Dickes B macht auf dicke Hose
Die Welt schaut auf Berlin, gerade wenn es um Musik geht - das glaubt man dort jedenfalls. Wie hat sich die Branche entwickelt, seit es die Popkomm nicht mehr gibt? Ist die Berlin Music Week ein Ersatz oder viel "undergroundiger"?
Seit fünf Jahren geh ich nun schon zur Berlin Music Week, ich erinnere mich noch gut an die Zeit davor, das Dahinsiechen der Vorgänger-Veranstaltung Popkomm. Warum? Nun, die Musikindustrie war ja selbst im Dahinsiechen, die Champagnerlaune früherer Tage längst dahin.
Als dann mit der neuen Berlin Music Week sich alles von unten selbst erneuern wollte, da wandten sich die da oben pikiert ab: Keine Relevanz, hieß es da, schon gar keine bundesweite wie die polierte Popkomm zuvor.
Kleine Labels und Startups, Clubs und Piraten-nahe Gruppen und - auch das noch - Musiker selbst wollten eine neue Musikindustrie aufbauen und das auch selbstbewusst, wenn auch etwas chaotisch zeigen. "All together now" hieß denn auch sinnbildlich eine dieser Gruppen, die erste Konferenzen zusammenzimmerte mit Vertretern dieser kleinen Firmen und Verbände.
Das alles roch nach Graswurzelrevolution - und das stank den Vertretern der Majors und großen Firmen. Man wandte sich naserümpfend ab. Und viele - auch der heutige Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner - sagten: "Das ist auch gut so!"
Und jetzt: Sehen wir - nach deutlichen Anzeichen im vergangenen Jahr - die fröhliche Vereinigung von Graswurzlern und Industrie: Ein "Musik hack day", gesponsert vom - ja, tatsächlich! - Axel Springer Verlag.
Man präsentiert - stolz wie Bolle - global player wie Google, Amazon und Spotify - Quasi-Monopolisten in ihren Internet-, Medien- und Streaming-Märkten. Allesamt Firmen, die nicht den Künstler, sondern eigene Profite und Marktmacht im Visier haben. Internationale Musikplattformen wie Beatport und Shazam dürfen sich darbieten, auch längst weltweite Berliner Player wie Aupeo und Soundcloud.
Auch die Majors sind wieder mit im Boot und die staatlichen Musikexportbüros einiger Länder. Auf genau diese alten Strukturen hatte man beim Aufbau der Berlin Music Week aus den Trümmern der Popkomm bewußt verzichtet.
Und jetzt findet man im Programm auch Verbandssitzungen der wichtigsten Europäischen Labels, den "Berliner Pilsener Music Award", es gibt wieder Firmen-Empfänge, sogar mit Champagner - oder, auch sehr schön: Eine "Pitching-Session mit den wichtigsten Soundtrack-Einkäufern der Filmindustrie". Ja, dickes B macht dicke Hose.
Indie goes Hi-Tech
Aber es gibt auch Hoffnungszeichen - oder ist das nur ein Alibi-Event?: Erstmals sollen mit einem Straßenmusikfestival die Künstler auf der Straße in den Fokus gerückt werden. Sponsoring-Partner ist - die O2 World. Moment mal: Mussten nicht für den Bau dieser gigantischen Arena in Friedrichshain einige Clubs sterben, alte Gebäude und typischer Berliner Industriebrachen-Charme weichen? Naja, als Motto passt dazu eines der Konferenz-Themen: "Indie goes Hi-Tech."
Eine Tendenz, die auch im Programm der Konkurrenz-Veranstaltungen aus den Konkurrenz-Musikhauptstädten zu beobachten ist. Die C/O-Pop in Köln hübscht sich immer mehr auf, um in die Fußstapfen der Popkomm zu treten, die ja einst in ihren fetten Jahren von Köln nach Berlin abgewandert war. Das Reeperbahnfestival in Hamburg will auch immer mehr Konferenz und wichtiger Branchentreffpunkt sein. Und Berlin trägt dabei wie immer die Nase oben. Börlinn, Alter! Schaut auf diese Stadt!
Nur beim alljährlichen Mega-Abschluß-Event der Berlin Music Week, dem Berlin Festival, da backt Dickes B nun kleinere Brötchen. Und zieht vom gigantischen Gelände des ehemaligen
Flughafens Tempelhof um in die - wie es heißt "Party-Enklave Friedrichshain-Kreuzberg". Dahin also, wo sich eh schon jedes Wochenende Tausende Party-Touristen die Füße platt treten. Offiziell heißt es: Da wäre alles undergroundiger und eben echt Berlin. Wer hinter die coole Fassade schaut, wird feststellen: Die Kalkulation lässt es nicht anders zu, im vergangenen Jahr hat man Miese gemacht. Und den ganz großen Wurf mit einem Festival für 50 - 100.000 Zuschauer, der in Tempelhof auch möglich wäre, den traut man sich nicht zu.
Indies als Marktmacht
Und inhaltlich? - Bietet die Berlin Music Week 2014 nicht viel Neues: Der ewige Diskurs um Rundum-Vermarktung und Urheberrecht, die Creative Commons-Alternative zur Gema steckt immer noch in der Entwicklung. Die Indies präsentieren sich als Marktmacht, näher am Künstler, aber auch am Abgrund. Hier ein Startup, da ein paar junge Kreative.
Vor allem ist man stolz zu vermelden, es hätten sich "1.500 geladene Gäste aus Politik, Medien, der Kreativwirtschaft und der Glamour-Welt für das Opening" heute abend angekündigt.
Das war im vergangenen Jahr schon mit der Hälfte der Leute ein peinliches Schaulaufen mit Gratis-Häppchen auf Senatskosten. Aber vielleicht nehmen ja auch die Graswurzler inzwischen gern ein Schlückchen Champagner. Oder scheitern schon an den Türstehern mit den dunklen Anzügen.
Vielleicht kümmert sich ja lieber endlich mal wieder jemand darum, dass Musiker von ihrer Kunst leben können. In Köln, Hamburg, Berlin - und am besten auch bundesweit.