Bergkarabach

Der weite Weg des Markar Koutcharyan

Ein Schild weist in Armenien an der Straße von Goris nach Stepanakert in armenischer Schrift auf einen Ort hin.
Ein Schild weist in Armenien an der Straße von Goris nach Stepanakert in armenischer Schrift auf einen Ort hin. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Andreas Zecher |
Der Journalist Andreas Zecher war kürzlich unterwegs in der Region um die selbsternannte Republik Bergkarabach, die de facto ein Teil Armeniens ist, völkerrechtlich aber zu Aserbaidschan gehört. Er erinnert an einen vergessenen Nachbarschaftsstreit.
Markar Koutcharyan hat einen weiten Weg vor sich. Seit fast einem Jahr bekam er Artun nicht mehr zu Gesicht. Nun macht er sich auf nach Stepanakert, wo der junge Mann seinen Militärdienst absolviert. Wenn alles gut läuft, erhält der Enkelsohn Ausgang, um am Abend mit seinem Großvater Essen zu gehen.
Der Luftlinie nach sind es 200 Kilometer von Jerewan, der Hauptstadt Armiens, nach Stepanakert, der Hauptstadt der selbsternannten Republik Bergkarabach. Sie ist de facto ein Teil Armeniens, gehört völkerrechtlich aber immer noch zu Aserbaidschan. Davon spricht Markar Koutcharyan nicht.
Der sogenannte "obere oder gebirgige schwarze Garten" im Südosten des Kleinen Kaukasus wird von Armeniern bewohnt. Es gab auch einmal eine Minderheit von Aserbaidschanern. Sie wurden getötet oder in ihr Mutterland vertrieben. Das war zwischen 1992 und 1994 im Laufe des Krieges beider Nachbarländer. Seither hat das siegreiche Armenien in Bergkarabach hochgerüstete Streitkräfte stationiert, die viel Geld kosten.
Geld, das dem armen Land auch fehlt, um die maroden Straßen zu sanieren. So wird die Fahrt zum Enkelsohn zeitaufwendiger, als 200 Kilometer es vermuten lassen. Sie führt durch Hochgebirgslandschaften, zunächst entlang der armenisch-türkischen Grenze, die die befreundeten Russen sichern, dann entlang an der Grenze zur Republik Nachitschewan, die von Aserbaidschanern bewohnt wird.
Immer wieder fallen tödliche Schüsse
Scharfschützen belauern sich hier auf beiden Seiten und feuern immer wieder tödliche Schüsse ab. Deren Opfer werden wiederum mit tödlichen Schüssen gerächt. Davon erzählt Markar Koutscharyan. Die Bösen sind für ihn ohne Zweifel die auf der anderen Seite. Türken, Aserbaidschaner seien alle eins - hätten nur ein Ziel, die Armenier zu vernichten.
Wie viele seiner Generation ist der 70-Jährige ohne Großvater aufgewachsen. Den haben die Türken zu Beginn des Ersten Weltkrieges umgebracht. Tausende Armenier wurden damals erschossen, ihre Frauen und Kinder auf Todesmärschen grausam vernichtet. Etliche Länder, darunter Frankreich, nennen das Völkermord und stellen dessen Leugnung unter Strafe. Deutschland tut das nicht.
Deutschland liegt im befriedeten Teil Europas. Dort versucht man Konflikte mit Kompromissen und durch Verhandlungen zu lösen, zu versöhnen statt zu spalten. Doch davon hält Markar Koutscharyan nichts. Wenn man beschossen werde, müsse man zurückschießen, möglichst so erfolgreich, dass der Gegner endgültig aufgebe. Armenien sei eben nicht Irland.
Angst vor dem Ernstfall
Und so sieht er den nächsten Krieg mit Aserbaidschan kommen. Das Land sei durch Öl reich geworden, habe aufgerüstet und werde die frühere Provinz zurückerobern wollen, vermutet er. Der Großvater glaubt an einen weiteren Sieg der Armenier und der Enkel hofft, im Ernstfall seinen Militärdienst längst beendet zu haben.
Vielleicht studiert Artun dann am Londoner King´s College, wie die Söhne von Großvaters Freund, Onkel Gorjun. Er spricht noch nicht offen über diesen Plan, hofft aber, dass der Alte ihn auch im Ausland finanziell großzügig unterstützen werde.
Beim abendlichen Essen - es war im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft - läuft im Fernsehen das Spiel Deutschland gegen Armenien. Den Ehrentreffer für die Armenier erzielt Henrikh Mkhitaryan. Der habe es geschafft, raunt Artun bewundernd. Der sei draußen, in Deutschland, bei Borussia Dortmund mit einem Marktwert von 26 Millionen Euro. Er aber müsse wieder zurück in die Kaserne. Ein Jahr noch, in dem hoffentlich nichts Schlimmes passiert.

Dr. Andreas Zecher, Jahrgang 1953, ist Journalist und Autor. Er lebt in der Nähe von Rostock. Mehr als 20 Jahre berichtete er für den in Neubrandenburg erscheinenden „Nordkurier" aus der nordöstlichen Küstenregion. Zuletzt erschienen: "Heute ein Frosch-Morgen ein König, Verrückte Geschichten aus Mecklenburg-Vorpommern" (Magma Verlag).
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