"…aber es gibt durchaus einige Melodien!"
Zeitenwende, Herbst 1939. Der Zweite Weltkrieg ist gerade ausgebrochen, da vollendet Benjamin Britten im kanadischen Exil sein Violinkonzert. Das Werk wird zum Dokument einer Epoche – und weist doch darüber hinaus.
"Über Europa lag dieser große faschistische Schatten der Nazis, die jeden Moment alles zugrunde richten konnten, und man hatte das Gefühl, dass Europa weder den Willen hatte, noch irgendetwas unternahm, sich dem zu widersetzen. Ich ging nach Amerika und glaubte, dass dort meine Zukunft liegen würde. Ich brauchte sehr lange, um zu erkennen, dass dem nicht so war." So erinnerte sich Benjamin Britten 1960 an die Jahre des Zweiten Weltkriegs zurück. Der überzeugte Pazifist war 1939 gemeinsam mit seinem Lebensgefährten, dem Sänger Peter Pears, aus Großbritannien über Kanada in die USA ausgereist.
Nicht nur stimmungsmäßig, auch praktisch machten sich die Zeitumstände bei der Entstehung des Werks bemerkbar. Britten schrieb es für den spanischen Geiger Antonio Brosa, den er 1936 kennengelernt hatte. Als der zur Uraufführung in die USA einreisen wollte, wurde er von amerikanischen Behörden zunächst als "gefährlicher" Ausländer interniert, ehe er 1940 die Premiere dann doch mit dem New York Philharmonic unter John Barbirolli spielen konnte. Britten selbst hielt sein Opus 15 damals für "fraglos mein bestes Stück. Es ist ziemlich ernst, fürchte ich – aber es gibt durchaus einige Melodien!"
Paukenschläge
Somit ist das Paukensolo, mit dem das Stück beginnt und dessen Quartmotiv sich durch das gesamte Werk zieht, mehr als ein – wenn auch bewusster – Bezug zu Beethovens Violinkonzert: Das drohende Pochen lässt den bevorstehenden Weltenbrand anno 1939 ahnen.
Brittens Violinkonzert ist technisch höchst anspruchsvoll; der große Virtuose Jascha Heifetz bezeichnete es als unspielbar – und mied es konsequent. In der Nachkriegszeit war es Ida Haendel, die das Konzert weltweit zu Gehör brachte. Die ersten Aufnahmen entstanden in den 1960er Jahren, aber auch heute interessieren sich nicht alle großen Geigerinnen und Geiger für das Werk. Dennoch sind im Lauf der Zeit etliche Aufnahmen entstanden – unter anderem mit Ida Haendel, Frank Peter Zimmermann oder Janine Jansen. 2017 sind gleich zwei dazu gekommen, wobei sich besonders der Zugang von Arabella Steinbacher lohnt, den sie zusammen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und Vladimir Jurowski zu Brittens Werk gefunden hat.