Erinnerung an zerstörte Gotteshäuser
Berlin mag als eine gottlose Stadt gelten, aber zumindest vor dem Zweiten Weltkrieg gab es hier ziemlich viele Kirchen. Allein in Berlin-Mitte wurden 22 Gotteshäuser so stark zerstört, dass sie abgerissen wurden. Seit einiger Zeit wird an diese Kirchen erinnert.
"Zuerst wurde das Stahlgerüst abgerissen, und danach wurden Sprengungen durchgeführt von 1960 bis 64. Das ist ein langer Prozess gewesen."
Gerhard Boß ist ehemaliger Pfarrer von St. Petri in Berlin. Er hat den endgültigen Abriss der alten Kirche der Gemeinde miterlebt – und sogar festgehalten.
"1964. Das war an einem Sonntag. Mein Kollege hatte dann den Gottesdienst gehalten. Und ich habe gesagt: Ich gehe nach draußen und werde die Sprengung und den Abriss filmen."
"Wir haben noch leider sehr viele Orte, wo nicht einmal Gedenktafeln stehen. Dann gibt es Orte, wo der Kirchengrundriss im Pflaster markiert ist. Und auch darüber rauscht der Verkehr und gehen die Menschen, ohne das im Regelfall zu bemerken. Und an einigen wenigen Orten ist schon deutlich mehr erreicht."
Der Stadthistoriker Benedikt Goebel und seine Mitstreiter wollen die Erinnerung an die historische Stadt wachhalten. Das geschieht zum Beispiel mit Tafeln, auf denen Fotomontagen zu sehen sind, die die alten Gotteshäuser im aktuellen Stadtbild zeigen. Oder ein Künstler inszeniert das Erinnern.
Der Bethlehemskirchplatz liegt in der Nähe von Checkpoint Charlie. Hier stand ein barocker Rundbau aus dem frühen 18. Jahrhundert, eine Kirche für die Böhmischen Brüder, die als Exilanten in die Preußische Hauptstadt kamen. Die Simultankirche für gleich drei Gemeindenwurde 1943 durch den Luftkrieg zerstört. Heute erinnert eine Stahlskulptur an sie. Das ist dem spanischen Konzeptkünstler Künstler Juan Garaizabal zu verdanken. Er hat der Stadt das Kunstwerk geschenkt.
"Das Kunstwerk ist 30 Meter hoch und besteht aus verschraubten Stahlteilen, die exakt den Umriss der Kirche vom Erdboden bis zur Laterne nachformen, die Fenster sind angedeutet, und der Umriss dieser verlorenen Kirche steht jetzt uns allen vor Augen."
Gotteshäuser waren Autos im Weg
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Gebäude der Stadt zerstört. Das verstanden die Akteure des Wiederaufbaus – in Ost und West gleichermaßen – als historische Chance, die moderne, funktionsgerechte Stadt zu bauen, in der Autos grundsätzlich Vorfahrt haben. Der historische Stadtgrundriss mit den prominent platzierten Gotteshäusern war da nur im Weg. Diese Haltung will Benedikt Goebel ändern. In Zukunft sollen Podeste die ehemaligen Kirchengrundrisse markieren.
"Wir sehen einen richtig direkten Nutzen, nämlich einen stadtentwicklungspolitischen. Die verlorenen Gotteshäuser müssen unserer Meinung nach wieder dem Alltag enthoben werden, dem Fußgänger- und Straßenniveau Berlins und mindestens bordsteinhoch in ihrem Grundriss wiedergewonnen werden, und damit wäre ein ganz großer Schritt nach vorne getan, ein Schritt in die Zukunft, nämlichen einen Bruch mit der autogerechten Stadt."
Es ist Mittagszeit. Im Gemeindehaus von St. Petri sitzt Pfarrer Gerhard Boß mit seinem Kollegen Johannes Heidler in seinem Wohnzimmer. Beide erinnern sich: Zu DDR-Zeiten war Pragmatismus angesagt. Als Johannes Heidler in die St.-Petri-Gemeinde kam, befand sich auf dem Grundstück, wo einst die Kirche stand, ein Parkplatz.
"Ich bin 1970 hierhergekommen als Gemeindepfarrer und habe ehrlich gesagt die Kirche niemals vermisst. Wir hatten ein schönes Gemeinde-haus. Vor allem, es war ein heizbarer Saal, und wir haben uns immer nur vorgestellt: Wie kalt muss es in einer solchen Kirche gewesen sein. Ich hätte niemals gesagt, diese Kirche fehlt hier."
Im Gemeindehaus war für die wenigen Kirchengänger mehr Platz als genug.
Verkehrsberuhigung als Nebeneffekt
Auf dem Grundstück von St. Petri soll demnächst das "House of One" gebaut werden. Ein gemeinsames Gotteshaus für drei Religionen. Christen, Muslime und Juden werden dann unter einem gemeinsamen Dach beten. Die Evangelische Landeskirche ist hier sehr engagiert, doch Gerhard Boß ist nicht restlos begeistert.
"Wenn man jetzt mit anderen Religionen zusammen ein Haus baut, dann ist aber auch heute die Frage, woher kommt dieses Geld? Wir haben ein wunderschönes Gemeindehaus in der Neuen Grünstraße 19 gehabt, und dieses Haus wurde verkauft für zweieinhalb Millionen. Nun gut, es fehlte uns die Trauerzeit – zu trauern auch darüber, dass auch ein Gemeindehaus dann abgerissen wird."
Berlin Kreuzberg. Stadthistoriker Benedikt Goebel steht vor dem Springer-Hochhaus. Eine Markierung im Bürgersteigpflaster und Straßenasphalt zeigt den früheren Standort der Jerusalemer Kirche. Die Informationsstele ist verschwunden, und das Panzerglas, das ein Terrakotta-Element aus dem alten Turmbereich schützen sollte, ist zersplittert. Hier ist die Erinnerung genauso zerstört wie die Kirche.
"Bis zum Abbruch der Ruine hier, um 1960 herum, mussten die Autofahrer in den zweiten Gang schalten, um die Kirche zu umfahren, und jetzt können die Autos im dritten Gang bleiben und hier durchfahren. Um so einen neuralgischen Verkehrsort wie diese Kreuzung durch ein Kirchenpodest verkehrszuberuhigen, brauchen wir noch mehr politische Unterstützung."
Die Idee bräuchte viele Verbündete, denn die Dreifaltigkeitskirche an der Mauerstraße liegt zum Teil auf dem Gelände der nordkoreanischen Botschaft.
"Das wäre auch ein wunderbarer Ort, ein Podest für die Dreifaltigkeitskirche zu realisieren."