Es war immer wie ein kleiner Urlaub, aus dem knallharten Festland China rauszukommen, wo die Leute nur noch mit angezogener Handbremse überhaupt ansatzweise kritische Dinge sagen.
Hörfunkjournalist Steffen Wurzel
Der Hörfunkjournalist Steffen Wurzel ist inzwischen zurück in Deutschland - und vermisst die Garküchen und den Geruch nach Koriander. © Johannes Eisele
Berichten aus dem Überwachungsstaat
33:47 Minuten
Erst aufstrebendes Schwellenland, inzwischen wirtschaftliche Weltmacht - sechs Jahre lang hat Steffen Wurzel aus China berichtet. Und dabei die Schattenseiten kennengelernt. Die bekam er auch bei seiner eigenen Arbeit als Hörfunkjournalist zu spüren.
"Shanghai ist eine Stadt, an die man sich als Europäer gut gewöhnen kann“, sagt der Hörfunkjournalist Steffen Wurzel. „Eine liebenswerte Stadt mit viel Grün und einer tollen Architekturgeschichte. Ganz viel Art Deco aus der Zeit, als Shanghai eine internationale Stadt war in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts.“
Steffen Wurzel war viel mit dem Fahrrad unterwegs in der 25 Millionen-Metropole, denn mit dem Auto verbringe man viel Zeit im Stau. Oder er ist gelaufen: allein jeden Morgen 30 Minuten ins Büro, in denen er den „Vibe der Stadt aufnehmen“ konnte. Der öffentliche Nahverkehr ist gut ausgebaut und günstig, erzählt der Radioreporter.
Nach China einzureisen, sei dagegen momentan schwierig. Das Land vergebe wegen der Corona-Pandemie keine Einreisevisa mehr, einen Linienflug zu bekommen sei kompliziert und sehr teuer. „Die Industrie- und Handelskammer mietet mittlerweile große Flugzeuge, um Handelsreisende ins Land zu bringen. Die Covid-Politik der Staats- und Parteiführung hat dazu geführt, dass sich das Land noch mehr abschottet vom Rest der Welt“, sagt Wurzel.
Auf Schritt und Tritt überwacht
Deutlich verschärft hat sich laut Steffen Wurzel auch der Umgang mit der Presse. Darunter hätten vor allem auch die heimischen Kolleginnen und Kollegen zu leiden. Im Grunde gäbe es gar keinen Journalismus mehr in China.
Im Internet fänden sich ausschließlich Verlautbarungen der Staats- und Parteiführung, man werde digital überwacht, aber auch körperlich. Das habe er jedesmal zu spüren bekommen, wenn er unterwegs war, berichtet der Korrespondent.
„Hinter einem ist das Auto mit den abgedunkelten Scheiben ohne Autokennzeichen, mit Polizisten in Zivil, die einem nicht nur hinterherfahren, sondern auch aussteigen, wenn man selber aussteigt und dann Gesprächspartner:innen einschüchtern. Und das ist unangenehm. Das ist vor allem dann unangenehm, wenn man einfach wirklich nur mal einen Schnack halten möchte, mit dem Apfelverkäufer, der da am Straßenrand steht. Dann kommt sofort ein Polizist und grätscht rein und sagt: 'Wehe du erzählst dem irgendwas.' Das ist sehr entwürdigend für alle Beteiligten.“
Highlights in Hongkong
Entspannter dagegen waren die Reisen nach Hongkong, die der Korrespondent als Highlights empfand: „Es war immer wie ein kleiner Urlaub, aus dem knallharten Festland China rauszukommen, wo die Leute nur noch mit angezogener Handbremse überhaupt ansatzweise kritische Dinge sagen.“
Seit vor zwei Jahren das sogenannte „Gesetz der Nationalen Sicherheit“ in Hongkong eingeführt wurde, sei es im Grunde „zappenduster“, erzählt Wurzel. Erst kürzlich sei in Hongkong ein über 90-jähriger emeritierter Kardinal festgenommen worden, der sich immer wieder für die Zivilgesellschaft einsetze. Das spräche dafür, wie viel Angst die Staats- und Parteiführung habe.
Leiden unter dem Lockdown
Ähnlich rigoros zeigt sich China in seiner Covid-Politik. Die Menschen leiden sehr unter dem Lockdown in Shanghai, berichtet Steffen Wurzel. „Es ist ja so, dass dort Lockdown wirklich heißt, du bist eingeschlossen. Die Tür wird versiegelt, dahinter ein Vorhängeschloss an der Haustür, ohne Ausnahme.“ Es gehe der Regierung eben nicht um das Wohlergehen der Bevölkerung, es gehe darum, an der Macht zu bleiben.
Seit Jahresanfang lebt Steffen Wurzel wieder im beschaulichen Baden-Baden, der Heimat des SWR. Er vermisst die Garküchen an jeder Straßenecke, die Gerüche nach Koriander und Kräutern aller Art - China sei ein trotz allem tolles Land mit tollen Menschen. Es gäbe einen Spruch, sagt der Korrespondent: „Man bekommt die Leute aus China raus, man bekommt aber China nicht aus den Leuten raus.“ Genauso fühle sich das für ihn an.
(kuc)