Die Ideallinie für die Rekordstrecke
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Vom Start ins Ziel: Wer beim Berlin Marathon eine gute Zeit laufen will, orientiert sich an der Ideallinie. Die wird vor dem Wettkampf mit einer Apparatur Marke Eigenbau auf der Strecke aufgetragen.
Mit einem kräftigen Armzug wirft Peter Schubert den Motor des Kompressors an. Dann setzt er sich auf die offene Ladekante eines Kleintransporters, neben ihm die Farbspritzmaschine, mit der er gleich die Ideallinie ziehen wird.
"Ist alles meine Eigenkonstruktion", erklärt Schubert, 64, von Beruf Streckenmarkierer. Er ist seit 1992 dabei. Seine erste Maschine galt als legendär. "Die war nur fast Eisen. Deswegen Eisenschwein."
Umgebaute Farbspritzmaschine
Mittlerweile hat sie jedoch das Zeitliche gesegnet und war insgesamt zu pannenanfällig. Auch das Nachfolgemodell ist Marke Eigenbau. Die Schläuche und Düsen, mit deren Hilfe die Farbe in immer gleichen Abständen und der immer gleichen Menge auf den Asphalt kommt, sind auf einer Felge zwischen zwei Fahrradreifen montiert und werden vom Kleintransporter hinter sich hergezogen.
"Der Kompressor hängt hier hinter dem Motor dran, der eben die Luft bringt für die Zerstäubung und auch die Farbe rausdrückt. Das ist eigentlich eine ganz normale Farbspitzmaschine. Nur ein bisschen umgebaut."
Offiziell berechnete Linienführung
Punkt 20 Uhr. Wolfgang Weising vom Veranstalter SCC Berlin startet die Operation Ideallinie. In einem Einsatzfahrzeug der Polizei setzt er sich an die Spitze der Kolonne, das Nachfolgemodell des Eisenschweins direkt dahinter.
"Wir visieren immer den nächsten Punkt, das heißt vorne rechte Ecke Ampel. Dann schnippeln wir so über alle Spuren, was man sonst nicht so darf."
Der genaue Verlauf ist vorher von einem offiziellen Streckenvermesser des Internationalen Marathonverbandes berechnet worden. Mit Puffer: pro Kilometer ein Meter Zugabe. Damit im Falle eines Weltrekords dieser nicht aberkannt wird, weil die Strecke zu kurz war. Eine Ideallinie, die hundertprozentig genau ist, kann es nicht geben.
"Näherungsweise. Wollen wir mal so sagen, wir haben heute noch nicht den Zustand, dass die Fahrzeuge, die auf der Strecke geparkt sind, alle weg sind", erklärt Weising. "Das heißt: die Strecke ist vermessen an der Bordsteinkante ein Stück weg. Teilweise müssen wir in der zweiten Spur ziehen, aber wir geben eben die Richtung vor. Wenn die Läufer eben abbiegen und in der nächsten Straße geht es links, dann führen wir sie eben langsam rüber mit der Linie. Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, wenn man sich das von der Mathematik noch gemerkt hat, ist die Gerade. Das kriegen wir natürlich nicht genau hin, aber näherungsweise ist es schon so."
Voll auf der Linie
Beim New York Marathon wird die blaue Linie einfach mitten auf der Straße gezogen, die deutschen Veranstalter, sind da sehr viel genauer. Die Topläufer freut es.
"Die orientieren sich schon daran? Guck mal letztes Jahr, wie unser Weltrekordler gelaufen ist: voll auf der Linie."
Im abklingenden Berufsverkehr erkennt nicht jeder Autofahrer auf Anhieb, was hier gerade stattfindet. Ohne die Hilfe der Polizei wären die Streckenmarkierungsarbeiten nicht möglich. Die Farbe ist stark verdünnt, damit sie beim Auftragen schneller trocknet.
"Deshalb versuchen wir, immer eine lange Kolonne zu haben, um die frisch aufgespritzte Linie eine Weile verkehrsfrei zu halten. Wir nehmen die praktisch zwischen die Räder. Wenn die Kolonne durch ist, soll sie schon so weit angetrocknet sein, dass keine Verwischung mehr möglich ist."
Farbe im Gesicht
Mit knapp 30 km/h geht es durchs Berliner Nachtleben. Die Fußgänger sind verblüfft, machen ein Foto oder lachen über die seltsame Apparatur von Streckenmarkierer Peter Schubert. Der sitzt seelenruhig daneben, raucht hin und wieder eine Zigarette und bekommt viel Farbe ab.
"Bleibt nicht aus, ist eine luftgesteuerte und mit Luft aufgesprühte Farbe, nebelt natürlich ganz schön. Ich bin nachher auch ein bisschen blau im Gesicht. Na ja, man soll das Zeug nicht trinken, wurde mir mal bei der Sicherheitsunterweisung erzählt. Trinken tue ich das nicht, mehr einatmen, man gewöhnt sich dran."
Keine Markierung wegen des Frosts
Gute fünf Stunden dauert die Operation Ideallinie. Beim Halbmarathon vor ein paar Jahren gab es gar keine Linie. Weil es in der Woche vor dem Lauf so kalt war, dass die Farbdüsen einfroren. Diesmal läuft alles glatt. Wolfgang Weising freut sich:
"Tja, wenn man dann einen Weltrekord auf der Linie hat, das macht einen dann schon ein bisschen stolz."