Berlin

Nach dem Gesetz ist vor dem Neubau

Blick auf die U-Bahnstation "Kottbusser Tor" in Berlin-Kreuzberg
Blick auf die U-Bahnstation "Kottbusser Tor" in Berlin-Kreuzberg. Rund um den "Kotti" sind viele Anwohner von Verdrängung bedroht. © picture alliance / dpa / Foto: Soeren Stache
Von Wolf-Sören Treusch |
In Berlin tritt 2016 das "Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung" in Kraft. Damit soll sich der Wohnungsmarkt wieder etwas entspannen. Das reicht aber nicht, weiß selbst der Stadtentwicklungssenator. Jetzt soll in den Wohnungsneubau investiert werden.
An der Holzhütte vor dem Hochhausblock am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg ist alles wie immer: Bewohner warten auf den Beginn der Mieterberatung, Plakate rufen zur nächsten Demo auf. Das Wohnraumversorgungsgesetz, das in wenigen Tagen in Kraft tritt, bedeutet für Mietaktivistinnen wie Ulrike Hamann noch lange nicht, dass der Kampf vorbei ist.
"Wir sind natürlich erstmal skeptisch. Es gab wirklich viele Dinge, wo wir das Gefühl hatten, jetzt passiert endlich mal was, und am Ende war es doch nur ne Mogelpackung."
Seit Jahren setzt sich die Wissenschaftlerin für bezahlbare Mieten im Kiez ein. Sie wohnt selbst in einer der etwa eintausend ehemaligen Sozialwohnungen am Kottbusser Tor. Die staatliche Förderung ist ausgelaufen, die Mieten seitdem frei verhandelbar.
Wichtigster Punkt des neuen Gesetzes: wer Sozialmieter ist, und das sind in Berlin einige Zehntausend, bezahlt für die Nettokaltmiete maximal 30 Prozent seines Einkommens. Liegt die Miete darüber, zahlt Berlin einen Zuschuss. Maximal zwei Euro 50 pro Quadratmeter. Ulrike Hamann bezweifelt, dass ihre Nachbarn davon profitieren werden.
"Weil die Mieter aufgrund der hohen Kosten ohnehin schon enger zusammengezogen sind. Das heißt, wer Flächensparsam lebt, hat gar nichts von dem Gesetz."
Beispiel Ahmet Tuncur, seit bald 40 Jahren Mieter im Hochhausblock am Kotti.
"Im Moment zahle ich 1300 Euro, Quadratmeterweise genau zwölf Euro 38. Warm.
Ahmet Tuncer lebt mit drei Generationen zu sechst in einer Wohnung auf 105 Quadratmetern, sie haben gemeinsam ein Haushaltseinkommen durch Rente, Lohnarbeit und Jobcenter von 2700 Euro. Wenn man das auf die Miete umrechnet, die Kaltmiete sind 661 Euro in dieser Wohnung, dann zahlen sie momentan sowieso nur 25 Prozent."

Das bedeutet: Herr Tuncur bekommt auch nach neuer Gesetzeslage keinen Zuschuss. Auch nicht für die enorm hohen Betriebskosten, die fast die Hälfte seiner Miete ausmachen. Deshalb kämpft er weiter.
"Glauben Sie mir, ich fürchte mich also vor nichts. Bis zu meinem letzten Atem gehe ich weiter."

Oft sind die Betriebskosten im sozialen Wohnungsbau so hoch, weil viele der Gebäude regelrechte Energieschleudern sind. Auch sie werden im neuen Wohnraumversorgungsgesetz berücksichtigt.
"Wenn das Wohnungen sind in schlechtem energetischem Zustand, also mit besonders hohen Betriebskosten, wird schon früher gekappt, etwa bei 25 Prozent,…"
Förderung von 3000 Sozialwohnungen
Ergänzt Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel. Dann erhalten Sozialmieter den Zuschuss vom Land schon früher. Andreas Geisel ist überzeugt: vom neuen Gesetz profitieren am Ende alle Berliner Mieter. Die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sind verpflichtet, 55 Prozent ihrer Neuvermietungen an Inhaber eines Wohnberechtigungsscheins zu vergeben. Außerdem sollen wieder mehr Sozialwohnungen gebaut werden. Dafür richtet Berlin ein Sondervermögen außerhalb des regulären Landeshaushalts ein. Bislang förderte das Land pro Jahr 1.000 Sozialwohnungen, künftig sollen es 3000 sein.
"Also insgesamt ein sehr umfangreiches Paket, das den Mieterinnen und Mietern in unserer Stadt tatsächlich nutzt, insgesamt macht das für fünf Jahre ein Finanzvolumen von 1,3 Milliarden Euro sogar aus, es ist aber nur ein erster Schritt."
Noch keine Lösung hat die Politik für das Problem der so genannten Kostenmiete. Die kann ein Vermieter immer dann verlangen, wenn für eine Sozialwohnung die Anschlussförderung ausgelaufen ist. Das führt zu absurden Mieterhöhungen, denn in die Kostenmiete rechnet der Vermieter alle Kosten hinein, die ihm mit der Immobilie entstanden sind. Oft auch die, die längst getilgt sind. In Berlin betrifft das 28.000 ehemalige Sozialwohnungen. In einer von ihnen wohnt Kristina Schmygarjew mit Mann und zwei Kindern. Noch.
"Wir sind vier Leute, und wir haben eine recht große Wohnung von 110 Quadratmetern, Miete betrug 1080, jetzt plus 630, dann liegt man so bei 1700."
Die Mietpreisbremse gilt hier nicht
Das bedeutet eine Verdoppelung der Nettokaltmiete von sechs auf zwölf Euro pro Quadratmeter. Die Mietpreisbremse gilt hier nicht, Sozialwohnungen wie diese sind eine rechtliche Altlast aus der ehemaligen West-Berliner Wohnungsbauförderung. Der Landeszuschuss, der nach dem neuen Gesetz möglich wäre, beträgt maximal zwei Euro 50. Drei Euro 50 pro Quadratmeter müsste Familie Schmygarjew selbst tragen. Indiskutabel.
"Am Anfang habe ich das gar nicht ernst genommen. Ich war einfach schockiert.
Das tut richtig weh, weil wiederum die Kostenmiete schon was mit Politik und Gesetz zu tun hat und ich darauf keine Einwirkung habe. Ich meine, man fühlt sich tatsächlich am Ende doch wie ein Verbrecher. Und dann frage ich mich: ´Hallo, wer ist denn der eigentliche Verbrecher in dem Ganzen`?"
Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel weiß, dass hier etwas passieren muss. Das neue Gesetz sieht vor, eine Expertenrunde einzusetzen.
"Diese Expertenrunde soll dann mit tatsächlichen Experten besetzt sein, die werden im Jahr 2016 miteinander beraten, welche Lösungsansätze es an dieser Stelle gibt, aber ich sagte ja: es ist ein erster Schritt, das Wohnraumversorgungsgesetz, das ist noch nicht aller Tage Abend an dieser Stelle."
Berlin wächst weiter
Es muss mehr passieren, so der Senator. Berlin ist eine wachsende Stadt. Mehrere Hunderttausend Menschen werden im nächsten Jahrzehnt hierher ziehen.
"Eine ganz große Herausforderung ist vor allem, den Wohnungsneubau hinzubekommen, denn alle Entscheidungen zur Dämpfung der Mietentwicklung sind richtig und wichtig. Aber all das hilft uns nicht, wenn wir nicht schaffen, neue Wohnungen zu bauen. Und zwar in Größenordnungen neue Wohnungen zu bauen, weil wir nur auf diese Art und Weise die Menschen, die zu uns kommen, übrigens auch die Berlinerinnen und Berliner, die Wohnraum suchen, versorgen können. Das schärfste Schwert, das wir an dieser Stelle haben, ist der Neubau, da werden wir nicht herumkommen."
Gefordert sind nun also private Investoren und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. 15.000 Wohnungen sollen im kommenden Jahr entstehen, 2500 davon im sozialen Wohnungsbau. Dazu noch zahlreiche Häuser in Leichtbauweise – die Platz bieten für mindestens 25.000 Flüchtlinge. Ein ambitioniertes Programm. Das Wohnraumversorgungsgesetz unterstützt diese Bemühungen. Auf lange Sicht werden dann vielleicht auch die Mieter am Kottbusser Tor in Kreuzberg etwas davon haben.
"Wir bleiben hier, bis die Mieten sinken. Viele wohnen hier seit Generationen, die Familie wohnt hier, das ist kein Ort, wo man wegziehen möchte, zumal der Wohnungsmarkt in Berlin ja so eng ist, dass man gar nichts mehr kriegt. Ob das neue Gesetz jetzt dazu führt, werden wir auch sehen."
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