Die Dörfer sollen weg
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900 Wohncontainer für Geflüchtete stehen derzeit in Berlin. Doch bald sollen sie wieder weg – zum Teil nach nichtmal zwei Jahren. Dabei sind angeblich bessere Unterkünfte längst nicht fertig, und auch für Obdachlose fehlt es an Wohnraum.
"Wir haben hier ein großes Feld 25.000 Quadratmeter, aber man kann jederzeit ganz normal rein und raus." Frauke Reinhard führt über den neu asphaltierten Weg durch ihr namenloses Dorf. Vorbei an Fahrradständern, einem kleinen Spielplatz und den Wohncontainern – von der Berliner Verwaltung Tempo-Homes genannt.
"Irgendwann soll hier mal gebaut werden. Das heißt, hier war ein weites Feld. Wir haben hier alles angelegt und dann die Container draufgestellt. 130 Container-Einheiten."
Vor nicht mal zwei Jahren hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten also ein komplettes Dorf aufs freie Feld gestellt. Eine neue Kanalisation und Stromkabel verlegt, neue Wege asphaltiert.
Ein Provisorium. Aber ein sehr solides, findet Frauke Reinard, die Leiterin des Container-Dorfs: "Jede Container-Einheit besteht aus drei Containern, das sind immer rechts und links die Bewohnerzimmer mit jeweils zwei Schlafplätzen und in der Mitte die Kochzeile und Dusche und Toilette."
Umzug wider Willen
Wir biegen in eines der kleinen Sträßchen ein, passieren den Grillbereich und das Fußballfeld. Mehrere Kinder überholen uns mit Fahrrädern. Sie leben hier in den Containern mit ihren Familien – 500 Geflüchtete sind vor zwei Jahren eingezogen. Zurzeit leben noch 300 hier – aber nicht mehr lange. Denn in den nächsten Tagen ziehen die Flüchtlinge aus. Wie aus den meisten Container-Siedlungen in Berlin. Nach nicht mal zwei Jahren.
"Viele sind mit der Eröffnung auch schon eingezogen, also schon über anderthalb Jahre hier wohnhaft. Die verlassen dieses Gelände nur ungern, weil es in dieser Zeit auch ihr Zuhause geworden ist. Das soziale Umfeld, Kitas, Ärzte, Schule - alles befindet sich in direkter Nähe und der Umzug bedeutet deshalb Veränderung. Und da es keine richtige Wohnung ist, hadern die Leute auch damit und würden gerne länger hier bleiben."
Und auch Dorf-Leiterin Reinhard selbst findet, die Flüchtlinge sollten noch bleiben können. "Die Container sind noch vollkommen in Ordnung, die Bewohner gehen auch pfleglich damit um, gerade weil sie über einen privaten Bereich verfügen."
Wunsch nach normaler Wohnung
"Bitteschön, sie können reinkommen!" Mustafa Pirus öffnet die Tür zu seinem Tempohome. Gemeinsam mit seinem Vater und seiner Schwester bewohnt er drei Container. "So hier ist die Dusche – und Toilette. Ich glaube, die ist besetzt."
Gerne lebt der 21-Jährige nicht hier. Natürlich würde er lieber in einer "normalen" Wohnung leben. Doch weil es Geflüchtete auf dem regulären Berliner Wohnungsmarkt noch schwerer haben, als alle anderen, wird er wohl wieder in eine Gemeinschaftsunterkunft ziehen müssen. "Das wünsch ich mir eigentlich: Eine normale Wohnung zu bekommen. Ich bin jetzt seit vier Jahren in Deutschland. Ich habe erst die Willkommensklasse gemacht, dann die Schule, aber habe immer noch keine Wohnung."
17 solcher Container-Dörfer hat der Senat auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in den Berliner Bezirken aufstellen lassen – mit insgesamt rund 5000 Plätzen. Kostenpunkt: Knapp 100 Millionen Euro. Nach nicht mal zwei Jahren wurde den Bezirken die Entscheidung überlassen, was damit passieren soll.
Die noch offenen Dörfer sind voll belegt
Viele wollen sie direkt wieder abreißen, um dort irgendwann Schulen oder Wohnungen zu errichten. Allerdings stehen die Planungen dafür erst am Anfang – zum Teil wird überhaupt erst geprüft. Trotzdem sollen die Flüchtlinge spätestens Ende 2020 raus, wie die Senatsverwaltung für Integration auf Anfrage mitteilt.
"Die Tempohomes bieten aufgrund ihrer Leichtbauweise nicht die gewünschte Qualität für die Unterbringung von geflüchteten Menschen. Mit Beschluss des damaligen Senats war die Unterbringung in diesen Provisorien von vornherein auf 3 Jahre limitiert." Abweichungen soll es nur in Notlagen geben.
"Nicht alle Tempohomes werden mit Auslaufen der Nutzungszeit leergezogen. Es werden dann im Einvernehmen mit den Bezirken Lösungen vor Ort gesucht, die den immer noch dringend notwendigen Unterbringungsbedarf von Geflüchteten dienlich sind." Und der könnte groß sein: Denn zurzeit sind die 15 noch offenen Dörfer fast voll belegt.
Neue Kosten – alte Probleme
Als Ersatz für die Container will das Land Modular-Bauten bereitstellen - doch in vielen Stadtteilen läuft der Bau nicht so schnell wie geplant. Auch weil vielerorts Bürger gegen diese Bauten protestieren. Nach wie vor bringen die Bezirke außerdem viele Geflüchtete in Hostels unter.
Unter anderem deshalb hält die Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus den Abbau der Container für Unsinn. Etwa Sibylle Meister, stellvertretende Fraktionschefin der FDP: "Die Unterbringung in den Hostels ist ja besonders teuer und wenig zielführend, weil es auch ohne soziale Betreuung erfolgt: Hier wäre die Unterbringung in den Tempohomes zielführender. Noch ein Grund, die Temopohomes nicht abzubauen."
Zumal da der Abbau weitere 47 Millionen Euro kosten wird. Selbst wenn es für Flüchtlinge bald andere, bessere Unterkünfte geben sollte, könnten die teuren Container zwischengenutzt werden, sagt die FDP-Politikerin: "Jetzt im Winter für die Kältehilfe, wenn es um Obdachlose geht, oder für kulturelle Projekte, soziokulturelle Träger. Überall suchen Menschen ein Dach über dem Kopf und wir bauen Tempohomes ab. Das kann nicht richtig sein."
Als Geflüchteter ohne Job chancenlos
Im Containerdorf hat Meskap Tul noch ein paar Formulare übersetzt. Jetzt sitzt er mit Heimleiterin Reinhard im Gemeinschaftsraum. Der 27-jährige Syrer ist fast jeden Tag hier, um zu dolmetschen oder Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen.
Bis vor ein paar Wochen lebte auch er in einem Container-Dorf. Inzwischen ist er in eine der neuartigen vom Senat gepriesenen Modul-Unterkünfte gezogen. Anders als im Container muss er sich nun Bad und Küche mit Fremden Teilen. Er sagt: "Um ehrlich zu sein, beide sind schlecht, aber der Container ist noch ein bisschen besser."
Fast täglich sucht auch er nach einer normalen Wohnung, nach drei Jahren im Provisorium. Doch als Flüchtling ohne festen Job – sind seine Chancen auf dem Berliner Wohnungsmarkt – gleich null: "Das ist wie ein Traum in Berlin."