Mathematik und Jazz-Piano
Musik und Mathematik - das sind die beiden großen Talente des Jazz-Pianisten Benedikt Jahnel. Und auf der neuen CD seines Jazz-Trios schimmert auch immer wieder der Mathematiker im Musiker durch - etwa durch die vielen ungeraden Taktarten.
"Ich konnte mir das immer schon vorstellen, auch was anderes zu machen. Es ist nichts, dass ich mich jetzt irgendwie verbiegen muss. Im Gegenteil – ich habe eigentlich immer darunter gelitten, dass wir in so einer Spezialistenwelt unterwegs sind, wo dann die Leute nur noch durch so ein winziges Nadelöhr durchpassen, wo sie dann ein Alleinstellungsmerkmal haben und dann nur noch das machen müssen, weil sie sonst nicht überleben können. Das war nie meine Welt, ich war immer eher jemand, der so viele Sachen gut konnte."
Mit Invarianten und vor allem mit Strukturen hat Benedikt Jahnel nicht nur als Mathematiker am Berliner Weierstrass-Institut Berlin zu tun, wo er sich unter anderem mit interagierenden Teilchensystemen oder mobilen Netzwerken beschäftigt. Auch in seiner Musik, in den Gerüsten seiner Kompositionen, kann er sich intuitiv bewegen und ist auch darin immer auf der Suche nach neuen Eigenschaften.
"The Invariant – das ist also die Invariante, das ist was, was mir in meiner Arbeit als Mathematiker oft über den Weg läuft. Das sind irgendwelche Größen, die unter einer Transformation unverändert bleiben. Und ich mochte den Klang von dem Wort immer schon. Und für mich ist es eben so, dass das Trio, wir haben ja dieses Jahr unser zehnjähriges Jubiläum, und das ist für mich eben auch so eine Konstante gewesen in den letzten zehn Jahren. Immer die gleichen Musiker, unsere dritte CD, wir arbeiten zusammen, wir treffen uns regelmäßig… und mein ganzes Leben außen rum ist in einer dauernden Transformation."
"The Invariant" ist die Essenz der Arbeit der letzten fünf Jahre
Auf "The Invariant" ist nun die Essenz dessen zu hören, was Jahnel in den letzten fünf Jahren komponiert und weiterentwickelt hat – neben der ständigen Transformation, bedingt durch Umzüge, die Geburt seiner beiden Söhne oder Konzertreisen durch die ganze Welt. Und auch, wenn die Trioformation personell konstant geblieben ist, fallen vor allem die Brechungen und Unvorhersehbarkeiten im musikalischen Fluss der insgesamt acht neuen Kompositionen auf. Die Stücke strotzen nur so vor ungeraden Taktarten – hier schimmert ganz bestimmt der Mathematiker im Musiker durch. Doch auch Jahnels Band-Kollegen, der Bassist Antonio Miguel aus Spanien und der amerikanische Schlagzeuger Owen Howard beherrschen diese komplizierten Rhythmen.
"Was ich versucht habe in diesem Trio irgendwie zu schaffen, ist schon auch eine Verbindung zwischen Europa und Amerika. Also, was ich bei Owen sehr stark schätze und was ich glaube, was total wichtig ist für dieses Trio ist, dass er aus der amerikanischen Schule kommt. Seine Vorbilder sind Billy Hart und Jack De Johnette, das ist eine bestimmte Spielweise, die ich so in Europa nicht kenne von Schlagzeugern, das ist schon was Besonderes, das ist eine bestimmte Rauheit und eine bestimmte Form von Groove, die ich hier nicht finde. Ein großer Teil der Inspiration im Spielen kommt daher, dass wir uns versuchen zu finden aus unseren unterschiedlichen Traditionen."
Gut ausbalanciertes Spannungsverhältnis
"Und was für mich tatsächlich überraschend war, und das ist sicherlich auch der Einfluss von Owen, ist, dass ich jetzt auf einmal auch Swingstücke geschrieben habe und gespielt habe, weil das ist für mich super ungewöhnlich und etwas, was ich eigentlich bisher immer vermieden habe. Weil ich mich nicht so sicher darin gefühlt habe, aber da haben die Jungs mich so mitgenommen und haben entsprechend was gespielt und dann bin ich da so rein gekommen und jetzt bin ich total glücklich drüber, weil ich denke, das ist wirklich eine Entwicklung von dem Trio."
Das Spannungsverhältnis zwischen dem grooveorientierten Schlagzeuger und dem sehr viel filigraner spielenden Pianisten prägt das gesamte neue Album ganz besonders. Dabei bleibt es im Fluss, angenehm ausbalanciert. Neben kleinteiligen, komplizierten Formteilen bis hin zu einfachen, eingängigeren Jazz-Balladen findet auch Jahnels Vorliebe für choralartige Sätze am Klavier ihren Platz, etwa in "The Mirror", einem sehr pianistischen geprägten Stück.
Verbindungen zwischen Mathematik und Musik kann Jahnel gedanklich vor allem auf einer Metaebene ziehen – es seien schließlich schon zwei völlig unterschiedliche Tätigkeitsfelder, in denen er sich bewegt. Dennoch sieht er eindeutig Parallelen und wenn er seinen sehr individuellen Kompositionsprozess beschreibt, wird klar, dass er seine beiden Talente auf wirklich wundersame und virtuose Weise verbinden und nutzen kann -und es auch tut.
"Was ich auch mache, ist schon auch ein bisschen abstrahieren. Wenn ich eine rhythmische Formel habe, die ist vielleicht intuitiv entstanden, dann versuche ich die zu verstehen. Was ist hier genau passiert, was sind die Wirkmechanismen, was ist der Kern? Und dann schon auch im Kopf weiterdenken: was sind jetzt mögliche Weiterverarbeitungen? Und am Ende ist natürlich sehr, sehr wichtig für mich, dass das alles einen gesanglichen oder zumindest einen Fluss bekommt, der übers Ohr kommt. Also, die ganze Abstraktion, die ganze Denkerei muss dann in den Hintergrund treten und es muss insgesamt einen Fluss ergeben."