Benoîte Groult: "Vom Fischen und von der Liebe. Mein irisches Tagebuch (1977-2003)"
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky
Ullstein Verlag, Berlin 2019
400 Seiten, 22 Euro
Leidenschaft wirkt wie eine Verjüngungskur
06:33 Minuten
Die Schriftstellerin Benoîte Groult hat mit "Salz auf unserer Haut" das weibliche Begehren beschrieben. Nun erschien eine Sammlung ihrer Tagebücher. Darin erzählt sie vom Fischen mit ihrem Mann, von ihrer Affäre und den Schwierigkeiten des Alterns.
Es gibt wenige Bücher, deren Titel zum geflügelten Wort wurden. "Salz auf unserer Haut" ist ein solches Buch. Ein Weltbestseller vor 30 Jahren, allein in Deutschland hat er sich mehr als drei Millionen Mal verkauft. Er beschreibt die Affäre einer Pariser Intellektuellen mit einem bretonischen Fischer, von dem sie alles trennt bis auf das Bett. Über Jahrzehnte und zwei Ehen hinweg hält sie diese Beziehung gegen alle Konventionen aufrecht. Benoîte Groult brach mit diesem Roman, der ihre eigene Geschichte erzählt, ein Tabu.
Jetzt erscheint eine Sammlung aus ihren Tagebüchern posthum; Groult starb vor drei Jahren im Alter von 96 Jahren. Darin beschreibt sie eine andere Leidenschaft, die sie mit ihrem Ehemann Paul teilte, das Fischen, weshalb sich das Paar an der irischen Westküste ein Haus zulegte. 25 Sommer lang fahren die beiden täglich bei Wind und Wetter aufs Meer hinaus, legen in einem ständigen Kampf mit Kälte, Regen, Gischt und Wellen Netze und Reusen aus, um Garnelen, Hummer und Taschenkrebse zu fangen.
Ein amerikanischer Pilot als Liebhaber
Auch der Liebhaber aus dem Roman taucht auf. Man erfährt, dass er in Wahrheit ein amerikanischer Pilot mit deutsch-jüdischen Wurzeln ist und Kurt heißt. Aber sonst stimmt alles mit dem vermeintlich fiktiven Helden überein: die Klassenunterschiede, der Mangel an Bildung - er liest kein Buch, weiß nicht, wer Ludwig XIV. ist, reißt billige Witze - und die einzigartigen Sexszenen: eine Art Verjüngungskur, denn lange fühlen sie sich jedes Mal so, als wären sie 18.
Dabei erlebt man bei Paul, der sich seit Anbeginn mit der Affäre seiner Ehefrau arrangiert hat, Anfälle von Eifersucht mit. Genau so wie bei ihr, die sich an seine häufigen Seitensprüngen früher nur unter Qualen zu erinnern vermag – ganz entgegen dem gemeinsam formulierten Prinzip einer offenen Ehe.
Das eigentliche Thema der Notate aber ist das Altern. Wie eine präzise Chronistin ihrer selbst beschreibt Benoîte Groult schonungslos das Nachlassen der Kräfte. Nicht frei von Wehmut blickt sie auf die Jahre zurück, als sie noch selbstverständlich vom Kai aus an Bord springen konnte, ihr Gleichgewichtssinn intakt, der Körper ein verlässlicher Begleiter war. Gewissenhaft protokolliert sie Anzeichen von Krankheiten und wie man mit Selbstdisziplin periodisch der schwindenden Vitalität doch noch ein Schnippchen schlägt.
Jeden Tag eine Überraschung
Vor etwaigem Selbstmitleid bewahrt sie das Schreiben - und der Humor, den sie bei beiden Männern vermisst, die sich zunehmend ihren Depressionen hingeben. Plitsch und Platsch nennt sie Paul und sich, wenn sie bei stürmischem Seegang mit den Anforderungen des Fischens nicht mehr Schritt halten. Und immer wieder beteuert sie, dass Altsein nicht etwa bedeute, "dass alles beim Alten bleibt". Jeder Tag ist für eine Überraschung gut, wenngleich nicht immer eine angenehme.
Wem das zu wenig Trost ist, nehme noch mal "Salz auf unserer Haut" zur Hand. Oder lese es zum ersten Mal. Denn der Roman um weibliches Begehren ist nicht nur ein Klassiker, er hat, indem er Neuland betrat, eine Tradition gestiftet, auf die sich zu besinnen in jedem Falle lohnt.
Benoîte Groult: "Salz auf unserer Haut"
Aus dem Französischen von Irène Kuhn (Wiederauflage)
Ullstein Verlag, Berlin 2019
336 Seiten, 18 Euro