Berlin-Lichtenberg

Wie weiter mit dem ehemaligen Stasi-Gelände?

Das Stasi-Museum im Haus 1 in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg
Das Stasi-Museum im Haus 1 in der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg © imago/Schöning
Von Wolf-Sören Treusch |
Das Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg wirkt vor allem nachts wie eine Geisterstadt. Fast die Hälfte der gigantischen Fläche steht leer. Realisierbare Pläne: Fehlanzeige. Wir haben uns dort umgesehen.
Eine Schülergruppe aus den Niederlanden ist gerade angekommen. Auf dem Programm steht der Besuch des Stasi-Museums. Es ist in exakt jenem Gebäude untergebracht, in dem Erich Mielke bis zum Ende der DDR residierte. Das original erhaltene Büro des ehemaligen Ministers für Staatssicherheit ist die Hauptattraktion. Eierbecher links, Salzstreuer rechts, die Serviette zum Dreieck gefaltet – die Banalität des Bösen in der DDR-Machtzentrale beeindruckt jährlich mehr als 100.000 Besucher.
Sieben Stockwerke hoch ist der rechteckige Plattenbau. Daneben, davor und dahinter: 25 Gebäude mit ähnlichen Ausmaßen. Mal höher, mal breiter, mal mehr, mal weniger ramponiert. Das Gebäude-Ensemble wirkt wie ein eigenes Viertel, nach außen abgeschottet, innen leblos.
"Hier stehen noch viele Räume leer in den Gebäuden, die hier auf dem Gelände sind, …"
Tom Sello, Mitarbeiter der Robert-Havemann-Gesellschaft.
Tom Sello von der Robert-Havemann-Gesellschaft
Tom Sello von der Robert-Havemann-Gesellschaft© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
"Hinter uns haben wir diesen großen Klotz, das Haus 18, das ist auch das Gebäude, das am 15. Januar 1990 gestürmt wurde."
"Stasi raus! Stasi raus!"
"Wo man die Fotos kennt, wo dann Papierschnipsel aus dem Fenster fliegen, das sind jetzt keine Stasi-Akten, sondern das waren von dem Verwaltungsbereich eben Unterlagen, die da aus dem Fenster geflogen sind. Da war die Kantine untergebracht der Offiziere, der Kultursaal, das Kino, ein sehr schöner Kinoraum ist da noch drin in dem Haus, Mielke hatte dort seine abhörsichere Telefonzelle, das Dümmste finde ich, dass die Sachen vor allem ungenutzt sind, so heruntergekommen sind die gar nicht, wie man manchmal denkt, aber sie liegen brach und werden nicht genutzt, und das ist ein großes Potenzial, was eben hier noch auf dem Gelände ist."

Großteil der Bestände der Stasi-Bundesbehörde

Die Robert-Havemann-Gesellschaft wird im Juli in eines der Häuser einziehen, mit ihr das Archiv der DDR-Opposition. Die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen ist schon seit 1992 auf dem Areal. In vier Gebäuden lagert sie einen Großteil ihrer Bestände. Unter anderem 1,7 Millionen Fotos und 111 Kilometer Stasi-Akten. Gern würde der Bund drei weitere Häuser dazukaufen, die in Landesbesitz sind und von denen zwei im Moment Asbestsaniert werden. Doch Berlin sperrt sich. Erklärt Birgit Möhring, Geschäftsführerin der Berliner Immobilienmanagement Gesellschaft BIM.
"Ich glaube nicht, dass diese drei Häuser verkauft werden, sowieso nicht an einen externen Dritten, der einzige Eigentumswechsel, der möglich erscheint aus meiner Sicht, ist der Richtung Bund, ich gehe eigentlich momentan davon aus, dass das Land Berlin sich entscheiden wird, diese drei Häuser im Eigentum zu behalten, wir werben ganz klar dafür, dass diese drei Häuser Kulturstandort bleiben bzw. werden."
Innenhof des Stasi-Geländes
Innenhof des Stasi-Geländes© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU).
Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU).© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, würde die drei Häuser gern abreißen und an ihrer Stelle ein modernes Archivgebäude errichten lassen. Eigentlich sind sich Bund und Land einig, dass auf dem ehemaligen Stasi-Gelände ein "Campus der Demokratie" entstehen soll. Ein Ort, der umfassend über die Mechanismen der Unterdrückung in der DDR, aber auch über die Widerstandsbewegung gegen das Regime informieren soll. Die Idee stammt ursprünglich von Roland Jahn. Die rot-rot-grüne Landesregierung "begrüßt" das Vorhaben ausdrücklich – so steht es im Koalitionsvertrag.
Das Vorhaben umzusetzen, wird jedoch schwierig. Mancher Eigentümer hat andere Vorstellungen. Umstritten ist zum Beispiel, was mit Haus 15 passiert. Zu DDR-Zeiten Sitz der Hauptverwaltung Aufklärung, nach der Wende der Reichsbahn, später der Deutschen Bahn. Die Räume sind in Ordnung, hier und da liegen Akten auf dem Boden.
"Ansonsten sehen Sie, sind die Gebäude ja noch so, wenn wir hier mal reinschauen, wie die damals von der Reichsbahn oder von der Bundesbahn verlassen worden sind, …"

Notunterkunft für Flüchtlinge

Seit November 2015 ist in einem Teil des Gebäudes eine Notunterkunft für Flüchtlinge untergebracht. 800 geflüchtete Menschen leben hier zurzeit noch, die Kantine ist mittags gut besucht.
Betrieben wird die Notunterkunft vom Deutschen Roten Kreuz DRK. Bis Ende Juli läuft der Vertrag. Ziel des Senats ist es, alle Flüchtlinge aus den Notunterkünften in bessere Wohnquartiere umzusetzen. Das könnte bedeuten, dass Haus 15 bald komplett frei ist. Frei für ein kommunales Integrationszentrum, schlägt Rüdiger Kunz vom DRK vor. Damit die geflüchteten Menschen auch weiterhin einen Ort haben, an dem sie beraten werden.
Das ist ein etwas sperriger Begriff, der kommt aus Nordrhein-Westfalen und anderen Ländern, wo solche Beratungszentren schon etabliert sind, also in NRW beispielsweise gibt es 53, also in jeder größeren Stadt so ein Beratungszentrum, und insofern ist es, glaube ich, eine sehr gute Idee, etwas, was eine der Keimzellen der Demokratie nach der Wende gewesen ist, jetzt auch als Begegnungsstätte für neue Bewohner, neue Mitbürger zu nutzen, um auch dort wieder die Gedanken der Demokratie zu verbreiten."
Nun aber kommt der Eigentümer des Gebäudes ins Spiel: die Aris GmbH. Die Immobilienfirma ist – noch weit vor dem Land Berlin – der Hauptakteur in der ehemaligen Stasi-Stadt. Seit 2011 gehören dem Unternehmen sieben Gebäude, die insgesamt fast die Hälfte der 180.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche auf dem Gelände ausmachen. Haus 15 besteht allein aus vier mächtigen Gebäudeteilen.

Ohne Zustimmung des Bezirks geht nichts

Die Aris GmbH will am liebsten Mikroappartments in die alten Plattenbauten einziehen. Die versprechen die höchste Rendite. Doch so einfach wird es nicht. Das Gelände ist mittlerweile Teil eines Sanierungsgebietes – ohne Zustimmung des Bezirks geht gar nichts. Sven Kubal, Geschäftsführer der Berliner Gesellschaft für Vermögensverwaltung, betreut die Immobilien für die Aris.
"Wir hatten uns eine Quote vorgestellt von 100 Prozent Wohnraum, der Bezirk sieht das anders, er möchte eine andere Quotierung haben, die möchten dort keinen Wohnraum in der Quote schaffen, sondern haben jetzt, so war der letzte Stand der Dinge, eine Quote uns vorgeschlagen von 60-40, das heißt wir dürfen 60 Prozent Wohnraum bauen und 40 Prozent dann entsprechend mit Gewerbe versehen."
Zum Beispiel, so die Idee, indem man aus dem Gebäudeteil entlang der viel befahrenen, sechsspurigen Hauptverkehrsstraße am südlichen Rand des Geländes ein Hostel macht. Auch ein kommunales Integrationszentrum, wie es das Deutsche Rote Kreuz vorschlägt, kann sich Sven Kubal vorstellen, allerdings in einem anderen Gebäude aus dem Portfolio seines Mandanten.
"Wir hatten ja noch das Haus 18 als großes Versorgungszentrum, das ist ideal mit dem großen Kinosaal für Schulungszwecke, Sprachkurse, für Kinderbetreuung, also da kann man ne ganze Menge draus machen letztendlich, wir werden jetzt die Gespräche wieder aufnehmen mit der Öffentlichen Hand, wir haben so ein bisschen das Thema, dass die Öffentliche Hand ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt, und wenn das geklärt ist, werden wir mit dem Bezirk reden, werden wir mit den zuständigen Ämtern sprechen können und unsere Vorschläge dann unterbreiten."
Im Moment aber herrscht Eiszeit. Aris und die Finanzverwaltung streiten vor Gericht, ob und wenn ja wie viel Miete das Land Berlin noch zahlen muss, weil es Teile von Haus 15 als Notunterkunft für Flüchtlinge beschlagnahmt hat.

Ohne neue Bewohner bleibt das Areal leblos

7,3 Hektar umfasst das gesamte Areal. Für Architekten und Städteplaner eine echte Herausforderung. Vor allem die 13-stöckigen Waschbetonriegel an den Rändern, die wohl nur deshalb so hoch sind, damit sie Einblicke ins Innere des Geländes verwehren. Klar ist: ohne neue Bewohner bleibt das Areal leblos.
Ein frisch saniertes Gebäude am östlichen Rand zeigt, dass in der Stasi-Platte verschiedene Konzepte möglich sind. Ein alternatives Wohnprojekt hat sich hier niedergelassen, es gibt große und kleine Wohngemeinschaften, ganz große und ganz kleine Wohnungen. Dabei war das Misstrauen anfangs groß, erzählt einer der Bewohner.
"Die meisten haben ganz entsetzt geguckt, haben Jahre lang gebraucht, um damit zurechtzukommen, sie haben tatsächlich nur aufgrund der total miserablen Wohnungssituation in Berlin haben sie das in Kauf genommen, und inzwischen freuen sie sich über ein total schönes Haus, was ja auch wirklich von den Architekten sehr gut umgebaut wurde und total gemütlich ist. Es war für viele Leute, die haben richtig hart geschluckt, als sie das Haus gesehen haben."
Das Stasi-Museum
Das Stasi-Museum© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Jetzt ist der zuständige Bezirk Lichtenberg an der Reihe – er muss einen städtebaulichen Entwicklungsplan vorlegen. Der alle Wünsche berücksichtigt: Wohnungen, Schule und Kindergarten, Gewerbe, Soziales und Kultur, und vor allem den "Campus der Demokratie". Die Herausforderung ist enorm. Aber seit dem Fall der Mauer sind das Areal und seine Akteure Herausforderungen gewohnt.
Tom Sello zum Beispiel hätte im Leben nicht geglaubt, auf dem Stasi-Gelände einmal zu arbeiten. 1989/90 war er Bürgerrechtsaktivist in der DDR, 2016 hat er für die Robert-Havemann-Gesellschaft auf dem Gelände eine große Open-Air-Ausstellung über die friedliche Revolution eingerichtet. Sie befindet sich direkt neben dem Stasi-Museum.
"Wenn wir uns hier rum drehen, und ich guck an dieses Gebäude hoch, da hat die Hauptabteilung 20 gesessen. Das war die, die für die Opposition zuständig war, und heute erzählen wir die Geschichte des Endes der DDR und der damals so gefürchteten Geheimpolizei hier auf diesen Tafeln, in dieser Ausstellung, da kommt mir schon immer ein Lächeln ins Gesicht."
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