dem Blockbuster "Black Panther" illustriert, wie explosiv eine Lage ist, in der aus Afrika stammende Gegenstände in den Vitrinen repräsentativer Ausstellungen in Europa fixiert sind.
Und Savoys Rückblick auf ihre Zeit im Expertenbeirat des Berliner Humboldt Forums, den sie 2017 nach kurzer Zeit verließ, gibt eine Ahnung von den enormen kulturellen Kräften, die den Kampf um eine angemessene Politik des Museums austragen. Noch im August 2017 verspottete die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den Zusammenhang von Kolonialismus und Museen als "Sommerlochthema".

Mehr als ein persönliches Buch

Savoy erwähnt Angriffe, fehlende Solidarität und neue Verbündete. Sie verbirgt nicht ihre Verletzungen aus jenem Streit – und erzählt, wie ihr geschah, als sie im November 2017 von Präsident Macrons Ankündigung erfuhr, afrikanische Kulturgüter in großem Stil zurückgeben zu wollen: "Ich verharrte wie ein Fulgurit", also "eines jener zuerst um 1800 beschriebenen mineralogischen Aggregate, die entstehen, wenn Blitze in Lockersedimente einschlagen."
Ein persönliches Buch also? Eben nicht nur. Keine dieser Erinnerungen – nicht einmal die zärtlichste von allen, die Erinnerung an ihren verstorbenen Mann, den Künstler Johannes Grützke – bleibt ohne Bezug zur Sache: die Erforschung von Objekt-Herkünften, die Umsetzung von Rückgaben.
Bénédicte Savoys autobiographischer Essay weist persönliche Unterstellungen zurück – etwa jene, sie handele eher als Aktivistin denn als Wissenschaftlerin –, indem sie mit unüberbietbarer Konkretion erzählt, wie sie und ihr Thema zueinander gefunden haben.
Mit Aktivismus oder Ideologie hat diese Geschichte nichts zu tun. Eher mit Gelehrsamkeit und Kraft.

Bénédicte Savoy: "Museen. Eine Kindheitserinnerung und die Folgen"
Greven Verlag, Köln 2019
71 Seiten, 10 Euro

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