Filmische Stadtbilder

In der Hauptrolle: Berlin

10:23 Minuten
Szene aus dem Tom-Tykwer-Film "Lola rennt" mit Moritz Bleibtreu und Franka Potente. Beide richten ihre Waffe Richtung Zuschauer, im Hintergrund die Stadt Berlin.
"Lola rennt" setzte Berlin in Szene - wie viele andere Filme auch. © picture-alliance / dpa
Marcus Stiglegger im Gespräch mit Susanne Burg |
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Nicht nur in "Victoria" oder "Sonnenallee" stellt Berlin mehr dar als die filmische Kulisse: Die Stadt selbst spielt eine Hauptrolle. Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger ist dem Phänomen auf den Grund gegangen.
Susanne Burg: Ob in Filmen wie „Lola rennt“, „Berlin Calling“, „Victoria“ oder in Serien wie „Im Angesicht des Verbrechens“, „Four Blocks“ oder „Babylon Berlin“ – Berlin ist immer wieder Schauplatz fiktiver Geschichten. Und viele Filme hatten auch einen großen Einfluss, wie Menschen die Stadt wahrgenommen haben – was wiederum einen Einfluss auf die Kultur der Stadt selber hatte.
Nun gibt es ein Buch, das sich mit diesen Bildern im Film auseinandersetzt. Es heißt „Berlin Visionen – Filmische Stadtbilder seit 1980“. Herausgegeben hat es – zusammen mit Stefan Jung – der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger. Berlin spielt ja eigentlich schon seit Beginn der Filmgeschichte eine große Rolle im Film. Warum haben Sie sich auf die Zeit ab 1980 konzentriert, Herr Stiglegger?
Stiglegger: Filmerfahrung ist ja immer auch eine Generationenerfahrung, und es gab mehrere Überlegungen, wie man dieses wirklich uferlose Gebiet einschränken könnte, denn natürlich gibt es extrem bedeutende Filme quer durch die Filmgeschichte – von Billy Wilder, von Fritz lang und so weiter –, die da eine Rolle spielen könnten.
Meine erste Begegnung mit Berlin im Film war Christiane F., und das war für mich im Grunde immer ein Schlüssel zum Verständnis dieser Stadt, so wie ich sie dann später auch erlebt habe. Die zweite Überlegung war - weil mein Mitherausgeber, Stefan Jung, in Dresden aufgewachsen ist - dass wir quasi auch eine westliche und östliche Perspektive auf dieses Thema einnehmen können, und deswegen war natürlich der Mauerfall sehr wichtig.
Im Grunde waren die zehn Jahre vor und zehn Jahre nach dem Mauerfall für uns der wesentliche Zeitraum, wo wir untersuchen wollten, wie Medien – also speziell Filme und auch ein paar Serien – das dann reflektieren.

Die Schattenseite Westberlins

Burg: Bleiben wir kurz in den 80ern, weil Sie Christiane F. erwähnten. Die öffentliche Wahrnehmung von Berlin, bin ich der Meinung, wurde in den 80er-Jahren sehr stark durch diesen Bestseller und dann auch durch die Verfilmung des Buches geprägt: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“. Wie zentral ist denn der Film wirklich für das Berlin-Bild dieser Zeit?
Stiglegger: Ich glaube, es ist ein Unterschied, ob man Berlin von innen kennengelernt hat, indem man dort aufgewachsen ist oder dorthin gezogen ist in dieser Zeit, oder ob man es wirklich rein medial erlebt hat. Für mich waren das als jemand, der im Rhein-Main-Gebiet aufwuchs und Filmfan war, neben Christiane F. auch andere Filme, die ein bisschen die Schattenseite von Westberlin kennzeichneten – „Alpha City“ von Eckhart Schmidt oder „Kalt wie Eis“ von Carl Schenkel. Und das ist natürlich auch die Punk-Ära Ende der 70er-Jahre, um 1980, in der sich in Berlin auch kulturell sehr viel formte.

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Christiane F. ist natürlich eigentlich ein Relikt der 70er-Jahre, das dann erst 1981 verfilmt wurde, durch den Soundtrack von David Bowie und Brian Eno hat sich da auch eine spezifische Sensibilität eingeschlichen, die unheimlich wichtig war für die Wahnehmung meiner Generation von Berlin als einer kulturellen Stadt, die aber sehr stark aus dem Elend zehrte, aus diesem Schmutz, der ja in Christiane F. gleich zu Beginn wichtig ist. Und das steht natürlich im kompletten Kontrast zu der anderen Seite Berlins, zu der modernen, der technisierten Seite, der hochkulturellen Seite.

Aufbruch in Ost und West

Burg: Nach dem Mauerfall herrschte dann eine Aufbruchstimmung in Berlin, und es war Ende der 90er-Jahre, dass das geteilte Berlin filmisch wieder in den Fokus rückte und auch eine gewisse Ostalgie Einzug hielt. Welche Rolle spielte denn in dem Zusammenhang der Film „Sonnenallee“ von Leander Haußmann, der 1999 erschien?
Stiglegger: Nach dem Mauerfall ist es so, dass parallel zu dieser Aufbruchstimmung, die ein verändertes Berlin – die Technoszene und so weiter – mit sich brachte, sich diese Ostalgie entwickelte, also dieses Vermissen einer spezifischen, fast dörflichen Gemeinschaft, die im Ostteil der Stadt festgestellt wurde. „Sonnenallee“ ist mit Sicherheit einer dieser Filme, aber es gibt auch andere – „Good Bye, Lenin!“ zum Beispiel.

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Und selbst in Filmen, die eigentlich quasi die vereinigte Stadt schon thematisieren, wie „Das Leben ist eine Baustelle“ von Wolfgang Becker, kommen solche Aspekte durch. Das heißt, eine gegenseitige Durchdringung unterschiedlicher Stadterfahrung, unterschiedlicher Lebenswirklichkeiten drückt sich mal in die eine, mal in die andere Richtung aus, und „Sonnenallee“ ist tatsächlich so etwas wie der Prototyp dieser ostalgischen Perspektive.

Verschiedene Perspektiven auf die Stadt

Burg: Wie wird denn eigentlich Berlin in diesen Filmen inszeniert?
Stiglegger: Berlin ist eine extrem vielgesichtige Stadt, die es einem nicht leicht macht, eine Perspektive zu finden, die wirklich der Stadt selbst gerecht wird. Insofern sind diese Perspektiven sehr stark auf den Kiezcharakter, auf die einzelnen Stadtteile orientiert. Das wirkt dann gar nicht mehr großstädtisch zum Teil. Berlin ist eine untypische Großstadt, mit sich in die Breite entwickelnden und mäandernden Vorstädten, auch von der Optik. Also anders als Frankfurt etwa, das wirklich eine Hightech-Noir-Gangsterfilm-Metropole geworden ist, ist Berlin schwer fassbar für die filmische Annäherung.
Laia Costa, Frederick Lau und Franz Rogowski in Sebastian Schippers "Victoria". Frederick Lau richtet eine imaginäre Pistole auf die anderen, alle stehen in blauem Club-Dämmerlicht.
Auch dit is Berlin: Laia Costa, Frederick Lau und Franz Rogowski in Sebastian Schippers "Victoria".© picture alliance / dpa / Senator Film Verleih
Burg: Ja, vielleicht deswegen widmen Sie sich auch in einzelnen Kapiteln unterschiedlichen Gebieten. Da ist ein Kapitel zum Beispiel über das Europacenter, ein anderes Kapitel ist Kreuzberg, wo das Zeigen von Berlin, aber auch das Nichtzeigen ein Thema ist, wie in „Herr Lehmann“ von Leander Haußmann, wo der Protagonist sich eben in den Kneipen von Kreuzberg herumtreibt und den Rest ausblendet. Sie reden da vom Sonderstatus Kreuzbergs, warum?
Stiglegger: Kreuzberg ist natürlich ein ikonischer, idealisierter Mikrokosmos. Vor der Wende ist es so, dass Kreuzberg eine Schlüsselfunktion hat, wenn es einerseits um das Entstehen einer multikulturellen Gemeinschaft geht, aber andererseits ist es auch der Ort, an dem sich subkulturelle Musik ereignet, an dem die Punkszene floriert in der Oranienstraße, und natürlich diese Vielzahl von kleinen Kiezkneipen. Nach der Öffnung gibt es leichte Veränderungen, und Kreuzberg verliert nach und nach diesen ikonischen Status, und auch die subkulturellen Phänomene wandern zum Teil in andere Gegenden, also Mitte, Friedrichshain, ab, und die Subkultur verändert sich auch. Also wir haben hier einen Übergang von der Punkkultur in die Technokultur zum Beispiel.
Ein Wandbild von Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan, r) aus der Serie "4 Blocks" ziert ein Haus in Kreuzberg.
Ziemlich meta: Ein Wandbild von Toni Hamady (Kida Khodr Ramadan, r.) aus der Serie "4 Blocks" ziert ein Haus in Kreuzberg.© picture alliance / dpa / Sonja Wurtscheid
Das sind alles Prozesse, die im Fluss sind, und dieser Fluss wurde beschleunigt durch die Maueröffnung. Das reflektieren die Filme auf sehr unterschiedliche Weise, und Filme wie „Herr Lehmann“ trauern dieser Kiezidylle nach. Gleichzeitig gibt es Filme wie „Angel Express“ von R. P. Kahl, die eine Aufbruchstimmung feiern, die neue Energie, die vom Osten nach Westen strömt. Das sind Phänomene, die sehr unterschiedlich in diesen Filmen reflektiert werden.

"Ikonischer Charakter Berliner Orte"

Burg: Dann gibt es auch einen unglaublich erfolgreichen Film wie „Lola rennt“ von Tom Tykwer, wo ja sehr viel Berlin zu sehen ist. Wie hat der eigentlich die Wahrnehmung von Berlin international geprägt?
Stiglegger: Der Ansatz unseres Bandes „Berlin Visionen“ ist ja der, eine mediale Topografie Berlins anhand der filmischen Darstellungen zu zeigen. „Lola rennt“ hat natürlich eine besondere Stellung, weil er diesen ikonischen Charakter von Berliner Orten auf eine sehr intensive Weise darstellt und die auch quasi montiert. Man könnte ja diesen Lauf, den Lola hinter sich bringt, mit menschlichen Kräften kaum bewältigen, weil sie an sehr diversen Orten über die ganze Stadt verteilt auftaucht, und das ist schon eine ikonische Fantasie von dem, was Berlin aus Außensicht ist.

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Das ist auch immer wieder interessant, weil Tykwer ja kein Ur-Berliner ist, der so eine Innensicht überhaupt anstrebt, sondern es geht darum, aus Berlin einen filmisch-ikonischen Schauplatz zu generieren, und da geht „Lola rennt“ eben sehr weit, und das macht auch den internationalen Appeal dieses Films aus. Ich würde sogar so weit gehen, dass auch internationale Produktionen wie „Unknown Identity“ mit Liam Neeson immer wieder dieses Berlin-Bild suchen, also dieses Bild der ikonischen Orte, und nicht das der Kiezintimität, das eben Filme wie „Herr Lehmann“ oder „Oh Boy“ dann repräsentieren.

Berlin in Serien

Burg: Tom Tykwer war auch an einer der international erfolgreichsten Serien der vergangenen Jahre beteiligt, nämlich „Babylon Berlin“, eine Serie, die nicht im aktuellen Berlin spielt, sondern im Berlin der Weimarer Republik. Welches Berlin-Bild vermittelt denn diese Serie?
Stiglegger: „Babylon Berlin“ verdichtet verschiedene Aspekte, die man aus dieser Zeit kennt oder zu kennen glaubt, weil man sie in Filmen und Fotos gesehen hat, und ahmt dabei zum Teil auch klassische Darstellungen, aus Filmen wie „Menschen am Sonntag“ oder „Berlin Alexanderplatz“, durchaus nach, um genau dieses historische Trugbild, dieses Simulacrum zu erzeugen. Aber es geht eigentlich immer darum, auch eine Vorstellung von Berlin zu bestätigen durch diese Bilder. Die Serie „Babylon Berlin“ ist tatsächlich eine Affirmation, eine Fantasie über die Weimarer Zeit in Berlin.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Stefan Jung / Marcus Stiglegger (Hrsg.): "Berlin Visionen. Filmische Stadtbilder seit 1980"
Martin Schmitz Verlag, Berlin 2022
372 Seiten, 24 Euro

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