Benjamin Moser: "Sontag. Die Biografie"
Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober
Penguin Verlag, München 2020
924 Seiten, 40 Euro
Eine psychoanalytische Annäherung an Susan Sontag
09:16 Minuten
Die Schriftstellerin, Kritikerin und Filmemacherin Susan Sontag war ein Star. In ihren Essays und Romanen wollte sie das ultimative Urteil über ihre Zeit sprechen. Benjamin Moser will in seiner monumentalen Biografie nun das Geheimnis ihres Ruhms ergründen.
Die Susan-Sontag-Biografie des US-Autors Benjamin Moser kann nicht verstecken, dass sie als großer Wurf geplant ist, als das ultimative Wort über Susan Sontag. Die 1,319 Kilo sind "Die Biografie" einer Autorin, die ihrerseits mit vielen Worten, Essays und Romanen, Kulturkritik, Filmen, Theaterstücken den Anspruch hatte, das ultimative Urteil über ihre Zeit zu sprechen, die zu einer Ikone wurde, nicht nur in den USA.
"Camp" nannte sie ihre Zeit, die 60er-Jahre in New York, die Zeit von Andy Warhol, die Ära der Glitter Queens, der sexuellen Uneindeutigkeit, in der ein lustvoller Überschwang von Vergnügen und Stil kultiviert wurde, ein befreiendes, kontrovers, ja empört diskutiertes Signal. Sontags "Über Fotografie" huldigte und kritisierte das neue Medium, noch bevor es zum Alltagsgestus jedermanns wurde.
"Das Leiden anderer betrachten" postulierte gegen den Ekel des zu viel Gesehenen eine Ethik des Hinschauens. Und dann natürlich die Werke über unsere Krankheiten der Moderne wie Krebs und Aids. Sontag führte vor, wie wir, überflutet von gedankenlos hingeworfenen bösartigen Metaphern, geschwächt werden in unserem Kampf ums Überlegen.
Ein großes Projekt
Sie selber überlebte 30 Jahre lang diverse Krebserkrankungen, bevor sie im Jahr 2004 mit 71 Jahren an Leukämie starb. "Gefällt", wie ein Zeitgenosse sagte, diese große, unbesiegbar wirkende Frau, deren Gedanken geprägt haben, wie wir über uns nachdenken, und deren Bild, die Myriaden Fotos einer glamourösen androgynen Frau, von Richard Avedon, von Andy Warhol, von Annie Leibovitz, ewig präsent ist.
Moser hat ein großes Projekt umgesetzt. 44 Jahre alt, promovierter Historiker und Literaturkritiker, der für den "New Yorker", die "New York Times", "New York Review of Books" schreibt und aus dem Portugiesischen, Holländischen, Spanischen, Französischen übersetzt. Er hat er etwas Unerschrockenes.
Die Welt der Literatur verdankt ihm schon eine vielbändige Neuausgabe der faszinierenden Claire Lispector für den exquisiten New Yorker Verlag New Directions (auf Deutsch im Schöffling Verlag) – gekrönt von einer ebenfalls monumentalen Biografie brasilianischen Autorin.
Verhältnis von Oberfläche zu Tiefe
Moser bändigt ein Material aus Nachlass und Recherche, fünf enggedruckte Seiten Dank an Hilfreiche. Unter ihnen sind Laurie Anderson und Paul Auster, Camiglia Paglia und Peter Sellars und natürlich David Rieff, Sontags einziger Sohn, der seinerseits ihre Tagebücher veröffentlich hat und ein Buch über ihr Sterben, ein Dokument der grenzüberschreitenden Intimität, eine Abrechnung mit einer schwierigen Mutter.
Moser schafft es, in seinen minutiös herausgearbeiteten Themenfeldern, nicht in diese Falle zu tappen. Er folgt in seinen Kapiteln der Chronologie: der Kindheit in Arizona mit einer kalten Mutter, die Ehe der 17-Jährigen mit ihrem Professor, der Aufstieg zum intellektuellen Star, ohne je sein Ziel aus den Augen zu verlieren, die Antwort auf die Frage, wie Sontag so berühmt werden konnte und wie sich dieser riesige Schatten, den sie auf die intellektuelle Welt warf, zu ihrem Inneren verhält. Er wendet also das, was Sontag, in der zeitgenössischen Kultur untersucht, das Verhältnis von Oberfläche zu Tiefe, auf sie selbst an.
Wie wurde sie, was sie war? Wer war sie, als alle Welt die Augen zu ihrer glitzernden Oberfläche hob? Es ist natürlich ein psychoanalytisches Projekt, und darin in der Tat sehr weit eindringend in das, was Sontag vor sich und anderen verstecken möchte: ein einsames Ich. Aber was heißt das, für die Bedeutung des Werkes? Eine Frage, die offenbleibt.