Ein Franzose ist verliebt in Buenos Aires
Der französische Musiker Benjamin Biolay wird gern mit seinem Landsmann Serge Gainsbourg verglichen. Das hängt auch mit den Frauengeschichten zusammen, die ihm nachgesagt werden. Für die Arbeit an seinem neuen Album verbrachte er viel Zeit in Argentinien.
Benjamin Biolay arbeitet hart daran, so kaputt wie sein verstorbenes Vorbild Serge Gainsbourg zu werden. Beim Interview im Konferenzraum eines Berliner Hotels sieht er noch am Nachmittag so aus, als sei er gerade mit einem heftigen Kater aus dem Bett gestiegen. Und während unseres Gespräches rollt sich der 43-Jährige etwas Aromatisches zum Rauchen und zündet es sich auch gleich an.
Dann erzählt er sehr entspannt, warum er sein neues Album nach dem Szeneviertel Palermo Hollywood in Buenos Aires benannte und es auch dort aufnahm. Er habe sich vor vielen Jahren in die Stadt verliebt, sagt er.
"Es muss wohl daran liegen, dass dort sehr viele Europäer leben. Ich bin inzwischen sehr oft dort gewesen. Und ich habe viele Freunde dort, vor allem im Musikbusiness. Den Musikern dort geht es so schlecht. Deshalb halten sie alle zusammen und helfen sich gegenseitig. Das mag ich. Ich bin ja nicht aus Paris. Ich komme aus Lyon, aus Südfrankreich. Ich mag die Sonne."
"Die Musik ist französisch"
Inzwischen hat er ein kleines Apartment im angesagten Viertel Villa Crespo. Er mag den morbiden Charme von Buenos Aires, die Architektur, die ihn an Paris, aber auch an Rom und London erinnert. Seine Musik hat er zwar teilweise mit argentinischen Musikern eingespielt, und sie ist diesmal mit Latin-Elementen durchsetzt. Trotzdem lautet seine Definition:
"Die Musik ist französisch. Selbst wenn ich ans andere Ende der Welt gehe, um Musik zu machen, kommt dabei französische Musik heraus. Vielleicht klingt sie diesmal ein wenig sonniger, auch vom Rhythmus her. Aber es ist immer noch meine Musik."
Vor allem dem verspielten Cumbia-Sound mit seinen der afrikanischen Musik entlehnten Rhythmen verdanken einige der Songs eine gewisse Lebensfreude, trotz der oft traurigen Texte.
"Ja gut, Sie kennen Cumbia. Die Franzosen wissen nicht, was das ist. Sie hören Benjamin Biolay. Ich bin ein großer Cumbia-Fan. Die Texte sind ja oft anstößig. Wenn man die ins Französische übersetzt, möchte man im Boden versinken. Die Leute sagen: Weißt du eigentlich, was du da singst? Ich liebe Cumbia."
Texte weniger persönlich
Den Song "Palermo Queens" nahm er mit der uruguayisch argentinischen Schauspielerin Sofia Wilhelmi auf:
"Sie arbeitete gerade am Hamburger Schauspielhaus, als wir gemeinsam an diesen Songs schrieben. Deshalb bin ich an vielen Wochenenden nach Hamburg gereist. Das ist also in Wirklichkeit Hamburger Cumbia."
In den Texten gibt er diesmal selten Einblick in sein eigenes Leben. Es sei ihm einfach zu schlecht gegangen, er habe sein Publikum nicht runterziehen wollen, erklärt er.
Lieber beschäftigt er sich mit der sozialen Ungerechtigkeit auf diesem Planeten, zum Beispiel im Lied "Ressources Humaines", in dem seine Ex Chiara Mastroianni mitsingt, die Tochter von Catherine Deneuve und Marcelo Mastroianni. Es ist ein Song über einen Menschen, der kurzfristig entlassen wird und plötzlich auf der Straße steht.
Eines seiner besten in seiner Diskografie
Der mit Präsident Francois Hollande befreundete Musiker ist nicht nur über die hohen Arbeitslosenzahlen in Frankreich besorgt. Auch die Entwicklung in Argentinien beunruhigt ihn.
"Seit der neue Präsident Macri gewählt wurde, wurden der öffentliche Dienst und die öffentlichen Verkehrsmittel beschnitten, dann diese schreckliche Inflation und Panama Gate, in das auch Macri verwickelt ist. Viele Argentinier hatten die Nase voll vom Kirchner Clan. Und jetzt haben sie Mauricio Macri. Also wirklich! Er sagt, Schwulsein sei eine Krankheit. Ein sehr schräger Typ."
Die Inflation im Moment ist hardcore. Seit Macri gewählt wurde, sind mehr als eine Million Menschen unter die Armutsgrenze gerutscht.
Das Album, das er in dieser krisengeschüttelten Umgebung aufnahm, dürfte als eines seiner besten in seine Diskografie eingehen. Hier trifft die elegante Melancholie des französischen Chanson auf den beschwingten, manchmal zwanghaft optimistisch anmutenden Charme der südamerikanischen Musik. Eine unwiderstehliche Mischung. Zumal wenn Biolay - wie am Ende des Songs "Pas Someil" - über einen leicht depressiven, nachtaktiven Bettflüchtigen seinen Lieblingsdichter Jorge Luis Borges zu Wort kommen lässt.
"Eine Metapher für Krieg, Macht, Glaube und Gewalt"
"Er gehörte zu den klügsten Köpfen, die ich kenne. Er hatte so ausgefallene Gedanken. Kürzlich sah ich ein Fernsehinterview mit ihm. Der Journalist versuchte, ihn zu provozieren. Er fragte: 'Warum lebt ein so kluger Kopf wie du in einem Land mit so vielen Kannibalen?' Borges antwortete: 'Es gibt keine Kannibalen mehr bei uns. Wir haben sie alle aufgegessen.'"
Borges liest hier aus seinem Gedicht "Ajedrez", einem Werk, das heute wieder sehr aktuell ist, findet Biolay – auch in Anbetracht der Terroranschläge von Paris.
"Es geht hier zwar ums Schachspiel. Aber das ist gleichzeitig eine Metapher für Krieg, Macht, Glaube und Gewalt. Der Song hat etwas von einem Filmsoundtrack. Borges ist für mich auf diesem Album die Stimme des 13. November. Er ist die Stimme des Gewissens, quasi das Gegenstück zu Darth Vader. Borges schreibt so schöne Texte. Durch ihn habe ich angefangen, mich für Argentinien zu interessieren."