Der schmale Grat zwischen Rekord und tödlichem Drama
Edmund Hillary: „Ich war nicht so aufgeregt, wie man sich das hätte vorstellen können. Tenzing und ich waren letztlich schon überrascht, dass gerade wir es geschafft hatten. Ich glaube nicht, dass wir bessere Bergsteiger waren als die Teilnehmer vorhergehender Expeditionen, aber wir waren stark motiviert und körperlich fit. Und hatten auch ein bisschen Glück, das Wetter, das man braucht, zum rechten Zeitpunkt zu haben. Das ist wichtig.“
Der Mount Everest als Modeberg
Die Erfolgsquote am Mount Everest steigt
Im Jahr 2023 hat das Level der fehlenden technischen Fähigkeiten an hohen Bergen einen Höhepunkt erreicht. Die Leute kommen immer unvorbereiteter. Es liegt wohl auch daran, dass mehr und mehr Leute schreiben, wie leicht es doch ist. Da fehlt inzwischen so ein bisschen der Respekt vor den Bergen.
„Durch diese Pisten, die jetzt gebaut werden, ob auf den Everest, den Manaslu, den Nanga Parbat wird dieser Berg völlig banalisiert. Es wird nicht mehr in Eigenverantwortung gestiegen, sondern es wird zuerst präpariert - versehen mit Sauerstoffdepots, Lagern, Köchen, Ärzten, Bergführern. Sie sind alle schon vor Ort, wenn der große Strom kommt von denen, die im Reisebüro eine Buchung gemacht haben: Everest-Basislager zum Gipfel und wieder zurück.“
Der Weltrekord der Norwegerin Kristin Harila
Die Himalaya-Expertin Billi Bierling sagt, man könne die Leistung der Norwegerin nicht mit ihren Vorgängerinnen wie der österreichischen Höhenbergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner vergleichen, die keinen zusätzlich mitgeführten Sauerstoff verwendet hat.
„Die Kristin hat Flaschensauerstoff genommen. Sie hatte Tenjen Lama dabei, einen sehr starken Sherpa. Sie ist zwischen den Basislagern mit dem Helikopter geflogen. Aber ich ziehe meinen Hut vor ihr. Ich finde, sie ist körperlich wahnsinnig stark - und vor allem mental.“
Empörung wegen fehlender Hilfe für Bergsteiger
Viele, die die Bilder sahen, reagierten empört.
„Dass tatsächlich 10, 20, 30, 40, 50, 60, 70 Leute darübersteigen - das ist schockierend.“
Huber hat eine ähnliche Situation vor einem Jahr am Shivling in Nordindien erlebt, konnte dort aber das Leben des höhenkranken Basecamp-Managers retten.
Kein Bergretter vor Ort
„Wenn jemand Hilfe braucht, dann hat man alles in Bewegung zu setzen, um dieses Leben zu sichern. Das hätte natürlich bedeutet, wenn irgendjemand von uns dort angekommen wäre, der hätte sich darum gekümmert. Für alle Nachkommenden wäre die einzig logische Konsequenz gewesen: Alle müssen absteigen. Alle müssen schauen, dass wir den runterbringen.“
Eine ähnliche Einschätzung gibt der erfahrene Achttausendermann Reinhold Messner.
Ich will niemanden einen Vorwurf machen, aber dass Menschen über einen sterbenden Bergsteiger hinwegsteigen und nicht stehen bleiben, um zu helfen, weil jeder denkt: Es kommen noch 50 hinter mir. Da fehlt einfach die Empathie.
"Bergsteiger waren auf Gipfelsturm konzentriert"
„Alle Bergsteiger waren nur auf ihren lang ersehnten Gipfelsturm konzentriert, alle Expeditionsmitglieder hatten einen Tunnelblick, so dass sich nur wenige darauf konzentrierten, ihn zu retten, aber es war dafür auch schon ziemlich spät.“
Für den verunglückten Hochträger, einen dreifachen Familienvater, war es die erste Achttausenderexpedition. Außerdem sei er unzureichend ausgerüstet gewesen.
Ein Drama mit tödlichem Ausgang.
Die Frauen und Männer, die an der Unglücksstelle vorbeigegangen waren, feierten auf dem Gipfel ihren Erfolg. Kristin Harila war am Ziel: eine neue Bestleistung, alle 14 Achttausender in 92 Tagen erklommen zu haben.
"Das ist ein Pyrrhussieg"
„Kristin Harila mit ihrem Rekord, das ist ein Pyrrhussieg, auch wenn natürlich gesagt wird, dass sie versucht hat zu helfen, aber am Ende hat sie sich doch für den Gipfel entschieden. Ich kann nur sagen: So funktioniert das Bergsteigen nicht.“
Der Südtiroler Bergführer Hanspeter Eisendle, der selbst an mehreren Achttausendern unterwegs gewesen war, analysiert:
Mit diesem zufälligen Tod des Hochträgers hat sie sich ihr selbstgestelltes Lebenswerk fast kaputt gemacht. Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit war viel mehr fokussiert auf diese Tragödie als auf ihren Weltrekord.
Selten wurde das der Öffentlichkeit so drastisch vor Augen geführt wie am 7. Oktober an der Shisha Pangma, 8027 Meter hoch.
Zwei Amerikanerinnen am selben Berg unterwegs nach dem Motto „Höher, schneller, weiter“.
Mehrere Tote bei der Jagd nach Rekorden
Billi Bierling, die Leiterin der Himalayan Database, resümiert:
„Gina hatte alles in allem sieben Sherpas und war nur noch mit Tenjen Lama Richtung Gipfel unterwegs. Sie waren schon kurz unterhalb des Gipfels und haben an der Seite eine Lawine runtergehen sehen. Sie wussten nicht, dass Anna Gutu und Mingmar Sherpa auf dem Weg Richtung Gipfel waren und hatten keine Ahnung, dass diese Lawine drei Menschen weggespült hat. Der zweite Sherpa konnte sich dann befreien. Anna Gutu und Mingmar Sherpa sind ums Leben gekommen. Und kurze Zeit später weiter oben nochmal eine Lawine, die Gina Marie und Tenjen Lama in den Tod gerissen hat.“
"Ein Rekord ist eine gefährliche Geschichte"
Reinhold Messner und Billi Bierling sind sich einig.
Messner: „Es ist in einer Situation unter Druck passiert, weil es um einen Wettbewerb, um Konkurrenz und vor allem um Rekorde ging. Ein Rekord ist immer eine gefährliche Geschichte.“
Hätten sich die beiden Konkurrentinnen zusammengetan, wäre möglicherweise die Lawinengefahr realistischer eingeschätzt worden. So haben Lawinen auf diesem höllisch gefährlichen Normalweg zur Shisha Pangma die Träume der beiden Amerikanerinnen zerstört.
Gipfelrekorde als "Ausdruck von Fantasielosigkeit"
„Für mich persönlich ist das ein Ausdruck von Fantasielosigkeit. Auf dem gleichen Weg immer schneller zu sein, ist zwar sehr beeindruckend und eine sportliche Höchstleistung, aber bringt den Alpinismus als kreative Bewegung nicht weiter.“
Welche Auswüchse das Thema „Rekorde“ annehmen kann, zeigte sich in der Debatte um Reinhold Messners 14 Achttausender. Der deutsche Bergchronist Eberhard Jurgalski behauptet, dass Messner und seinem Seilpartner Hans Kammerlander fünf Höhenmeter zum Gipfel der Annapurna gefehlt hätten.
Der Wert Rekord gehört nicht zum traditionellen Bergsteigen. Ich werde alles tun, um nie mehr in irgendeinem Guinnessbuch zu stehen, weil das mit meinem Bergsteigen nichts zu tun hat. Mehr noch: Es ist ein absoluter Widerspruch.
„Die erste Person, die alle 14 Achttausender bestiegen hat und noch dazu ohne Flaschensauerstoff, ist Reinhold Messner. Da gibt es für mich überhaupt keine Debatte. Ich denke, dass man gerade bei den Bergen nicht so präzise handeln kann wie bei einem 100-Meter-Lauf im Stadion.“
Alexander Hubers Erstbegehung in Peru
„Der Yerupaja ist ein sehr anspruchsvoller Gipfel. Felsklettermäßig war es der absolute Hammer. Wir haben besten Fels vorgefunden. Wir sind da nur mit mobilen Sicherungsmitteln Seillänge für Seillänge raufgeklettert, haben an einem Tag 20 Seillängen erstbegangen und sind am oberen Ende dieser großen Kalkwand auf dem Grat angekommen, haben dort auch unser Biwak bezogen.“
Eine Frage der Sicherheit ist immer eine Frage des Überlebens in solchen Gebirgen der Welt. Der Yerupaja hat 6.500 Meter und mehr - und gerade in der Cordillera Huayhuash ist man ganz alleine unterwegs. Diesbezüglich kann man sicher sagen: Dort darf man sich keinen Unfall erlauben. Da gibt es keine Flugrettung.
„Wir sind die einzigen Bergsteiger in der ganzen Gebirgsgruppe - und am Everest staut es sich vom Basislager bis zum Gipfel. Wir genießen es einfach, in der Natur zu sein, uns mit dem Berg auseinanderzusetzen - und nicht zusammen mit einer ganzen Horde von Menschen.“
Die Philosophie von Alexander Huber
„Was wir dabei erfahren, ist tatsächlich sinnstiftend, weil wir uns besonders intensive Momente schaffen mit einer Besteigung, wo wir uns der Gefahr ausgesetzt haben, um in ihr zu bestehen. Es erzeugt besondere Erinnerungen. Wegen dieser Erinnerungen gehen wir in die Berge.“
Simon Messners Erstbesteigung im Karakorum
Die beiden mussten ein hohes Tempo vorlegen, denn sie hatten nur ein Schönwetterfenster von drei Tagen. Um schnell zu sein, waren sie mit leichten Rucksäcken unterwegs. Sie verzichteten auf das drei Kilo schwere Seil und teilten sich am Gipfeltag als einzigen Proviant einen Schokoriegel.
Messners Lebenstraum ging in Erfüllung
„Wir sind irgendwie - wir waren schon sehr müde - zu diesem Wandfuß gekommen. Wir haben uns dann instinktiv für die zentrale Wand entschieden und wir sind lange, lange am Wandfuß gesessen auf Kühlschrank großen Eisbrocken, die heruntergefallen sind und haben einfach nur die Wand angeschaut und gedacht: Das ist zu viel. Das schaffen wir nicht mehr.“
Doch dann sind beide wortlos aufgestanden und in die Wand eingestiegen, die zuvor noch von niemandem versucht worden war. Das Klettern in großer Höhe forderte ihre volle Konzentration.
Die Herausforderung, einen entlegenen, über 7000 Meter hohen Gipfel in Pakistan als erster Mensch zu betreten, übt auf Simon Messner eine besondere Faszination aus. Vergleichbar mit der, wie er einst als Kind seine Höhenangst überwunden hat. Für ihn ist ein alpinistischer Lebenstraum in Erfüllung gegangen.
Hitzerekorde in den Alpen
Die Folgen von Erwärmung und Klimaveränderung spüren nicht nur die Profikletterer, die sich in steile Wände vorwagen, sondern auch Normalbergsteiger. Ganz gleich, ob sie in den italienischen Dolomiten unterwegs sind oder in den Berner Alpen im Schweizer Kanton Wallis.
Beim Aletschgletscher sieht man sehr schön, da ist eine Hütte, da muss der Bergführerverbands jedes Jahr eine neue Leiter anlegen, weil der Gletscher immer weiter abschmilzt. Da geht man von sechs bis acht Meter Eisschmelze pro Jahr aus, in der Dicke, und das ist schon sehr beängstigend.
„Am Ende dieses Jahres haben die Gletscher sogar noch schlimmer ausgeschaut als im letzten Jahr. Die Gletscheroberflächen sind sehr dunkel. Die gleißenden Firnflächen, die ins Tal hinuntergeleuchtet haben, gibt es nicht mehr.“
Mittlerweile schaut sie monatlich nach, ob ein Gletscher noch existiert oder schon verschwunden ist. Das „ewige Eis“ – wie man die Gletscher auch genannt hat – ist nicht mehr ewig, sondern endlich.
„Die österreichischen Gletscher werden vermutlich zum großen Teil Mitte des Jahrhunderts schon Geschichte sein. Wenn das jetzt so weitergehen würde, dann sind in zehn bis 15 Jahren die meisten Ostalpengletscher in Österreich verschwunden.“
Folgen der globalen Erwärmung
Die Bergsteiger selbst müssen sich anpassen an die veränderten Bedingungen. Für Extremkletterer Alexander Huber bedeutet das, noch mehr Vorsicht walten lassen als bisher.
„Gerade Hasardeure, die diese Gefahren nicht sehen wollen, sind in den Bergen noch nie alt geworden. Man kann ja sagen: Ich bin ein risikobereiter Mensch. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich deswegen mein Leben aufs Spiel setze. Deswegen mit Hirn unterwegs sein am Berg.“