Berlin - Meister der Improvisation
Ein spanisches Sprichwort meint über das Phänomen des Jammerns: "Wo ein Arzt wohnt, jammern ständig Kranke." In Berlin sieht man das viel simpler: Hier, wo ständig gejammert wird, braucht man dazu gar keinen Arzt!
Das muss man schon mal sagen, und etwas Bewunderung schwingt mit: wer nicht von hier stammt, Berlin aber schon lange erlebt, erliegt mitunter noch immer der Faszination, wie die Menschen hier das Negative ertragen.
Zurücksetzung, Bedauern, Spott und Kritik - was andernorts Empörung und Widerstand entfachen würden, hier verpufft es einfach, solange man darüber jammern kann.
Denken wir an Berlins Bauchlandung vor dem Bundesverfassungsgericht wegen milliardenschwerer Sanierungshilfen des Bundes – Ansinnen abgelehnt! Dann eben nicht, meint der Regierende Bürgermeister trotzig. Wir bleiben Hauptstadt – jetzt erst recht! Berlin bleibt vor allem pleite – na und?
Dass dabei ein politisches Prestigeobjekt erster Güte sozusagen als Abfallprodukt in den Orkus der Landesgeschichte gespült wurde, die von so vielen herbeigewünschte Länderfusion Berlin-Brandenburg nämlich – wen kümmert’s! Selbst der brandenburgische Landesvater Matthias Platzeck winkt inzwischen ab – ohne Mitgift ist die Berliner Braut eben deutlich hässlicher…
An Beispielen für die eingangs beschriebene Fähigkeit zum Hinnehmen herrscht kein Mangel: die Bahn hängt den lieb gewordenen Bahnhof Zoo vom Fernbahnnetz ab – ein Proteststurm! Empörte Berliner halten dem Reisenden Kuli und Unterschriftenliste hin – hier bitte, unterschreiben Sie für den Erhalt!
Als alles nichts nützt und Hartmut Mehrdorn, der Buhmann von der Bahn, sich durchsetzt, feiern die Berliner eben kurz darauf den neuen Hauptbahnhof. Europas größter Glaspalast mit Gleisanschluss – wenn das keine Riesenparty wert ist!
Überhaupt – Verkehrsprobleme…. vielleicht ist es Berlins Veranlagung, gerade wegen seiner lange abgehängten Lage eine derart innige Beziehung zum Thema Verkehr und den damit verbundenen Problemen zu entwickeln.
Mir fällt dabei sofort der Flughafen Tempelhof ein. Der Streit um die Schließung zieht sich seit Jahren derartig hin, dass selbst regelmäßige Zeitungsleser den letzten Spielstand nicht zuverlässig wiedergeben können. Selbst das zuständige Oberverwaltungsgericht konnte sich vor wenigen Tagen nicht zu einem Beschluss durchringen, sondern lediglich zu der Empfehlung, den Flugbetrieb ein Jahr länger als ursprünglich geplant aufrecht zu erhalten. Nun müssen sich das Land Berlin und die klagenden Fluggesellschaften überlegen, wie es weitergehen soll. Bliebe der Flughafen offen, würde ein deutsch-amerikanischer Investor übrigens gerne 350 Millionen dort ausgeben und im renovierten Flughafengebäude ein Gesundheitszentrum von internationalem Rang einrichten.
Wenn das nicht kommt – auch nicht schlimm. In Berlin, wo bereits der Erhalt von einem Dutzend Arbeitsplätzen eine Schlagzeile wert ist, geht’s trotzdem munter weiter…
Merken Sie was…? Die Merkwürdigkeiten nehmen kein Ende… und trotzdem ist die Hauptstadt für viele der interessanteste Ort Deutschlands. Woran liegt das nur?
Hier, so betet es nicht nur der PDS-Wirtschaftssenator immer wieder vor, hier gibt es das Umfeld und die Infrastruktur einer europäischen Metropole zu einem Preisniveau, das 30 Prozent unter vergleichbaren Städten liegt. Eine exzellente Wissenschafts- und Forschungslandschaft obendrauf, und gerade für die jungen Studierenden aus aller Welt ist Berlin immer eine hippe Metropole - natürlich auch, weil es keine Studiengebühren gibt – Pleite hin oder her.
Hier, wo die Debatte über Migrantenkinder und No-go-areas zum alltäglichen politischen Vokabular gehören, ausgerechnet hier konnte man das Hauptereignis des vergangenen Jahres erleben wie sonst nirgends in Deutschland - die Welt zu Gast bei Freunden! Eine zugegebenermaßen seltsame Mischung!
Hier, wo die politische Elite von heute residiert, und die Auseinandersetzung mit der politischen Elite von gestern noch immer nicht vergessen ist, trifft man allerorten die interessantesten Menschen aus allen Teilen der Welt – hier ist die Welt eben immer zu Gast.
Besonders am Silvesterabend! Da kann man sogar den Regierenden Bürgermeister zufällig treffen. Beim Rettungseinsatz am Silvesterabend warnte er seine häuslichen Mitbewohner vor einem Dachstuhlbrand im Haus, anschließend wurde beim Griechen um die Ecke gemeinsam gefeiert.
Berliner sind eben - Meister der Improvisation.
Harald Prokosch, Jahrgang 1959, Redakteur und Fernsehmoderator mit Stationen Stuttgarter Zeitung, Süddeutscher Rundfunk, SAT 1, ntv, Hauptabteilungsleiter Regionales SFB, jetzt Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Siemens Deutschland, Berlin.
Zurücksetzung, Bedauern, Spott und Kritik - was andernorts Empörung und Widerstand entfachen würden, hier verpufft es einfach, solange man darüber jammern kann.
Denken wir an Berlins Bauchlandung vor dem Bundesverfassungsgericht wegen milliardenschwerer Sanierungshilfen des Bundes – Ansinnen abgelehnt! Dann eben nicht, meint der Regierende Bürgermeister trotzig. Wir bleiben Hauptstadt – jetzt erst recht! Berlin bleibt vor allem pleite – na und?
Dass dabei ein politisches Prestigeobjekt erster Güte sozusagen als Abfallprodukt in den Orkus der Landesgeschichte gespült wurde, die von so vielen herbeigewünschte Länderfusion Berlin-Brandenburg nämlich – wen kümmert’s! Selbst der brandenburgische Landesvater Matthias Platzeck winkt inzwischen ab – ohne Mitgift ist die Berliner Braut eben deutlich hässlicher…
An Beispielen für die eingangs beschriebene Fähigkeit zum Hinnehmen herrscht kein Mangel: die Bahn hängt den lieb gewordenen Bahnhof Zoo vom Fernbahnnetz ab – ein Proteststurm! Empörte Berliner halten dem Reisenden Kuli und Unterschriftenliste hin – hier bitte, unterschreiben Sie für den Erhalt!
Als alles nichts nützt und Hartmut Mehrdorn, der Buhmann von der Bahn, sich durchsetzt, feiern die Berliner eben kurz darauf den neuen Hauptbahnhof. Europas größter Glaspalast mit Gleisanschluss – wenn das keine Riesenparty wert ist!
Überhaupt – Verkehrsprobleme…. vielleicht ist es Berlins Veranlagung, gerade wegen seiner lange abgehängten Lage eine derart innige Beziehung zum Thema Verkehr und den damit verbundenen Problemen zu entwickeln.
Mir fällt dabei sofort der Flughafen Tempelhof ein. Der Streit um die Schließung zieht sich seit Jahren derartig hin, dass selbst regelmäßige Zeitungsleser den letzten Spielstand nicht zuverlässig wiedergeben können. Selbst das zuständige Oberverwaltungsgericht konnte sich vor wenigen Tagen nicht zu einem Beschluss durchringen, sondern lediglich zu der Empfehlung, den Flugbetrieb ein Jahr länger als ursprünglich geplant aufrecht zu erhalten. Nun müssen sich das Land Berlin und die klagenden Fluggesellschaften überlegen, wie es weitergehen soll. Bliebe der Flughafen offen, würde ein deutsch-amerikanischer Investor übrigens gerne 350 Millionen dort ausgeben und im renovierten Flughafengebäude ein Gesundheitszentrum von internationalem Rang einrichten.
Wenn das nicht kommt – auch nicht schlimm. In Berlin, wo bereits der Erhalt von einem Dutzend Arbeitsplätzen eine Schlagzeile wert ist, geht’s trotzdem munter weiter…
Merken Sie was…? Die Merkwürdigkeiten nehmen kein Ende… und trotzdem ist die Hauptstadt für viele der interessanteste Ort Deutschlands. Woran liegt das nur?
Hier, so betet es nicht nur der PDS-Wirtschaftssenator immer wieder vor, hier gibt es das Umfeld und die Infrastruktur einer europäischen Metropole zu einem Preisniveau, das 30 Prozent unter vergleichbaren Städten liegt. Eine exzellente Wissenschafts- und Forschungslandschaft obendrauf, und gerade für die jungen Studierenden aus aller Welt ist Berlin immer eine hippe Metropole - natürlich auch, weil es keine Studiengebühren gibt – Pleite hin oder her.
Hier, wo die Debatte über Migrantenkinder und No-go-areas zum alltäglichen politischen Vokabular gehören, ausgerechnet hier konnte man das Hauptereignis des vergangenen Jahres erleben wie sonst nirgends in Deutschland - die Welt zu Gast bei Freunden! Eine zugegebenermaßen seltsame Mischung!
Hier, wo die politische Elite von heute residiert, und die Auseinandersetzung mit der politischen Elite von gestern noch immer nicht vergessen ist, trifft man allerorten die interessantesten Menschen aus allen Teilen der Welt – hier ist die Welt eben immer zu Gast.
Besonders am Silvesterabend! Da kann man sogar den Regierenden Bürgermeister zufällig treffen. Beim Rettungseinsatz am Silvesterabend warnte er seine häuslichen Mitbewohner vor einem Dachstuhlbrand im Haus, anschließend wurde beim Griechen um die Ecke gemeinsam gefeiert.
Berliner sind eben - Meister der Improvisation.
Harald Prokosch, Jahrgang 1959, Redakteur und Fernsehmoderator mit Stationen Stuttgarter Zeitung, Süddeutscher Rundfunk, SAT 1, ntv, Hauptabteilungsleiter Regionales SFB, jetzt Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Siemens Deutschland, Berlin.