Lesen für den guten Zweck
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Lesungen in Buchhandlungen und Theatern sind momentan zwar nicht erlaubt. Einen Schriftsteller wie Saša Stanišić hält das aber nicht davon ab, trotzdem ein Publikum zu finden – und dabei auch noch erfolgreich Spenden zu sammeln.
Mit einem fröhlichen "Guten Abend, Twitch!" begrüßt Saša Stanišić die Menschen, die sich vor ihren Computern und Smartphones versammelt haben. Seit ein paar Wochen lädt Stanišić auf der Streamingplattform zu Lesungen ein.
Mittlerweile hat sich eine kleine Fanbase zusammengetan, die jeden Dienstag einschaltet, sogar aus den USA ist jemand dabei.
35.000 Euro sind schon gesammelt
Wie jeden Dienstag werden im Stream auch Spenden gesammelt – und das ziemlich erfolgreich.
"Wir sind insgesamt bei 35.000 Euro, seit ich das mache", freut sich der Schriftsteller. "Das ist wirklich unglaublich. Ich habe das wirklich nicht erwartet und umso schöner ist es, dass es so gut klappt."
An diesem Dienstag liest Saša Stanišić aus "Vor dem Fest", seinem Roman über ein Dorf in der Uckermark. Doch neben dem Inhalt erfahren wir auch mehr über die Gedanken des Autors. Als die Malerin Anna Kranz eingeführt wird, erzählt er zum Beispiel, dass es sich dabei um seine Lieblingsfigur handelt.
Mehr Performance als klassische Lesung
Wer hinsieht und nicht nur zuhört, kann erkennen, wie Saša Stanišić sich in seine Charaktere hineinversetzt. Seine ganze Mimik und Gestik passt sich den Figuren an, und er schaut auch regelmäßig vom Buch hoch und blickt in die Kamera, damit das Publikum es noch besser erkennt.
Eigentlich ist es schon fast keine Lesung mehr, sondern eher eine Performance, der man hier zusehen kann.
Auch die Kommentatoren sind total begeistert. Sie schreiben Dinge wie: "Schade, dass man uns nicht lachen hört". "Mein Zahnweh verschwindet", oder "Geschichten in Zeiten von Krankheit und Katastrophen, die sind Balsam auf unseren Seelen."
Unveröffentlichte "Taxigeschichten" als Highlight
Doch Saša Stanišić liest nicht nur aus seinen bekannten Werken. "Wir haben jedes Mal aus einem unveröffentlichten Buch von mir gelesen", erzählt er. "Das sind sogenannte Taxigeschichten. Das sind Geschichten, die ich mit meinem Sohn zusammenschreibe."
Diese Geschichten sind das heimliche Highlight der Onlinelesungen. Schließlich bekommt man hier Dinge zu hören, die noch niemand bisher lesen konnte.
Und auch, wenn die Storys eigentlich für Kinder gedacht sind, liebt das größtenteils erwachsene Publikum sie trotzdem. Das Format bleibt dabei immer gleich.
"Diese Taxigeschichten laufen immer nach dem gleichen Muster", erklärt der Schriftsteller. "Ein Ich steigt in ein Taxi, und dieses Taxi verwandelt sich dann in etwas anderes. Meistens ist es etwas Märchenhaftes, etwas Magisches, etwas Unwahrscheinliches. Das Ich erlebt dann extreme Abenteuer, die immer mit dem banalen Vorgang beginnen: Er steigt in ein Taxi. Und jede Geschichte endet auch gleich: Ich fahre dann nach Hause zu dir."
Die Spendenaufrufe zahlen sich aus
Manchmal wird man beim Zuhören und -sehen von diesen Taxigeschichten so absorbiert, dass man glatt vergessen kann, dass es bei diesen Streams auch ums Geldsammeln geht.
Aber Saša Stanišić erinnert regelmäßig daran – mit Erfolg. Für die Queerbase in Wien, die geflüchteten Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans und Interpersonen Schutz bietet, kamen an diesem Abend 4100 Euro zusammen.
"Vielen, vielen Dank fürs Zuhören und fürs Spenden. 4100 Euro, das ist wirklich ganz, ganz toll. Schönen Abend an alle! Bleibt gesund, wir sehen uns wieder."
Und wer jetzt selbst Lust bekommen hat: Nächsten Dienstag geht auf seinem Twitchkanal weiter.
(hte)