Nach Rückgabe der Raubkunst

Zukunft der restituierten Benin-Bronzen in Nigeria ist ungewiss

Eine golden schimmernde Maske, die das Gesicht eines Mannes darstellt, ist vor einem dunklen Hintergrund zu sehen.
Koloniale Raubkunst: 20 Benin-Bronzen hat Außenministerin Annalena Baerbock im Dezember 2022 an Nigeria zurückgegeben. © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Von Stefan Koldehoff · 11.05.2023
Nach der Rückführung von Benin-Bronzen aus deutschen Museen an Nigeria ist ungewiss, ob die historischen Kunstschätze öffentlich zugänglich bleiben. Ihre Ausstellung in einem Museumsneubau mit deutscher Unterstützung steht in Frage.
Im Sommer 2022 haben sich Deutschland und Nigeria auf eine Rückgabe von in der Kolonialzeit geraubten Benin-Bronzen geeinigt. Erste Objekte aus deutschen Museen wurden seitdem bereits an Nigeria zurückgegeben, auf dessen heutigem Staatsgebiet Teile des historischen Königreichs Benin lagen.
Außenministerin Annalena Baerbock übergab 20 der historischen Kunstschätze im Rahmen einer Zeremonie in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Dort sollten die Objekte in einem neuen Museum ausgestellt werden, an dessen Bau sich Deutschland beteiligen will. Doch Nigeria hat nun offenbar andere Pläne.

Was sind die Benin-Bronzen?

"Benin-Bronzen" ist ein Sammelbegriff für Kunstwerke, die sich bis 1897 als Schmuck am Palast des Königreichs Benin in der Stadt Benin befunden haben. Heute sind sie auf der ganzen Welt verteilt, vor allem in Europa und in den USA. Viele sollen nun aber zurückgegeben werden.
Die Reliefs, Plastiken und Tafeln geben verschiedenste Motive wieder: Menschen und Tiere, Ahnendarstellungen, Gebrauchs- und Ritualgegenstände, manchmal zwei-, manchmal dreidimensional. Sie hingen an den Wänden des Palastes, innen wie außen, schmückten aber auch Ahnenschreine.
Insgesamt sollten diese Arbeiten, die zum Teil schon im 16. Jahrhundert entstanden, den Oba, das politische und geistige Oberhaupt des Königreichs, aber auch die Königsmütter ehren. Damit sind die Benin-Bronzen auch Zeugnisse der jahrhundertealten Entwicklung der Kultur dieser Region und ihrer Menschen.
Der Begriff "Bronzen" ist allerdings etwas irreführend. Manche der mehreren Tausend bekannten Objekte wurden auch aus oder mit Holz, Textilien, Leder und anderen Metallen gefertigt.

Wie kamen die Benin-Bronzen in europäische Museen?

Das hängt mit der Kolonialzeit und dem imperialistischen Willen europäischer Staaten zusammen, viele Länder auf der Welt politisch zu unterwerfen und wirtschaftlich auszubeuten. Offiziell, um dort den Sklavenhandel zu beenden, stellten die Briten 1897 eine sogenannte Strafexpedition zusammen. Die hoch bewaffneten Truppen eroberten das Königreich Benin, verwüsteten die Hauptstadt und plünderten den Palast. Dabei wurden auch mehrere Tausend Benin-Bronzen gestohlen und nach Europa verschifft.
Dort kaufte beispielsweise der britische Sammler William D. Webster systematisch Kulturgüter aus Benin auf, um sie unter anderem an das Völkerkundemuseum in Berlin weiterzuverkaufen. Auch andere deutsche Privatsammler und Museen erwarben zu Beginn des 20. Jahrhunderts Benin-Bronzen. Ein Bewusstsein dafür, dass es sich offenbar um Raubgut handelte, gab es nicht.

Warum werden die Benin-Bronzen nun zurückgegeben?

Verschiedene afrikanische Länder fordern spätestens seit den 1960er-Jahren die Rückgabe der Kulturgüter, die ihrer Bevölkerung in der Kolonialzeit gestohlen worden sind. Die entsprechenden Anfragen wurden, wie die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy recherchiert hat, entweder mit fadenscheinigen Begründungen abgelehnt oder gar nicht erst beantwortet.
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat Savoy und den senegalesischen Soziologen Felwine Sarr im März 2018 beauftragt, in einem Bericht die Möglichkeiten zu untersuchen, Kulturgüter aus der Kolonialzeit aus französischen Museen in afrikanische Länder zurückzugeben. Die beiden Wissenschaftler sollten dafür zudem Kriterien entwickeln: Was gehört zurück – was kann bleiben, weil es zum Beispiel speziell für den europäischen Kunstmarkt hergestellt und hierhin rechtmäßig verkauft worden ist?
Macron hatte vorher in einer Grundsatzrede in Burkina Faso gesagt: "Ich gehöre einer Generation von Franzosen an, für die die Verbrechen der europäischen Kolonialisierung unbestreitbar und Teil unserer Geschichte sind."

Wie geht Deutschland mit der Restitution um?

In Deutschland dauerte die Sache länger – auch, weil es hier viele betroffene Museen gibt, die nicht vom Staat, sondern von Ländern oder Kommunen getragen werden. Sie mussten im Rahmen des deutschen Kulturföderalismus erst an einen Tisch finden – und waren auch nicht alle begeistert vom Gedanken an eine Rückgabe.
Eine Zeit lang wurde das Prinzip einer "shared ownership", eines "gemeinsamen Eigentums" verfolgt: Auch die Benin-Bronzen sollten einfach den Täter- und den Opfernationen gemeinsam gehören. Gleichzeitig entstand eine Datenbank, die alle bekannten Exemplare dieser Gruppe dokumentiert.

Zögerliche Rückgabe an Nigeria

Erst am 1. Juli 2022 wurde in Berlin eine Erklärung unterzeichnet, wie deutsche Museen das Eigentum an den Benin-Bronzen zurückgeben könnten – an den Staat Nigeria, dessen Gebiet inzwischen einen Teil des früheren Königreichs Benin umfasst.
Im Laufe des Jahres unterzeichneten dann verschiedene deutsche Bundesländer und Städte (u. a. Stuttgart, Köln, Hamburg) konkrete Vereinbarungen, nach denen Eigentum übertragen wurde. In Hamburg handelte es sich dabei um 179 Bronzen mit einem Schätzwert von 60 Millionen Euro. Verschiedene Stücke wurden dabei schon übergeben. Andere dürfen, mit Erlaubnis der neuen alten Eigentümer, als Leihgaben in den deutschen Museen bleiben.
Kritik an den Restitutionen gab es, weil das Königreich Benin noch lange, nachdem andere Staaten den Verkauf von Sklaven verboten hatten, diese Form des Menschenhandels betrieben hatte. Bezahlt wurde unter anderem mit Armreifen (Manillen), die als Währung galten und eingeschmolzen wurden, um daraus auch die Benin-Bronzen herzustellen.

Was passiert mit den Benin-Bronzen in Nigeria?

Von der National Commission for Museums and Monuments in Nigeria, die Verhandlungspartnerin der deutschen Seite war, wurde der Bau des Edo Museum of West African Art (EMOWAA) in Benin City angekündigt. Entworfen hat es der in Tansania geborene britische Architekt David Adjaye. Dort sollten die zurückerhaltenen Kulturgüter künftig öffentlich zu sehen sein und die Geschichte des Königreichs dokumentiert werden. An den Kosten beteiligt sich die Bundesrepublik in Millionenhöhe.
Ende März 2023 verkündete der scheidende nigerianische Staatspräsident, Muhammadu Buhari, neue Pläne für die zurückgegebenen Benin-Bronzen. Er übertrug die Eigentumsrechte per Dekret an den amtierenden Oba von Benin, und damit formal in den privaten Besitz der Herrscherfamilie. Auf einigen Websites waren die Hinweise auf das geplante Edo Museum of West African Art (EMOWAA) nicht mehr zu finden.
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bestätigte, dass mit der Rückgabe der Benin-Bronzen keine Bedingungen verbunden gewesen seien – auch nicht die, die Kulturgüter künftig in einem staatlichen Museum zu zeigen. Was künftig mit den Bronzen geschehe, sei innernigerianische Angelegenheit. Was genau das Dekret bedeute, will die deutsche Seite nun mit der neuen Regierung des Landes klären.
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