"Benutzer werden eigentlich kategorisiert"
Die Debatte um die Privatheit der Nutzer im Intenet werde sich ändern müssen, meint Constanze Kurz, die Sachverständige der Enquetekommission Internet des Deutschen Bundestags. Auch die Medienlandschaft stehe aufgrund einer neuen Netzöffentlichkeit vor einem Umbruch.
Deutschlandradio Kultur: Meine Gesprächspartnerin ist heute Constanze Kurz. Sie ist Informatikerin. Sie ist ehrenamtliche Sprecherin des Chaos-Computer-Clubs und Sachverständige der Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags. Guten Tag, Frau Kurz.
Constanze Kurz: Guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Frau Kurz, Ihr berufliches und übrigens auch Ihr publizistisches Leben dreht sich um das Internet. Da haben Sie doch sicher auch ein Profil auf Facebook. Ohne geht ja wohl gar nicht mehr, oder?
Constanze Kurz: Nein, ich habe kein, zumindest hab ich kein Profil unter meinem tatsächlichen Namen. Ich habe allerdings mehrere Mitgliedskonten, um die Funktionalitäten auszuprobieren, weil, das ist ja auch ein Forschungsobjekt für mich. Aber ich habe kein mich selbst darstellendes Profil bei Facebook.
Deutschlandradio Kultur: Warum nicht?
Constanze Kurz: Ich hab zum einen, glaub ich, nicht den Bedarf, mich auf diese Weise darzustellen. Und zum anderen finde ich natürlich das Geschäftsmodell hinter Facebook, also die Generierung der Sozialprofile der Nutzer, aber auch den Verkauf dieser Daten nicht unterstützenswert. Mich stört schon eine ganze Menge an den Klauseln in den Geschäftserklärungen und an dem Geschäftsmodell an sich.
Deutschlandradio Kultur: Facebook ist ja mittlerweile das größte soziale Netzwerk der Welt mit 800 Millionen Nutzern. Und es ist das Internetangebot, mit dem die Deutschen am meisten Onlinezeit verbringen. Woran liegt das? Wie erklären Sie sich das?
Constanze Kurz: Na, zum einen sind die Funktionen dort, glaub ich, zutiefst den Wünschen, den sozialen Kommunikationswünschen der Menschen angepasst, sind auch optimiert worden danach, dass sie dem Wunsch nach Informationsübermittlung, aber auch Unterhaltung, Spiel und Spaß ist dabei, das In-Kontakt-Bleiben, das synchrone und asynchrone Reden, ich glaub, da ist technisch einfach sehr viel geschaffen worden, was die Menschen nützlich, bequem und einfach interessant finden, was ihren sozialen Raum verlängert.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist Facebook ins Gerede gekommen. Diese Woche hören wir zum Beispiel, dass Facebook auch so genannte tracking cookies einsetzen soll, also kleine Programme, mit denen nachvollzogen werden kann, welche Internetseiten da ein Nutzer benutzt – und das auch über längere Zeit hinweg. Facebook sagt dazu: Alles nicht so wild. Wie finden Sie das?
Constanze Kurz: Es gibt natürlich viele technische Mechanismen, wie man als so ein großer Anbieter, der ja auch sehr viele Mitglieder hat, gerade in der westlichen Welt, immer wieder nachvollziehen kann, was tun die Benutzer eigentlich konkret. Also, wo klicken sie hin, in welcher Reihenfolge, mit welcher Häufigkeit klicken sie irgendwohin? Denn diese Facebook-Welt dehnt sich ja über diese Tracking-Mechanismen auch aus. Die großen Webseiten, alle Nachrichtenseiten, sind mittlerweile eigentlich in diese Welt einbezogen. Denn überall findet man natürlich diese Buttons.
Deutschlandradio Kultur: Meinen Sie den "Gefällt-mir-Button"?
Constanze Kurz: Ja, zum Beispiel, dass man eben über die vielen Seiten, die man im Laufe des Tages so ansurft trackbar bleibt. Und da besteht natürlich eine gewisse Gefahr, weil die Profile damit immer genauer werden. Man ist ja schlicht selbst das Produkt. Die Kunden dieser Plattform sind ja eigentlich andere, nämlich die Werbefirmen.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Facebook sammelt diese ganzen Vorlieben, die man offenbart, indem man mit dem Cookie im Gepäck durch das Internet surft, und verkauft das dann für gutes Geld?
Constanze Kurz: Das ist richtig. Die Benutzer werden eigentlich kategorisiert, um festzustellen: Wie häufig sind sie auf der Plattform? Wie wirkt diese so genannte Stickinesstic, Klebrigkeit der Plattform? Also, wer klebt besonders lange und auch vor allen Dingen von der Zeit her schon sehr lange dran? Denn wenn man als Benutzer natürlich sehr viel Zeit dort verbringt und auch schon so ein bisschen sein Leben dort organisiert hat, wird es schwieriger, sich davon zu lösen. Man wird in die Welt hinein gesogen in gewisser Weise. Und je nach dem, ob der Benutzer tatsächlich einer der vielen Benutzer ist, wird eben auch tatsächlich ein richtiger Cent- oder, wenn er ein starker Benutzer ist, ein Dollarbetrag dran gepackt – an die Stirn des Benutzers quasi. So viel ist sein Sozialprofil Werbetreibenden wert, wenn sie gezielt ein Produkt an ihn herantragen wollen.
Deutschlandradio Kultur: Bekannt auch bei Leuten, die sich gar nicht bei Facebook registriert haben, ist ja dieser Gefällt-mir-Button. Wenn ich zum Beispiel in einem Nachrichtenportal einen Artikel lese, dann steht garantiert dieser Button unten dran. Und wenn ich auf den klicke, dann bin ich flugs bei Facebook und werde aufgefordert, mich dort anzumelden. Das ist ja ziemlich umstritten. Wie finden Sie diesen Button?
Constanze Kurz: Na ja, der ist nicht umsonst umstritten. Denn die deutschen Datenschützer haben ja vor allen Dingen auch rechtliche Bedenken.
Für die meisten Menschen ist es vielleicht auch gar nicht mehr so sichtbar, denn ihnen gefällt ja in der Regel diese Funktionalität. Denn sie wollen ja vielleicht gerade ihren Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen mitteilen, dass ihnen hier was Interessantes begegnet ist. Und bitteschön, hier könnt ihr vielleicht auch mal lesen. – Denn anders als im Beispiel, was Sie jetzt beschrieben haben, sind die meisten ja ohnehin eingeloggt in ihrem Browser und merken gar nicht mehr, dass diese Informationen mit gelesen werden und übertragen werden. Ich glaube, der "Like-button" wird zumindest nach rechtlichen Standards sicherlich noch Streit hier in Deutschland bewirken.
Mich überrascht eigentlich auf der anderen Seite eher, wie sehr die Menschen, die vielen Menschen, die da mitmachen, die Selbstverständlichkeit hinnehmen, mit der sie da ihre sozialen Profile, ihre Interessen kundtun. Denn ich glaube, dass die meisten Benutzer von Facebook mittlerweile schon wissen, wie das Geschäftsmodell aussieht. Sie willigen quasi in gewisser Weise auch informiert ein, vielleicht nicht technisch informiert im Detail, aber doch wissen die meisten Benutzer, auf was sie sich einlassen.
Deutschlandradio Kultur: Sollten sie davor beschützt werden? Sollte also Facebook, sollten überhaupt die sozialen Netzwerke, es gibt ja dann doch noch ein paar andere, vom Gesetzgeber reguliert werden, mehr als bisher?
Constanze Kurz: Na, da muss man, glaub ich, die sozialen Netzwerke unterscheiden, die reine Werbeplattformen sind, und solche, die andere Geschäftsmodelle haben, die es ja auch gibt. Nicht alle finanzieren sich über die Daten der Nutzer. Aber bei den Werbeplattformen, bei denen das so ist, also, wie in Facebook zum Beispiel, muss man schon darüber nachdenken, wie man's reguliert. Das heißt aber praktisch, dass man das Geschäftsmodell beschränken muss. Das ist natürlich bei der derzeitigen gesetzgeberischen Mehrheitslage im Bundestag schwer durchzusetzen. Denn man muss schon sehen, dass die Firmen, die hier betroffen sind und die auch merken, dass in Deutschland die Diskussion anders verläuft als in anderen Ländern, dass sie sehr verstärkt anfangen Lobbyarbeit zu betreiben und den Gesetzgeber auch versuchen zu beeinflussen, um letztlich auch ihre Marktmacht in gewisser Weise jetzt so ein bisschen gucken lassen.
Wer, wie etwa Google, in bestimmten Werbemärkten sehr stark dominiert oder aber auch Facebook mit den bloßen schieren Nutzerzahlen argumentieren kann, die sich ja schließlich auch freiwillig da anmelden, hat eine gute Position gegenüber einem doch recht schwachen Gesetzgeber, der seit Jahren Regelungen verschleppt in diesem Bereich.
Deutschlandradio Kultur: Da kommt ja gerade bei Facebook noch dazu, dass die Server von Facebook Deutschland in Irland stehen, wo gar kein deutsches Recht greift.
Constanze Kurz: Ja, richtig. Es ist ja auch eine Argumentation, die jetzt der Gesetzgeber oft anführt, aber auch Vertreter der Bundesregierung in den Ministerien, die sich damit befassen, Verbraucherschutzministerium und Innenministerium, dass sie also ihre eigene partielle Machtlosigkeit zugeben und sagen, na ja, es ist ja ein ausländischer Anbieter, nicht nur, dass es ein amerikanisches Unternehmen ist, sondern eben auch tatsächlich die Datenspeicherung in dritten Staaten stattfindet, wie zum Beispiel eben Irland bei Facebook. Ich denke aber, darauf sollte man sich als Gesetzgeber nicht zurückziehen. Damit räumt man ja quasi ein, dass man eigentlich keine Gestaltungsmöglichkeit hat. Das sehe ich nicht so. Denn die Vorschläge, wie man hier regulieren könnte, liegen ja auf dem Tisch – und das auch schon seit Jahren.
Deutschlandradio Kultur: Das Bundesinnenministerium setzt aber erst mal nicht auf gesetzliche Vorgaben, sondern auf Selbstverpflichtungen der Branche. Bis Anfang März, das haben wir dieser Tage gehört, soll ein freiwilliger Verhaltenscodex der Onlinebranche entstehen, der den Datenschutz, den Verbraucherschutz, den Jugendschutz umfassen soll. Ist das nur die gerade eben erwähnte Machtlosigkeit, die gerade eben erwähnte Lobbyarbeit oder hat gerade das Innenministerium noch andere Interessen, Facebook, Google und Co. munter Daten sammeln zu lassen?
Constanze Kurz: Man sieht natürlich schon auch, dass im Strafermittlungsbereich langsam, aber stetig die Zahlen der Zugriffe auf diese so genannten sozialen Netzwerke zunehmen. Wir haben ja gerade vor wenigen Tagen den Transparenzbericht von Google etwa gehört, wo man ja die blanken Zahlen ansehen kann: Also, wie oft wird auf solche Profile zugegriffen? Hier hat der Staat natürlich auch ein Ermittlungsinteresse.
Und man muss sich vergegenwärtigen, dass die Aktualität, Genauigkeit meistens auch die Kleinteiligkeit der Profile, die dort sind, deutlich genauer und eben auch aktueller sind als Datensammlungen, die der Staat hat. Insofern ist natürlich der Zugriff auch von Ermittlern oder Geheimdiensten auf solche Daten sehr interessant für den Staat. Hier mag sicherlich nicht nur eine gewisse Hilflosigkeit des Gesetzgebers zum Ausdruck kommen, sondern natürlich auch ein Interesse auf die Daten zuzugreifen. Denn das ist ihm ja gesetzlich erlaubt. Es ist ja nicht so, dass die Unternehmen, wie Facebook oder Google, freiwillig solche Daten rausgeben würden, natürlich auf Anfrage auch reagieren müssen.
Deutschlandradio Kultur: Um das noch mal klar zu stellen: Gewerbliche Datensammler wie Facebook oder Google, die beschaffen also die Datensätze, mit denen dann Ermittlungsbehörden nach Herzenslust Rasterfahndungen machen können, Profile erstellen können, Kommunikationsmuster erstellen können? In welchem Umfang geschieht so was? Weiß man das?
Constanze Kurz: Na ja, die Zahlen für Google sind zum Beispiel transparent. Facebook hat bisher solche Transparenzberichte nicht veröffentlicht. Es gibt natürlich in einigen Ländern Strafverfolgungsbehörden, die da Zahlen veröffentlichen. Man kann, glaub ich, generell für Europa und die USA sagen, dass die Anzahl dieser Zugriffe steigt. Und letztlich haben wir hier eigentlich ein Feld, was noch wenig reguliert ist. Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für die Strafermittler, so sie denn technisch in der Lage sind und auch die Anzahl der Ermittler haben, die sich da einsetzen, dass sie auf diese Daten zugreifen. Das wird zunehmen. Denn an spektakulären Fällen, die man auch international sehen kann, gerade über Facebook tatsächlich Schwerverbrecher dingfest gemacht worden. Da wird in den nächsten Jahren noch eine Menge passieren.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir mal bei der Innensicherheit. Kürzlich waren Sie, Frau Kurz, im Fernsehen zu bewundern, wie Sie zusammen mit Streitern vom Chaos-Computer-Club den so genannten Staats- oder Bundestrojaner präsentiert haben. Ist Ihnen da ein richtig dicker Fisch ins Netz gegangen oder haben Sie nur an der Spitze eines Eisbergs gekratzt?
Constanze Kurz: Na, ich denke, wir haben wohl an der Spitze eines Eisbergs gekratzt, denn was der Chaos-Computer-Club hier gemacht hat, ist erst mal, eine bestimmte Spionagesoftware zu untersuchen und vor allen Dingen zu ergründen, welche Funktionalitäten hat sie und welche kann sie potenziell noch haben, wenn man weitere Komponenten nachlädt.
Es geht ja erst mal um eine technische Analyse, die wir gemacht haben, um nachzugucken, wo ist eigentlich da eine technische Grenze. Wie ist die gezogen worden? Und wo fehlt diese technische Grenze? Und wie ist auch dieser Trojaner, also diese Infiltration des Rechners, wie ist die umgesetzt worden, auch gerade vor dem Hintergrund des Verfassungsgerichtsurteils zur so genannten Onlinedurchsuchung?
Da ist natürlich, glaub ich, die Bewertung davon unabhängiger Teil. Denn zunächst mal haben wir auf die Technik geguckt. Wir sind halt ein Hacker-Club. Aber dabei ist uns natürlich mehrfach doch echt die Kinnlade runter geklappt, und nicht nur die Frage, welche Funktionen dort normalerweise implementiert werden, wie eben diese vielen tausende Bildschirmfotos, die gemacht wurden in dem einen konkreten Fall, sondern vor allen Dingen die Möglichkeit, jeden beliebigen Schadcode nachzuladen, also, beliebige Komponenten, die letztlich eine vollständige Fernsteuerung des Rechners ermöglichen. – Da waren wir doch erstaunt. Denn das ist ja tatsächlich rechtswidrig und auch sehr klar. Also, das wissen auch schon Laienjuristen. Und wir haben natürlich dann auch mit vielen Juristen Kontakt aufgenommen, die uns weitere Bewertungen und Interpretationen des Urteils mit uns besprochen haben und die diesen Rechtsbruch für uns noch viel deutlicher gemacht haben.
Deutschlandradio Kultur: Es gab dann ein ziemliches Hin und Her, welche Behörde diesen Trojaner denn überhaupt eingesetzt hat und was der Trojaner eigentlich kann. Sie sagten ja, dass da einiges möglich ist. Waren die politisch Verantwortlichen wirklich so schlecht informiert oder wurden da Nebenkerzen geworfen?
Constanze Kurz: Na ja, es gibt eigentlich für beide Varianten ganz gute Gründe. Man hatte am Anfang den Eindruck, dass die Landes- und Bundespolitiker relativ kopflos reagiert haben und tatsächlich auch erstmal in ihren Ermittlungsbehörden nachfragen mussten. Dennoch kann man sich die Frage stellen, ob man über so viele Jahre – denn wir reden ja von einem Trojaner, der zu Anfang über zweieinhalb Jahre alt war, den letzten, den wir jetzt veröffentlicht haben, der ist halt wenige Monate alt... Wie kann dann eigentlich sein, dass die kontrollierenden Behörden, bis hinauf zum Ministerium, keine Ahnung haben?
Deutschlandradio Kultur: Liegt's da einfach am Fachwissen?
Constanze Kurz: Ja, das kann schon sein, aber man kann eigentlich auch eine Software nicht gut analysieren, wenn man den Quellcode des Anbieters gar nicht bekommt. Das ist ja der Fall. Das haben Landes- und Bundesinnenministerium zugegeben. Das halten wir eigentlich für einen Skandal. Aber noch schlimmer ist aus meiner Sicht der Skandal, dass nach wie vor sowohl der bayerische Landesminister wie auch der Bundesinnenminister dieses Vorgehen rechtfertigen und nicht auch, gerade als Leiter dieser Behörden, Konsequenzen fordern.
Deutschlandradio Kultur: Also, es ist so: Der Quellcode, also, sozusagen das Innenleben dieses Trojaners…
Constanze Kurz: Der Bauplan eigentlich.
Deutschlandradio Kultur: …der Bauplan, der ist den Behörden gar nicht so genau bekannt. Den kennen nur ein paar Programmierer. Und man kauft dann sozusagen die Katze im Sack.
Constanze Kurz: Richtig. Was die Behörden bekommen haben, ist so eine Art Produktpräsentation. Dazu wurde ihnen natürlich tatsächlich die Funktionalität vorgeführt. Man muss sich also vorstellen, man hat dann wie im Labor zwei, drei Rechner und man bekommt gerade so die Steuerungssoftware, mit der man ja als Ermittler dann eben die Funktionalitäten steuert, vorgeführt. Das hat natürlich mit der Prüfung, mit der ernsthaften Prüfung einer Software, auch dahingehend, ob dort Hintertüren vorhanden sind, und natürlich auch, ob dort Fehler in der Software sind, nicht zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, Sie haben es schon erwähnt, wie die Behörden Programme á la Trojaner einsetzen dürfen und wie nicht. Lassen sich denn die vielen Möglichkeiten, die diese Schnüffelsoftware bietet und die sich ja auch immer weiterentwickelt, lässt sich das juristisch überhaupt bändigen? Gibt’s überhaupt eine verfassungsgemäße Schnüffelsoftware?
Constanze Kurz: Ja, selbstverständlich gibt’s die. Man kann das Urteil, das ja auch technisch sehr präzise ist, nach einer langen, auch sehr technischen Diskussion in Karlsruhe, sehr genau lesen und wird sich an die Vorgaben halten müssen. Das ist ja nicht optional. Es scheint jetzt auch in der politischen Debatte so zu sein, als wenn gerade der Bundesinnenminister, der ja in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das auch so formulierte, man müsse sich da jetzt erst einmal eine Rechtsauffassung bilden und da gäbe es halt verschiedene Meinungen. – Letztlich ist das Urteil aus Karlsruhe bereits gefallen. Es ist drei Jahre alt.
Insofern, sehr wohl kann man sich überlegen, wie man diese Technik einsetzt – gemäß des Urteils. Und aus meiner Sicht werden dann Bereiche der Infiltration durch den Staat nicht mehr offen stehen. Denn das Urteil sagt zum Beispiel über diese so genannte Quellentelekommunikationsüberwachung, also, das Abhören der Internettelefonie, dass dieses konkret technisch und rechtlich abzusichern ist, damit eben nur die Kommunikation abgehört werden kann. Da ist nicht die Frage, ob das denn geht, sondern wie man das umsetzt. Denn das Urteil aus Karlsruhe ist unmittelbares Recht.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir mal bei Karlsruhe. Es muss ja nicht immer das Trojanische Pferd sein. Auch das gute alte Hamstern hilft dem Staat, mehr über seine Bürger zu erfahren – Stichwort: Vorratsdatenspeicherung. Dabei sollen Telekommunikationsunternehmen die Verbindungsdaten aller Nutzer für einen bestimmten Zeitraum speichern, also nicht, was gesagt oder geschrieben wurde, sondern wer mit wem wann kommuniziert hat. Ein entsprechendes Gesetz hat der Bundestag 2007 verabschiedet. Karlsruhe, das Bundesverfassungsgericht also, hat das 2010 gekippt. Zurecht?
Constanze Kurz: Aus meiner Sicht natürlich, denn die Regelungen, wie sie in dem Gesetz zuvor vorhanden waren, waren ganz klar verfassungswidrig. Aber das Gericht hat ja nicht gesagt, eine anlassunabhängige Speicherung dieser Kommunikations- und Bewegungsdaten sei per se nicht machbar, sondern es hat ja Wege aufgezeigt.
Allerdings finde ich eigentlich die Haltung der Bundesjustizministerin, die ja doch sagt, okay, es gibt in Brüssel eine Debatte, ob die Richtlinie, die ja Deutschland verpflichtet, so bestehen bleibt.
Deutschlandradio Kultur: Also, es gibt eine EU-Richtlinie, die uns dazu verpflichtet, Vorratsdatenspeicherung in irgendeiner Form einzuführen?
Constanze Kurz: Genau. Also, die ist in der Debatte. Die wird ja auch noch evaluiert. Da gibt’s viele Fragen. Denn letztlich, das Urteil zeigt einen Weg auf, wie man eventuell so eine Lösung finden könnte. Aber es heißt ja nicht, dass der Gesetzgeber die auch beschreiten muss. Es gibt alternative Lösungen. Und letztlich, glaube ich, sollten wir zu einer guten Balance kommen. Es scheint mir keine gute Balance zu sein, von vornherein – vom Kind bis zum Greis – alle Kommunikationsprofile zu erhalten, zumal, ich glaub, die Datenskandale, auf die wir in den letzten Monaten und Jahren blicken, uns doch eine Warnung sein sollten.
Es gibt schließlich in Europa Prinzipien, die den Datenschutz und damit auch den Schutz der Menschen betreffen. Und ein wichtiges davon ist die Datensparsamkeit. Denn Daten horten, richtig große Hortungen, die nicht entstehen, schützen natürlich auch Menschen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie sind nicht dafür, dass man Vorratsdatenspeicherung generell verbietet? Also, in irgendeiner Form macht es schon Sinn, zum Beispiel zur Strafverfolgung?
Constanze Kurz: Ich denke, für die Strafverfolgung ist eigentlich das Mittel der Vorratsdatenspeicherung nicht das mildeste und verhältnismäßigste Mittel. Ich würde das ablehnen aus dem Grund, weil ich glaube, dass die Möglichkeiten, auf diese Bestandsdaten, aber auch auf Verbindungsdaten von Telekommunikation zuzugreifen, heute in unserer Gesetzgebung absolut ausreichend sind. Es wird ja auch in großem Maße getan. Ich glaube, dass den Strafermittlern nicht der Blick in eine Vergangenheit von uns, und zwar von uns allen, ermöglicht werden sollte. Das ist aus meiner Sicht auch eine Frage der Unschuldsvermutung. Nicht jeder der kommuniziert, soll letztlich digital festgehalten werden, falls er mal straffällig werden würde. Ich halte diese Haltung, auch dieses Menschenbild, was dahinter steht, für falsch. Und ich glaube, sogar in den digitalen Zeiten, in die wir gehen, wäre ein Umdenken und Neudenken in dieser Hinsicht schon wichtig.
Das heißt nicht, dass Telekommunikationsdaten sakrosankt wären. Ich denke schon, dass die Ermittler die brauchen. Ich glaube aber nicht, dass im Wege dieser anlasslosen Speicherung da eine gute Lösung gefunden werden kann, die auch Bürgerrechten genügt.
Deutschlandradio Kultur: Es geht eigentlich bei diesen ganzen Debatten um Sicherheit um die Frage von Transparenz und Privatsphäre. Also, einerseits, wie viel offenbare ich im Internet von mir selbst? Wie viel dürfen Firmen, wie viel darf der Staat über mich wissen als Bürger und als Konsument? Andererseits: Was muss geschützt werden? Wie anonym darf ich sein, wenn ich mich im Internet bewege? Oder ist Datenschutz gar nicht mehr machbar angesichts der technischen Möglichkeiten, die wir heute haben?
Constanze Kurz: Na ja, es gibt jetzt eine ganze Menge Rufer, die sagen, dass das die Ära der Privatheit zu Ende sei. Ich halte das natürlich für Unsinn, ehrlich gesagt. Denn ich glaube, dass dieser Schutz der Privatheit, der zutiefst menschlich ist und eine Selbstverständlichkeit eigentlich für zumindest die neueren westlichen Gesellschaften, sag ich jetzt mal, die nach der Aufklärung.... dann denke, das Gefühl dafür, dass man ein Stück Privatsphäre braucht und dass man auch die Kontrolle darüber behalten möchte, wer was über einen weiß, gerade Fremde oder Menschen, zu denen man in einer gewissen Machtasymmetrie steht, ist eine Selbstverständlichkeit und, ich glaube, auch ein aufklärerischer Wert.
Dennoch sollte man sehen, wer hinter diesen Rufen nach dem Ende der Privatsphäre steht. Und das sind letztlich in der Regel genau die Profiteure der großen Datensammlungen. Der letzte große Name, der dieses Ende der Privatheit vor großem Publikum verkündet hat, war Marc Zuckerberg. Das ist genau derjenige, der Facebook begründet hat und natürlich von diesen Daten profitiert, aber auch von dem Ideologiewandel.
Ich glaube, dass wir in den nächsten drei, vier Jahren doch noch intensiv darüber debattieren werden, dass es aber letztlich, glaub ich, zu auch einem Umdenken kommen wird. Denn gerade, wenn sich jetzt so anfangs die ersten Fälle zeigen von Menschen, die schon sehr viele Jahre sehr transparent, auch freiwillig transparent im Netz leben, und man dann plötzlich sieht, welche Folgen das haben kann, oder auch gerade mit einer alternden Gesellschaft, die ja auch damit umgehen muss, dass zum Beispiel psychologische oder medizinische Probleme vielleicht nicht jedem bekannt sind, das ist ja ein zunehmendes Problem. Da wird sich, glaub ich, die Debatte um die Privatheit noch mal ändern. - Jetzt der Ruf nach dem Ende der Privatheit, ich halte das für sehr überzogen und oftmals profitorientiert.
Deutschlandradio Kultur: Frau Kurz, wir haben die ganze Zeit über die Gefahren gesprochen, über all das, was im Internet droht. Ich will jetzt auch mal was Nettes sagen und zitieren: "Die politische Freiheit und Gleichheit der Bürger realisiert sich im Netz zum ersten Mal in Permanenz." Das Zitat stammt vom CDU-Politiker Peter Altmaier. Und der sieht im Internet eine Chance für die Teilhabe an Politik, wie es sie seit der Französischen Revolution nicht mehr gegeben habe. Ist das Internet also die Vollendung der Demokratie?
Constanze Kurz: Na ja, natürlich sind in gewisser Weise viele Chancen zu sehen. Und wenn man manchmal, also, gerade als Datenschützer oder gerade als Hacker, der auf Gefahren hinweist, hat man oft so dieses, ach, na ja, man sollte auch mal an die Chancen denken. – Das ist für mich aber eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Seit vielen Jahren sehen wir natürlich, dass sich Prozesse ändern. Auch die Möglichkeit mitzuwirken an der Politik hat sich dramatisch gewandelt. Ich selbst habe das auch in der Enquetekommission im Deutschen Bundestag gesehen, wie dort versucht wird, auch die Transparenz ganz praktisch zu machen, den Bürger zu beteiligen. Ich glaub, die Chancen sind da deutlich größer als die Risiken. Aber man muss die Risiken schlicht mitdenken.
Ich glaube, dass es bereits eine Gegenöffentlichkeit gibt im Netz, die sich auch artikuliert und die Einfluss hat, und gerade an dem Beispiel von Peter Altmaier kann man es, glaub ich, gut sehen, das ist heute schon Realität, und dass auch die ganze Medienlandschaft vor einem Umbruch steht. Dieser Umbruch hat zu tun mit dieser neuen Netzöffentlichkeit. Für mich sind's gerade spannende Zeiten. Also, ich freue mich da durchaus auf die Zukunft. Ich hab da keine Angst vor, im Gegenteil.
Deutschlandradio Kultur: Was bedeutet da für Sie der Erfolg, den die Piratenpartei zurzeit hat? Haben die nur ein neues Spezialthema gefunden, das die Etablierten bisher übersehen haben, wie damals die Grünen mit der Umweltfrage? Oder ist das wirklich die Chance für eine neue Art, Politik zu machen, nämlich als offene, als transparente Debatte und Entscheidungsfindung im Netz, bei der alle mitmachen können?
Constanze Kurz: Na ja, das Phänomen der Piratenpartei, gerade hier in Berlin, ist natürlich faszinierend für jemanden, der ein politischer Mensch ist. Aus meiner Sicht entsteht hier gerade ein großer Umbruch. Und die nächsten 10 oder 5 Jahre werden, glaub ich, sehr spannend, wenn sich einige Strukturen in dieser Piratenpartei festigen und vielleicht auch ein paar Köpfe hervortreten, die eine gewisse Vision präsentieren können für die Zukunft.
Die Netzpolitik, für die die Piratenpartei ja steht, ist natürlich gerade so eine bisschen kontrovers debattiert, aber längst nicht übersehen von den anderen Parteien. Man kann ja in den letzten zwei, drei Jahren sehen, dass sich die netzpolitischen Sprecher von allen Parteien doch sehr stark etabliert haben, dass sie häufiger befragt werden, dass sie präsenter sind.
Zum anderen glaube ich aber, dass das Phänomen dieser Piratenpartei auch sehr stark mit dem Auftreten zu tun hat. Ich habe den Eindruck, dass der Überdruss eines großen Teils der Bevölkerung an diesem Politikersprechen, an dieser Art zu formulieren und die immer gleichen Wortwendungen zu benutzen im politischen Diskurs, dass dieser Überdruss sich auch gerade an dieser neuen Kraft Piratenpartei zeigt, die anders ist, die nicht wirkt wie etablierte Politiker, sondern eher wie: Da ist der Bürger ins Parlament gewählt worden jetzt hier in Berlin. Also, ich glaube, dieser gewisse Dilettantismus, der sich zeigt, oder zumindest noch nicht so etablierte, es fängt schon bei der Kleidung an, aber geht auch weiter mit den Reden, riecht schon so ein bisschen nach Revolution, nicht wahr?
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie auf die berühmte einsame Insel verschlagen würden und Sie könnten nur ganz wenige Dinge mitnehmen, wäre ein Laptop dabei?
Constanze Kurz: Es kommt drauf an. Wenn ich Strom habe auf der Insel, würde ich schon ganz gerne auch einen Laptop mitnehmen natürlich. Für mich ist ein Computer ein universelles Werkzeug, mit dem ich natürlich viele Stunden am Tag verbringe. Wenn ich keinen Strom hätte, würde ich, glaub ich, darauf verzichten.
Deutschlandradio Kultur: Und auch das nicht bedauern?
Constanze Kurz: Na ja, wenn man keinen Strom hat. Für sechs oder acht Stunden Akku würde ich, glaub ich, einen Computer nicht mitschleppen, wenn ich drei Dinge auswählen könnte.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch. Für Ihr Interesse bedankt sich Patrick Garber.
Constanze Kurz: Guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Frau Kurz, Ihr berufliches und übrigens auch Ihr publizistisches Leben dreht sich um das Internet. Da haben Sie doch sicher auch ein Profil auf Facebook. Ohne geht ja wohl gar nicht mehr, oder?
Constanze Kurz: Nein, ich habe kein, zumindest hab ich kein Profil unter meinem tatsächlichen Namen. Ich habe allerdings mehrere Mitgliedskonten, um die Funktionalitäten auszuprobieren, weil, das ist ja auch ein Forschungsobjekt für mich. Aber ich habe kein mich selbst darstellendes Profil bei Facebook.
Deutschlandradio Kultur: Warum nicht?
Constanze Kurz: Ich hab zum einen, glaub ich, nicht den Bedarf, mich auf diese Weise darzustellen. Und zum anderen finde ich natürlich das Geschäftsmodell hinter Facebook, also die Generierung der Sozialprofile der Nutzer, aber auch den Verkauf dieser Daten nicht unterstützenswert. Mich stört schon eine ganze Menge an den Klauseln in den Geschäftserklärungen und an dem Geschäftsmodell an sich.
Deutschlandradio Kultur: Facebook ist ja mittlerweile das größte soziale Netzwerk der Welt mit 800 Millionen Nutzern. Und es ist das Internetangebot, mit dem die Deutschen am meisten Onlinezeit verbringen. Woran liegt das? Wie erklären Sie sich das?
Constanze Kurz: Na, zum einen sind die Funktionen dort, glaub ich, zutiefst den Wünschen, den sozialen Kommunikationswünschen der Menschen angepasst, sind auch optimiert worden danach, dass sie dem Wunsch nach Informationsübermittlung, aber auch Unterhaltung, Spiel und Spaß ist dabei, das In-Kontakt-Bleiben, das synchrone und asynchrone Reden, ich glaub, da ist technisch einfach sehr viel geschaffen worden, was die Menschen nützlich, bequem und einfach interessant finden, was ihren sozialen Raum verlängert.
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist Facebook ins Gerede gekommen. Diese Woche hören wir zum Beispiel, dass Facebook auch so genannte tracking cookies einsetzen soll, also kleine Programme, mit denen nachvollzogen werden kann, welche Internetseiten da ein Nutzer benutzt – und das auch über längere Zeit hinweg. Facebook sagt dazu: Alles nicht so wild. Wie finden Sie das?
Constanze Kurz: Es gibt natürlich viele technische Mechanismen, wie man als so ein großer Anbieter, der ja auch sehr viele Mitglieder hat, gerade in der westlichen Welt, immer wieder nachvollziehen kann, was tun die Benutzer eigentlich konkret. Also, wo klicken sie hin, in welcher Reihenfolge, mit welcher Häufigkeit klicken sie irgendwohin? Denn diese Facebook-Welt dehnt sich ja über diese Tracking-Mechanismen auch aus. Die großen Webseiten, alle Nachrichtenseiten, sind mittlerweile eigentlich in diese Welt einbezogen. Denn überall findet man natürlich diese Buttons.
Deutschlandradio Kultur: Meinen Sie den "Gefällt-mir-Button"?
Constanze Kurz: Ja, zum Beispiel, dass man eben über die vielen Seiten, die man im Laufe des Tages so ansurft trackbar bleibt. Und da besteht natürlich eine gewisse Gefahr, weil die Profile damit immer genauer werden. Man ist ja schlicht selbst das Produkt. Die Kunden dieser Plattform sind ja eigentlich andere, nämlich die Werbefirmen.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Facebook sammelt diese ganzen Vorlieben, die man offenbart, indem man mit dem Cookie im Gepäck durch das Internet surft, und verkauft das dann für gutes Geld?
Constanze Kurz: Das ist richtig. Die Benutzer werden eigentlich kategorisiert, um festzustellen: Wie häufig sind sie auf der Plattform? Wie wirkt diese so genannte Stickinesstic, Klebrigkeit der Plattform? Also, wer klebt besonders lange und auch vor allen Dingen von der Zeit her schon sehr lange dran? Denn wenn man als Benutzer natürlich sehr viel Zeit dort verbringt und auch schon so ein bisschen sein Leben dort organisiert hat, wird es schwieriger, sich davon zu lösen. Man wird in die Welt hinein gesogen in gewisser Weise. Und je nach dem, ob der Benutzer tatsächlich einer der vielen Benutzer ist, wird eben auch tatsächlich ein richtiger Cent- oder, wenn er ein starker Benutzer ist, ein Dollarbetrag dran gepackt – an die Stirn des Benutzers quasi. So viel ist sein Sozialprofil Werbetreibenden wert, wenn sie gezielt ein Produkt an ihn herantragen wollen.
Deutschlandradio Kultur: Bekannt auch bei Leuten, die sich gar nicht bei Facebook registriert haben, ist ja dieser Gefällt-mir-Button. Wenn ich zum Beispiel in einem Nachrichtenportal einen Artikel lese, dann steht garantiert dieser Button unten dran. Und wenn ich auf den klicke, dann bin ich flugs bei Facebook und werde aufgefordert, mich dort anzumelden. Das ist ja ziemlich umstritten. Wie finden Sie diesen Button?
Constanze Kurz: Na ja, der ist nicht umsonst umstritten. Denn die deutschen Datenschützer haben ja vor allen Dingen auch rechtliche Bedenken.
Für die meisten Menschen ist es vielleicht auch gar nicht mehr so sichtbar, denn ihnen gefällt ja in der Regel diese Funktionalität. Denn sie wollen ja vielleicht gerade ihren Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen mitteilen, dass ihnen hier was Interessantes begegnet ist. Und bitteschön, hier könnt ihr vielleicht auch mal lesen. – Denn anders als im Beispiel, was Sie jetzt beschrieben haben, sind die meisten ja ohnehin eingeloggt in ihrem Browser und merken gar nicht mehr, dass diese Informationen mit gelesen werden und übertragen werden. Ich glaube, der "Like-button" wird zumindest nach rechtlichen Standards sicherlich noch Streit hier in Deutschland bewirken.
Mich überrascht eigentlich auf der anderen Seite eher, wie sehr die Menschen, die vielen Menschen, die da mitmachen, die Selbstverständlichkeit hinnehmen, mit der sie da ihre sozialen Profile, ihre Interessen kundtun. Denn ich glaube, dass die meisten Benutzer von Facebook mittlerweile schon wissen, wie das Geschäftsmodell aussieht. Sie willigen quasi in gewisser Weise auch informiert ein, vielleicht nicht technisch informiert im Detail, aber doch wissen die meisten Benutzer, auf was sie sich einlassen.
Deutschlandradio Kultur: Sollten sie davor beschützt werden? Sollte also Facebook, sollten überhaupt die sozialen Netzwerke, es gibt ja dann doch noch ein paar andere, vom Gesetzgeber reguliert werden, mehr als bisher?
Constanze Kurz: Na, da muss man, glaub ich, die sozialen Netzwerke unterscheiden, die reine Werbeplattformen sind, und solche, die andere Geschäftsmodelle haben, die es ja auch gibt. Nicht alle finanzieren sich über die Daten der Nutzer. Aber bei den Werbeplattformen, bei denen das so ist, also, wie in Facebook zum Beispiel, muss man schon darüber nachdenken, wie man's reguliert. Das heißt aber praktisch, dass man das Geschäftsmodell beschränken muss. Das ist natürlich bei der derzeitigen gesetzgeberischen Mehrheitslage im Bundestag schwer durchzusetzen. Denn man muss schon sehen, dass die Firmen, die hier betroffen sind und die auch merken, dass in Deutschland die Diskussion anders verläuft als in anderen Ländern, dass sie sehr verstärkt anfangen Lobbyarbeit zu betreiben und den Gesetzgeber auch versuchen zu beeinflussen, um letztlich auch ihre Marktmacht in gewisser Weise jetzt so ein bisschen gucken lassen.
Wer, wie etwa Google, in bestimmten Werbemärkten sehr stark dominiert oder aber auch Facebook mit den bloßen schieren Nutzerzahlen argumentieren kann, die sich ja schließlich auch freiwillig da anmelden, hat eine gute Position gegenüber einem doch recht schwachen Gesetzgeber, der seit Jahren Regelungen verschleppt in diesem Bereich.
Deutschlandradio Kultur: Da kommt ja gerade bei Facebook noch dazu, dass die Server von Facebook Deutschland in Irland stehen, wo gar kein deutsches Recht greift.
Constanze Kurz: Ja, richtig. Es ist ja auch eine Argumentation, die jetzt der Gesetzgeber oft anführt, aber auch Vertreter der Bundesregierung in den Ministerien, die sich damit befassen, Verbraucherschutzministerium und Innenministerium, dass sie also ihre eigene partielle Machtlosigkeit zugeben und sagen, na ja, es ist ja ein ausländischer Anbieter, nicht nur, dass es ein amerikanisches Unternehmen ist, sondern eben auch tatsächlich die Datenspeicherung in dritten Staaten stattfindet, wie zum Beispiel eben Irland bei Facebook. Ich denke aber, darauf sollte man sich als Gesetzgeber nicht zurückziehen. Damit räumt man ja quasi ein, dass man eigentlich keine Gestaltungsmöglichkeit hat. Das sehe ich nicht so. Denn die Vorschläge, wie man hier regulieren könnte, liegen ja auf dem Tisch – und das auch schon seit Jahren.
Deutschlandradio Kultur: Das Bundesinnenministerium setzt aber erst mal nicht auf gesetzliche Vorgaben, sondern auf Selbstverpflichtungen der Branche. Bis Anfang März, das haben wir dieser Tage gehört, soll ein freiwilliger Verhaltenscodex der Onlinebranche entstehen, der den Datenschutz, den Verbraucherschutz, den Jugendschutz umfassen soll. Ist das nur die gerade eben erwähnte Machtlosigkeit, die gerade eben erwähnte Lobbyarbeit oder hat gerade das Innenministerium noch andere Interessen, Facebook, Google und Co. munter Daten sammeln zu lassen?
Constanze Kurz: Man sieht natürlich schon auch, dass im Strafermittlungsbereich langsam, aber stetig die Zahlen der Zugriffe auf diese so genannten sozialen Netzwerke zunehmen. Wir haben ja gerade vor wenigen Tagen den Transparenzbericht von Google etwa gehört, wo man ja die blanken Zahlen ansehen kann: Also, wie oft wird auf solche Profile zugegriffen? Hier hat der Staat natürlich auch ein Ermittlungsinteresse.
Und man muss sich vergegenwärtigen, dass die Aktualität, Genauigkeit meistens auch die Kleinteiligkeit der Profile, die dort sind, deutlich genauer und eben auch aktueller sind als Datensammlungen, die der Staat hat. Insofern ist natürlich der Zugriff auch von Ermittlern oder Geheimdiensten auf solche Daten sehr interessant für den Staat. Hier mag sicherlich nicht nur eine gewisse Hilflosigkeit des Gesetzgebers zum Ausdruck kommen, sondern natürlich auch ein Interesse auf die Daten zuzugreifen. Denn das ist ihm ja gesetzlich erlaubt. Es ist ja nicht so, dass die Unternehmen, wie Facebook oder Google, freiwillig solche Daten rausgeben würden, natürlich auf Anfrage auch reagieren müssen.
Deutschlandradio Kultur: Um das noch mal klar zu stellen: Gewerbliche Datensammler wie Facebook oder Google, die beschaffen also die Datensätze, mit denen dann Ermittlungsbehörden nach Herzenslust Rasterfahndungen machen können, Profile erstellen können, Kommunikationsmuster erstellen können? In welchem Umfang geschieht so was? Weiß man das?
Constanze Kurz: Na ja, die Zahlen für Google sind zum Beispiel transparent. Facebook hat bisher solche Transparenzberichte nicht veröffentlicht. Es gibt natürlich in einigen Ländern Strafverfolgungsbehörden, die da Zahlen veröffentlichen. Man kann, glaub ich, generell für Europa und die USA sagen, dass die Anzahl dieser Zugriffe steigt. Und letztlich haben wir hier eigentlich ein Feld, was noch wenig reguliert ist. Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit für die Strafermittler, so sie denn technisch in der Lage sind und auch die Anzahl der Ermittler haben, die sich da einsetzen, dass sie auf diese Daten zugreifen. Das wird zunehmen. Denn an spektakulären Fällen, die man auch international sehen kann, gerade über Facebook tatsächlich Schwerverbrecher dingfest gemacht worden. Da wird in den nächsten Jahren noch eine Menge passieren.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir mal bei der Innensicherheit. Kürzlich waren Sie, Frau Kurz, im Fernsehen zu bewundern, wie Sie zusammen mit Streitern vom Chaos-Computer-Club den so genannten Staats- oder Bundestrojaner präsentiert haben. Ist Ihnen da ein richtig dicker Fisch ins Netz gegangen oder haben Sie nur an der Spitze eines Eisbergs gekratzt?
Constanze Kurz: Na, ich denke, wir haben wohl an der Spitze eines Eisbergs gekratzt, denn was der Chaos-Computer-Club hier gemacht hat, ist erst mal, eine bestimmte Spionagesoftware zu untersuchen und vor allen Dingen zu ergründen, welche Funktionalitäten hat sie und welche kann sie potenziell noch haben, wenn man weitere Komponenten nachlädt.
Es geht ja erst mal um eine technische Analyse, die wir gemacht haben, um nachzugucken, wo ist eigentlich da eine technische Grenze. Wie ist die gezogen worden? Und wo fehlt diese technische Grenze? Und wie ist auch dieser Trojaner, also diese Infiltration des Rechners, wie ist die umgesetzt worden, auch gerade vor dem Hintergrund des Verfassungsgerichtsurteils zur so genannten Onlinedurchsuchung?
Da ist natürlich, glaub ich, die Bewertung davon unabhängiger Teil. Denn zunächst mal haben wir auf die Technik geguckt. Wir sind halt ein Hacker-Club. Aber dabei ist uns natürlich mehrfach doch echt die Kinnlade runter geklappt, und nicht nur die Frage, welche Funktionen dort normalerweise implementiert werden, wie eben diese vielen tausende Bildschirmfotos, die gemacht wurden in dem einen konkreten Fall, sondern vor allen Dingen die Möglichkeit, jeden beliebigen Schadcode nachzuladen, also, beliebige Komponenten, die letztlich eine vollständige Fernsteuerung des Rechners ermöglichen. – Da waren wir doch erstaunt. Denn das ist ja tatsächlich rechtswidrig und auch sehr klar. Also, das wissen auch schon Laienjuristen. Und wir haben natürlich dann auch mit vielen Juristen Kontakt aufgenommen, die uns weitere Bewertungen und Interpretationen des Urteils mit uns besprochen haben und die diesen Rechtsbruch für uns noch viel deutlicher gemacht haben.
Deutschlandradio Kultur: Es gab dann ein ziemliches Hin und Her, welche Behörde diesen Trojaner denn überhaupt eingesetzt hat und was der Trojaner eigentlich kann. Sie sagten ja, dass da einiges möglich ist. Waren die politisch Verantwortlichen wirklich so schlecht informiert oder wurden da Nebenkerzen geworfen?
Constanze Kurz: Na ja, es gibt eigentlich für beide Varianten ganz gute Gründe. Man hatte am Anfang den Eindruck, dass die Landes- und Bundespolitiker relativ kopflos reagiert haben und tatsächlich auch erstmal in ihren Ermittlungsbehörden nachfragen mussten. Dennoch kann man sich die Frage stellen, ob man über so viele Jahre – denn wir reden ja von einem Trojaner, der zu Anfang über zweieinhalb Jahre alt war, den letzten, den wir jetzt veröffentlicht haben, der ist halt wenige Monate alt... Wie kann dann eigentlich sein, dass die kontrollierenden Behörden, bis hinauf zum Ministerium, keine Ahnung haben?
Deutschlandradio Kultur: Liegt's da einfach am Fachwissen?
Constanze Kurz: Ja, das kann schon sein, aber man kann eigentlich auch eine Software nicht gut analysieren, wenn man den Quellcode des Anbieters gar nicht bekommt. Das ist ja der Fall. Das haben Landes- und Bundesinnenministerium zugegeben. Das halten wir eigentlich für einen Skandal. Aber noch schlimmer ist aus meiner Sicht der Skandal, dass nach wie vor sowohl der bayerische Landesminister wie auch der Bundesinnenminister dieses Vorgehen rechtfertigen und nicht auch, gerade als Leiter dieser Behörden, Konsequenzen fordern.
Deutschlandradio Kultur: Also, es ist so: Der Quellcode, also, sozusagen das Innenleben dieses Trojaners…
Constanze Kurz: Der Bauplan eigentlich.
Deutschlandradio Kultur: …der Bauplan, der ist den Behörden gar nicht so genau bekannt. Den kennen nur ein paar Programmierer. Und man kauft dann sozusagen die Katze im Sack.
Constanze Kurz: Richtig. Was die Behörden bekommen haben, ist so eine Art Produktpräsentation. Dazu wurde ihnen natürlich tatsächlich die Funktionalität vorgeführt. Man muss sich also vorstellen, man hat dann wie im Labor zwei, drei Rechner und man bekommt gerade so die Steuerungssoftware, mit der man ja als Ermittler dann eben die Funktionalitäten steuert, vorgeführt. Das hat natürlich mit der Prüfung, mit der ernsthaften Prüfung einer Software, auch dahingehend, ob dort Hintertüren vorhanden sind, und natürlich auch, ob dort Fehler in der Software sind, nicht zu tun.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, Sie haben es schon erwähnt, wie die Behörden Programme á la Trojaner einsetzen dürfen und wie nicht. Lassen sich denn die vielen Möglichkeiten, die diese Schnüffelsoftware bietet und die sich ja auch immer weiterentwickelt, lässt sich das juristisch überhaupt bändigen? Gibt’s überhaupt eine verfassungsgemäße Schnüffelsoftware?
Constanze Kurz: Ja, selbstverständlich gibt’s die. Man kann das Urteil, das ja auch technisch sehr präzise ist, nach einer langen, auch sehr technischen Diskussion in Karlsruhe, sehr genau lesen und wird sich an die Vorgaben halten müssen. Das ist ja nicht optional. Es scheint jetzt auch in der politischen Debatte so zu sein, als wenn gerade der Bundesinnenminister, der ja in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das auch so formulierte, man müsse sich da jetzt erst einmal eine Rechtsauffassung bilden und da gäbe es halt verschiedene Meinungen. – Letztlich ist das Urteil aus Karlsruhe bereits gefallen. Es ist drei Jahre alt.
Insofern, sehr wohl kann man sich überlegen, wie man diese Technik einsetzt – gemäß des Urteils. Und aus meiner Sicht werden dann Bereiche der Infiltration durch den Staat nicht mehr offen stehen. Denn das Urteil sagt zum Beispiel über diese so genannte Quellentelekommunikationsüberwachung, also, das Abhören der Internettelefonie, dass dieses konkret technisch und rechtlich abzusichern ist, damit eben nur die Kommunikation abgehört werden kann. Da ist nicht die Frage, ob das denn geht, sondern wie man das umsetzt. Denn das Urteil aus Karlsruhe ist unmittelbares Recht.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir mal bei Karlsruhe. Es muss ja nicht immer das Trojanische Pferd sein. Auch das gute alte Hamstern hilft dem Staat, mehr über seine Bürger zu erfahren – Stichwort: Vorratsdatenspeicherung. Dabei sollen Telekommunikationsunternehmen die Verbindungsdaten aller Nutzer für einen bestimmten Zeitraum speichern, also nicht, was gesagt oder geschrieben wurde, sondern wer mit wem wann kommuniziert hat. Ein entsprechendes Gesetz hat der Bundestag 2007 verabschiedet. Karlsruhe, das Bundesverfassungsgericht also, hat das 2010 gekippt. Zurecht?
Constanze Kurz: Aus meiner Sicht natürlich, denn die Regelungen, wie sie in dem Gesetz zuvor vorhanden waren, waren ganz klar verfassungswidrig. Aber das Gericht hat ja nicht gesagt, eine anlassunabhängige Speicherung dieser Kommunikations- und Bewegungsdaten sei per se nicht machbar, sondern es hat ja Wege aufgezeigt.
Allerdings finde ich eigentlich die Haltung der Bundesjustizministerin, die ja doch sagt, okay, es gibt in Brüssel eine Debatte, ob die Richtlinie, die ja Deutschland verpflichtet, so bestehen bleibt.
Deutschlandradio Kultur: Also, es gibt eine EU-Richtlinie, die uns dazu verpflichtet, Vorratsdatenspeicherung in irgendeiner Form einzuführen?
Constanze Kurz: Genau. Also, die ist in der Debatte. Die wird ja auch noch evaluiert. Da gibt’s viele Fragen. Denn letztlich, das Urteil zeigt einen Weg auf, wie man eventuell so eine Lösung finden könnte. Aber es heißt ja nicht, dass der Gesetzgeber die auch beschreiten muss. Es gibt alternative Lösungen. Und letztlich, glaube ich, sollten wir zu einer guten Balance kommen. Es scheint mir keine gute Balance zu sein, von vornherein – vom Kind bis zum Greis – alle Kommunikationsprofile zu erhalten, zumal, ich glaub, die Datenskandale, auf die wir in den letzten Monaten und Jahren blicken, uns doch eine Warnung sein sollten.
Es gibt schließlich in Europa Prinzipien, die den Datenschutz und damit auch den Schutz der Menschen betreffen. Und ein wichtiges davon ist die Datensparsamkeit. Denn Daten horten, richtig große Hortungen, die nicht entstehen, schützen natürlich auch Menschen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Sie sind nicht dafür, dass man Vorratsdatenspeicherung generell verbietet? Also, in irgendeiner Form macht es schon Sinn, zum Beispiel zur Strafverfolgung?
Constanze Kurz: Ich denke, für die Strafverfolgung ist eigentlich das Mittel der Vorratsdatenspeicherung nicht das mildeste und verhältnismäßigste Mittel. Ich würde das ablehnen aus dem Grund, weil ich glaube, dass die Möglichkeiten, auf diese Bestandsdaten, aber auch auf Verbindungsdaten von Telekommunikation zuzugreifen, heute in unserer Gesetzgebung absolut ausreichend sind. Es wird ja auch in großem Maße getan. Ich glaube, dass den Strafermittlern nicht der Blick in eine Vergangenheit von uns, und zwar von uns allen, ermöglicht werden sollte. Das ist aus meiner Sicht auch eine Frage der Unschuldsvermutung. Nicht jeder der kommuniziert, soll letztlich digital festgehalten werden, falls er mal straffällig werden würde. Ich halte diese Haltung, auch dieses Menschenbild, was dahinter steht, für falsch. Und ich glaube, sogar in den digitalen Zeiten, in die wir gehen, wäre ein Umdenken und Neudenken in dieser Hinsicht schon wichtig.
Das heißt nicht, dass Telekommunikationsdaten sakrosankt wären. Ich denke schon, dass die Ermittler die brauchen. Ich glaube aber nicht, dass im Wege dieser anlasslosen Speicherung da eine gute Lösung gefunden werden kann, die auch Bürgerrechten genügt.
Deutschlandradio Kultur: Es geht eigentlich bei diesen ganzen Debatten um Sicherheit um die Frage von Transparenz und Privatsphäre. Also, einerseits, wie viel offenbare ich im Internet von mir selbst? Wie viel dürfen Firmen, wie viel darf der Staat über mich wissen als Bürger und als Konsument? Andererseits: Was muss geschützt werden? Wie anonym darf ich sein, wenn ich mich im Internet bewege? Oder ist Datenschutz gar nicht mehr machbar angesichts der technischen Möglichkeiten, die wir heute haben?
Constanze Kurz: Na ja, es gibt jetzt eine ganze Menge Rufer, die sagen, dass das die Ära der Privatheit zu Ende sei. Ich halte das natürlich für Unsinn, ehrlich gesagt. Denn ich glaube, dass dieser Schutz der Privatheit, der zutiefst menschlich ist und eine Selbstverständlichkeit eigentlich für zumindest die neueren westlichen Gesellschaften, sag ich jetzt mal, die nach der Aufklärung.... dann denke, das Gefühl dafür, dass man ein Stück Privatsphäre braucht und dass man auch die Kontrolle darüber behalten möchte, wer was über einen weiß, gerade Fremde oder Menschen, zu denen man in einer gewissen Machtasymmetrie steht, ist eine Selbstverständlichkeit und, ich glaube, auch ein aufklärerischer Wert.
Dennoch sollte man sehen, wer hinter diesen Rufen nach dem Ende der Privatsphäre steht. Und das sind letztlich in der Regel genau die Profiteure der großen Datensammlungen. Der letzte große Name, der dieses Ende der Privatheit vor großem Publikum verkündet hat, war Marc Zuckerberg. Das ist genau derjenige, der Facebook begründet hat und natürlich von diesen Daten profitiert, aber auch von dem Ideologiewandel.
Ich glaube, dass wir in den nächsten drei, vier Jahren doch noch intensiv darüber debattieren werden, dass es aber letztlich, glaub ich, zu auch einem Umdenken kommen wird. Denn gerade, wenn sich jetzt so anfangs die ersten Fälle zeigen von Menschen, die schon sehr viele Jahre sehr transparent, auch freiwillig transparent im Netz leben, und man dann plötzlich sieht, welche Folgen das haben kann, oder auch gerade mit einer alternden Gesellschaft, die ja auch damit umgehen muss, dass zum Beispiel psychologische oder medizinische Probleme vielleicht nicht jedem bekannt sind, das ist ja ein zunehmendes Problem. Da wird sich, glaub ich, die Debatte um die Privatheit noch mal ändern. - Jetzt der Ruf nach dem Ende der Privatheit, ich halte das für sehr überzogen und oftmals profitorientiert.
Deutschlandradio Kultur: Frau Kurz, wir haben die ganze Zeit über die Gefahren gesprochen, über all das, was im Internet droht. Ich will jetzt auch mal was Nettes sagen und zitieren: "Die politische Freiheit und Gleichheit der Bürger realisiert sich im Netz zum ersten Mal in Permanenz." Das Zitat stammt vom CDU-Politiker Peter Altmaier. Und der sieht im Internet eine Chance für die Teilhabe an Politik, wie es sie seit der Französischen Revolution nicht mehr gegeben habe. Ist das Internet also die Vollendung der Demokratie?
Constanze Kurz: Na ja, natürlich sind in gewisser Weise viele Chancen zu sehen. Und wenn man manchmal, also, gerade als Datenschützer oder gerade als Hacker, der auf Gefahren hinweist, hat man oft so dieses, ach, na ja, man sollte auch mal an die Chancen denken. – Das ist für mich aber eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Seit vielen Jahren sehen wir natürlich, dass sich Prozesse ändern. Auch die Möglichkeit mitzuwirken an der Politik hat sich dramatisch gewandelt. Ich selbst habe das auch in der Enquetekommission im Deutschen Bundestag gesehen, wie dort versucht wird, auch die Transparenz ganz praktisch zu machen, den Bürger zu beteiligen. Ich glaub, die Chancen sind da deutlich größer als die Risiken. Aber man muss die Risiken schlicht mitdenken.
Ich glaube, dass es bereits eine Gegenöffentlichkeit gibt im Netz, die sich auch artikuliert und die Einfluss hat, und gerade an dem Beispiel von Peter Altmaier kann man es, glaub ich, gut sehen, das ist heute schon Realität, und dass auch die ganze Medienlandschaft vor einem Umbruch steht. Dieser Umbruch hat zu tun mit dieser neuen Netzöffentlichkeit. Für mich sind's gerade spannende Zeiten. Also, ich freue mich da durchaus auf die Zukunft. Ich hab da keine Angst vor, im Gegenteil.
Deutschlandradio Kultur: Was bedeutet da für Sie der Erfolg, den die Piratenpartei zurzeit hat? Haben die nur ein neues Spezialthema gefunden, das die Etablierten bisher übersehen haben, wie damals die Grünen mit der Umweltfrage? Oder ist das wirklich die Chance für eine neue Art, Politik zu machen, nämlich als offene, als transparente Debatte und Entscheidungsfindung im Netz, bei der alle mitmachen können?
Constanze Kurz: Na ja, das Phänomen der Piratenpartei, gerade hier in Berlin, ist natürlich faszinierend für jemanden, der ein politischer Mensch ist. Aus meiner Sicht entsteht hier gerade ein großer Umbruch. Und die nächsten 10 oder 5 Jahre werden, glaub ich, sehr spannend, wenn sich einige Strukturen in dieser Piratenpartei festigen und vielleicht auch ein paar Köpfe hervortreten, die eine gewisse Vision präsentieren können für die Zukunft.
Die Netzpolitik, für die die Piratenpartei ja steht, ist natürlich gerade so eine bisschen kontrovers debattiert, aber längst nicht übersehen von den anderen Parteien. Man kann ja in den letzten zwei, drei Jahren sehen, dass sich die netzpolitischen Sprecher von allen Parteien doch sehr stark etabliert haben, dass sie häufiger befragt werden, dass sie präsenter sind.
Zum anderen glaube ich aber, dass das Phänomen dieser Piratenpartei auch sehr stark mit dem Auftreten zu tun hat. Ich habe den Eindruck, dass der Überdruss eines großen Teils der Bevölkerung an diesem Politikersprechen, an dieser Art zu formulieren und die immer gleichen Wortwendungen zu benutzen im politischen Diskurs, dass dieser Überdruss sich auch gerade an dieser neuen Kraft Piratenpartei zeigt, die anders ist, die nicht wirkt wie etablierte Politiker, sondern eher wie: Da ist der Bürger ins Parlament gewählt worden jetzt hier in Berlin. Also, ich glaube, dieser gewisse Dilettantismus, der sich zeigt, oder zumindest noch nicht so etablierte, es fängt schon bei der Kleidung an, aber geht auch weiter mit den Reden, riecht schon so ein bisschen nach Revolution, nicht wahr?
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie auf die berühmte einsame Insel verschlagen würden und Sie könnten nur ganz wenige Dinge mitnehmen, wäre ein Laptop dabei?
Constanze Kurz: Es kommt drauf an. Wenn ich Strom habe auf der Insel, würde ich schon ganz gerne auch einen Laptop mitnehmen natürlich. Für mich ist ein Computer ein universelles Werkzeug, mit dem ich natürlich viele Stunden am Tag verbringe. Wenn ich keinen Strom hätte, würde ich, glaub ich, darauf verzichten.
Deutschlandradio Kultur: Und auch das nicht bedauern?
Constanze Kurz: Na ja, wenn man keinen Strom hat. Für sechs oder acht Stunden Akku würde ich, glaub ich, einen Computer nicht mitschleppen, wenn ich drei Dinge auswählen könnte.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch. Für Ihr Interesse bedankt sich Patrick Garber.