"Arm, aber sexy" – das war einmal
Das sexy-arme Image klebt an Berlin. Nur: passt das noch? Ein Stadtteil nach dem anderen wird gentrifiziert. Den Ruf, ein spannendes, bezahlbares Biotop für freie Kunst zu sein, verliert Berlin so langsam.
"Ich bin Vitas, ich komme aus Litauen. Ich habe Kunst studiert und arbeite an einer Performance für die baltische Trienale. Die findet statt im nächsten Jahr."
Vitas Jurevicius bezeichnet sich als Fluxus-Künstler und inszeniert mit Menschen Situationen in Räumen. Und das ist so seltsam, wie es klingt. Jetzt steht Vitas vor einem Restaurant neben der Kreuzberger Markthalle, drinnen sitzen 20 Freunde, essen, feiern. Denn Vitas ist nur noch selten in Berlin. Seit kurzem lebt er nämlich in London, einfach, weil sein Freund dort einen guten Job gefunden hat.
"Ich habe Kunst studiert an der Städelschule in Frankfurt am Main und dann bin ich nach Berlin gekommen und dann war ich hier fünf Jahre."
Die Ateliers sind sehr, sehr teuer
Vitas vermisst Berlin, sagt er. Aus zwei Gründen:
"Ich komme sehr gern nach Berlin, um Projekte zu machen und ich male sehr gern hier, weil die Menschen einander helfen. Du kannst hier ohne gar kein Budget etwas Gutes schaffen. In London geht alles nur ums Geld. Du kannst keine Räume irgendwie umsonst kriegen und die Leute sagen immer, dass sie sehr busy sind. Aber das ist nur eine... die können Zeit finden, aber sie sagen immer gern busy. Und die Ateliers sind sehr, sehr teuer, deswegen arbeiten viele Künstler nicht so sehr frei. Die machen Kunst, um die Mieten zahlen zu können. In Berlin, glaube ich, ist es viel experimenteller."
Das ist der zweite, wesentliche Grund, weshalb Vitas Berlin vermisst:
"Wenn ich gute Arbeit schaffen will, muss ich nach Berlin kommen. Berlin macht mich frei. London macht mich nicht frei. In London will ich manchmal gar nicht raus aus dem Haus, weil das ist zu rough. Berlin ist viel freier. Ich kann da viel freier mit meinen kreativen Gedanken spielen."
Ilya Lipkin: "I don´t know if I am a good interview partner, because I am erkältet heute.
Mein Name ist Ilya Lipkin, ich bin in Riga geboren, Lettland, ich bin 34 Jahre alt. Mit sieben sind wir von Riga, das damals in der Sowjetunion lag, nach New York gezogen. Da habe ich mit meiner Familie siebeneinhalb Jahre gewohnt – bevor ich nach Berlin kam."
Ilya Lipkin fotografiert für Modemagazine, aber auch dokumentarisch: Zu seinen besten Arbeiten gehört etwa die Serie über Menschen an Bankautomaten. Er lebt mit einem Freund in einer selbst für Berliner Verhältnisse großen Wohnung: 250 Quadratmeter in Friedrichshain. Saniert, neues Parkett, zwei Zimmer, ein geräumiges Bad und dieser riesige, fast leere Wohnraum, in dessen einer Ecke sich die Küchenzeile verliert.
Keine Bilder, kein Teppich, keine Vorhänge, kein Sofa. Nur ein Ess-Tisch, ein paar Stühle und ein bisschen Fotoausrüstung in der Ecke.
"Diesen Raum hier nutze ich als Studio zum Fotografieren. Ich lebe und arbeite hier, eine ziemlich große Wohnung. Da stehen meine Hintergrund-Folien für die Foto-Sessions, hier sind einige meiner Kameras.... this is my trusted tripod.... this is my Pentax 67, an old school middle format 67 camera".
Berlin ist zum Ausprobieren
Selbst in Berlin würde eine solche Wohnung auf dem freien Markt über 2.500 Euro pro Monat kosten. Weil die Wohnung aber einem reichen Freund aus New York gehört, zahlt Ilya Lipkin wenig Miete:
"Ich zahle eine Miete, aber in New York wäre die monumental und auch für Berlin zahle ich keine faire Miete, würde ich sagen. Das gibt mir die Möglichkeit und die Zeit, viel auszuprobieren."
Ilya Lipkins Fotografen-Karriere nimmt gerade Fahrt auf. Mode-Shootings, Magazine rufen an und er beginnt, eigene Werke zu verkaufen. Aber als er New York verließ, auch weil es zu teuer war, und durch einige Künstler-Freunde nach Berlin kam, war er pleite, hatte keinen rechten Plan, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Künstlerisch verdankt er Berlin sehr viel:
"Die Arbeit, die mir am meisten bedeutet, meine eigene künstlerische Arbeit – ohne den Kontext der sozialen Szene, zu der ich hier gehöre, und ohne die Zeit, zu scheitern, und das braucht man, die Zeit zu scheitern, um Dinge auszuprobieren. Das wäre in New York sehr, sehr schwer gewesen zu entwickeln. Wenn Du das schon gemacht hast, kannst Du nach New York kommen und es weiterentwickeln. Aber in Berlin hatte ich die Möglichkeit, rauszufinden, was ich wollte. Zum Beispiel: Als ich herkam, hatte ich noch nichts mit Fotografie zu tun."
Weniger Freiheiten als noch vor ein paar Jahren
Doch Berlin habe sich verändert. Billig sei Berlin nur noch, wenn Künstler Kunden im Ausland haben, die viel Geld zahlen. Wer in Berlin lebt und hier auch sein Geld verdienen müsse, habe deutlich weniger Freiheiten als noch vor ein paar Jahren:
"Als ich nach Berlin kam und in dieser Kunst-Galerie gearbeitet habe, habe ich 15 Euro pro Stunde verdient. Freunde von mir, die da immer noch arbeiten, bis heute, siebeneinhalb Jahre später, verdienen immer noch 15 Euro pro Stunde. Aber in diesen Jahren sind die Mieten in Berlin exponentiell gestiegen, die Studio-Miete ist exponentiell gestiegen. Und das U-Bahn-Ticket ist teurer geworden. Ausgehen, Essen, Gemüse, alles ist teurer geworden, nur der Lohn bleibt gleich. Das ist ein allgemeines Problem, nicht nur eins für Künstler."
Denn auch Kunst bringt wenig Geld in Berlin.
"Berlin ist sicher ein Kunstzentrum in Deutschland und auch Kontinental-Europa. Aber jeder in der Kunstszene weiß: Es ist nicht New York. Berlin ist langsamer und provinzieller. Berlin wird teurer und in vieler Hinsicht auch konservativer, es wird mehr wie Kopenhagen: Es ist dieses neugebaute, grüne, freundliche Konsumenten-Paradies. Extrem langweilig. Die Version Berlins, die sich jetzt entwickelt, ist in meinen Augen wirklich langweilig."
Atelier und Wohnung sind abbezahlt
"Ja, ich glaube, das ist so. Es wird auch glatter. Guten Tag, mein Name ist Käthe Kruse, ich bin bildende Künstlerin und lebe seit 1981 in Berlin."
Käthe Kruse war Hausbesetzerin, Sängerin der Künstler-Band "Die tödliche Doris". Heute lebt und arbeitet sie in einem denkmalgeschützten, aufwändig sanierten Haus von Bruno Tauth in Kreuzberg, dessen Erdgeschossfenster ständig mit Steinen eingeworfen werden. Die Angreifer sehen das edle Haus als Symbol von Gentrifizierung, Menschen wie Käthe Kruse als Verräter.
Die Künstlerin hatte geerbt und sicherte sich vor Jahren eine Wohnung mit Dachgarten und ein luftiges 100qm-Atelier im Erdgeschoss. Sie zahlt keine Miete, Atelier und Wohnung sind abbezahlt, ihre Bilder werden von der angesehen Galerie Zwinger vertrieben.
"Trotzdem sehe ich, wie viel schwieriger es auch geworden ist für mich. Ich muss ja auch noch zwei Kinder im Studium finanzieren, also das Konto ist im Dauerminus."
Ihre Ansprüche sind gestiegen, das Leben in Berlin wird teurer und von ihrer Kunst leben könnten nur wenige Stars, die Werke für Hundertausende verkaufen. In dieser Liga male sie aber nicht, sagt Kruse:
"Wenn dann so eine Arbeit 5.000 bis 15.000 kostet, dann weiß ich, meine Freunde kaufen das schon mal nicht. Und über die Galerie geht mal hier und da was, aber ohne Nebenjobs geht´s nicht.
Zeit für die Kunst
"Es ist eine gute Frage, ob die Kunst leidet. Es ist eher die Frage, ob die Menschen leiden, die Künstler sind unter diesem ganzen Druck", sagt der Berliner Galerist Lars Friedrich:
"Ich kenne wirklich viele Künstler in New York, die neben ihrer Karriere einfach arbeiten müssen, weil der Druck viel enormer ist, die Ausgaben sind viel höher. Und in Berlin – klar müssen Leute trotzdem arbeiten, aber sie müssen nicht so viel arbeiten und haben dennoch Zeit für ihre Kunst."
Aber die Luft wird dünner.
"Klar zieht es an, diese ganze Gentrifizierung ist natürlich extrem fortschreitend. Es gibt halt einfach nicht mehr diese Freiräume. Und die Stadt ist grade dabei, sich zu verkaufen und die Politik muss dafür sorgen, dass Freiräume bestehen bleiben, um eben nicht diesem Real Estate Business zum Opfer zu fallen."
Real Estate Business meint, Immobilien-Wirtschaft, das Phänomen, dass Künstler-Ateliers wie die attraktiven Ufer-Hallen im Wedding von Investoren gekauft werden, die das historische Industriegelände "entwickeln" wollen, Ende offen. Klar scheint nur: Für Tänzer, Maler und Musiker wird nicht mehr viel Platz sein.
Lars Friedrich:"Leider passiert das in Berlin immer häufiger, gerade hier in Berlin und am Ende wird es vielleicht so sein, dass sich die Künstler aus Berlin verabschieden."
Berlin steuert gegen
Die Berliner Landesregierung versucht gegenzusteuern, vermietet landeseigene Immobilien günstig an Künstler: Aktuell sind es 540 Ateliers und Arbeitsräume, in vier Jahren sollen es 2.000 sein. Aber können 2.000 günstige Ateliers den Druck spürbar mindern, Kunst zu produzieren, die Mehrheiten anspricht und Geld bringt?
Lars Friedrich:"Vielleicht wird es so eine Mainstream-Popkultur."
Galerist Lars Friedrich sieht experimentelle Nischen-Kunst in Gefahr:
"Die wenigen Orte, wo man sowas noch machen kann, die werden halt einfach weniger, die generieren dann vielleicht nicht so viel Geld, die Folge davon ist, dass es Galerien-Schließungen gibt und die Galerien, die den Trend erkennen, die werden dann vielleicht überleben."