Berlin - was noch offen ist?

Von Wolf Sören Treusch |
Berlin ist und bleibt eine Großbaustelle. Zwar ist der Hauptbahnhof vor wenigen Monaten fertig geworden, doch an zahlreichen anderen Stellen wird weiter gebuddelt und gemauert, und für so manche Brachfläche liegt noch nicht einmal ein Bebauungsplan vor. In dieser Situation tritt Regula Lüscher Gmür das Amt der Senatsbaudirektorin an.
"Eine Stadt, die sich nicht verändert, ist eigentlich tot."

Die Zahl der Baustellen in Berlin nimmt nicht ab. Gefühlt liegt sie an manchen Tagen höher als in den 90ern. Während Touristen mit leuchtenden Augen und dicken Architekturführern in der Hand die Stadt durchstreifen, schaut der Berliner mit sorgenvoller Miene morgens in der Tageszeitung nach, welche neue Baustelle seinen Weg zum Arbeitsplatz blockiert.

"Berlin baut auf seine Zukunft – die Hauptstadt ist noch lange nicht fertig."

Titelte vor kurzem die "Berliner Morgenpost". Gut 17 Jahre nach dem Fall der Mauer wartet noch eine Vielzahl gigantischer Bauprojekte in der Hauptstadt auf ihre Realisierung.

Ein digitales 3-D-Innenstadtmodell dient der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als aktuelle Planungsgrundlage. Jeder Bürger kann es sich im Internet anschauen. Berlin wirkt darin wie eine bunte Baukastenstadt: Die bestehenden Gebäude sind weiß gezeichnet, die im Bau befindlichen und projektierten Gebäude braun, und die Baukörper im Rahmen der städtebaulichen Konzepte der verschiedenen Planwerke sind gelb gezeichnet. Die Zahl der gelben übersteigt die der braunen Baukörper bei weitem. Das heißt: auf die neue Senatsbaudirektorin, die heute ihren Dienst antritt, auf die 45-jährige Regula Lüscher aus Zürich wartet sehr viel Arbeit.

"Nach allem, was ich bisher gehört habe, klingt das nach einer guten und interessanten Wahl, und ich hoffe sehr, dass das ein Stück weit die Stadt- und die Städtebau-Debatte neu belebt. Also herzlich willkommen und viel Glück bei dem Job."

Oppositionsführerin Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen glaubt, Regula Lüscher habe das Potenzial, das Gesicht der Hauptstadt in den nächsten Jahren prägen zu können. Als vorsichtig optimistisch darf man den Kommentar der FAZ werten.

"Ob sie Spuren hinterlassen kann in der Hauptstadt, wird vor allem davon abhängen, ob sie die erstarrten Fronten der kapitalen Architekturdebatte aufbrechen und Berlin wieder für den internationalen Diskurs öffnen kann."

Der Berliner Architekturkritiker Dieter Hoffmann-Axthelm, einer der Erfinder des "Planwerks Innenstadt", findet eine neue Architekturdebatte in Berlin nicht so wichtig. Die neue Senatsbaudirektorin müsse zunächst die, wie er sie selbst einmal beschrieben hat …

"… absurden Mitarbeitermassen der verschiedenen Verwaltungsteile …"

… in den Griff bekommen, zum anderen dürfe sie ihre Erfahrungen, die sie in den vergangenen sechs Jahren als stellvertretende Direktorin des Amtes für Städtebau in Zürich gemacht habe, nicht eins zu eins auf Berlin übertragen.

"Sie wird sich hier orientieren, und sie wird wahrscheinlich doch merken, dass in den Dimensionen etwas mehr Differenzierung angestrebt wird. Grundsätzlich wird in Berlin etwas feiner gearbeitet, was die Strukturierung angeht als anderswo und nota bene als auch in Zürich."

Grundlage dieses "feineren Arbeitens" in Berlin ist das so genannte Planwerk Innenstadt. 1999 hat es der Senat nach vielen Jahren der Kontroversen als städtebauliches Leitbild beschlossen, die Idee dahinter lautete: Berlin, durch Bombenkrieg, Wiederaufbau und Teilung zerfallen, zerklüftet, an Brachflächen reich wie kaum eine andere europäische Metropole, musste seinen, wie es in der Fachsprache heißt, "urbanen Organismus rekonstruieren". Dazu gehörte und gehört noch immer, den historischen Stadtgrundriss wiederherzustellen. Ein Beispiel: den achteckigen Leipziger Platz gleich neben dem Potsdamer Platz hätte man auch ganz anders wieder aufbauen können.

Die neue Senatsbaudirektorin Regula Lüscher lobt die Arbeit ihres Amtsvorgängers Stimmann als …

"… große Leistung."

Sie wird sich daran orientieren müssen. Aber sie wird auch selbstbewusst auf ihre Tätigkeit in Zürich zurück blicken. Dort hat sie in den vergangenen Jahren viel dafür getan, dass sich Zürich-West, eine ehemals hässliche Industriebrache gleich neben der Altstadt zu einem modernen, lebendigen Wohn- und Gewerbegebiet entwickelt hat. Architekturkritiker Dieter Hoffmann-Axthelm, der auch Zürich gut kennt, sieht das anders.

"Zürich hat ja ein sehr ehrgeiziges Stadterweiterungsprogramm gefahren in den letzten zehn Jahren, das wird auch allenthalben hoch gelobt, das ist auf der städtebaulichen Ebene, auf der Erscheinungsebene eben doch auch durchaus vergleichbar mit Berlin, aber es ist auf der Ebene der strukturellen Durcharbeitung und der Erkenntnis ‚was ist eigentlich Stadt’ und ‚wie macht man Stadt’ eine ganz andere Welt, weil: da sind Riesen-Formate gebaut worden, und die Stadt ist einfach nicht da, nur da wo vorher Getümmel war, da ist auch heute Getümmel, und die anderen Flächen, da liegen große Formate rum, und die Menschen verkrümeln sich anderswohin."

Und genau das dürfe in Berlin nicht passieren. Verdichtung der urbanen Lebensräume, das müsse oberstes Ziel der Stadtplanung sein.

"Vor allem ist ganz entscheidend wichtig: Wohnungsbau. Weil wir eine Innenstadt haben, in der bisher viel zu wenig gewohnt wird. Was gebraucht wird, sind Leute, die sich mit der historischen Innenstadt identifizieren, die da wohnen wollen, so wie jetzt zum Beispiel auf dem Friedrichswerder, so dass da auch eine politische Stimmung dafür entsteht, das Ganze eben nicht nur als ein x-beliebiges City-Entwicklungsgebiet zu behandeln."

Auf dem Friedrichswerder, gleich neben dem Amtssitz von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, entstehen zurzeit 47 so genannte Townhouses: maximal sechs Meter breit, vier oder fünf Stockwerke hoch, um die 160 Quadratmeter Wohnfläche, Wand an Wand – eine Reihenhaussiedlung für Reiche, jedes dieser Eigenheime kostet zwischen 600.000 und 800.000 Euro.

Stil der Fassade, Höhe der Eingänge, Material- und Farbwahl durften die neuen Eigentümer frei wählen. Winfried Hamann, Vorstand der Bürgerstadt Aktiengesellschaft, ist einer der Geburtsväter dieses Projekts.

"Im Moment ist das absolute Mode. Sie kriegen ja keinerlei Flächen in Paris, Madrid, London oder sonst wo in einer derart innenstädtischen Lage, wo Sie auf eine Parzelle noch ein Haus errichten können. Insofern ist das ein absolutes Ausnahmegebiet, das auch nicht beliebig wiederholbar ist.

Sie haben natürlich immer mal Probleme mit der Tiefe dieser Häuser und der Belichtung dann. Das nimmt man dann halt in Kauf. Ich meine, wenn man in Venedig lebt oder in engen Gassen von Amsterdam interessiert das auch niemand, wenn Sie in solchen Häusern drin sitzen. Natürlich rümpfen die einen oder anderen Architekten die Nase und sagen, muss das sein? Könnte man das nicht ein bisschen breiter machen? Und für den Gebrauchswert der Häuser ist es nicht einfach, immer vier Treppen hoch und runter zu laufen."

Kleine statt großräumige Grundstücke, individuelle statt monolithische Gebäude – die "Stadthäuser" entsprechen eigentlich nicht den grundsätzlichen konzeptionellen Vorgaben durch das "Planwerk Innenstadt". Für Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer besitzen sie dennoch Modellcharakter.

"Das Modell der ‚Townhouses’ am Friedrichswerder, also in unmittelbarer Nähe des Außenministeriums ist etwas, was typisch ist für die weitere Entwicklung in Berlin. In der Innenstadt zu wohnen, hier Räume zu haben, die man nutzen kann, um einen Lebenstraum zu verwirklichen vielleicht, das mag nicht für jeden in einer solchen finanziellen Größenordnung wie hier möglich sein, deshalb ist es mir wichtig, dass wir hier mit meiner Verwaltung zurzeit uns auch kleinere Baulücken in Berlin anschauen, auch in der Innenstadt anschauen und mit den Bezirken darüber sprechen, ob alte Planungen, hier zum Beispiel Gewerbe oder Dienstleistung möglich zu machen, hier wirklich richtig sind. Es gibt eine große Nachfrage nach Wohnen in der Stadt, und das will ich unterstützen, auch gegebenenfalls durch eine veränderte planungsrechtliche Ausweisung."

Dieter Hoffmann-Axthelm geht sogar so weit, dafür das viele Grün in Berlin in Frage zu stellen.

"Wir müssen eine ganz energische Verdichtungspolitik hier in Berlin betreiben, und dazu sind ja riesige Flächen da. Wir können praktisch den gesamten Stadtrand einklappen und das innen noch einmal anbauen, das wäre überhaupt kein Problem. Wieso? Wir haben doch genug Grün. Welche Stadt hat denn so viele Parks, Grünanlagen wie Berlin? Die Stadt Berlin muss sich langsam überlegen, ‚wie viel Park leisten wir uns, und wie groß ist die Zahl der Leute, die das konsumiert?’ Also da muss man ein vernünftiges Verhältnis finden, wir sind schließlich kein Kurbetrieb."

"Der Alex muss endlich angefasst werden, damit aus ihm ein zentraler Ort wird, das ist eine Schande, dass er jetzt 17, 18 Jahre nach dem Mauerfall immer noch äußerst diffus ist."

Nicht nur die Oppositionsführerin im Berliner Abgeordnetenhaus, Franziska Eichstädt-Bohlig von Bündnis 90/Die Grünen findet die Situation am Alexanderplatz unerträglich. Schweres Baugerät, wohin das Auge blickt: Neue Verkehrswege werden geschaffen, 50.000 Steinplatten auf dem Platz verlegt, eine Shopping-Mall gebaut, mehr als eine halbe Milliarde Euro insgesamt investiert – aber eine richtige städtebauliche Struktur hat der Alex noch immer nicht. Von den ehrgeizigen Hochhausplänen aus den 90er Jahren spricht in der Stadt kaum noch jemand.

"Mit dem Abgang von Stimmann ist ja keiner mehr da, der damals an dieser Idiotie mitgewirkt hat. Das war von vornherein ein heller Wahnsinn an einer Stelle, wo absolut keine Büros hingehören, wo auch gar keine Chance war, Alexanderplatz ist doch immer der Arsch von Berlin gewesen, und dass nun zu Manhattan machen zu wollen, also praktisch zur Südspitze von Manhattan, das ist eine Wahnsinnsidee."

Dieter Hoffmann-Axthelm sagt: die Hochhauspläne sind gestorben. Dennoch existiert das Baurecht für sieben Hochhäuser, laut städtebaulichem Rahmenvertrag sollen sie spätestens ab 2013 realisiert werden. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer.

"Hier muss man langfristig denken. Wenn in Berlin Hochhäuser entstehen können, wo, wenn nicht am Alexanderplatz. Und deshalb ist es richtig gewesen, hier städtebauliche Verträge zu machen, die es möglich machen, Hochhäuser zu bauen. Man kann doch niemanden zwingen, ein solches Haus zu bauen, das wissen wir sehr wohl. Aber wir wollen diese Möglichkeit nicht verbauen, und ich glaube, dass es richtig ist, dass wir darauf bestehen, dass da, wo gebaut wird, die Sockelgeschosse so gebaut werden, dass die Hochhäuser nach wie vor vielleicht in fünf oder zehn Jahren begonnen werden können. Abhängen wird das von der Nachfrage nach den ganz schlichten Zahlen an Bruttogeschossflächen, für die es mögliche Interessenten gibt, und danach wird entschieden."

Ein weiteres Dauerthema, das die Gemüter in der Hauptstadt immer wieder erhitzt und die künftige Senatsbaudirektorin ebenfalls beschäftigen wird, ist die Frage: was wird aus dem Schlossplatzareal?

Bundesbauminister Tiefensee hat soeben eine Art Sparvariante für den Wiederaufbau des Schlosses vorgelegt. Nun soll das Ganze nur noch 480 Millionen Euro kosten: ohne Tiefgarage, ohne Überdachung des Innenhofes und ohne Kuppel, mit ausschließlich öffentlich-kultureller Nutzung im so genannten Humboldt-Forum. Dafür könne schon in diesem Jahr der Architektenwettbewerb ausgelobt und 2010 mit dem Bau begonnen werden. Franziska Eichstädt-Bohlig sieht die neue Baudirektorin und den gesamten Senat regelrecht in der Pflicht.

"Ich finde es einfach unwürdig, so zu tun als wäre das ausschließlich eine Bundesgeschichte, ich verstehe, dass da der Bund sowohl von der Entwicklungsgeschichte als auch von den Finanzproblemen her jetzt erstmal den Hut auf hat, aber man darf da nicht so tun, als wäre das ein blinder Fleck, man muss sich auch gestalterisch mit darum kümmern, was aus diesem Ort wird, und ich sage das auch im Hinblick darauf, dass ich nach wie vor der Meinung bin, ein modernes Gebäude, an das dann eine künstlich neue Schlossfassade geklebt wird, halte ich nach wie vor für keine glückliche Lösung, und das sage ich auch sehr deutlich."

"Das Problem für die Frau Lüscher ist jetzt doch ein ganz anderes: Das Schloss läuft geradeaus, das macht der Bund, langsam kommt es in Gang, die Frage an sie ist, ob sie all das, was ringsherum entwickelt werden sollte, ob sie das in die Hand nimmt, zum Beispiel vorm Schloss die Häuserreihe, die da mal gestanden hat und die man unsinnigerweise 1800-soundso abgerissen hat, ich bin also ein großer Fan dieser Schlossvorbebauung, weil das den Druck vom Schloss ein bisschen wegnimmt."

"Schlossfreiheit" nannte man die Häuserreihe, die einstmals dem Nationaldenkmal Kaiser Wilhelms des Ersten weichen musste. Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer hält den Sparvorschlag aus dem Bundesbauministerium für richtig, aber der Idee des Architekturkritikers, auf der so genannten Schlossfreiheit wie auf dem Friedrichswerder eine Reihenhaussiedlung zu errichten, erteilt sie eine klare Absage.

"Ich möchte zunächst, dass wir das Humboldt-Forum errichten. Eine Bebauung in unmittelbarer Nähe sehe ich sehr kritisch, vor allen Dingen, weil es uns von der Straße ‚Unter den Linden’ von Westen kommend den Blick auf das Schloss ein Stück verstellen würde."

"Sehen Sie, das ist eine Scheibe vom Palast. Die kommt jetzt da oben an die Decke hin, die ist ziemlich schwer, siegst? Da müssen Sie sich das Gewicht vorstellen, da haben wir eine eigene Hängetechnik entworfen, hat a Gewicht, häh? Und drum schwebt es hinten. – Wahnsinn – Wahnsinn, gell."

Im riesigen Gewölbe unter der "Schlossfreiheit" arbeiten Künstler zurzeit an einer Installation, unter anderem mit schwebenden Fenstern aus dem ehemaligen Palast der Republik. Ein Kulturverein hat gerade den Mietvertrag für weitere sieben Jahre unterschrieben – ein klarer Hinweis darauf, dass städtebaulich hier nichts passieren wird.

Junge-Reyer: "Wir müssen uns als erstes um die Orte kümmern, die im Moment noch ein Stück Brache sind, schauen Sie in das Gebiet rund um den Hauptbahnhof."

Passanten: "Ist gewöhnungsbedürftig. – Wollen Sie Blumenkästen dranhängen?"

Junge-Reyer: "Hier müssen wir, auch wenn wir wissen, dass die Entwicklung noch zehn oder fünfzehn Jahre dauern kann, bis wir erste Spatenstiche im nördlichen Bereich der Lehrter Straße, da wo jetzt die B 96 ist, sehen, dennoch jetzt schon planen."

Wie ein Solitär liegt der neue Berliner Hauptbahnhof im fahlen Winterlicht. 300.000 Menschen nutzen ihn täglich – wer durch die riesigen Türen ins Freie tritt, wird von zwei unattraktiven Asphaltplätzen in Empfang genommen. Außerhalb des imposanten Glasgebäudes gibt es nichts, was einen verweilen lassen könnte.

Das soll und wird sich ändern. Das Gelände direkt rund um den Hauptbahnhof – da sind sich alle Experten einig – ist ein Selbstläufer und dürfte recht bald vermarktet sein. Das Regierungsviertel ist zu Fuß erreichbar, die Grundstücke liegen direkt am Wasser. Rund um den Humboldthafen ist das Land Berlin Grundstückseigner. Der Liegenschaftsfond vermarktet das Gelände – demnächst wird er es auf der Internationalen Immobilienmesse in Cannes präsentieren. Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer.

"Es gab in den 90ern eine Vorstellung zur Situation rund um den Humboldthafen, die haben wir überarbeiten lassen. Nur Stelzenbauten, das wäre zu kostspielig, vor allen Dingen, weil dann nur sehr schmale Räume entstehen könnten, deshalb haben wir gesagt: Die Arkadenlösung, die ist schon richtig, am Wasser will man geschützt unter einer Arkade sitzen, will vielleicht einen Kaffee trinken und aufs Wasser schauen, es muss aber auch eine richtige Hafensituation entstehen. Also man muss Schiffe sehen können, und man muss aufs Wasser sehen können, und das dann nach Süden gerichtet, das ist eine ganz attraktive Lage."

Vorausgesetzt, die Rauchschwaden der vorbei tuckernden Dieselmotoren wehen einem nicht ins Schlafzimmer.

Die wahre städtebauliche Herausforderung stellt also das riesige, 28 Hektar große Stadtquartier nördlich des Hauptbahnhofs dar. Wer hier phantasievolle und kompetente Lösungsvorschläge anbietet, kann sich profilieren. Eine Chance für die neue Senatsbaudirektorin Regula Lüscher?

"Ja und ob, bisher sind alle Generationen von Stadtplanern daran gescheitert. Die berühmtesten, die daran gescheitert sind, sind Schinkel und Lenné. Das war ja immer ein schwieriges Gelände, erstmal waren es Sandberge, irgendwelche Dünen, dann Pulvermühle, Exerzierplatz, dann wurde da das Gefängnis reingebaut, dann kam die Eisenbahn, es war immer Chaos, und es ist nie gelungen, das irgendwie städtebaulich zu bändigen."

Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm. – Die Chancen, das Quartier endlich "städtebaulich zu bändigen", sind gut: Nebenan entsteht der riesige Gebäudekomplex des Bundesnachrichtendienstes. Deren Mitarbeiter könnten an hochwertigen Wohnungen in der Nähe interessiert sein.

Berlins Senatsverwaltung für Stadtentwicklung steckt sich hohe Ziele. Oppositionschefin Franziska Eichstädt-Bohlig mahnt zur Vorsicht: das "Planwerk Innenstadt" könnte an anderer, ihrer Meinung nach wichtigerer Stelle unvollendet bleiben.

"Allein so was wie Molkenmarkt zu bauen, das ist ein richtig großes Projekt, jedenfalls für eine Stadt wie Berlin mit doch reduzierten Investitionskapazitäten, und ähnlich ist es in der City West, von daher sehe ich mit ziemlicher Sorge, dass Berlin sich nolens volens jetzt schwerpunktmäßig auf den Hauptbahnhof und das angrenzende Areal konzentrieren wird, weil das den vorhandenen Quartieren immer wieder Kraft abzieht, die dann in die neuen Quartiere geht. Berlin hat zu viele halb angefasste Quartiere, wo ein Stück weit investiert worden ist, dann werden sie liegen gelassen, dann geht die ganze Stadt voller Begeisterung aufs nächste, diskutiert dort wieder so intensiv und hat vergessen, dass die anderen noch nicht so richtig leben können."

"Lasst Euch Zeit mit neuen Entwicklungsgebieten!" möchte die Baupolitische Expertin von Bündnis 90/Die Grünen der neuen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher aus der Schweiz zurufen. Die lässt sich Zeit – bisher hat sie sich jedenfalls öffentlich noch nicht in die Städtebau-Debatte in Berlin eingemischt. Warum auch? Heute ist schließlich ihr erster Arbeitstag. Nur soviel hat Regula Lüscher vorher verraten: Senatsbaudirektorin in Berlin zu werden, sei für sie ein "Traumjob". Man möge ihr wünschen, dass er nicht zum Albtraum werde.