Berlin ehrt Cyprien Gaillard
Das Publikum hat eindeutig entschieden: Der "Preis der Neuen Nationalgalerie", der alle zwei Jahre im Hamburger Bahnhof in Berlin verliehen wird, geht an Cyprien Gaillard. Bereits im September hatte der französische Künstler den Jury-Preis der Nationalgalerie erhalten.
Es gibt Kunstpreise, die kennt kein Mensch. Vielleicht sind sie zu akademisch, oder sie bevorzugen einseitig einen bestimmten Geschmack der Auslober. Oder sie sind einfach zu schlecht dotiert. Es gibt Kunstpreise, die von Künstlern dankend abgelehnt werden, weil sie die Mühen der Anreise zur Preisverleihung nicht wert sind.
Es ist also selbst schon eine Art von Kunst, einen Kunstpreis halbwegs annehmbar zu gestalten und ihn dann auch noch über eine gewisse Zeit am Leben zu erhalten, vor allem in einem als schwierig bekannten Umfeld wie der Gegenwartskunst - bekennt Joachim Jäger, stellvertretender Direktor der Neuen Nationalgalerie Berlin, die alle zwei Jahre den "Preis der Neuen Nationalgalerie" im Museum Hamburger Bahnhof verleiht.
"Es gibt natürlich Preise, die Banken und Versicherungen ausschreiben, es gibt Städtepreise, aber es gibt eigentlich nur sehr wenig Museumspreise, und der Preise der Nationalgalerie ist ein ausgewiesener Museumspreis, und die Jury ist auch von Museumsleuten besetzt. Wir haben hier mit dieser Ausstellung 'Preis der Nationalgalerie' 30.000 Besucherinnen und Besucher erreicht, das ist für zeitgenössische Kunst eine sehr gute Zahl. Natürlich ist es am Ende auch eine sehr große Ehre, diesen Preis zu gewinnen, eben einen Preis eines großen deutschen Museums."
Vorbild des Preises der Nationalgalerie war bei seiner Gründung im Jahr 2000 der Turner Prize der Londoner Tate Gallery. Der erregt beim Publikum und vor allem bei der Boulevardpresse immer wieder spitze Schreie wolllüstiger Empörung über den hochdotierten Unsinn, den sich die Preisträger angeblich ausdenken. Im Vergleich dazu geht es beim Berliner Pendant immer sehr gepflegt und geradezu sittsam zu, statt auf Skandal setzt man in Deutschlands Hauptstadt auf Anspruch.
"Die Situation in England ist komplett anders als in Deutschland, und auch die Yellow Press reagiert in England einfach anders. Es ist die Frage, ob man eine Diskussion über Kunst in der 'Bild'-Zeitung wirklich möchte, wir haben uns eigentlich nicht so entschieden. Es gibt sehr viel Diskussion, auch Widersprüchliches, auch aus Ihrer Zunft kommt immer wieder auch Kritisches, also es ist eine sehr lebendige Geschichte, die ich auch in dieser Weise absolut richtig finde."
Ende der 90er-Jahre war es auch in Berlin Mode geworden, das Sich-Umgeben mit Gegenwartskunst als einen massentauglichen Lifestyle zu verkaufen. Das Laufpublikum der Museen sollte über Kunst diskutieren können wie über die neuesten Designermöbel oder über die Farbe der Sitzbezüge eines bekannten deutschen Limousinenherstellers, der den Preis der Nationalgalerie seit geraumer Zeit mitfinanziert, weil, so die Begründung, die Wertschöpfung bei Künstlern und Autobauern schließlich doch ganz ähnlich funktioniere. Mit dem Publikumspreis sollte daher den Laien Gelegenheit gegeben werden, der Expertenjury einmal in die Suppe zu spucken, denn schließlich weiß doch jeder...
"... dass Jurys natürlich ein kleiner Kreis sind, da spielen Machtspiele manchmal auch eine Rolle, Rhetorik auch eine Rolle, es gibt im breiten Publikum also auch oft Zweifel an der Jury, hat sie richtig entschieden?"
Aber es gibt auch noch ganz andere, viel grundsätzlichere Gründe, das Publikum zu beteiligen. Nicht nur flache Hierarchien, wie Joachim Jäger einräumt, sondern eine Art prinzipieller Zweifel an Jury-Entscheidungen:
"Das Ergebnis dieser Entscheidung ist vielleicht aber gar nicht so wichtig für unsere Wahrnehmung, sondern ich finde sehr wichtig, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, eine Stimme abzugeben. Weil die Qualitätskriterien über junge Kunst natürlich noch nicht endgültig feststehen. Deswegen streitet auch die Jury oft länger über diese Arbeiten."
Wer beim Publikumspreis seine Stimme abgibt mit welchen Gründen, mit welchem Vorwissen auch immer, wer die 3000 Leute waren, die am Ende abgestimmt haben, weiß niemand so recht. Fest steht, das Museum sammelt die Adressen ein, die die Stimmberechtigten freiwillig abgeben, weil man ihnen im Gegenzug versprochen hat, an einer anderen Preisverlosung teilzunehmen, für Wochenenden zu zweit in Berlin oder München. In der Wirtschaft nennt man so etwas wohl Kundenbindung. Am Ende haben diesmal aber die weitaus meisten Laien der Entscheidung der Expertenjury zugestimmt und Cyprien Gaillard, der auch schon den Hauptpreis gewonnen hatte, auch den Publikumspreis zuerkannt. Und zwar, wie es heißt, mit mehr Stimmen, als die anderen drei Künstler, die zur Wahl standen, zusammen erhalten haben. Andro Wekua, Kitty Kraus und Klara Lidén sind allerdings nun keine so nachrangigen Künstler, wie dieses Ergebnis suggeriert. Cyprien Gaillard macht vielleicht die gefälligeren Videos, er ist ein Sinnschmeichler par excellance. Das Publikum hätte ihn durchschauen und für Gerechtigkeit sorgen müssen. So ungerecht kann die Kunstwelt auch auf Publikumsseite sein.
Mehr zum Thema bei dradio.de:
Auf den Spuren des Verfalls und der Zerstörung: Cyprien Gaillard bekommt den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst
Es ist also selbst schon eine Art von Kunst, einen Kunstpreis halbwegs annehmbar zu gestalten und ihn dann auch noch über eine gewisse Zeit am Leben zu erhalten, vor allem in einem als schwierig bekannten Umfeld wie der Gegenwartskunst - bekennt Joachim Jäger, stellvertretender Direktor der Neuen Nationalgalerie Berlin, die alle zwei Jahre den "Preis der Neuen Nationalgalerie" im Museum Hamburger Bahnhof verleiht.
"Es gibt natürlich Preise, die Banken und Versicherungen ausschreiben, es gibt Städtepreise, aber es gibt eigentlich nur sehr wenig Museumspreise, und der Preise der Nationalgalerie ist ein ausgewiesener Museumspreis, und die Jury ist auch von Museumsleuten besetzt. Wir haben hier mit dieser Ausstellung 'Preis der Nationalgalerie' 30.000 Besucherinnen und Besucher erreicht, das ist für zeitgenössische Kunst eine sehr gute Zahl. Natürlich ist es am Ende auch eine sehr große Ehre, diesen Preis zu gewinnen, eben einen Preis eines großen deutschen Museums."
Vorbild des Preises der Nationalgalerie war bei seiner Gründung im Jahr 2000 der Turner Prize der Londoner Tate Gallery. Der erregt beim Publikum und vor allem bei der Boulevardpresse immer wieder spitze Schreie wolllüstiger Empörung über den hochdotierten Unsinn, den sich die Preisträger angeblich ausdenken. Im Vergleich dazu geht es beim Berliner Pendant immer sehr gepflegt und geradezu sittsam zu, statt auf Skandal setzt man in Deutschlands Hauptstadt auf Anspruch.
"Die Situation in England ist komplett anders als in Deutschland, und auch die Yellow Press reagiert in England einfach anders. Es ist die Frage, ob man eine Diskussion über Kunst in der 'Bild'-Zeitung wirklich möchte, wir haben uns eigentlich nicht so entschieden. Es gibt sehr viel Diskussion, auch Widersprüchliches, auch aus Ihrer Zunft kommt immer wieder auch Kritisches, also es ist eine sehr lebendige Geschichte, die ich auch in dieser Weise absolut richtig finde."
Ende der 90er-Jahre war es auch in Berlin Mode geworden, das Sich-Umgeben mit Gegenwartskunst als einen massentauglichen Lifestyle zu verkaufen. Das Laufpublikum der Museen sollte über Kunst diskutieren können wie über die neuesten Designermöbel oder über die Farbe der Sitzbezüge eines bekannten deutschen Limousinenherstellers, der den Preis der Nationalgalerie seit geraumer Zeit mitfinanziert, weil, so die Begründung, die Wertschöpfung bei Künstlern und Autobauern schließlich doch ganz ähnlich funktioniere. Mit dem Publikumspreis sollte daher den Laien Gelegenheit gegeben werden, der Expertenjury einmal in die Suppe zu spucken, denn schließlich weiß doch jeder...
"... dass Jurys natürlich ein kleiner Kreis sind, da spielen Machtspiele manchmal auch eine Rolle, Rhetorik auch eine Rolle, es gibt im breiten Publikum also auch oft Zweifel an der Jury, hat sie richtig entschieden?"
Aber es gibt auch noch ganz andere, viel grundsätzlichere Gründe, das Publikum zu beteiligen. Nicht nur flache Hierarchien, wie Joachim Jäger einräumt, sondern eine Art prinzipieller Zweifel an Jury-Entscheidungen:
"Das Ergebnis dieser Entscheidung ist vielleicht aber gar nicht so wichtig für unsere Wahrnehmung, sondern ich finde sehr wichtig, dass es überhaupt die Möglichkeit gibt, eine Stimme abzugeben. Weil die Qualitätskriterien über junge Kunst natürlich noch nicht endgültig feststehen. Deswegen streitet auch die Jury oft länger über diese Arbeiten."
Wer beim Publikumspreis seine Stimme abgibt mit welchen Gründen, mit welchem Vorwissen auch immer, wer die 3000 Leute waren, die am Ende abgestimmt haben, weiß niemand so recht. Fest steht, das Museum sammelt die Adressen ein, die die Stimmberechtigten freiwillig abgeben, weil man ihnen im Gegenzug versprochen hat, an einer anderen Preisverlosung teilzunehmen, für Wochenenden zu zweit in Berlin oder München. In der Wirtschaft nennt man so etwas wohl Kundenbindung. Am Ende haben diesmal aber die weitaus meisten Laien der Entscheidung der Expertenjury zugestimmt und Cyprien Gaillard, der auch schon den Hauptpreis gewonnen hatte, auch den Publikumspreis zuerkannt. Und zwar, wie es heißt, mit mehr Stimmen, als die anderen drei Künstler, die zur Wahl standen, zusammen erhalten haben. Andro Wekua, Kitty Kraus und Klara Lidén sind allerdings nun keine so nachrangigen Künstler, wie dieses Ergebnis suggeriert. Cyprien Gaillard macht vielleicht die gefälligeren Videos, er ist ein Sinnschmeichler par excellance. Das Publikum hätte ihn durchschauen und für Gerechtigkeit sorgen müssen. So ungerecht kann die Kunstwelt auch auf Publikumsseite sein.
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