Veränderte katholische Welt
Im Bayerischen Wald ist die katholische Welt noch in Ordnung, könnte man meinen. Vor allem in den Dörfern sind meist 90 bis 95 Prozent der Bevölkerung römisch-katholisch, fast alle sind getauft. Doch auch hier bröckelt die alte Ordnung.
In Frauenau sind die Kirchenglocken nicht zu überhören. Sie läuten morgens, mittags und abends - und immer, wenn eine Messe ansteht. So wie an diesem Samstagnachmittag. Für Samira, Sarah und Penélope höchste Zeit, in die Sakristei zu kommen, in den Nebenraum der Kirche, wo die Messgewänder hängen. Die drei Mädchen zwischen 12 und 14 sind Messdienerinnen, oder Ministrantinnen, wie man im Bayern sagt.
Mädchen: "Wenn man reingeht, dann muss man die Glocke läuten, und dann auch Hostie machen und das muss man halt lernen."
anderes Mädchen: "Und das Glaubensbekenntnis, oder das "Lamm Gottes" oder das "Vater unser", aber das wissen eh die meisten."
Sonntag für Sonntag stehen die Mädchen in ihren weißen Messgewändern vorne am Altar, bringen dem Pfarrer Wasser und Wein, beten mit ihm. Und wenn der Pfarrer die Hostie hochhebt, dann schütteln sie die kleinen silbernen Glocken, damit die Gemeinde hinten den wichtigsten Moment der Messfeier auch wirklich mitkriegt.
Fast 40 Ministranten hat die Pfarrei Frauenau im Bayerischen Wald. 40 Ministranten, bei 2700 Einwohnern. Nachwuchs zu finden, erzählt der Oberministrant Raimund Kreuzer, sei eigentlich kein Problem. Im Bayerischen Wald arbeiten Kirche und Schule noch Hand in Hand.
"Wir gehen, wenn die Kinder Kommunion haben, in die 3. Klasse im Rahmen des Religionsunterrichtes einmal mit hinein, stellen die Ministrantenarbeit vor, geben mal einen Querabriss, was die Ministranten machen, wie die Ministrantenarbeit aussieht. Wir haben da eine Ausbeute – Ausbeute ist jetzt ein schlechter Begriff – bei kleineren Jahrgängen sind's zwei Kinder, bei größeren Jahrgängen zwischen vier und sechs."
Der 26-jährige Raimund Kreuzer ist einer, der sich kümmert. Er ist in Frauenau aufgewachsen, rund 60 Kilometer nördlich von Passau, in einer sehr religiösen Familie. Viele Jahre hat er ministriert und ist dann zum Wirtschafts- und Theologiestudium erst nach Bamberg, dann nach Rom gegangen. Seit einigen Monaten arbeitet Kreuzer als Lehrer in Mühldorf am Inn. Wenn es irgendwie geht, dann fährt er an den Wochenenden nach Hause, zwei Stunden mit dem Wagen. In Frauenau kümmert er sich um die Pfarrei und um die Ministranten. Seine Religion und seine Heimat, die gehören für ihn zusammen. Vor allem in den größeren Städten, da sei es mit dem Katholizismus nicht so weit her, sagt er. Das habe er schon im Theologiestudium gemerkt.
"Alle Studienkollegen, die ich hatte, waren vom Land. Aus dem Bamberger Raum waren es zwei, die direkt aus Bamberg waren, aber ansonsten eigentlich alle aus dem peripheren Raum."
Die Stadt und das Land, das ist hier in Frauenau ein großes Thema, über das viel geredet wird. Und dass die Religion im Bayerischen Wald noch eine selbstverständliche Rolle spielt, die sie draußen, wie sie hier sagen, längst verloren hat. Aber das ändere sich gerade, erzählt Raimund Kreuzer, man könne fast zuschauen. Früher, als sie in den Dörfern im Bayerischen Wald noch unter sich waren, da habe sich das ganze Leben um den katholischen Glauben gedreht. Die Jugendlichen heute dagegen werden jedenfalls nicht nur wegen ihres Glaubens Messdiener:
"Jeden Freitag ist Ministrantenstunde, und da kommen dann alle zusammen. Wenn wir wegfahren, dann machen wir meistens so Spiele oder fahren in ein Jugendhaus, und sind wir dann alle als Gruppe. In der Frühe ist dann meistens ein Gottesdienst. Und dann fahren wir meistens ins Schwimmbad oder so und unternehmen ganz viele Erlebnisse."
"In München waren wir noch keine Ministranten"
An den Zugezogenen liegt es jedenfalls nicht, wenn den Frauanauern der Glaube abhanden kommt. Denn es gibt nicht so viele, die in den Bayerischen Wald ziehen. Der normale Weg geht in die andere Richtung. Die Menschen ziehen weg und kommen nicht wieder, die Jungen gehen zum Studieren nach Nürnberg oder München, die älteren zum Arbeiten nach Deggendorf oder Regensburg. Die Messdienerinnen Penélope und ihre Schwester Samira gehören zu den wenigen, die nicht hier geboren, sondern mit ihrer Familie aus München zugezogen sind. Und sie bestätigen im Grunde genommen alles, was man in Frauenau über Städter und Religion zu wissen glaubt:
"In München waren wir noch keine Ministranten. Also vor vier Jahren sind wir hergezogen, dann haben wir mit dem Ministrieren angefangen, weil's dann auch Spaß gemacht hat, und dann haben wir uns taufen lassen und dann sind wir dadurch auch Ministranten geworden. Von meiner Familie ist eigentlich keiner gläubig, außer meiner Mutter, die ist Buddhistin. Es hat sich halt erst jetzt ergeben."
200 Meter weiter oben, am Marktbrunnen vor dem schmucken Rathaus. Gegenüber steht die Volksbank, daneben ein Gasthaus, eine Weinhandlung, zwei Bäckereien und der übliche 70er-Jahre-Bau der Sparkasse. Überragt wird das alles von der barocken Kirche mit dem wuchtigen Kirchturm und dem typisch bayerischen Zwiebeldach obendrauf. Frauenau ist ein hübsches Dorf mitten im Wald, keine Schönheit, aber ganz hübsch.
Zehn Kilometer sind es von hier bis zur tschechischen Grenze, drei Kilometer bis zum Nationalpark Bayerischer Wald, der drüben in Tschechien Böhmerwald heißt. Die Touristen kommen hierher, um die Landschaft und die Ruhe zu genießen.
Volksfest hinterm Pfarrhaus. Die Katholische Arbeitnehmerbewegung feiert ihr 125-jähriges Bestehen. Der Pfarrer hat im Pfarrgarten ein Bierzelt aufstellen lassen, und alle, die in Frauenau etwas zu sagen haben, sind gekommen. Die Präsidenten der Vereine, die Gemeinderäte und natürlich der Bürgermeister. Wenn im bayerischen Wald irgendwo katholisch draufsteht, dann muss auch der Bürgermeister etwas sagen:
"Ich gratuliere Euch allen zu diesem Jubiläum, ich danke allen Funktionärinnen in der KAB, die jetzt und auch in der Vergangenheit diese KAB auf den Beinen gehalten haben und wünsche uns allen einen wunderschönen Festtag und ein Glückauf der KAB Frauenau, KAB Männerwerk KAB Frauenau, herzlichen Dank. Applaus."
Etwas abseits, an einem der langen Biertische, sitzt Alfons Eisch, ein kleiner, hagerer Mann über 80. Eisch ist seit mehr als 60 Jahren in der Arbeitnehmerbewegung. Damals, 1954, erzählt er, da haben sie für den Männerchor einen Tenor gebraucht, und deshalb ist Alfons Eisch heute in der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, obwohl er kein Arbeitnehmer ist, sondern eher Fabrikbesitzer. Zusammen mit seinen Brüdern und seiner Tochter führt er eine der drei Glashütten am Ort. Die Glasmacherei ist immer noch der wichtigste Wirtschaftszweig im Bayerischen Wald.
Lieber in die Disco als zu katholischen Vereinsabenden
Die Brüder Eisch in Frauenau haben ihre Nische gefunden. Sie machen alles von Hand, Sonderanfertigungen für Russland, für Saudi-Arabien, für den Iran, Trinkgläser mit Goldverzierungen oder mit Glaskristallen im Boden. Arbeiten also, die Maschinen nicht so schön hinbekommen. Aber Arbeiter entlassen mussten auch die Brüder Eisch, und manche im Ort fanden das dann schon komisch: Der Alfons Eisch war ja schließlich in der Arbeitnehmerbewegung.
"Na ja, ein bissl komisch, ein Unternehmer, warum ist der bei der katholischen Arbeiterbewegung. Aber warum soll ich da austreten, weil ich auch zu den Unternehmern gehöre, was wir da so mühsam aufgebaut haben. Wir waren ja auch normale Glashüttenmenschen, Glasschleifermeister, mein Vater war Graviermeister, der war auch schon bei der Arbeiterbewegung, warum soll ich mich da jetzt absondern, weil ich nicht mehr dazugehöre. Nein, das wäre mir gegen den Strich gegangen, ich bin dabei geblieben bis zum heutigen Tag."
Das Katholische war im Bayerischen immer wichtiger als die Klassenzugehörigkeit. Das katholische Männerwerk, wie die Arbeiterbewegung in Frauenau anfangs hieß, war vor allem ein Sozialhilfeverein.
"Das waren die Vorreiter für die Gewerkschaften. Wenn irgendwo eine Kuh eingegangen ist, dann hat der Verein zusammengestanden, hat dem so viel Geld gegeben, dass er wieder eine Kuh kaufen hat können. Das war eine sehr arme Gegend bei uns da."
Die Katholische Arbeitnehmerbewegung sammelte vor allem jene Arbeiter ein, denen die richtigen Gewerkschaften zu links waren. Heute hilft die KAB zum Beispiel bei Rechtsstreitigkeiten mit dem Arbeitgeber. Im Prinzip. Sie hat bloß immer weniger Mitglieder, die noch einen Arbeitgeber haben.
Das lässt sich sehr schön später am Nachmittag besichtigen. Der Vereinsvorsitzende überreicht den verdienten Mitgliedern eine Urkunde und eine Flasche Rotwein:
"60 Jahre Mitgliedschaft im Männerwerk, der Richard Seitz, 60 Jahre Mitgliedschaft auch für Herrn Ignaz Seidl, ein langjähriger Sangesbruder in unserem Sängerkreis, der viele Feste mit uns gefeiert hat und viele Ausflüge mit uns gestaltet hat und wunderbar gesungen hat."
60 Jahre Mitgliedschaft, 50 Jahre Mitgliedschaft, 40 Jahre Mitgliedschaft. Weniger als 40 Jahre haben nur der Vorsitzende, Erich Schreiner, und seine Frau. Nach der Ehrung steht Schreiner ziemlich nachdenklich zwischen den Biertischen. Er macht sich Sorgen, dass es mit seinem Verein langsam zu Ende geht. Schließlich fehlen nicht nur die Jungen, auch das Katholische, findet er, geht langsam verloren.
"Die Kirche spielt schon lange keine Rolle mehr in den Köpfen der Bürger, denen geht's immer noch zu gut. Wenn man zurückschaut: Die Menschen sind dann in die Kirche gegangen, wenn's schlecht ging, wirklich schlecht ging. Und anscheinend geht es den Bürgern immer noch zu gut."
Erich Schreiner ist heute etwas verbittert. Das liegt auch daran, dass doch deutlich weniger Menschen zur Geburtstagsfeier der Arbeitnehmerbewegung gekommen sind, als er erwartet hatte. Einige Biertische sind leer geblieben, und auch die Stimmung ist nicht so ausgelassen wie sie früher war. Vorne am Eingang stehen ein paar Jugendliche in Dirndl und Trachtenanzügen, ansonsten nur ältere Menschen - und auch die paar Jungen sind nicht wirklich da: Die Augen auf ihre Smartphones gerichtet, sind sie in Gedanken ganz wo anders.
So ist das heute, klagt der KAB-Vorsitzender Erich Schreiner, die Jungen wollen sich nicht mehr engagieren. Sie gingen lieber in den Fitnessclub als in den Sportverein, und lieber in die Disco als zu den Abenden der Katholischen Arbeitnehmerbewegung.
"Auf alle Fälle geht da im Ort was verloren. Denn, ich sag mal, das Zusammengehörigkeitsgefühl auch in der katholischen Bevölkerung ist nimmer da. Ist sicherlich ein Problem im Ort. Die Vereinsstrukturen sind nicht mehr so da, die Jüngeren sind nicht mehr da, die Älteren sterben weg und können auch nicht mehr so. Und aus dem Grund geht eigentlich alles verloren an Kultur, was in Frauenau einmal da war."
Die Leute sind katholisch, aber immer weniger religiös
Dienstagmorgen, acht Uhr: Pfarrer Lorenz Glatz ist auf dem Weg zur Frühmesse. Ein gemütlicher älterer Herr, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt, schon gar nicht durch eine Horde Schulkinder, die ihm entgegen kommt. Einer der Jungen springt am Pfarrer hoch und fährt ihm mit den Fingern durch die Haare. Lorenz Glatz bleibt stoisch, lacht. Er kennt die Kinder aus dem Religionsunterricht, drei Stunden sieht er sie, jede Woche.
"Es sind ja zwei Grundschulen. Die Kinder haben noch mehr Respekt, als wenn die Kinder dann in die Pubertät kommen. Da wird's dann schwieriger mit dem Unterrichten. Und es ist auch so, dass wir auch noch sehr viele einheimische Kinder haben. Also ganz wenig zugezogene Fremde."
Bei den Einheimischen, meint Pfarrer Glatz, da zählt die Religion noch, die lernen zuhause noch beten, da legen die Eltern noch Wert darauf, dass die Kinder in Religion eine anständige Note nach Hause bringen. Bei den Zugezogenen, da sei das nicht mehr so eindeutig.
Die Kirche, in der Pfarrer Glatz die Messe liest, ist eine der schönsten Rokoko-Kirchen im Bayerischen Wald. Die gewölbte Decke ist mit bunten Fresken bemalt, die von der Himmelfahrt Mariens erzählen, eingerahmt von farbigem Stuck und goldenen Ornamenten. Vorne drei Hochaltäre, goldene Kapitele, barocke Heiligenfiguren, dazwischen Pfarrer Glatz - und hinten in den Kirchenbänken, da sitzen zehn Besucher, die sich in den langen Bänken verlieren. Zehn Kirchgänger in der ganzen großen Kirche, die meisten übrigens Frauen, keine unter 70. Ein paar Minuten später kommt Pfarrer Glatz wieder in die Kirche, jetzt in Jeans und offenem Hemd. Durch die hohen Kirchenfenster scheint die Vormittagssonne. Eigentlich ist Frauenau ein Wallfahrtskirche, erzählt er, aber Pilger seien selten geworden.
"Es kommen noch einige von auswärts nach Frauenau, die jährlich zwei, drei Gruppen oder sowas, die also hier auch einen Gottesdienst feiern, die also unterwegs sind zu Fuß, aber ansonsten ist das eine Wallfahrtskirche, wo früher zahlreiche Wallfahrten stattgefunden haben. Hier hinten sieht man das also auch, es sind noch vier Beichtstühle hier. Das wird überhaupt nicht mehr praktiziert, das ist ganz eingeschlafen, das Beichten. "
Wallfahrten, Beichten, Fastenzeiten, vergangene Glaubensrituale, alles längst verschwunden, klagt der Pfarrer. Bald werden vielleicht auch die Werktagsgottesdienste Vergangenheit sein, weil niemand mehr kommt. Am Sonntag werde es vermutlich weiterhin Messen geben, aber auch da lasse der Besuch bereits deutlich nach, klagt der Pfarrer: Die Leute sind katholisch hier, aber immer weniger religiös.
"Der Katholizismus ist noch verwurzelt, es ist aber ein Traditionskatholizismus. Es ist so, dass die Sakramentenspendung noch wichtig ist für die Leute, kirchliche Trauungen, die werden jetzt auch schon weniger, aber Taufen, also fast alle lassen sich noch taufen. Kommunion und Firmung ist bei denen noch sehr wichtig und das gehört noch zum Leben dazu, aber ansonsten ist es so, dass eigentlich der Glaube ziemlich verdunstet."
Als Pfarrer Glatz von sieben Jahren nach Frauenau versetzt wurde, da dachte er, dass die Glaubenswelt hier oben noch weitgehend in Ordnung ist. In München oder Berlin, sagt er, da sieht man sofort, dass die Religion aus dem Alltag verschwindet oder schon verschwunden ist. Hier, in den Dörfern des Bayerischen Waldes, da sind die Zeichen nicht so deutlich.
"Im Dorfleben merkt man das nicht so stark, was jetzt dörfliche Veranstaltungen betrifft, da ist der Zusammenhalt eigentlich relativ gut hier in Frauenau, die unternehmen auch sehr viel miteinander, weil es ein Traditionschristentum ist. Man hält noch an alten Bräuchen fest, und diese alten Bräuche, die überliefert worden sind und die noch praktiziert werden, die halten also das Volk noch irgendwo auch zusammen. Und bieten auch die Möglichkeit, dass man sich ehrenamtlich engagiert."
Erstkommunion als Abschied von der Kirche
Fronleichnamsprozession, Drei-Königssingen, Kirchweih, Erntedank und Pfarrfest, das sind katholisch besetzte Ereignisse, die den Jahresablauf in Frauenau nach wie vor prägen. An Weihnachten und Ostern ist die Pfarrkirche sogar richtig voll. Da kommen alle, um sich das richtige Weihnachts- und Ostergefühl abzuholen, das weiß auch Pfarrer Glatz. Als festliche Kulisse für Feierlichkeiten ist die Kirche sehr beliebt. Vor allem die Erstkommunion nehmen viele junge Familien zum Anlass für ein großes katholisch geprägtes Familienfest. Früher habe die Erstkommunion die Aufnahme der Jugendlichen in die Kirchengemeinde markiert, sagt der Pfarrer. Heute sei die Erstkommunion der Abschied von der Kirche.
"Es ist sehr stark jetzt feststellbar, dass die Kommunionkinder, die also jetzt die Kommunion noch feiern und beim Gottesdienst teilnehmen, dass die dann im Anschluss total weg sind und nicht mehr den Gottesdienst besuchen, weil die Eltern auch nicht mehr gehen. Es ist dieses Jahr ganz stark feststellbar gewesen, dass sie nur noch zur Kommunion da waren und dann der Feiertag, der Christi-Himmelfahrts-Tag oder andere Feiertage, da hat man fast keine Kommunionkinder mehr gesehen."
Pfarrer Lorenz Glatz steht etwas verloren in seiner wunderbaren Wallfahrtskirche. Die hellen Sonnenstrahlen, die schräg durch den Altrarraum fallen, schaffen einen seltsamen Kontrast zur düsteren Perspektive der Pfarrei. Die Entwicklung in den Städten, wo der Glaube praktisch vollständig aus dem Alltag verschwindet oder schon verschwunden ist, die werde bald auch den Bayerischen Wald einholen- da ist sich Pfarrer Glatz sicher.
"Das kommt also später dran, das dauert vielleicht zehn Jahre oder noch länger und trifft uns aber dann auch."
Draußen auf dem Friedhof, gleich an der Kirche, sind ein paar Frauen mit Tannenzweigen und Gießkannen unterwegs.
"Das ist das Grab von meinem Schwiegervater und vom Bruder von meinem Mann, und meine Mutter liegt hier begraben und dann hab ich auch noch ein weiteres Grab zu pflegen."
Es sind immer dieselben Frauen, die jeden Tag oder fast jeden Tag zum Friedhof kommen. Man kennt sich, man trifft sich.
"Der Friedhofsratsch gehört dazu, das ist Teil vom Leben und das ist auch sehr schön."
Autor: "Der Pfarrer beklagt, dass immer weniger Leute in die Kirche gehen."
"Ich denke, das ist jetzt die Zeit, wo keiner mehr die Kirche so recht braucht. Und ich glaube, wenn wieder mehr Leute zur Kirche gehen würden und das wieder ausprobieren würden, dass die erst wieder merken, wie gut das einem tut. Wir sind Kirchgänger schon von Jugend her, und ich finde, das gehört einfach dazu. Und viele Leute wissen das einfach nicht mehr, wie gut das einem tut."
zweite Frau: "Also, Kirchengehn, ist recht und schön, aber jeden Sonntag, das schafft man nicht."
dritte Frau: "Ich glaub', die Jungen haben halt einfach keine Zeit, dass in die Kirche gehen. Die alten sterben irgendwann und die jungen haben halt keine Zeit, die sind die ganze Woche in der Arbeit und dann sind sie am Wochenende mit der Familie unterwegs."
zweite Frau: "Das macht auch viel aus, weil man viel mit der Familie unternimmt. Wenn man am Wochenende daheim ist oder mit den Enkeln, drum kommt man auch nicht so oft in die Kirche."
Zur Hochzeit wollen die Leute kein Kreuz mehr
Gleich gegenüber vom Pfarrhaus ist der Laden von Heinz Kasner. Kasner ist Schnitzer, er schnitzt vor allem Heiligenfiguren. Er gehört damit zu denen, die jedes Jahr auf ihrer Steuererklärung sehen können, wie es in Frauenau um die religiösen so Gefühle steht. In den weiträumigen Geschäftsräumen stehen hunderte von handgeschnitzten Figuren, Engel, Hirten, Kreuze, Heiligenfiguren. Im ersten Stock, ganz hinten, da hat Kasner seine Werkstatt. Auf einem drehbaren Gestell ist eine halbfertige Heilige aus Zirbelholz eingeklemmt.
"Ich mache da eine Notburga, 1,15 Meter groß, wurde ganz von Hand gemacht. So um die 200 Stunden gehen drauf, bis sie fertig ist."
Vor 15 Jahren, erzählt der Herrgottsschnitzer, da hat er zehn Leute beschäftigt und eine Million Umsatz gemacht. Jetzt sind es noch 100.000 Euro im Jahr und Kasner arbeitet allein in der Werkstatt. Sein Sohn, der auch Schnitzer lernen wollte, ist dann doch Maschinenbauer geworden: Weil sich das Schnitzen nicht mehr lohnt. Heinz Kasner glaubt trotzdem nicht, dass der Umsatzeinbruch mit mangelnder Religiosität zu tun hat. Irgendwie, sagt er, würden die Menschen doch weiterhin an Gott glauben und an die Heiligen. Bloß in die Kirche gingen sie halt nicht mehr.
"Jeder hat was zu tun und dies und jenes. Und die Jungen gehen in die Arbeit, haben Stress, dann möchten's am Sonntag ausschlafen."
Aber dann fällt dem Schnitzer doch noch etwas ein.
"Also, ich muss dazu sagen, wir haben früher, wenn sie geheiratet haben, sehr viele Christusse verkauft. Das ist nicht mehr. Damals ist so gewesen, wenn sie geheiratet haben, dann haben sie gesagt, da möchten wir ein Kreuz, da war der Preis egal, grad ein schönes Kreuz haben sie wollen. Das ist nicht mehr. Ich hoffe, es kommt wieder, aber momentan also ist es nicht so."
Wiesen, Bäche, kleine Weiher, und zwei Dutzend meterhohe Kunstwerke aus Glas. Die gläsernen Gärten sind der Stolz von Frauenau, und wenn der Bürgermeister Gäste hat, dann führt er sie als erstes hierher. Sein Lieblingskunstwerk sind fünf mannshohe Glasplatten, die locker im Kreis aufgestellt sind. Auf den Scheiben sind winkende Hände eingraviert.
"Das ist die Barbara Zehner, das ist ein Kunstwerk, das sie Leidenschaft genannt hat. Diese Leidenschaft ist gepaart mit der Grenzöffnung von 1991. Wir haben da auch zwei Steine, die aus dem Wenzelsplatz in Prag stammen. Das sind diese braunen Steine da, die vom Wenzelsplatz in Prag stammen und die dieses Zeitzeugnis in Richtung Grenzöffnung und Tschechoslowakei ablegen."
Von den gläsernen Gärten aus sieht man sehr schön hinauf zu den bewaldeten Hügeln. Als vor 25 Jahren der eiserne Vorhang fiel, gleich dort oben, da haben sie in Frauenau gehofft, dass jetzt alles anders wird, dass jetzt Schluss ist mit der Randlage, dass Frauenau nicht länger vergessen und endlich in die Mitte Europas rücken würde. Prag liegt hier näher als München, Pilsen näher als Nürnberg.
Aber es hat sich nichts geändert. Die Feldwege, die hinauf führen in die Berge, sie enden immer noch irgendwo im Wald. Frauenau liegt weiterhin am Rand. Die Industrie hat den Weg hierher nicht gefunden, und wer im Leben mehr will als Heimat und Idylle, der wird auch in Zukunft fort gehen.
Keine Feindseligkeit gegen die Kirche, nur Gleichgültigkeit
Bürgermeister Herbert Schreiner muss den Mangel verwalten. In den letzten 40 Jahren hat Frauenau ein Drittel seiner Einwohner verloren. Die Einnahmen schrumpfen und die Ausgaben steigen. Als nächstes steht die Renovierung der Kirche an.
"Ich denke, außen ist die Kirche dringend renovierungsbedürftig, das Dach, da dringt Nässe ein, der Turm ist in sehr schlechtem Zustand, die Turmkugel haben wir schon abnehmen müssen, weil sie nicht mehr sicher war auf der Spitze. Es ist dringend notwendig, dass wir etwas tun, damit unsere Kirche auch außen wieder in neuem Glanz erstrahlt."
Mehr als eine halbe Million wird die Renovierung der Pfarrkirche kosten, zwei Drittel davon stellt die Kirche zur Verfügung, knapp 200.000 sollen die Frauenauer durch Spenden beisteuern. 30.000 Euro will die Gemeinde zuschießen. Nicht alle im Ort sind damit einverstanden.
"Wenn ich daran denke, dass wir zum Beispiel die Kirche renovieren, in Frauenau hier, und zur gleichen Zeit gibt die Diözese ihr Vermögen bekannt, und das beläuft sich dann auf irgendwelche Milliarden. Dann haben diese Menschen hier, die sammeln müssen, damit wir die Renovierung schaffen, dann haben die sich einiges anhören können über die Kirche und über das Finanzgebahren der Kirche. "
Bürgermeiste Herbert Schreiner ist Sozialdemokrat, gewählt mit 94 Prozent der Stimmen - bei 95 Prozent Katholiken im Ort. Das Votum für Links hat Tradition im Bayerischen Wald. Früher, unmittelbar nach dem Krieg, da haben die Frauenauer sogar Kommunisten gewählt. Das hat mit der Glasindustrie zu tun, und der Stärke der Gewerkschaften. Im Gegenzug haben die roten Gewerkschaftsführer und Bürgermeister gemeinsam im Kirchenchor gesungen. Katholisch und Rot, das ging in Frauenau immer schon zusammen. Daran habe sich nichts geändert, erzählt der Sozialdemokrat Herbert Schreiner.
"Ich brauch nur mich anschauen. Also, ob das jetzt der Kirchenpfleger ist, ob das der Pfarrer ist, ob das die Pfarrgemeinderatsvorsitzende ist, wir haben ein persönlich hervorragendes Verhältnis. Uns trennt vielleicht der Parteiname, aber die Gedanken im Kopf trennen uns nicht."
Deshalb kämpft der rote Bürgermeister dafür, dass sich die Gemeinde an der Renovierung der Kirche finanziell beteiligt. Kirche und Gemeinde sind in Frauenau vielfach auf einander angewiesen. So finanziert die Kirche über die Caritas den örtlichen Kindergarten zu fast 80 Prozent. Wenn die Kirche immer mehr Mitglieder verliert, dann muss die Kommune die Kosten irgendwann selbst übernehmen. Der Bürgermeister hofft, dass das nicht zu schnell passiert.
100 Meter weiter, an der Bushaltestelle. Natalie und Fabian sind 17 und 18. Zwei-, dreimal die Woche fahren sie am Abend in die Kreisstadt Zwiesel, manchmal in die Disko, manchmal in die Musikkneipe: In Frauenau ist halt nichts los. Trotzdem wollen die beiden auf keinen Fall anderswo leben. Weil es ihnen gefällt hier oben, und weil die Menschen zusammenhalten.
"Obwohl es da nichts gibt, ist es doch schön in der Au, ich tät nicht wegziehen."
"Vor allem kennt halt jeder jeden und es hilft auch jeder dem anderen."
Das Katholische, findet Fabian, das brauchen sie nicht, schon gar nicht für den Zusammenhalt im Dorf. Wenn sie in die Kirche gehen, dann nur für die festliche Stimmung.
"Nur zweimal im Jahr, auf Ostern und auf Weihnachten."
"Bei mir ist es auch so, ich geh auf Ostern und auf Weihnachten in die Kirche, mit der ganzen Familie, die gehen sonst auch nicht. Und von der Verwandtschaft hab ich auch schon welche gehört, die sagen, sie möchten gern austreten aus der Kirche."
Dass Leute aus der Kirche austreten wollen, das hört man jetzt häufiger in Frauenau. Aber irgendwie bleiben die allermeisten dann doch, erzählt der Pfarrer. Es gebe keine offene Ablehnung oder Feindseligkeit gegen die katholische Kirche. Für die meisten sei der Glaube einfach kein Thema mehr.
"Nein, überhaupts nicht."
"Weil das keinen interessiert."