Digitale Nomaden in Bulgarien
Tanya Stancheva, zuständig für Stadtentwicklung in Bansko, hatte von den digitalen Nomaden vorher noch nichts gehört. Die Stadtverwaltung dachte aber: Das ist wohl die Zukunft. © Deutschlandradio / Nicole Graaf
Bergidyll statt Karibikstrand
29:45 Minuten
Madeira, Bali oder die Sandstrände Mexikos – das sind die klassischen Ziele derer, die ihr Homeoffice ins Ausland verlegen. Ein Co-Working-Space in einer Kleinstadt in Bulgarien macht ihnen Konkurrenz.
Die Häuser in der Altstadt des knapp 9000-Einwohnerörtchens Bansko sind aus Steinbrocken gebaut, die aus dem Bergmassiv gebrochen wurden, das über dem Hochtal thront. Im Winter herrscht hier Ski-Gaudi. Im Sommer wirkt das Städtchen beschaulich, fast verschlafen.
Nur die Internetverbindung zählt
Der Deutsche Matthias Zeitler hat diesen hübschen, aber unscheinbaren Ort zu einem Hotspot für digitale Nomaden gemacht. Das sind Menschen aus aller Welt, die mit ihren Laptops dort arbeiten, wo es sie hin verschlägt. Sie sitzen in Cafés oder in sogenannten Co-Working-Spaces vor dem Rechner und brauchen nichts weiter als eine gute Internetverbindung.
Matthias Zeitler, 46 Jahre alt, war lange Zeit einer von ihnen. Er kommt aus München und hat früher als Softwareentwickler gearbeitet. Er hat im Silicon Valley gelebt, in Salzburg, dann zog er hinaus in die Welt. Vor sechs Jahren hat er Bansko zu seiner Basis auserkoren. Und gleich den „Coworking Space Bansko“ gegründet.
Er liegt in einer Seitengasse der Altstadt im Erdgeschoss eines Wohnhauses. Neben dem großen Schreibtisch mit sechs Plätzen stapeln sich Kisten mit allerlei Kabeln und Technik. Auf den Regalen liegen Sticker und Schlüsselanhänger und auf dem Treppensims stehen orangefarbene Büsten derjenigen, die eine zehnjährige Mitgliedschaft abgeschlossen haben. Orange ist Matthias’ Markenfarbe. Auf seinem Laptop ist die Facebook-Seite von "Coworking Bansko" aufgerufen.
Er war gerade dabei, die Veranstaltungen für die kommenden Tage einzutragen. Donnerstag geht es in eines der umliegenden Thermalbäder, Freitag gibt es Barbecue im Garten des Coworking Space, am Wochenende wird gewandert und Dienstag möchte eines der Mitglieder eine Präsentation über Work-Life-Balance machen. Matthias führt durch die Räume und erklärt dabei:
"Wir haben unterschiedliche Bereiche. Das hier ist der Social Space. Das heißt, es ist ein bisschen mehr lively. Das ist normalerweise ein ganz guter Ort, um Leute kennenzulernen“.
Skilift, Brettspiele und Yoga
Matthias geht die Treppe hinunter. Der Raum im Souterrain ist etwa dreimal so groß wie der im Erdgeschoss. An zwei großen Schreibtischen finden etwa 20 Leute Platz. Acht Männer und Frauen – schätzungsweise zwischen Mitte 20 und Mitte 40 – haben tragbare Laptopständer aufgebaut und sind in ihre Bildschirme vertieft.
Sie blicken kurz auf, als wir hereinkommen und nicken freundlich. Um hier arbeiten zu können und auch bei besagten Aktivitäten mitzumachen, muss man Mitglied werden. Das kostet 129 Euro im Monat und weniger, je länger man bleibt. Unter der Treppe steht ein etwa drei Meter breites Regal, in dem sich große und kleine Spieleboxen bis an die Decke stapeln. Matthias ist Brettspielfan.
"Immer am Montagabend ist Brettspielabend. Auch sonst nutzen wir das hier als Veranstaltungsraum. Es gibt normalerweise Skillshares, Präsentationen, ab und zu Yoga, Movie Nights. Dann haben wir noch den Quiet Space nebenan, wo man sehr produktiv sein kann. Und um die Ecke haben wir die Lounge.
Das ist wie so ein Coffeeshop, wo die Leute bisschen mehr Aktivität um sich haben. Und dann haben wir an der Gondel einen Arbeitsort, wo Leute gerne arbeiten, die im Winter schnell in den Skilift reinspringen können, um nachmittags zum Arbeiten zurückzukommen.“
Branchentreffen der Szene
Das Leben als digitaler Nomade ist heute der Traum vieler junger Menschen. Vor vier bis fünf Jahren fingen Influencer an, das Leben mit Laptop und gepackten Koffern zu bewerben, auf Instagram und Youtube. Man zieht von Traumziel zu Traumziel, vollkommen frei.
Dann kam Corona und bremste den neuen Trend erst einmal aus. Aber gleichzeitig gab die Pandemie der digitalen, ortsunabhängigen Arbeit einen gewaltigen Schub.
Normalerweise zieht es die digitalen Nomaden eher in hippe Städte wie Barcelona oder Lissabon. Oder nach Südostasien. Aber Matthias Zeitler wollte ein moderateres Klima und günstige Lebenshaltungskosten. Beides gibt es in Bansko. In Bulgarien zahlt man als Unternehmer pauschal nur zehn Prozent Einkommenssteuer.
Inzwischen hat Bansko einen festen Platz unter den Zielen für digitale Nomaden und Matthias ist meistens hier, anstatt umherzureisen. Er hat vor drei Jahren das Bansko Nomad Festival initiiert, quasi ein Branchentreffen der Szene.
550 digitale Nomaden aus aller Welt sind in diesem Jahr gekommen. Auch Eli David ist wegen des Festivals in Bansko. Der 43-Jährige aus Israel, groß, dunkle raspelkurze Haare, freundliches rundes Gesicht, sitzt in einem Café in der Altstadt nahe dem Marktplatz.
Er ist ziemlich erfolgreich mit einer Datenbank für Start-ups auf der ganzen Welt und berät Regierungen und Stadtverwaltungen darin, wie sie für internationale Start-ups attraktiv werden können.
Als Hobby produziert er nebenbei einen Podcast zum Nomadendasein. Eli ist einer der Veteranen hier. Er ist bereits seit zwölf Jahren fast permanent unterwegs, erzählt er.
"Ich habe 2010 mit dieser Art zu leben angefangen. Damals machte das noch kaum jemand. Es galt als eine Art Akt der Rebellion. Zu der Zeit habe ich bei großen Firmen wie KPMG in der Buchhaltung gearbeitet. Aber dann wollte ich etwas anderes machen. Ein Buch über ortsunabhängiges Arbeiten hat mich inspiriert, es zu versuchen.
Touristen der anderen Art
Wie optimiere ich meinen Workflow? Marketing Skills oder das Leben als Nomade allgemein, das sind die Themen bei dem einwöchigen Nomad Fest. Die Stadt hat die Stadthalle zur Verfügung gestellt. Viele Europäer sind da, aber auch US-Amerikaner, Inder, Japaner und sogar ein paar Australier. Alle leger gekleidet, T-Shirts und kurze Hosen statt Businessanzug.
Die neuen Besucher haben natürlich auch Einfluss auf das Leben in Bansko. Tanya Stancheva arbeitet in der Stadtverwaltung, sie hat schon immer mit Gästen zu tun wegen des Wintersports. Als Matthias Zeitler mit seinen Plänen in Bansko aufschlug, sei man überrascht gewesen, erzählt sie.
"Das war das erste Mal, dass wir etwas von Co-Working und digitalen Nomaden gehört haben. Wir sagten uns, ok, das kommt aus dem Ausland, das klingt interessant. Als Matthias den ersten Co-Working-Space eröffnet hat, hatte er unseren Bürgermeister eingeladen, um das Band zu durchschneiden. Wir waren sehr enthusiastisch damals.
Das ist wohl die Zukunft, wie die jungen Leute arbeiten wollen. Sie wollen Freizeit und Reisen mit der Arbeit verbinden. Und jetzt sehen wir, wie das hier gewachsen ist und sich entwickelt hat. Ich glaube, sie haben jetzt fünf Co-Working-Spaces insgesamt.“
Neben Coworking Bansko gibt es inzwischen noch zwei weitere Co-Working-Anbieter m Ort. Matthias war also ein Trendsetter.
Hafermilch im Supermarkt
Die Skigondeln und die ausladenden Hotelkomplexe lassen den Rummel, der hier im Winter herrscht, erahnen. Bis zum Brexit und dem Krieg in der Ukraine kamen die meisten Gäste aus Großbritannien und Russland. Aber diese neuen Leute, die da plötzlich mit ihren Laptops umherliefen, waren so ganz anders als die Pauschaltouristen, findet Tanya.
"Sie gehen natürlich in die Restaurants und bringen den Geschäften hier Einnahmen. Aber ich glaube, der größte Nutzen besteht darin, dass unsere jungen Leute sehen, wie man leben kann, wenn man zum Beispiel mit dem Computer umgehen kann oder andere Sprachen spricht.
Und dann gibt es ja auch unterschiedliche Kulturen und Ansichten. Wenn diese Leute hierherkommen, dann haben wir die Möglichkeit, Zeit mit ihnen zu verbringen und voneinander zu lernen. Das ist das Allerwichtigste.“
Wirtschaftlich gesehen haben die Nomaden zwar kein großes Gewicht. Dafür sind die vielleicht 200 Leute im Monat zu wenige im Vergleich zu den vielen anderen Touristen. Aber sie verändern subtil etwas, zum Beispiel im Supermarkt. Der örtliche Leiter, Kaloyan Lyubenov, steuert direkt die Regale an, wo spezielle Lebensmittel zu finden sind.
"Wir haben laktosefreien Joghurt, Milch ohne Laktose und ohne Fett. Wir haben welche aus Hafer, Haselnuss, das hier ist Mandelmilch ohne Zucker. Die hier ist mit Proteinzusatz, aber auch laktosefrei. Wir sind gerade dabei, das Bioregal zu vergrößern.“
Kaloyan hört gar nicht mehr auf. Bio, vegan oder laktosefrei, das scheint für ihn alles in dieselbe Kategorie zu fallen: Futter für Vegetarier oder sogar Veganer. Das traditionelle Essen in Bulgarien ist recht deftig und Fleisch lastig. Kaloyan und seine Chefs haben sich das Konzept des Supermarkts gut überlegt.
"Meine Chefs wollten, dass unser Supermarkt die besten Produkte bietet, die man finden kann, und zwar nicht nur in Bansko, sondern in ganz Bulgarien. Ich habe ihnen gesagt: Schaut, da ist dieses Nomad Fest. Ihr müsst euch darauf vorbereiten, denn die Leute, die da kommen, sind hauptsächlich Veganer. Es kamen eine ganze Menge von ihnen hier einkaufen und ihre Reaktion war: Wow!"
Bloß nichts optimieren
Am Abend steht auf dem Festivalprogramm eine Party auf dem Playground, einem Waldgrundstück, das auch zu Coworking Bansko gehört. Es liegt rund vier Kilometer oberhalb des Ortes in einem weitläufigen Pinienwald, der bis knapp unter die Berggipfel reicht. Nur ein unbefestigter Weg führt dorthin. Mit Taschenlampen schlagen sich die Besucher durch. Matthias mag es, sich immer wieder etwas Neues einfallen zu lassen und auszuprobieren.
Als wir auf dem Playground ankommen, ist die Party schon in vollem Gange. Eine Band ist mit dem Soundcheck beschäftigt. Etwa 50 Leute haben sich um ein großes Lagerfeuer versammelt. Die übrigen Gäste füllen die Freiräume der kleinen Lichtung. Sie haben Bierflaschen und Becher mit Wein in der Hand und unterhalten sich angeregt.
Hier und da wuselt sich einer durch die Menge, um etwas zu trinken, zu holen. Die Getränke stehen auf einem provisorischen Holzgestell, daneben eine Spendenbox. Die Einnahmen gehen an eine Initiative, die sich um die vielen Straßenhunde in Bansko kümmert und an eine kleine Organisation für ältere und behinderte Menschen, die Hilfe benötigen.
Mitten in der Menge entdecke ich Matthias. Er wirkt entspannt und zufrieden, auch wenn es ein paar Pannen gegeben hat.
"Ich glaube, den Leuten gefällt das hier supergut. Unglücklicherweise haben wir knapp 100 Leute, die nicht raufgekommen sind. Die warten unten. Ein kleiner Fehler bei der Buchung. Wenn ich das als Business betrachte, dann könnte man dieses Event hier auch ganz anders aufziehen.
Eine Eventfirma einstellen, die nächstes Jahr hier zweieinhalb tausend Leute herbringt. Aber das ist gar nicht meine Motivation. Meine Motivation ist, Beziehungen mit Leuten herzustellen, vielleicht Freundschaften zu schließen. Und ich glaube, das ist viel besser, als wenn man nur schaut: Wie hoch kann ich jetzt die Ticketpreise setzen und wie kann ich das noch optimieren?“
Matthias hat das Glück, mit dem Coworking Space und dem Festival keinen Gewinn machen zu müssen. Er finanziert sich aus den Lizenzen von Softwareprodukten, die er mit seiner alten Firma entwickelt hat. Viel Arbeit muss er da nicht mehr hineinstecken, das Ganze ist ein Selbstläufer, ein Money Tree, so heißt das im Nomadenjargon – der Traum jedes Digitalunternehmers.
Auch Nomaden brauchen ein Zuhause
Das Besondere an Bansko ist die Community, die entstanden ist, auch wenn immer wieder neue Leute kommen und gehen. Manche haben sich inzwischen in Bansko sogar eine Wohnung gekauft, sind also sesshaft geworden. So wie Linda aus den Niederlanden:
"Ich glaube, viele finden Inspiration hier bei Coworking Bansko. Wie Matthias diese Community aufgebaut hat. Er hat da viel Arbeit hineingesteckt. Aber er unterstützt auch gern andere Ideen und sagt: ,Wenn du etwas für die Community organisieren möchtest, dann mach‘ das.`
Dieses Gemeinschaftsgefühl kommt nicht nur von einer Person, es braucht viele, die Energie und Enthusiasmus haben, etwas zu erschaffen. Und alle wissen es wirklich zu schätzen, wenn man sich für die Community engagiert. Man bekommt das zehnfach zurück. Das finde ich wirklich toll.“
Das Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit ist menschlich, natürlich auch unter Nomaden. Matthias will jetzt noch ein Stück weitergehen und einen Co-Living-Space aufbauen, also ein Gebäude, in dem man nicht nur zusammen arbeitet, sondern auch zusammen wohnt. Eine Art Wohngemeinschaft für digitale Nomaden, die – bei aller Reiselust – auch so etwas wie ein Zuhause haben wollen – zumindest auf Zeit.