Bergsteigen während Corona

Das Abenteuer vor der eigenen Haustür suchen

23:43 Minuten
Ines Papert in der Wand.
Bergsportler haben dieses Jahr nach Alternativen gesucht und sie gefunden, wie Eiskletterweltmeisterin Ines Papert in den Alpen © Klaus Fengler
Von Ernst Vogt |
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Während Corona fielen Reisen in ferne Länder aus. Das hat vor allem dem Inlandstourismus beflügelt. Auch Bergsportler, die sonst zu Expeditionen aufbrachen, fanden nun Herausforderungen in den Alpen.
"Covid hat uns viele Nerven gekostet", titelte eine Bergsteigerzeitschrift vor wenigen Wochen. Alle mussten sich umstellen: die Extrembergsteiger genauso wie die Hobbywanderer, die Hüttenwirte und die Bergwacht.
Enttäuschungen und neue Herausforderungen liegen im Corona-Jahr eng beieinander, wie bei der Extremkletterin Ines Papert aus dem Berchtesgadener Land: "Unsere Reisepläne nach Alaska waren im März, April auf einmal hinfällig. Das tut schon weh. Aber wir haben viel Positives aus der Zeit mitgenommen, gelernt, die Heimat, das Berchtesgadener Land noch mehr wertzuschätzen und haben echt noch Abenteuer vor der Haustür gefunden, die wir noch nicht einmal vermutet hätten."

Ersatz für Fernreisen

Flexibilität war bei den Wanderern genauso wie bei den Profibergsteigern gefragt. Wer nahe an den Alpen wohnt, tat sich leichter. Die Bergsportler ließen sich in ihrem Bewegungsdrang nicht bremsen, denn in diesen nicht ganz einfachen Monaten waren die bayerischen Alpen ein guter Ersatz für Fernreisen. Die Berge machten Erholung und Erlebnisse möglich.
Längst haben die Bergsteiger die ganze Welt zu ihrem "Spielplatz" gemacht. Profis und Amateure sind unterwegs zwischen Alaska und Karakorum, zwischen Patagonien und Himalaja. Das war auch für 2020 geplant. Dann kam Corona. Und alles war anders.
Nur ganz wenige, wie der Extremkletterer Fabian Buhl aus dem Allgäu, waren schon zu Jahresbeginn unterwegs. Sie hatten damit noch die Möglichkeit, ein Abenteuer in der Ferne zu erleben.
Buhl war in Patagonien am Cerro Torre, 3128 Meter hoch. Dieser Granitberg, der sich wie eine Felsnadel in den Himmel reckt, gilt als eine der anspruchsvollsten Kletterherausforderungen weltweit. Am schwierigsten ist das Unternehmen, wenn vom Wind gepresster Schnee an den senkrechten Felswänden hängt.
"Das Spezielle war, dass wir die Route wieder eröffnet haben", berichtet Buhl. "Jedes Jahr müssen die Tunnel neu eingegraben werden. Das war der Anspruch, den ich gehabt habe. Ich wollte die Route in einem jungfräulichen Zustand kennenlernen, und diese Schneemassen, die da hin katapultiert werden an die Wand und da anfrieren und sich irgendwie kletterbar darstellen, das fand ich schon wahnsinnig beeindruckend."

Sprung ins Nichts

Dem jungen Allgäuer gelang am 7. Februar ein Rekord: der erste "Climb and Fly Cerro Torre". Er hob in den frühen Morgenstunden mit seinem Gleitschirm vom Gipfel ab, der wie ein Eispilz aussieht. Stundenlang musste sich Buhl in der Senkrechten mit dem Eispickel durch den Schnee kämpfen, um zum Eis durchzudringen. Dort konnte er Eisschrauben setzen und sich und seine beide Mitkletterinnen Laura Tiefenthaler und Raphaela Haug absichern.
"Ich habe das am Anfang gar nicht so realisiert, dass das in Gleitschirmfliegerkreisen versucht worden ist. Dass das im Nachhinein so Kreise gezogen hat, das hat mich selbst verwundert", sagt Buhl. Auch ein Dreivierteljahr nach seinem Gleitschirmflug von einem der gefährlichsten Gipfel der Erde leuchten Buhls Augen, wenn er vom Start erzählt, der sich wie ein Sprung ins Nichts anfühlte: "Das ist genial, du rennst los, der Schirm trägt, du fliegst, dann macht unter dir die komplette Ostwand auf."

Angespannter Flug

In der sogenannten Kompressorroute kletterten gerade US-amerikanische Freunde. Sie winkten ihm zu, machten Fotos. Buhl segelte mit seinem Gleitschirm über einer atemberaubenden patagonischen Landschaft zwischen Fitz Roy und Cerro Torre. Eine Viertelstunde dauerte der Flug – das Adrenalin pulsierte durch die Adern, von Entspannung bis zur Landung konnte keine Rede sein. "Der Gletscher produziert auch Abwind, wo jetzt der Wind herkommt, dass alles gelingt, dass da keine Spalten sind und so, ich war schon wahnsinnig angespannt, bis ich wieder am Boden gestanden bin", sagt Buhl.
Als der Kletterer im Februar auf seinem Traumgipfel, dem Cerro Torre, stand, war das Extrembergsteigerpaar Ines Papert und Luka Lindic gerade dabei zu packen. Nach Alaska sollte die Kletterexpedition gehen, doch Coronabedingt mussten sie ihre Expedition absagen. "Es war schlimm", sagt Papert. "Wir hatten alle Ausrüstungsgegenstände inklusive Expeditionsnahrung am Start, Flüge gebucht. Man stellt sich auch lange auf so eine Expedition ein, du trainierst dafür, die Vorfreude wächst, der Tag der Abreise rückt immer näher. Die Enttäuschung war riesengroß."

Leichte Passagen gab es nicht

Es hat ein bisschen gedauert, bis sich die viermalige Eiskletterweltmeisterin Papert und ihr Partner Lindic umgestellt hatten: statt Fernweh und Expeditionen auf anderen Kontinenten, Heimatnähe und Touren vor der Haustür.
Die Route "Wolke 7" von Ines Papert und Luka Lindic.
Die Route "Wolke 7" lockte die Kletterer Ines Papert und Luka Lindic. © Klaus Fengler
"Die Reiteralm ist für uns mit dem Radl innerhalb von 20 Minuten erreichbar", sagt Papert. "Es ist so nah, dass man einfach vergessen hat, den Wert zu schätzen, von der Nähe, von der Felsqualität, von der Geschichte. Da sind zahlreiche sehr schwierige Routen begangen worden."
Die Kletterroute zu finden war Aufgabe von Lindic, der Tag um Tag am Feuerhörndl verbrachte: "Mit dem Fernglas habe ich den ganzen Tag da oben verbracht und an mehreren Wänden geschaut, was könnte noch gehen", berichtet Lindic.

Entdeckungen ganz in der Nähe

Das war die Entdeckung des Unbekannten vor der eigenen Haustür. Die Reiteralm ist ein mächtiger Gebirgsstock, der sich im Westen des Berchtesgadener Talkessels erhebt und eine Höhe von knapp 2.300 Metern erreicht. Die schwierige Kletterroute am Feuerhörndl, die mit zwölf Seillängen eine ausgezeichnete Kondition verlangt, war eine Herausforderung für beide.
"Es war nicht klar für uns, ob wir das schaffen oder hochkommen und wie schwierig die Route ist", sagt Papert. "Hoffentlich in einem Schwierigkeitsgrad, den wir beide klettern können. So sind wir einem Riss-System gefolgt, das immer steiler wurde, aber das sich immer wieder bis zum Gipfel fortgesetzt hat." Jede Seillänge hat ihren eigenen Charakter bei 400 Meter Wandhöhe, resümiert die vierfache Eiskletterweltmeisterin. Eine leichte Passage gibt es nicht.
"Luka war in diesem Sommer besonders motiviert, an seinem Level im Felsklettern zu arbeiten", so Papert. "Er hat viel trainiert in der Garage und am Fels, an kleinen Leisten. Er war echt fit. Dann war für mich klar, bei der erst möglichen Gelegenheit klettert er die Tour. So war es dann auch. Obwohl die Wand noch nass war und die Griffe nicht groß, also fast nicht sichtbar zum Teil, hat er sich durch die Schlüsselseillänge gezogen und dann mussten wir noch weiter zum Gipfel. Denn ein Durchstieg an einem Tag, das ist das, wofür wir leben als Kletterer, wofür wir uns auch die Mühe angetan haben."
Luka Lindic in der Wand.
Extrembergsteiger Luka Lindic hängt in der Wand© Klaus Fengler
Lindic erzählt, dass ihm diese logische Linie viel abverlangt hat, aber auch jede Menge Abwechslung bot: "Sehr vielseitig, also Überhang, Dach, Platten, Riss, Verschneidung – praktisch alles ist dabei; eine gute Mischung von physisch und moralisch anstrengender Kletterei. Man muss auch das Wissen haben, wie man im Kalk mit Klemmkeilen sichert."
Die Erstbegehung vor der Haustür hatte den Vorteil, dass die beiden schnell mal schauen konnten, ob der Fels nicht zu nass ist, und gute Bedingungen sofort nutzen konnten. Nicht nur bei ihren Kletterzielen mussten sich Papert und Lindic Coronabedingt umstellen, auch bei ihren Heiratsplänen - eigentlich wollten sie sich in Alaska trauen lassen.
"Wir haben uns letztendlich im Juli in Bad Reichenhall das Jawort gegeben", sagt Papert. "Das war exakt zu der Zeit, als wir die Route eröffnet haben. Wir haben uns gedacht: Wir schweben beide auf Wolke sieben. Dann kamen während der letzten Seillänge, in der Luka bei der Erstbegehung vorgestiegen ist, noch ein paar Wolken daher und ich habe gezählt: Es waren tatsächlich sieben. Die haben sich so unter seinen Hintern geschoben. Es hat ausgeschaut, wie wenn er auf der Wolke sitzt."

Gewitter auf dem Rückweg

So viel Glück auf einmal – Heirat und Erstbegehung – damit war der Routenname geboren: "Wolke sieben", sagt Papert. Ein Kinderspiel war es trotzdem nicht, wie Lindic berichtet: "Die Schlüsselstelle ist die fünfte Seillänge; das ist eine Wahnsinnsverschneidung in sehr kompaktem Fels. Auch wenn sie sehr steil ist, teils überhängende Kletterei, ist sie sehr technisch. Man kann viel mit den Füßen machen. Das gefällt uns beiden."
Für das frisch gebackene Kletterehepaar galt es gleich, eine Bewährungsprobe gemeinsam in der Wand zu bestehen. Denn es waren überraschend dunkle Wolken aufgezogen. "Es war einfach unglaublich heiß und ein total drückendes Wetter", berichtet Papert. "Es war aber kein Gewitter vorhergesagt und plötzlich war es da: Es hat geblitzt und gedonnert, es hat aus Wolken geregnet, was gerade geht. Wir waren aber schon am Abseilen und konnten uns nur in einer kleinen Nische verstecken, um nicht ganz nass zu werden. Kein schönes Gefühl, bei so einem Gewitter in einer so großen Wand unterwegs zu sein mit dem ganzen Metall, das du am Körper hast. Aber ja, wir haben wilde Zeiten erlebt in der Tour – definitiv."
So hieß es für Ines Papert und Luka Lindic: zusammenrücken und zusammenhalten, um Gewitter und Sturm zu überstehen.
Ines Papert und Luka Lindic nach dem Bezwingen der Wand.
Das Kletterehepaar Ines Papert und Luka Lindic freut sich gemeinsam, wenn wieder eine Wand bezwungen wurde. © Klaus Fengler
Die Situation im Corona-Jahr war für alle ähnlich, die vom Bergsport leben. Sie verdienen in der Regel als Kulturschaffende auf der Bühne ihren Lebensunterhalt. Zum Beispiel der Profikletterer Alexander Huber, der durch Free-Solo-Touren und den Geschwindigkeitsrekord am El Capitan im Yosemite Nationalpark weit über Deutschland hinaus bekannt wurde.
Ihn hat der Stopp der Kulturveranstaltungen hart getroffen: "Einfach schon allein durch die Tatsache, dass ich vom Vortragen lebe und das Vortragswesen nicht durchführbar ist. Das gibt das derzeitige Infektionsgeschehen nicht her. Meine letzte Veranstaltung habe ich am 15. März in Leipzig gehabt." Mit 800 Besuchern war das eine der letzten großen Vortragsveranstaltungen in Deutschland überhaupt. Danach konnte keine mehr stattfinden.
"Deswegen habe ich in der Summe 53 Vorträge absagen müssen", sagt Huber. "Das beeinflusst mein Leben, dass ich nicht mehr auf der Bühne sein kann. Es geht bei den Vorträgen nicht nur darum, dass ich eine Einkommensquelle verloren habe, und zwar die für mich wichtigste Einkommensquelle. Da verdiene ich 80 Prozent von dem, was für mich am Ende als Lebensunterhalt zur Verfügung steht. Aber es ist auch mein Herz. Ich habe das einfach richtig liebgewonnen: dazustehen, die Leute zu faszinieren, ihnen Geschichten zu erzählen und am Ende leuchtende Augen zu sehen."

Tour mit den Brüdern

Der 51-jährige Vater von drei Kindern kommt noch einigermaßen gut über die Runden. Er hat sich wirtschaftlich ein zweites Standbein aufgebaut: "Wir haben zwei Ferienwohnungen bei mir am Bauernhof und das funktioniert recht gut. Das ist zwar im Frühjahr auch mal ausgefallen, aber der Sommer war dann zumindest mit den Einnahmen da. Es reicht zum Überleben", sagt Huber.
Bergsportlich waren Huber und seine Profikletterkollegen in diesem Jahr sehr stark eingeschränkt. Reisen über den heimatlichen Raum hinaus war nicht möglich. Doch der Jüngere der "Huberbuam" sieht es gelassen. "Das ist völlig egal, wenn man den besten Fels direkt vor der Haustür hat, ob es jetzt das Berchtesgadener Land ist, der Wilde Kaiser oder das Wettersteingebirge bis zum Dachstein. Wir haben den besten Kalk auf der ganzen Welt, da haben wir uns in diesem Jahr wirklich spielen können", sagt Alexander Huber.
Im Corona-Jahr 2020 waren die Huberbuam wieder einmal gemeinsam am Seil unterwegs, und zwar im Massiv des Hohen Göll, direkt vor ihrer Haustür. Sie hatten schon seit Jahren eine besondere Route im Auge, doch bisher waren sie im Hochsommer immer auf Expedition gewesen. Um die anspruchsvolle Kletterei in sauberem Kletterstil zu bewältigen, mussten sie immer wieder probieren, bis sie gelang.
"Man muss sich vorstellen, das ist eine stark überhängende Nordwand und immer dort, wo die überhängendsten Teile anstehen, drückt es das Wasser durch den Berg hindurch und an diesen Stellen an die Felsoberfläche", erläutert Huber. "Da brauchst du eine Woche ohne Niederschläge, damit du unter trockenen Bedingungen klettern kannst."
Thomas und Alexander Huber mussten bis zum September warten, bis sie günstige Bedingungen vorfanden. Das Besondere ihrer neuen Route ist die Schlüsselstelle. "Man steht unter dem Dach auf guten Tritten, man springt zwei Meter hinaus. 200 Meter über dem Boden. Hier ist es nicht die Schwierigkeit, sondern die Ausgesetztheit und die Außergewöhnlichkeit dieses Zuges, wunderschön!"
Für Alexander Huber ist eine Erstbegehung mit seinem älteren Bruder nach wie vor etwas Besonderes: "Der Erfolg ist nicht der Absolute, sondern der Erfolg, einen schönen Tag gehabt zu haben und am Schluss zu feiern."

Training am Fels

Während die Huberbuam aus dem Berchtesgadener Land noch immer in der Weltspitze mitmischen, ist ein junger Kletterer aus Franken noch weiter, nämlich ganz oben angekommen. Der 27-jährige Alexander Megos ist in diesem Jahr in den Kletterolymp aufgestiegen.
Eigentlich wäre Megos im Sommer bei den Olympischen Spielen in Tokio als einer der Favoriten an den Start gegangen. Doch die Verschiebung von Olympia brachte ihm schließlich einen nahezu olympischen Rekord ein. Als zweiter Kletterer überhaupt schaffte er den Schwierigkeitsgrad 9c – das Höchste, was bisher überhaupt geklettert wurde. Ihm gelang die Route "Bibliographie" in den französischen Alpen.
"Die schwierigste Stelle für mich in der Route war ein Boulderproblem bestehend aus vier Zügen in der Mitte der Route", berichtet Megos. "Da habe ich sehr lange gebraucht."
Nachdem sein Saisonhöhepunkt Olympia verschoben wurde, konnte der fränkische Spitzenkletterer zu seinen Ursprüngen zurückkehren: zum natürlichen Fels. Insgesamt 60 Tage hat Megos zur Vorbereitung am Fels verbracht – mehr als je an irgendeiner Route zuvor. "Dieses Jahr konnte ich damit verbringen, was mir eigentlich Spaß macht am Klettern. Insofern war das für mich eine sehr willkommene Pause von den ganzen Wettkämpfen. Ich konnte mich mal wieder ein Jahr auf das Felsklettern konzentrieren", sagt Megos.
Es hat sich wieder einmal bewahrheitet, dass Wandern Leib und Seele guttut. Bei kurzer Anreise fällt auch der ökologische Fußabdruck nicht so sehr ins Gewicht. Stark frequentiert wurden die Voralpengipfel, wie zum Beispiel der Breitenstein in Oberbayern. Die Terrasse auf der urigen Hubertushütte war häufig gut besucht. Trotz Corona hatte der Wirt, anders als viele andere Hüttenwirte, keine Einbußen und keine Probleme.
Der Deutsche Alpenverein sprach von einem veritablen Gästeansturm nach dem Ende der Reisebeschränkungen. Statt Urlaub in Europa oder in fernen Ländern war in diesem Sommer und Herbst etwas Anderes angesagt: Wanderurlaub in den Bergen. Nicht nur die Alpen, sondern auch die deutschen Mittelgebirge wurden von den Wanderern erstürmt.
Berghütten in guter Lage, die vor allem Tagestouristen anziehen, kamen in diesem Sommer gut weg. Sehr viel los war auch in den Allgäuer Tälern, die gut mit dem Mountainbike oder dem E-Bike zu befahren sind. Viel ruhiger als in den Vorjahren war es dagegen auf den hoch gelegenen Allgäuer Hütten über 2.000 Meter Höhe.Hüttenwirtsurgestein Jochen Krupinski von der Mindelheimer Hütte blieb gelassen: "Eigentlich bin ich zufrieden, weil wir sind alle gesund. Aber die Gäste trauen sich nicht. Reservieren müssen sie, sonst kriegen sie keinen Platz. Wir können nicht so viele Leute nehmen. Wir können maximal ein Drittel nehmen."

Strafen fürs Wildcampen

Das hieß bis zum Ende der Saison im Oktober höchstens 50 Übernachtungsgäste statt wie in den Vorjahren 150 pro Tag. Entsprechend mager fällt auch die Bilanz des Hüttenwirts aus. "Wenn man das Übernachtungspotenzial hernimmt, dann sind wir bei 25 Prozent vom Fünfjahresdurchschnitt vorher", sagt Krupinski. "Vom Umsatz wollen wir gar nicht reden. Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen, aber verdient haben wir nichts."
Auch die Bergwacht Bayern unterstreicht den Trend im Corona-Jahr: mehr Wanderer und Bergsteiger und damit mehr Unfälle in den bayerischen Alpen. Aber auch bei der Bergrettung hat sich eine Verschiebung ergeben: weg vom Allgäuer Hauptkamm hin zu leichter erreichbaren Zielen. Dazu Otto Möslang, Vorsitzender der Bergwacht Bayern: "Somit sind die Einsätze auf den Höhenlagen im Allgäuer Hauptkamm zurückgegangen, weil dort weniger Leute waren. Aber die Tagesausflügler im Allgäu sind wesentlich mehr geworden. Wir haben eine ziemliche Steigerung in der Nagelfluhkette, am Grünten, bis hinüber nach Nesselwang, Alpspitze etc. Wobei ich sagen muss: In Summe war der Berg gnädig zu dem, was Leute da waren."
Die Alpen zählen zu den sensibelsten Lebensräumen für Tiere und Pflanzen. Je höher es hinauf geht, desto schwieriger das Überleben. Deshalb wurde zum Beispiel das Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen eingerichtet.
Doch in der Corona-Saison ist der Druck auf die geschützten Gebiete noch größer geworden. Nicht zuletzt, weil viele Alpenvereinshütten ihre Übernachtungskapazitäten um zwei Drittel verringern mussten. "Es hat sich schon sehr stark ausgewirkt. Weil das Ausland für Urlaubsreisen nicht erreichbar war, sind die Leute aus Deutschland in die bayerischen Alpen gefahren, was grundsätzlich positiv ist. Wenn die Kapazitäten auf den Alpenvereinshütten zurückgefahren wurden, wollten die Leute trotzdem in die Natur, in die Berge", stellt Ethelbert Babl fest. Er leitet das Zentrum Naturerlebnis Alpin in Obermaiselstein im Allgäu.
Einer der Brennpunkte im Naturschutzgebiet ist der Schrecksee. Dieser See wird im Internet als Ort für Wildcamping gehypt, obwohl dort mittlerweile die Strafen hochgesetzt wurden. "Am Schecksee ist die "Übernachtungsgebühr" auf 400 Euro gekommen; die war davor bei hundert bis 150 Euro. Da waren wirklich einige dabei, die gesagt haben: Wenn ich in Urlaub in die Karibik geflogen wäre, hätte die Übernachtung auch 150 Euro gekostet. Also das war wohl immer noch zu wenig", berichtet Babl.

Durchatmen für die Natur

Zelten im Naturschutzgebiet ist verboten. Allerdings haben es immer mehr Bergsportler darauf ankommen lassen. "In den vergangenen Jahren waren es zum Teil 30 bis 50 Zelte und das sind Situationen, die sind sehr problematisch in einem Schutzgebiet, wo das Zelten wirklich nicht zulässig ist", sagt Henning Werth. Er ist seit Langem im Bereich Natur- und Vogelschutz in den Allgäuer Alpen tätig.
Wildcampen belastet die Bergnatur in besonderem Maße. Denn häufig bleibt nicht verrottbarer Müll liegen. Der wiederum von Tieren gefressen wird, die daran zugrunde gehen können. Manche Wildcamper lassen auch Teile ihrer Zeltausrüstung zurück, die dann später von den Nationalparkhütern entsorgt werden muss. Nachdem am Schrecksee die Strafen mehr als verdoppelt wurden, haben sich die Wildcamper neue Plätze bei Oberstdorf ausgesucht, ebenfalls im Naturschutzgebiet.
Drei Extremkletterer auf einem Gipfel in den Bergen.
Bergsportler, die sonst zu Expeditionen in die Ferne aufbrachen, fanden in diesem Jahr Herausforderungen in den Alpen© Getty Images / Crazmedia / Huseyin Bostanci
Corona hat sich auf alle ausgewirkt: auf die Alpinisten und Naturliebhaber, auf die Mountainbiker und die Hüttenwanderer. Letztlich hat dieses Jahr zwei Erkenntnisse gebracht, die Extremkletterin Ines Papert auf den Punkt bringt. Erstens: "Hey Leute, überlegt mal, es gibt so viel zu tun bei uns und die Abenteuer schlummern vor der Tür. Du musst sie nur erkennen."
Und zweitens – auch im Hinblick auf den ökologischen Fußabdruck und den Klimawandel: "Irgendwie hat die Mutter Erde jetzt auch mal eine Chance, aufzuatmen. Das ist sicher ein Vorteil, den die ganze Situation mit sich bringt.
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