Berlin versteht nur Bahnhof
Anreise, Abreise - Fernverkehr, Nahverkehr: die Bahnhofssituation der Hauptstadt ist ausreichend. Ob sie allen Ansprüchen der Bequemlichkeit genügt, wird in Berlin immer wieder heiß diskutiert. Nach dem Bau des neuen Hauptbahnhofes in der Nähe des Regierungsviertels wurde dem Bahnhof Zoo ein Schattendasein prophezeit. Soweit soll es nicht kommen.
Der Ostbahnhof im Berliner Friedrichshain wurde in den 90er Jahren aufwendig erneuert. Seine traditionellen Anbinden werden weiter ausgiebig genutzt. Für Ein- und Aussteiger ist Berlin also bestens gerüstet.
"Sehr verehrte Senatorin, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf diesen Bahnhof sind wir natürlich ganz besonders Stolz. Es ist wirklich unser Kronjuwel, was wir in Deutschland an Bahnhöfen haben. Er ist ein Wahrzeichen Berlins geworden, er ist ein touristischer Attraktionspunkt geworden und er ist natürlich die wichtigste Verkehrsdrehscheibe für die Hauptstadt."
Wolf-Dieter Siebert steht am Bistrotisch und blickt immer wieder auf seinen Notizzettel. Der schlanke Mann im grauen Dreiteiler ist Vorstandsvorsitzender der DB Station und Service GmbH, kurz der Chef aller deutschen Bahnhöfe. Heute hat er Journalisten geladen, es gibt Schnittchen und Orangensaft. In einem schmucklosen Raum neben der Bahnhofsmission des neuen Berlin Hauptbahnhofs zieht Siebert eine erste Bilanz. In den ersten 100 Tagen seit Eröffnung hätten 30 Millionen Menschen das schicke Schienenkreuz besucht, besichtigt und benutzt. 30 Millionen Menschen. Das sind im Schnitt 300.000 am Tag. Nur rund die Hälfte davon sind jedoch Fahrgäste. Erst in drei, vier Jahren, sagt Siebert, sei die Infrastruktur der Bahn so weit ausgebaut, dass der Bahnhof voll ausgelastet wird.
In der Halle am Eingang Washingtonplatz lässt sich Berlins Stadtentwicklungssenatorin fotografieren, im Hintergrund die Rolltreppen, auf denen Menschen nach oben gleiten und die Gleisbrücken hoch oben im gläsernen Bahnhofshimmel bestaunen wie Besucher der Sixtinischen Kapelle die "Erschaffung Adams".
14 Jahre wurde der Hauptbahnhof geplant und gebaut. Genug Zeit den Verkehrsknoten mit dem öffentlichen Nahverkehrssystem der Hauptstadt zu verknüpfen. Doch das ist nicht geschehen. Keine U-Bahn, keine Straßenbahn, keine S-Bahn aus dem Süden, keine aus dem Norden. Bis Reisende vom Hauptbahnhof bequem die ganze Stadt erreichen, werden noch Jahre vergehen. Senatorin Ingeborg Junge-Reyer errichtet um diese Peinlichkeit eine verbale Fassade.
"Die Verkehrsanbindung ist durch S-Bahnen, durch sechs Busse, durchaus in einer hohen Qualität gestaltet."
Eine ältere Dame mit Handtasche kommt auf die Senatorin zu und fragt: "Wo ist Toilette? Wissen sie auch nicht, oder?"
"Wo ist die Toilette? Wissen sie auch nicht, oder?"
Junge-Reyer: "Unter uns: Wo ist denn die Toilette, hier?"
Jede der über 8000 Scheiben des Glasdaches ist eine Spezialanfertigung; für den Bau des 700-Millionen-Bahnhofs wurde die Spree umgeleitet; 100 Messstellen kontrollieren stündlich den Grundwasserspiegel – aber Europas modernster Kreuzungsbahnhof bietet seinen täglich 300.000 Gästen genau einen Toilettenraum. Hoher Andrang, hoher Harndrang. Die Klo-Posse wurde jetzt entschärft, sagt Bahnhofschef Siebert.
"Wir haben dann eine Lieferantentoilette, eine Toilette, die wir eben für unsere Geschäfte eingerichtet hatten, dann auch geöffnet den Publikumsverkehr. Das hat sofort Entspannung gebracht. Wir planen eine neue Toilette und die wird Anfang des Jahres dann auf der -1 Ebene eingerichtet werden."
"Also, als älterer Mensch ist man ein bisschen überfordert. Man muss sich also erstmal informieren, wo man hin muss. Wenn ich hier in letzter Minute ankommen würde, würde ich meinen Zug nie im Leben kriegen."
"Mit der Zeit finden sie ne Orientierung. Aber wenn sie hierher kommen, sind sie erschlagen."
Ingrid und Karl-Heinz Walter aus Bochum sind auf Städtereise nach Berlin gekommen. Den Hauptbahnhof haben sie schon als Baustelle gesehen. Jetzt stehen sie an einer der gläsernen Brüstungen im Erdgeschoss und blicken hinab auf die Gleise in Nord-Südrichtung, wo gleich der Regionalexpress nach Cottbus erwartet wird.
"Wir sind erschlagen. So was habe ich im Leben noch nicht gesehen. Habe viele Bahnhöfe gesehen. London, Zürich. Aber so einen Bahnhof habe ich noch nicht gesehen."
"Was gefällt ihnen denn so gut an diesem Bahnhof?"
"Die ganze Übersicht, das Weite, das finden sie doch selten. Eine unwahrscheinliche Technik. Das ist positiv. Sehr sauber, das kann man nicht anders sagen."
So wie Ingrid und Karl-Heinz Walter aus Bochum äußern sich viele Besucher über den neuen Berliner Hauptbahnhof, sagt Christfried Tschepe vom Berliner Fahrgastverband:
"Also das Gebäude, von der Architektur her, gefällt er den meisten Fahrgästen natürlich auch ausgesprochen gut. Es gibt zwei Probleme: Das eine Wegeleitsystem, da tun sich viele noch mit schwer, den kürzesten und schnellsten Weg zum Zug zu finden, beziehungsweise erstmal herauszufinden, an welchem Bahnsteig ihr Zug abfährt. Und das zweite Problem betrifft die Umsteiger, die zwischen oben und unten umsteigen müssen. Die Aufzugskapazität ist einfach zu gering. Wir haben besonders Klagen von Fahrgästen, die hier mit Kinderwagen und Rollstuhl unterwegs sind, die also zum Teil lange warten müssen, bis sie mit so einem Aufzug mitkommen oder erstmal gar nicht den Aufzug, den sie nutzen können, finden."
Die Gepäckaufbewahrung – nach der Geschichte mit dem Klo - einer der beliebtesten Aufreger. Der Hauptstadt-Bahnhof hat keine Schließfächer. Nur eine Gepäckaufbewahrung mit langer Schlange. Doch Deutschlands oberster Bahnhofsvorsteher Wolf-Dieter Siebert hat kein Zeitproblem.
"Das ist ein Sicherheitsproblem. Dieser Bahnhof ist ja nun ein Kreuzungsbahnhof, damit eben auch ein wichtiger Knotenpunkt. Wenn da irgendwas wäre, dass da einer anruft und sagt, es liegt eine Bombe im Schließfach, müsste daraufhin der gesamte Bahnhof gesperrt werden. Was natürlich dann zu enormen Einbrüchen und Verzögerungen führt. Deswegen haben wir gesagt: Okay, am ganzen Bahnhof keine Schließfächer, sondern eine personenbediente Gepäckaufbewahrung."
Die Geschäftsleute haben ihren Platz gefunden im neuen Hauptbahnhof. 80 Geschäfte auf drei Etagen. Autovermieter, Drogerien, Döner-Läden.
Bei Blume 2000 gibt es Hibiskusbüsche, Blumendünger, Übertöpfe und welke Sonnenblumen als Restposten für 1 Euro 50. Filialleiterin Doreen Iden ist zufrieden mit dem Hauptbahnhof.
"Ja, wir sind zufrieden, Publikum ist ja da. Am Wochenende ist schon viel zu tun, unter der Woche ist ein bisschen weniger, aber die Pendler kommen, kaufen. Also wir sind vollkommen zufrieden."
Nebenan bei ARKO baumeln Stoffdrachen im Wind der Klimaanlage. In der Vitrine sind Whisky-Trüffel-Pralinen gestapelt wie Kanonenkugeln. Auf der Leiter steht Bernd Motzkus und justiert einen Deckenstrahler.
"Es geht darum, die Produkte hier bestmöglich auzuleuchten, ohne dass das blendet und ohne dass das Schatten wirft."
Bernd Motzkus war lange Gastwirt, wollte dann aber lieber tagsüber arbeiten und ist nun Geschäftsführer eines neonbeleuchteten Schokoladen-Hades im Bauch des Hauptbahnhofs.
"Wir sind voll zufrieden. Wir merken, dass sich der Bahnhof entwickelt, das der Bahnhof angenommen wird, dass also auch Kunden, Gäste kommen, sich den Bahnhof anschauen, die also gar keine Bahnkunden sind, sondern Touristen, die von hier aus ins Regierungsviertel gehen oder unten an der Spree spazieren gehen. Es ist so ein bisschen Anziehungspunkt geworden."
Vor allem die Architektur fasziniere seine Kunden, sagt Motzkus. Dennoch hat der Geschäftsmann lange am Standort gezweifelt.
"Ich habe an dem Standort gezweifelt, weil ich mir nicht sicher war, wie schnell die Bebauung drum herum weiter geht. Und ich halte das nach wie vor für ein Problem, weil man auch nicht weiß, wie groß ist das Interesse an den umliegenden Gewerbeflächen? Werden sie bebaut? Mit was werden sie bebaut? Im Großen und Ganzen überwiegt aber die positive Einstellung."
"Wir sehen hier den Hauptbahnhof, und das Areal um den Hauptbahnhof herum, nördlich und südlich das Lehrter Stadtquartier."
Michael Burrack steht vor einem wandfüllenden Plan. Klar zu sehen: Dem Bahnhof fehlt das Bahnhofsviertel. Wie eine Raumstation aus Glas und Stahl ragt der Hauptbahnhof empor aus einer Brache, zwischen Kanzleramt, Reichstag, dem verwaisten Humboldt-Hafen und einem Güterbahnhof. Michael Burrack ist Berlinchef der Vivico Real Estate, einem von sieben Besitzern der Brachflächen rund um den Hauptbahnhof. Das Quartier soll nach einem Masterplan des Architekten Oswald Mathias Ungers entwickelt werden, die Grundbesitzer wollen sich zusammentun. Es geht um fast 60 Hektar ehemaliges Grenzland zwischen Ost und West.
"Ich denke, dass wir in drei, vier Jahren schon einen deutlichen Schritt weiter sind, so dass sich das Umfeld des Bahnhofs sich so geordnet hat, dass hier der Eindruck der Baustelle im Wesentlichen überwunden sein wird.
In zehn Jahren wird im positivsten Sinne dort Urbanität vorherrschen. Sie werden gastronomische und Eventangebote im Bereich des Humboldthafens vorfinden; sie werden einen lebendigen Kunst- und Kulturstandort im Bereich des Hamburger Bahnhofs vorfinden, wo nicht nur die bedeutende Sammlung für Moderne Kunst und die Klick-Kollektion sich angesiedelt haben, sondern dann Galerien, Cafes mit einer hohen Aufenthaltsqualität. Sie werden im südlichen Bereich des Bahnhofs ein dann fertig gestelltes Quartier mit Hotelangeboten und urbanem Hotelleben vorfinden, so dass der Bereich geschlossen ist."
Wohnungen sind im unmittelbaren Umkreis des Bahnhofs plant Burrack nicht.
"Weil mit der Verkürzung des Glasdachs über dem Bahnviadukt, die Lärmbelastung des Quartiers deutlich zugenommen hat, so dass die Nutzung Wohnen hier nur unter sehr schwierigen Bedingungen zu realisieren gewesen wäre, so dass Wohnen keine Schwerpunknutzung darstellen wird."
Überhaupt das Dach. Nichts hat so viel Streit ausgelöst wie dieses 321 Meter Glasdach über den Gleisen von Ost nach West. Bahnchef Mehdorn hat die lichte Konstruktion des Architekten Meinhard von Gerkan um 130 Meter gekürzt, um den Bahnhof zur WM eröffnen zu können. Der Architekt ist erbost, sieht sein Urherbrecht verletzt, hat die Bahn verklagt. Jetzt steht die erste Klasse im Regen, und dass die Bahn ihre wertvollsten Gäste bei schlechtem Wetter mit Schirm empfangen will, macht die Sache nicht besser. Doch eine nachträgliche Verlängerung des Glasdachs auf die ursprünglich geplante Länge wird es nicht geben, sagt Bahnmanager Siebert:
"Dieses Dach kann da nicht mehr hingemacht werden. Wir hatten damals die Entscheidung sehr bewusst getroffen. Sie hat uns ermöglich, den Bahnhof dann am 28. Mai den Bahnhof so zu übergeben wie das nun der Fall ist. Selbst wenn man das wollte, ginge es technisch nicht mehr. Das würde bedeuten, dass man den Verkehr für ein Jahr mindestens lahm legen müsste, das ist vollkommen ausgeschlossen."
Der Aufstieg des Hauptbahnhofs ist der Abstieg einer Westberliner Kultstätte. Während Servicekräfte im Hauptbahnhof die Mülleimer polieren, Tauben betäubt und vor die Tür gesetzt werden, stinkt der Bahnhof Zoo und die dreckigen Scheiben lassen vom Schein der Spätsommersonne nur braunes Zwielicht übrig. Der Bahnhof Zoologischer Garten wurde dem neuen Verkehrskonzept der Bahn geopfert.
Züge aus Norden und Süden fahren nicht mehr um ganz Berlin herum, sondern durch einen Tunnel unterm Tiergarten hindurch, direkt in den Hauptbahnhof, das spart Zeit sagt die Bahn. Der Zoo sei nie als Fernbahnhof gedacht gewesen, die Bahnsteige zu eng und damit gefährlich. ICEs halten jetzt nur noch im Hautbahnhof und vier Fernbahnhöfen an allen Enden der Stadt. Der Zoo zählt nicht dazu, vom Wahrzeichen zum Regionalbahnhof. Westberlins Tor zur Welt öffnet sich nur noch gen Grunewald und Wünstorf-Waldstadt. Der Bahnhof Zoo wurde aufs Abstellgleis geschoben wie eine rostige Lock.
"Wir haben am Bahnhof Zoo 100.000 Fahrgäste täglich. Vor Fahrplanwechsel waren das so um die 20.000 bis 30.000 mehr."
Jeden Tag, sagt Wolf-Dieter Siebert, der Herr der Bahnhöfe. Auch der Umsatz der Geschäfte am Bahnhof Zoo sei um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen.
"Das ist von unserer Bonbonbar, das wird nach Gewicht verkauft, 100 Gramm 1 Euro 30, da hat die Dame sich was Hübsches zusammengestellt. Ingwerstäbchen zu 2,65, ein Käferchen, der soll Glück bringen und dann noch die Mandeln, so dann sind das 7 Euro 20 bei ihnen ..."
Renate Heinecke verkauft in der Arko-Filiale am Zoo auch Whisky-Trüffel-Pralinen. Wie ihr Kollege am Hauptbahnhof. Aber bei Arko am Zoo ist alles eine Nummer kleiner. Die Pralinenhäufchen, und der Umsatz.
"Der Umsatz ist natürlich rückläufig, ganz klar. Die Fernzüge halten hier nicht mehr, das wirkt sich natürlich auf die Geschäfte aus. Nicht nur auf dieses Geschäft, sondern auf alle Geschäfte und das ist natürlich sehr bedauerlich, dass die Bahn nicht mal diese beiden Züge, die hier vorbei fahren, halten lässt. Das wäre doch fair. Denn es fahren hier ja ICE-Züge vorbei und es wäre doch fair, wenn man sagen würde: Gut, die beiden lassen wir hier noch halten. Und die Menschen, die hier im Umfeld wohnen, die alten Menschen, da ist viel Gewohnheit dabei gewesen, die waren hier vertraut, das war hier kuschlig für die alten Menschen. Und für die ist natürlich der neue Bahnhof sehr, sehr schwierig. Der Bahnhof Zoo ist nun mal ne Traditionsstelle, da haben schon die drei Travellers von gesungen: Treffen wir uns an der Uhr am Bahnhof Zoo. Das kann ich dazu nur sagen, das ist die Situation. Und ob der Herr Mehlhorn noch mal eine Veränderung vornimmt, das wissen wir alle nicht, es ist bedauerlich, dass es so gekommen ist."
Bedauerlich? Helga Frisch ist stocksauer auf "Herrn Mehlhorn”, wie Bahnchef Mehdorn hier abfällig genannt wird. Helga frisch ist pensionierte Pastorin und bildet mit ihrer Bürgerinitiative die Speerspitze des Protests gegen die Degradierung des Bahnhofs Zoo.
"Die Geschäftsleute hier im Bahnhof, 30, 40 Geschäfte, die direkt im Bahnhof sind und bestimmt noch mal 100 Geschäfte, die Umkreis des Bahnhofs sind, die fürchten um ihre Existenz, die stehen kurz vor der Insolvenz und wissen nicht, ob sie über den Winter kommen. Viele haben Leute entlassen, die Angestellten zittern, die Chefs sind erregt. Viele Inhaber sind krank geworden, haben Herzrhythmusstörungen und Kreislaufstörungen und da sind viele in Gerichtsverfahren mit der Bahn."
Neben dem Bahnhof steht das AO Hostel. 550 Betten, Einzelzimmer ab 39 Euro, Blick auf die Gleise. Robert Hering ist der Manager. Vier Monate, nachdem der letzte ICE am Zoo gehalten hat, verzeichnet Hering eine…
"Deutliche Tendenz nach unten. Walk-ins, das sind Leute, die nicht reserviert haben, einfach reinkommen, das Hotel sehen und hinlaufen und da übernachten, hatten wir an guten Tagen 200 bei Bestehen des Fernbahnhofes, und jetzt ohne Fernbahnhof sind es an guten Tagen noch 40, 45."
Diese unangemeldeten Besucher bringen ihm bis zu 75 Prozent seines Umsatzes, sagt der Hotelier. Manager Hering musste bereits drei Leute entlassen. Wie’s weitergeht, weiß er nicht.
"Das müssen wir selbst sehen, mussten natürlich auch schon personelle Konsequenzen ziehen und müssen jetzt erstmal den Winter anschauen. Aber bei den Einbrüchen, die wir jetzt schon in der Top-Hochsaison und im Sommer haben, sind unsere Befürchtungen für den Winter in Katastrophenrichtung. Das heißt, wir wissen nicht, ob wir es überhaupt überleben wirtschaftlich und wenn ja, mit welchen Folgen."
Weil am Zoo keine Fernzüge mehr halten, müssten viele Westberliner lange, viel zu lange fahren, um einen ICE zu besteigen. Die pensionierte Pastorin Helga Frisch empfindet die Fahrplanänderung als Angriff auf das alte Westberlin. Doch auch der Ostbahnhof am anderen Ende der Stadt hat weniger Gäste. Die Gewichte in Berlin verschieben sich, hinein ins geografische Zentrum. Das gilt es zu verhindern. Die Unterschriftenlisten von Helga Frisch hängen an jedem Gemüsestand, über 100.000 haben sich schon eingetragen.
"Wir haben mehr als 50 Prozent Hoffnung! Es gibt viele Hinweise, dass der Bahnhof im Mai spätestens wieder geöffnet wird."
ICEs, die am Zoo halten? Das wird es nicht mehr geben, sagt der Chef der deutschen Bahnhöfe, Wolf-Dieter Siebert.
"Wir haben die Entscheidung getroffen und diese Entscheidung steht jetzt. Wir leben sehr gut mit unseren Reisenden mit dieser Entscheidung. Wir haben keine Umsatzeinbrüche zu verzeichnen, das Gegenteil ist der Fall. Seit dem die Nord-Südverbindung in dieser Art und Weise jetzt existiert, sind die Reisendenzahlen enorm gestiegen, besonders auch im Fernverkehr. Wir können also nicht erkennen, dass unser neues Konzept zu Abstrafungen von Kunden führt, es ist das richtige Konzept, wir wollen es nicht verändern."
Der Bahnmanager will den Bahnhof Zoo verschönern, vor allem der Hardernberg Platz vor dem Bahnhof Zoo soll attraktiver werden. Die Bahn sei mit Investoren im Gespräch, genaues will Siebert nicht verraten:
"Der Platz wird schön werden. Die Fassade wird schön werden, die Funktionalität wird besser werden. Die Parksituation soll erleichtert werden. Die Geschäfte sollen hübscher werden. Aber das sind Ziele. Wir würden das ganz gerne noch dieses Jahr erreichen. Wenn wir soweit sind, sprechen wir darüber, aber jetzt keine ungebackenen Brötchen, bitte."
"Sehr verehrte Senatorin, meine sehr verehrten Damen und Herren, auf diesen Bahnhof sind wir natürlich ganz besonders Stolz. Es ist wirklich unser Kronjuwel, was wir in Deutschland an Bahnhöfen haben. Er ist ein Wahrzeichen Berlins geworden, er ist ein touristischer Attraktionspunkt geworden und er ist natürlich die wichtigste Verkehrsdrehscheibe für die Hauptstadt."
Wolf-Dieter Siebert steht am Bistrotisch und blickt immer wieder auf seinen Notizzettel. Der schlanke Mann im grauen Dreiteiler ist Vorstandsvorsitzender der DB Station und Service GmbH, kurz der Chef aller deutschen Bahnhöfe. Heute hat er Journalisten geladen, es gibt Schnittchen und Orangensaft. In einem schmucklosen Raum neben der Bahnhofsmission des neuen Berlin Hauptbahnhofs zieht Siebert eine erste Bilanz. In den ersten 100 Tagen seit Eröffnung hätten 30 Millionen Menschen das schicke Schienenkreuz besucht, besichtigt und benutzt. 30 Millionen Menschen. Das sind im Schnitt 300.000 am Tag. Nur rund die Hälfte davon sind jedoch Fahrgäste. Erst in drei, vier Jahren, sagt Siebert, sei die Infrastruktur der Bahn so weit ausgebaut, dass der Bahnhof voll ausgelastet wird.
In der Halle am Eingang Washingtonplatz lässt sich Berlins Stadtentwicklungssenatorin fotografieren, im Hintergrund die Rolltreppen, auf denen Menschen nach oben gleiten und die Gleisbrücken hoch oben im gläsernen Bahnhofshimmel bestaunen wie Besucher der Sixtinischen Kapelle die "Erschaffung Adams".
14 Jahre wurde der Hauptbahnhof geplant und gebaut. Genug Zeit den Verkehrsknoten mit dem öffentlichen Nahverkehrssystem der Hauptstadt zu verknüpfen. Doch das ist nicht geschehen. Keine U-Bahn, keine Straßenbahn, keine S-Bahn aus dem Süden, keine aus dem Norden. Bis Reisende vom Hauptbahnhof bequem die ganze Stadt erreichen, werden noch Jahre vergehen. Senatorin Ingeborg Junge-Reyer errichtet um diese Peinlichkeit eine verbale Fassade.
"Die Verkehrsanbindung ist durch S-Bahnen, durch sechs Busse, durchaus in einer hohen Qualität gestaltet."
Eine ältere Dame mit Handtasche kommt auf die Senatorin zu und fragt: "Wo ist Toilette? Wissen sie auch nicht, oder?"
"Wo ist die Toilette? Wissen sie auch nicht, oder?"
Junge-Reyer: "Unter uns: Wo ist denn die Toilette, hier?"
Jede der über 8000 Scheiben des Glasdaches ist eine Spezialanfertigung; für den Bau des 700-Millionen-Bahnhofs wurde die Spree umgeleitet; 100 Messstellen kontrollieren stündlich den Grundwasserspiegel – aber Europas modernster Kreuzungsbahnhof bietet seinen täglich 300.000 Gästen genau einen Toilettenraum. Hoher Andrang, hoher Harndrang. Die Klo-Posse wurde jetzt entschärft, sagt Bahnhofschef Siebert.
"Wir haben dann eine Lieferantentoilette, eine Toilette, die wir eben für unsere Geschäfte eingerichtet hatten, dann auch geöffnet den Publikumsverkehr. Das hat sofort Entspannung gebracht. Wir planen eine neue Toilette und die wird Anfang des Jahres dann auf der -1 Ebene eingerichtet werden."
"Also, als älterer Mensch ist man ein bisschen überfordert. Man muss sich also erstmal informieren, wo man hin muss. Wenn ich hier in letzter Minute ankommen würde, würde ich meinen Zug nie im Leben kriegen."
"Mit der Zeit finden sie ne Orientierung. Aber wenn sie hierher kommen, sind sie erschlagen."
Ingrid und Karl-Heinz Walter aus Bochum sind auf Städtereise nach Berlin gekommen. Den Hauptbahnhof haben sie schon als Baustelle gesehen. Jetzt stehen sie an einer der gläsernen Brüstungen im Erdgeschoss und blicken hinab auf die Gleise in Nord-Südrichtung, wo gleich der Regionalexpress nach Cottbus erwartet wird.
"Wir sind erschlagen. So was habe ich im Leben noch nicht gesehen. Habe viele Bahnhöfe gesehen. London, Zürich. Aber so einen Bahnhof habe ich noch nicht gesehen."
"Was gefällt ihnen denn so gut an diesem Bahnhof?"
"Die ganze Übersicht, das Weite, das finden sie doch selten. Eine unwahrscheinliche Technik. Das ist positiv. Sehr sauber, das kann man nicht anders sagen."
So wie Ingrid und Karl-Heinz Walter aus Bochum äußern sich viele Besucher über den neuen Berliner Hauptbahnhof, sagt Christfried Tschepe vom Berliner Fahrgastverband:
"Also das Gebäude, von der Architektur her, gefällt er den meisten Fahrgästen natürlich auch ausgesprochen gut. Es gibt zwei Probleme: Das eine Wegeleitsystem, da tun sich viele noch mit schwer, den kürzesten und schnellsten Weg zum Zug zu finden, beziehungsweise erstmal herauszufinden, an welchem Bahnsteig ihr Zug abfährt. Und das zweite Problem betrifft die Umsteiger, die zwischen oben und unten umsteigen müssen. Die Aufzugskapazität ist einfach zu gering. Wir haben besonders Klagen von Fahrgästen, die hier mit Kinderwagen und Rollstuhl unterwegs sind, die also zum Teil lange warten müssen, bis sie mit so einem Aufzug mitkommen oder erstmal gar nicht den Aufzug, den sie nutzen können, finden."
Die Gepäckaufbewahrung – nach der Geschichte mit dem Klo - einer der beliebtesten Aufreger. Der Hauptstadt-Bahnhof hat keine Schließfächer. Nur eine Gepäckaufbewahrung mit langer Schlange. Doch Deutschlands oberster Bahnhofsvorsteher Wolf-Dieter Siebert hat kein Zeitproblem.
"Das ist ein Sicherheitsproblem. Dieser Bahnhof ist ja nun ein Kreuzungsbahnhof, damit eben auch ein wichtiger Knotenpunkt. Wenn da irgendwas wäre, dass da einer anruft und sagt, es liegt eine Bombe im Schließfach, müsste daraufhin der gesamte Bahnhof gesperrt werden. Was natürlich dann zu enormen Einbrüchen und Verzögerungen führt. Deswegen haben wir gesagt: Okay, am ganzen Bahnhof keine Schließfächer, sondern eine personenbediente Gepäckaufbewahrung."
Die Geschäftsleute haben ihren Platz gefunden im neuen Hauptbahnhof. 80 Geschäfte auf drei Etagen. Autovermieter, Drogerien, Döner-Läden.
Bei Blume 2000 gibt es Hibiskusbüsche, Blumendünger, Übertöpfe und welke Sonnenblumen als Restposten für 1 Euro 50. Filialleiterin Doreen Iden ist zufrieden mit dem Hauptbahnhof.
"Ja, wir sind zufrieden, Publikum ist ja da. Am Wochenende ist schon viel zu tun, unter der Woche ist ein bisschen weniger, aber die Pendler kommen, kaufen. Also wir sind vollkommen zufrieden."
Nebenan bei ARKO baumeln Stoffdrachen im Wind der Klimaanlage. In der Vitrine sind Whisky-Trüffel-Pralinen gestapelt wie Kanonenkugeln. Auf der Leiter steht Bernd Motzkus und justiert einen Deckenstrahler.
"Es geht darum, die Produkte hier bestmöglich auzuleuchten, ohne dass das blendet und ohne dass das Schatten wirft."
Bernd Motzkus war lange Gastwirt, wollte dann aber lieber tagsüber arbeiten und ist nun Geschäftsführer eines neonbeleuchteten Schokoladen-Hades im Bauch des Hauptbahnhofs.
"Wir sind voll zufrieden. Wir merken, dass sich der Bahnhof entwickelt, das der Bahnhof angenommen wird, dass also auch Kunden, Gäste kommen, sich den Bahnhof anschauen, die also gar keine Bahnkunden sind, sondern Touristen, die von hier aus ins Regierungsviertel gehen oder unten an der Spree spazieren gehen. Es ist so ein bisschen Anziehungspunkt geworden."
Vor allem die Architektur fasziniere seine Kunden, sagt Motzkus. Dennoch hat der Geschäftsmann lange am Standort gezweifelt.
"Ich habe an dem Standort gezweifelt, weil ich mir nicht sicher war, wie schnell die Bebauung drum herum weiter geht. Und ich halte das nach wie vor für ein Problem, weil man auch nicht weiß, wie groß ist das Interesse an den umliegenden Gewerbeflächen? Werden sie bebaut? Mit was werden sie bebaut? Im Großen und Ganzen überwiegt aber die positive Einstellung."
"Wir sehen hier den Hauptbahnhof, und das Areal um den Hauptbahnhof herum, nördlich und südlich das Lehrter Stadtquartier."
Michael Burrack steht vor einem wandfüllenden Plan. Klar zu sehen: Dem Bahnhof fehlt das Bahnhofsviertel. Wie eine Raumstation aus Glas und Stahl ragt der Hauptbahnhof empor aus einer Brache, zwischen Kanzleramt, Reichstag, dem verwaisten Humboldt-Hafen und einem Güterbahnhof. Michael Burrack ist Berlinchef der Vivico Real Estate, einem von sieben Besitzern der Brachflächen rund um den Hauptbahnhof. Das Quartier soll nach einem Masterplan des Architekten Oswald Mathias Ungers entwickelt werden, die Grundbesitzer wollen sich zusammentun. Es geht um fast 60 Hektar ehemaliges Grenzland zwischen Ost und West.
"Ich denke, dass wir in drei, vier Jahren schon einen deutlichen Schritt weiter sind, so dass sich das Umfeld des Bahnhofs sich so geordnet hat, dass hier der Eindruck der Baustelle im Wesentlichen überwunden sein wird.
In zehn Jahren wird im positivsten Sinne dort Urbanität vorherrschen. Sie werden gastronomische und Eventangebote im Bereich des Humboldthafens vorfinden; sie werden einen lebendigen Kunst- und Kulturstandort im Bereich des Hamburger Bahnhofs vorfinden, wo nicht nur die bedeutende Sammlung für Moderne Kunst und die Klick-Kollektion sich angesiedelt haben, sondern dann Galerien, Cafes mit einer hohen Aufenthaltsqualität. Sie werden im südlichen Bereich des Bahnhofs ein dann fertig gestelltes Quartier mit Hotelangeboten und urbanem Hotelleben vorfinden, so dass der Bereich geschlossen ist."
Wohnungen sind im unmittelbaren Umkreis des Bahnhofs plant Burrack nicht.
"Weil mit der Verkürzung des Glasdachs über dem Bahnviadukt, die Lärmbelastung des Quartiers deutlich zugenommen hat, so dass die Nutzung Wohnen hier nur unter sehr schwierigen Bedingungen zu realisieren gewesen wäre, so dass Wohnen keine Schwerpunknutzung darstellen wird."
Überhaupt das Dach. Nichts hat so viel Streit ausgelöst wie dieses 321 Meter Glasdach über den Gleisen von Ost nach West. Bahnchef Mehdorn hat die lichte Konstruktion des Architekten Meinhard von Gerkan um 130 Meter gekürzt, um den Bahnhof zur WM eröffnen zu können. Der Architekt ist erbost, sieht sein Urherbrecht verletzt, hat die Bahn verklagt. Jetzt steht die erste Klasse im Regen, und dass die Bahn ihre wertvollsten Gäste bei schlechtem Wetter mit Schirm empfangen will, macht die Sache nicht besser. Doch eine nachträgliche Verlängerung des Glasdachs auf die ursprünglich geplante Länge wird es nicht geben, sagt Bahnmanager Siebert:
"Dieses Dach kann da nicht mehr hingemacht werden. Wir hatten damals die Entscheidung sehr bewusst getroffen. Sie hat uns ermöglich, den Bahnhof dann am 28. Mai den Bahnhof so zu übergeben wie das nun der Fall ist. Selbst wenn man das wollte, ginge es technisch nicht mehr. Das würde bedeuten, dass man den Verkehr für ein Jahr mindestens lahm legen müsste, das ist vollkommen ausgeschlossen."
Der Aufstieg des Hauptbahnhofs ist der Abstieg einer Westberliner Kultstätte. Während Servicekräfte im Hauptbahnhof die Mülleimer polieren, Tauben betäubt und vor die Tür gesetzt werden, stinkt der Bahnhof Zoo und die dreckigen Scheiben lassen vom Schein der Spätsommersonne nur braunes Zwielicht übrig. Der Bahnhof Zoologischer Garten wurde dem neuen Verkehrskonzept der Bahn geopfert.
Züge aus Norden und Süden fahren nicht mehr um ganz Berlin herum, sondern durch einen Tunnel unterm Tiergarten hindurch, direkt in den Hauptbahnhof, das spart Zeit sagt die Bahn. Der Zoo sei nie als Fernbahnhof gedacht gewesen, die Bahnsteige zu eng und damit gefährlich. ICEs halten jetzt nur noch im Hautbahnhof und vier Fernbahnhöfen an allen Enden der Stadt. Der Zoo zählt nicht dazu, vom Wahrzeichen zum Regionalbahnhof. Westberlins Tor zur Welt öffnet sich nur noch gen Grunewald und Wünstorf-Waldstadt. Der Bahnhof Zoo wurde aufs Abstellgleis geschoben wie eine rostige Lock.
"Wir haben am Bahnhof Zoo 100.000 Fahrgäste täglich. Vor Fahrplanwechsel waren das so um die 20.000 bis 30.000 mehr."
Jeden Tag, sagt Wolf-Dieter Siebert, der Herr der Bahnhöfe. Auch der Umsatz der Geschäfte am Bahnhof Zoo sei um 20 bis 30 Prozent zurückgegangen.
"Das ist von unserer Bonbonbar, das wird nach Gewicht verkauft, 100 Gramm 1 Euro 30, da hat die Dame sich was Hübsches zusammengestellt. Ingwerstäbchen zu 2,65, ein Käferchen, der soll Glück bringen und dann noch die Mandeln, so dann sind das 7 Euro 20 bei ihnen ..."
Renate Heinecke verkauft in der Arko-Filiale am Zoo auch Whisky-Trüffel-Pralinen. Wie ihr Kollege am Hauptbahnhof. Aber bei Arko am Zoo ist alles eine Nummer kleiner. Die Pralinenhäufchen, und der Umsatz.
"Der Umsatz ist natürlich rückläufig, ganz klar. Die Fernzüge halten hier nicht mehr, das wirkt sich natürlich auf die Geschäfte aus. Nicht nur auf dieses Geschäft, sondern auf alle Geschäfte und das ist natürlich sehr bedauerlich, dass die Bahn nicht mal diese beiden Züge, die hier vorbei fahren, halten lässt. Das wäre doch fair. Denn es fahren hier ja ICE-Züge vorbei und es wäre doch fair, wenn man sagen würde: Gut, die beiden lassen wir hier noch halten. Und die Menschen, die hier im Umfeld wohnen, die alten Menschen, da ist viel Gewohnheit dabei gewesen, die waren hier vertraut, das war hier kuschlig für die alten Menschen. Und für die ist natürlich der neue Bahnhof sehr, sehr schwierig. Der Bahnhof Zoo ist nun mal ne Traditionsstelle, da haben schon die drei Travellers von gesungen: Treffen wir uns an der Uhr am Bahnhof Zoo. Das kann ich dazu nur sagen, das ist die Situation. Und ob der Herr Mehlhorn noch mal eine Veränderung vornimmt, das wissen wir alle nicht, es ist bedauerlich, dass es so gekommen ist."
Bedauerlich? Helga Frisch ist stocksauer auf "Herrn Mehlhorn”, wie Bahnchef Mehdorn hier abfällig genannt wird. Helga frisch ist pensionierte Pastorin und bildet mit ihrer Bürgerinitiative die Speerspitze des Protests gegen die Degradierung des Bahnhofs Zoo.
"Die Geschäftsleute hier im Bahnhof, 30, 40 Geschäfte, die direkt im Bahnhof sind und bestimmt noch mal 100 Geschäfte, die Umkreis des Bahnhofs sind, die fürchten um ihre Existenz, die stehen kurz vor der Insolvenz und wissen nicht, ob sie über den Winter kommen. Viele haben Leute entlassen, die Angestellten zittern, die Chefs sind erregt. Viele Inhaber sind krank geworden, haben Herzrhythmusstörungen und Kreislaufstörungen und da sind viele in Gerichtsverfahren mit der Bahn."
Neben dem Bahnhof steht das AO Hostel. 550 Betten, Einzelzimmer ab 39 Euro, Blick auf die Gleise. Robert Hering ist der Manager. Vier Monate, nachdem der letzte ICE am Zoo gehalten hat, verzeichnet Hering eine…
"Deutliche Tendenz nach unten. Walk-ins, das sind Leute, die nicht reserviert haben, einfach reinkommen, das Hotel sehen und hinlaufen und da übernachten, hatten wir an guten Tagen 200 bei Bestehen des Fernbahnhofes, und jetzt ohne Fernbahnhof sind es an guten Tagen noch 40, 45."
Diese unangemeldeten Besucher bringen ihm bis zu 75 Prozent seines Umsatzes, sagt der Hotelier. Manager Hering musste bereits drei Leute entlassen. Wie’s weitergeht, weiß er nicht.
"Das müssen wir selbst sehen, mussten natürlich auch schon personelle Konsequenzen ziehen und müssen jetzt erstmal den Winter anschauen. Aber bei den Einbrüchen, die wir jetzt schon in der Top-Hochsaison und im Sommer haben, sind unsere Befürchtungen für den Winter in Katastrophenrichtung. Das heißt, wir wissen nicht, ob wir es überhaupt überleben wirtschaftlich und wenn ja, mit welchen Folgen."
Weil am Zoo keine Fernzüge mehr halten, müssten viele Westberliner lange, viel zu lange fahren, um einen ICE zu besteigen. Die pensionierte Pastorin Helga Frisch empfindet die Fahrplanänderung als Angriff auf das alte Westberlin. Doch auch der Ostbahnhof am anderen Ende der Stadt hat weniger Gäste. Die Gewichte in Berlin verschieben sich, hinein ins geografische Zentrum. Das gilt es zu verhindern. Die Unterschriftenlisten von Helga Frisch hängen an jedem Gemüsestand, über 100.000 haben sich schon eingetragen.
"Wir haben mehr als 50 Prozent Hoffnung! Es gibt viele Hinweise, dass der Bahnhof im Mai spätestens wieder geöffnet wird."
ICEs, die am Zoo halten? Das wird es nicht mehr geben, sagt der Chef der deutschen Bahnhöfe, Wolf-Dieter Siebert.
"Wir haben die Entscheidung getroffen und diese Entscheidung steht jetzt. Wir leben sehr gut mit unseren Reisenden mit dieser Entscheidung. Wir haben keine Umsatzeinbrüche zu verzeichnen, das Gegenteil ist der Fall. Seit dem die Nord-Südverbindung in dieser Art und Weise jetzt existiert, sind die Reisendenzahlen enorm gestiegen, besonders auch im Fernverkehr. Wir können also nicht erkennen, dass unser neues Konzept zu Abstrafungen von Kunden führt, es ist das richtige Konzept, wir wollen es nicht verändern."
Der Bahnmanager will den Bahnhof Zoo verschönern, vor allem der Hardernberg Platz vor dem Bahnhof Zoo soll attraktiver werden. Die Bahn sei mit Investoren im Gespräch, genaues will Siebert nicht verraten:
"Der Platz wird schön werden. Die Fassade wird schön werden, die Funktionalität wird besser werden. Die Parksituation soll erleichtert werden. Die Geschäfte sollen hübscher werden. Aber das sind Ziele. Wir würden das ganz gerne noch dieses Jahr erreichen. Wenn wir soweit sind, sprechen wir darüber, aber jetzt keine ungebackenen Brötchen, bitte."