Lob der Meinungsäußerung
Angesichts der Ereignisse in Chemnitz fordert Deutschlandfunk-Kultur-Kollege René Aguigah Journalisten auf, nicht nur zuverlässig und neutral zu berichten, sondern auch eigene Standpunkte klar zu artikulieren. Wer sich gegen Rassismus stelle, verteidige die Republik.
Heute erscheint die neue Ausgabe der Schweizer Zeitung "Die Weltwoche". Wer sich für den Zustand öffentlicher Debatten interessiert, sollte einen kurzen Blick hineinwerfen. Denn schon seit Tagen verspricht der Chefredakteur der "Weltwoche", Roger Köppel, dass erst in dieser seiner Zeitung die volle Wahrheit über Chemnitz zu finden sei. Wörtlich schrieb er am vergangenen Sonntag: "Alles über Chemnitz, wie es wirklich war ... Schreiben, was ist."
Dasselbe Wahrheitspathos pulsiert in der Titelzeile der "Weltwoche" von heute: "Chemnitz: Worum es wirklich geht". Was damit gemeint ist, erzählt Köppel schon in seiner Video-Vorschau. Das eigentliche Zentrum der Ereignisse im Chemnitz der vergangenen Wochen seien die "Opfer" von "Asylgewalt" gewesen. Dieser Typ von Wahrheitsjournalismus kommt nicht aus ohne Fakten, Fakten, Fakten, und einen dieser Fakten verrät Köppel ebenfalls schon in der Vorschau: Die Demonstration der Rechten vom vergangenen Samstag sei vorzeitig abgebrochen worden. Und darüber – ein letztes Köppel-Zitat –, "darüber haben Sie noch gar nichts gelesen, das haben die Medien völlig ausgeblendet".
Nun, Letzteres ist eine Lüge. Der "Focus", nur als ein Beispiel berichtete am Samstag auf seiner Website darüber, dass der rechte Demonstrationszug vorzeitig beendet werden sollte. Aber gut.
Gegenstand politischer Auseinandersetzungen: die Wahrheit
Roger Köppel ist – man muss das immer wieder aufzählen: Köppel ist nicht nur Chefredakteur der "Weltwoche", sondern auch deren Verleger. Zugleich Abgeordneter der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) im Nationalrat. Vor allem aber ist er Symptom eines Journalismus‘ in der Krise.
Eine viel beschriebene Krise: Schon lange erschöpft sich die Öffentlichkeit nicht mehr in ein paar Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Soziale Medien und Blogs auf jedem Mobiltelefon sorgen für eigene öffentliche Tempi, Rhythmen, Sprechweisen, Räume.
Eine viel beschriebene Krise: Schon lange erschöpft sich die Öffentlichkeit nicht mehr in ein paar Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Soziale Medien und Blogs auf jedem Mobiltelefon sorgen für eigene öffentliche Tempi, Rhythmen, Sprechweisen, Räume.
Massenwirksame Unterhaltungsformate ersetzen für viele den täglichen Nachrichtenkonsum. Und ein Präsident mit hell orangenem Haar kommuniziert in Kürzestnachrichten direkt an seine 54 Millionen Twitter-Accounts umfassende Gefolgschaft. Donald Trump ist allerdings nur das grellste Beispiel dafür, dass die Wahrheit selbst zum Gegenstand und zum Mittel in der politischen Auseinandersetzung geworden ist.
Verunsicherte Medien scheuen klare Standpunkte
In dieser krisenhaften Lage – und das ist das Neue – sind manche Redaktionen so verunsichert, dass sie sich mit eigenen Standpunkten bisweilen übervorsichtig zurückhalten. Chemnitz erlebt massive Ausschreitungen von rechts, ein paar Tage später ein friedliches Konzert eben nicht nur mit Publikum von links, sondern mit 65.000 äußerst gemischten Menschen – und dann, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen von gestern Abend, wird diskutiert, als beobachte man eine Symmetrie von Rechts- und Linksextremismus.
Es ist an der Zeit, seriöse Journalistinnen und Journalisten daran zu erinnern, was sie von all den anderen Akteuren in der zersplitterten Öffentlichkeit unterscheidet. Und das ist – sicher – zuverlässige und neutrale Berichterstattung, aber eben nicht nur dies. Journalismus besteht daneben in der Artikulation von Standpunkten.
Rassismus erfordert auch von Journalisten eigene Haltung
"Wir sind zu wenig radikal", schreibt Patrick Bahners dieser Tage, ein Redakteur in Diensten der FAZ seit beinahe 30 Jahren, des Linksradikalismus völlig unverdächtig. Bahners lässt sich dabei vom 19. Jahrhundert inspirieren: bei einem Republikanismus, dessen Radikalität darin besteht, einfach die Gleichheit der Menschen anzuerkennen. Übersetzt auf die Chemnitzer Verhältnisse heißt das: Wer sich gegen Rassismus stellt, auf eine Seite also, auch als Journalist, verteidigt die Republik, die öffentliche Sache selbst.
Der rechte Journalist und Politiker Roger Köppel, dieser Gesinnungsjournalist, beschimpfen nach Chemnitz Kollegen mit einer anderen Weltwahrnehmung als "Denunziationsjournalisten". Es wäre an der Zeit, den Köppels dieser Welt beherzt entgegenzutreten. Meine Meinung.