Horrende Mietpreise für Schrottimmobilien
Keine Fenster, Schimmel, lose Kabel – aus der Not heraus zahlen Menschen in Berlin horrende Mieten, um in einer Schrottimmobilie wohnen zu dürfen. Die Politik will diese Mietabzocke zukünftig verhindern und Eigentümer vorübergehend enteignen.
Lucian und Christi haben ein Trampolin gefunden. Die beiden rumänischen Jungs hüpfen auf zwei gammeligen Matratzen herum, schubsen sich gegenseitig und lachen dabei. Ihre Freunde und Nachbarn spielen Fangen oder fahren mit ausrangierten Fahrrädern über den Hof. Für Kinder ist der Innenhof in der Straße der Pariser Kommune ein Abenteuerspielplatz.
Drei Frauen Mitte zwanzig haben sich Stühle nach draußen gestellt, quatschen, schauen ihren Kindern beim Spielen zu.
1000 Euro Miete für eine verwahrloste Wohnung
Das Leben spielt sich an diesem warmen Sommerabend vor dem Haus ab, das der Berliner Senat "Problemimmobilie" nennt. Kein Wunder, Irina, eine Frau mit buntem Rock und Kopftuch wohnt mit ihren sieben Kindern im Erdgeschoss auf 50 Quadratmetern.
"Wir zahlen dafür 1000 Euro Miete. In bar. Wir haben zwei Zimmer Küche, Bad. Wir haben Wasser, die Heizung funktioniert – wir sind zufrieden."
Auch sonst verliert sie, wie alle anderen Rumänen, mit denen ich spreche, kein böses Wort über den "Patron", ihren Vermieter. Dabei bröckelt an dem 5-stöckigen 50er-Jahre Bau am Berliner Ostbahnhof die Waschbetonfassade, in manchen Etagen gibt es nicht einmal Fenster nur Folien oder Tücher.
Die Mieter hätten Angst, aus der Wohnung zu fliegen, sagt Susanna Kahlefeld. Sie sitzt für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.
"Dann geht das Ordnungsamt immer wieder hin und die kommen dann einfach nicht weiter. Denn sie müssen ja nachweisen, dass die Kinder zum Beispiel durch Schimmel gefährdet sind, was enorm gesundheitsschädlich ist."
Chancenlos auf dem Berliner Wohnungsmarkt
Wir gehen durch eine Straße in Kahlefelds Nachbarschaft in Neukölln. Hier ist der Sozialpolitikerin schon vor ein paar Jahren aufgefallen, dass manche Vermieter ihre Häuser komplett verwahrlosen lassen - obwohl sie voll vermietet sind. 75 solcher Horrorhäuser gibt es momentan in der Stadt. Und es werden mehr, sagt Kahlefeld.
"Es werden Immobilien vermietet, die eigentlich nicht bewohnbar sind, es gibt kein warmes Wasser, es gibt oft Schimmel, keine Heizung. Da würde niemand einziehen, der seine Rechte als Mieter kennt. Das wird vermietet an Leute, die keine Chance haben auf dem Wohnungsmarkt, was zu finden. Die zahlen aber horrende Mieten, bar abkassiert. Und diese ganze Situation macht die Situation für die Betroffenen, aber auch für die Kieze drum herum zu einem Horror."
Kahlefeld bleibt vor einem Haus in einer Parallelstraße zur Sonnenallee stehen. Auch hier waren die Verhältnisse bis vor ein paar Wochen unerträglich.
"Es gab enorm viel Müll im Hof und es war so überbelegt, dass die Leute es in den Zimmern nicht mehr ausgehalten haben. Das war schon eine riesen Belastung."
Eigentümer von Schrottimmobilien sollen enteignet werden
Doch jetzt ist die Fassade frisch gestrichen, vor dem Haus stehen zwei volle Container mit Müll und Bauschutt. Der Eigentümer hat gewechselt. Bei den anderen Hausbesitzern, die ihre Immobilien verwahrlosen lassen, will Kahlefeld mehr Druck machen. Mit einer Novelle des Wohnungsaufsichtsgesetzes.
"Wir wollen, dass solche Häuser für eine Zeit enteignet werden, dann modernisiert werden – und dann können sie an den Besitzer wieder zurückgegeben werden, wenn der bestimmte Auflagen erfüllt. Und natürlich werden die Mieten solange an den Bezirk fließen, bis die Kosten abgestottert sind. Aber wir wollen vor allem bessere Kontrollmöglichkeiten, dass der Besitzer den Zugang zu den Wohnungen ermöglichen muss."
Die Grünen drängen auf eine schnelle Gesetzesänderung
Zwar steht eine entsprechende Reform im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün – geplant bis 2020. Den Grünen geht die Umsetzung aber nicht schnell genug.
"Wir sind ja mit den Grünen in einer Koalition und wir haben das Thema auch schon gemeinsam besprochen, deswegen war ich ein bisschen überrascht, dass uns jetzt vorgeworfen wird, wir wären hier zu langsam."
Fahrplan für eine Gesetzesreform
Katrin Lompscher, schlägt mit der Handkante immer wieder auf den Konferenztisch ihres Senatorenbüros, als sie über den Grünen Koalitionspartner spricht. Berlins Bausenatorin kann deren Forderung nicht nachvollziehen. Schließlich habe sie längst einen Fahrplan für eine Reform des Wohnungsaufsichtsgesetzes vorgelegt.
"Erstens Sofortmaßnahmen, bei bekannten Problemimmobilien mit Bezirken, wo wir die rechtliche und finanzielle Flankierung jetzt schon machen. Zweitens eine vorgezogene Novelle, die uns die öffentlichen Auslagen, die uns gegebenenfalls entstehen, wenn der Eigentümer nicht handelt grundbuchlich zu sichern, eine Maßnahme, die uns vor dem Verlust unserer Aufwendungen schützt und in einem dritten Schritt werden wir das Wohnungsaufsichtsgesetz etwas umfassender novellieren, da wollen wir im nächsten Jahr einen Referentenentwurf vorlegen."
Auch Lompscher sagt: Das Problem mit Eigentümern, die ihre Häuser vergammeln lassen und die Mieter ausbeuten, müsse gelöst werden. Nur: So schnell wie die Grünen sich das vorstellen, geht es nicht.
"Das ist alles kaputt hier"
Im Flur des Problemhauses am Ostbahnhof nimmt Lukas zwei Stufen gleichzeitig. Der 23-jährige Pole ist gerade von seinem Job auf dem Bau heim gekommen, er will nur noch in seine Wohnung, was essen. Als ich ihn zu den Zuständen im Haus anspreche, bleibt er trotzdem kurz stehen.
"Das ist alles kaputt hier. Guck mal."
Lukas zeigt auf ein Kabel, das dort aus der Wand hängt, wo eigentlich ein Lichtschalter sein sollte. Die frische Farbe im Treppenhaus, nein das sei nicht der Vermieter gewesen – das hätten die Bewohner selbst gestrichen.
650 Euro cash zahlt Lukas jeden Monat an die Vermieter für eine Wohnung in einem abrissreifen Haus. Er hat keine andere Wahl – er findet nichts anderes als polnischer Arbeiter, der schwarz auf den Baustellen Berlins schuftet.