Der Welterbe-Status verbreitet Aufbruchstimmung
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Die Montanregion Erzgebirge ist mit historisch wertvollen Bergbaustätten auf deutscher und tschechischer Seite seit diesem Jahr UNESCO-Welterbe. Die Initiatoren der Bewerbung wollen damit punkten. Er soll ein Aufbruchsignal sein.
Der Spruch "Alles kommt vom Bergbau her" ist allgegenwärtig im Erzgebirge und Sinnbild für den Erfindergeist der Menschen, die hier über Jahrhunderte mit ihrer schweren und gefährlichen Arbeit Untertage maßgeblich zum sächsischen Reichtum beitrugen und viele technische Innovationen entwickelten.
Der Blick zurück dominiert
Doch entgegen dieser historisch hochinnovativen Kraft der Montanregion überwiegt bis heute, im politisch konservativ, mit hohem AfD-Anteil ausgerichteten Erzgebirge, ein eher nostalgischer Blick auf die Region. "Unser Blick aufs Erzgebirge und natürlich auch der Blick der Erzgebirgler auf sich selber ist immer noch geprägt von dem Blick um 1900", sagt Igor Jenzen, Kunsthistoriker und Direktor des Sächsischen Museums für Volkskunst in Dresden. "Und um 1900 war es tatsächlich so, dass bestimmte Arten von Industrie gerade in der Krise waren, das waren die Spielzeughersteller. Die Spielzeughersteller hatten um 1900, nach einer fulminanten Aufwärtsphase, hatten sie dann um 1900 einen Stopp, als das Blechspielzeug moderner war und ihnen den Rang abgelaufen hat."
Und obwohl zeitgleich die Holz-, Papier-, Stahl- und Textilindustrie boomte, habe sich der Blick auf die vermeintlich "gute alte Zeit" fixiert. Die Dorfidylle wurde zum Ideal gegenüber der umtriebigen, hektischen Stadt; die beschauliche, aber karge Landwirtschaft zum Gegenentwurf der lauten und stinkenden Industriefabrik.
Chance zum Perspektivwechsel
Der frische Welterbetitel biete nun die Gelegenheit, einen neuen Ansatz zu wählen, sagt Igor Jenzen: "Denn der Blick in die Zukunft ist ja immer davon geprägt, was sie von der Zukunft erwarten. Und wenn sie von der Zukunft etwas zu erwarten haben, dann blicken sie da auch gerne hin, in diese Zukunft. Und das ist eine wichtige Sache, wir haben ja in der letzten Zeit viel zu häufig nach hinten geschaut."
Mit dem Welterbetitel, den die UNESCO grenzübergreifend an die Montanregion in Sachsen und Böhmen vergeben hat, biete sich nun die Gelegenheit, für einen Aufbruch, meint auch Freibergs Oberbürgermeister Sven Krüger: "Wir denken, dass wir mit dem Status 'Welterbe' touristisch in eine ganz andere Liga kommen, dass wir eine andere nationale und internationale Aufmerksamkeit bekommen, dass der Tourist das erleben kann, was das Erzgebirge die letzten 800 Jahre geprägt hat."
Älteste montanwissenschaftliche Forschungseinrichtung
Die Universitäts- und Bergstadt Freiberg, rund 30 Kilometer südwestlich von Dresden und 30 Kilometer nordöstlich von Chemnitz, ist seit über 800 Jahren von Bergbau- und Hüttenwesen geprägt. Der gesamte historische Stadtkern steht unter Denkmalschutz, zahlreiche Gebäude sind Bestandteil des neuen Welterbetitels.
Doch Freiberg – seit 1765 Sitz der Bergakademie, der ältesten noch existierenden montanwissenschaftlichen Forschungseinrichtung – ist mehr als ein musealer Standort.
Die Stadt habe erfolgreich den Strukturwandel zum Technologiestandort im Bereich der Halbleiter- und Solartechnik gestaltet, erzählt Stadtoberhaupt Sven Krüger stolz: "Als der Bergbau Mitte des 20. Jahrhunderts endgültig eingestellt wurde, hat man entsprechende Nachfolgeindustrien angesiedelt, hier in Freiberg insbesondere die Halbleiterindustrie, mit der Gründung des damaligen volkseigenen Betriebes Spurenmetalle, 1957, der dann schlussendlich dazu geführt hat, dass wir zwei Weltmarktunternehmen in Freiberg haben, die in nahezu jedem Smartphone, in jedem neuen Auto ihre Bauteile unterbringen."
Auszeichnung und Ansporn
Der neue Welterbetitel sei Auszeichnung und Ansporn zugleich, sagt Kommunalpolitiker Krüger – und müsse nun mit Leben erfüllt werden. Interessante, mehrsprachig erklärte touristische Angebote sowie ansprechende Hotels und aufgeschlossene Gastgeber seien ein wichtiger Baustein für positive Entwicklungschancen einer ganzen Region, denn, so Krüger: "Wenn sie für Touristen attraktiv sind, dann sind sie auch für Bewohner attraktiv, dann sind sie auch für Studenten attraktiv, was unsere Bergakademie angeht. Das heißt, alles das, was wir im Tourismus machen, machen wir im zweiten Schritt natürlich auch für die Bewohner. Und deshalb sind auch die Unternehmen sehr daran interessiert, dass wir das Thema Welterbe mit Leben erfüllen."
Das sieht auch Matthias Lißke von der Wirtschaftsförderung Erzgebirge so. Er repräsentiert rund 17.000 kleine und mittlere mittelständische Unternehmen in der Region.
Der neue Titel, der landauf, landab mit dem Slogan "Hurra, wir sind Welterbe!" auf Plakaten, Briefbögen und in Interneteinträgen gefeiert wird, bringe grenzübergreifend nach Tschechien eine neue Dynamik in die Erzgebirgsregion: "Weil ja nach 45 dort ganz andere Leute angesiedelt sind, in der Folge der Vertreibung, und das immer noch ein Problem ist im Grenzgebiet. Aber da hilft natürlich so ein gemeinsames Projekt ungemein darüber hinweg und schafft viele neue Verbindungen."
Psychologischen Wirkung
Der Welterbetitel sei letztlich ein Regionalentwicklungsprojekt mit einer nicht zu unterschätzenden psychologischen Wirkung, die auch die Wirtschaft beflügeln werde, glaubt Matthias Lißke: "Ich habe gespürt, gleich als die Entscheidung da war, von vielen Menschen aus der Wirtschaft, dass sie unwahrscheinlich stolz geworden sind, und ich glaube, dass mit dem Stolz und mit der Würde auch ein ganzes Stück Motivation kommt für die Menschen, und daraus entsteht natürlich auch am Ende Wirtschaft und daraus entsteht natürlich auch Einkommen in der Region, was in Zukunft wichtig ist."