Wie das Coronavirus die Einrichtung von Spielstraßen beschleunigt
07:25 Minuten
Um nach dem Corona-Shutdown die Spielplätze im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu entlasten, suchte die Verwaltung nach neuen Flächen. So entstanden temporäre Spielstraßen - in sehr kurzer Zeit und mit dem Engagement der Anwohner.
Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg, am ersten Maiwochenende: Gut 20 Besucher warten vor dem Eingang. Um kurz vor elf schließt Felix Weisbrich sein Fahrrad an.
"Wir hatten insgesamt keine 36 Stunden Zeit gegeben, wir sind hier im extrem schnellen und agilen Verfahren, es sind auch die Handlungsoptionen und die Notwendigkeiten in der Krise, die hier wirken."
Weisbrich nimmt den Fahrradhelm ab, grüßt in die Runde: ein freiwilliges Krisenkommando, angetreten zum Wochenendeinsatz. Seine Aufgabe: Verkehrsstraßen zu Spielzonen und Begegnungsstätten machen. 280 Freiwillige für 19 Straßen.
"Es gibt dafür eine Grundlage und eine Eilbedürftigkeit. Wir sagen, die Grundlage ist die Straßenverkehrsordnung, Paragraf 45 ist da einschlägig. Und die Eilbedürftigkeit kommt aus der Pandemiesituation. Wir stellen fest: Abstände können nicht eingehalten werden, weder beim Einkaufen auf den Wochenmärkten noch beim Spielen und häufig auch nicht beim Zufußgehen."
Und darum will der Bezirk Platz schaffen für Fußgänger und spielende Kinder. Es ist das neueste Experiment aus Weisbrichs Verkehrslabor. Seit einem Jahr leitet der 47-Jährige in Friedrichshain-Kreuzberg das Straßen- und Grünflächenamt.
Wo sonst Bezirkspolitiker debattieren, steht die nächste Stunde Verkehrsplanung auf dem Programm. Die Freiwilligen und künftigen Gruppenleiter sitzen auf den Abgeordnetenplätzen - mit ordentlichem Mindestabstand.
"Ich hoffe, die AfD-Plätze sind auch desinfiziert", witzelt einer. Weisbrich steht vorne, erläutert das kleine Einmaleins der Spielstraßenkunde. Die nötigen Verkehrsschilder sind schon vor Ort, berichtet er: das Sonderzeichen "Durchfahrt verboten", ergänzt durch das Spielstraßenschild.
"Und es gibt jeweils zwei Sperrschranken, das sind die sogenannten Z 600, das sind diese Sperrzäune."
Parkende Autos dürfen vorerst stehen bleiben, es gibt Infozettel für die Windschutzscheibe, und Extramitteilungen für Anwohner. Wer ausparkt, wird von einem Gruppenleiter eskortiert und darf vorerst auch nicht wieder rein. Auch beim Spielen muss auf Abstand geachtet werden, bitte keine Lederbälle. Eventuelle Schadensfälle sollen sofort ans Bezirksamt gemeldet werden.
Anwohner und Autofahrer informieren
Eine gute Stunde dauert die Belehrung, dann unterschreibt jeder Vertreter für seine Straße. Er wird damit offiziell zum Amtshandelnden, darf die Verkehrsschilder bewegen und bekommt das offizielle Spielstraßen-Startpaket.
"Wir haben Warnwesten bekommen, zwei Farben und Kapitäne und Helferinnen, wir haben Hygieneschilder bekommen, wie man sich am Besten in Coronazeiten auf der Spielstraße verhält", sagt Anna Bernegg. Ihr Mitstreiter Florian schultert ein schweres Metallrohr – der Anschluss für die Baumbewässerung.
"Eine Standleitung, dass es darum geht, die Straßenbäume zu bewässern, also auch dem Klimawandel da ein stückweit entgegenzuwirken."
Ein Blick auf die Uhr. Den Gruppenleitern bleiben jetzt noch weniger als 24 Stunden, um Anwohner und Autofahrer zu informieren. Sonntag um zwölf Uhr ist Premiere:
"Also das Straßensperrschild Z 600 auf die Mitte der Straße stellen und die Leute, die rein- und rauswollen, freundlich darauf hinweisen, dass es jetzt eine temporäre Spielstraße gibt."
Am Sonntag, pünktlich um zwölf Uhr, kommen die neuen Durchfahrt-Verbotsschilder auf die Straße, der Sperrzaun daneben. Weil das alles nicht reicht, sichern im Friedrichshainer Samariterkiez gut ein Dutzend Helfer die Spielfläche, einige Kinder tollen schon über die Straße, andere schleppen Wassereimer zu den Straßenbäumen.
Ein dunkler Geländewagen rollt auf das Durchfahrt-Verboten Schild zu. Daneben wartet Lukki mit seinem Vater. Der Vierjährige trägt Polizeiuniform und -mütze, blickt streng und hebt die Stoppkelle:
"Heute ist hier Spielstraße, wohnen Sie hier? Wenn Sie hier wohnen, dürfen Sie durch."
"Und wenn ich nicht hier wohne, was mache ich dann, dann umdrehen?"
"Ja, umdrehen!"
"Und wenn ich nicht hier wohne, was mache ich dann, dann umdrehen?"
"Ja, umdrehen!"
Der Fahrer legt den Rückwärtsgang ein, sucht sich einen Parkplatz in der Nebenstraße, ohne zu murren.
"Danke Dir, junger Mann."
Auch in Woche zwei ist die "Ausparkbegleitung" nötig
In der Lübbener Straße, einige Kilometer entfernt, verliert Anna Bernegg gerade ihr zweites Spiel im Straßen-Tischtennis. Ihre Tochter zischt mit Freunden auf Inline-Skatern über die Straße.
"Es hat gut geklappt, wir sind eigentlich wirklich um zwölf Uhr parat gewesen. Und waren zu acht, glaube ich." Dann seien auch gleich Polizisten vom Abschnitt 53 vorbeigekommen, hätten gleich ganz nett Unterstützung angeboten, ihre Telefonnummer dagelassen. "Dann war das eigentlich alles geritzt."
Mit ein paar Autofahrern musste sie diskutieren, einige haben sogar die Genehmigung abfotografiert, sagt Bernegg. Ansonsten sei aber alles entspannt – obwohl:
"Wir müssen uns dringend darum bemühen, wie wir uns hier ein bisschen besser einrichten", fügt Anne Bernegg hinzu. "Wir haben jetzt heute den ganzen Tag gestanden. Es gibt keine Sitzmöglichkeiten bislang." Ein bisschen temporäre Bestuhlung brauche es noch.
Amtsleiter Felix Weissbrich radelt derweil von Straße zu Straße. Beobachtet die neue Form der Public-Private-Partnership. Er ist mit dem Start zufrieden: "Wir haben jetzt 19 Straßen im Angebot." Bis zu 30 Spielstraßen solle es fürs Erste geben.
"Jetzt gibt es viele, die sagen: 'Ich hätte auch gerne.' Das werden wir uns in der nächsten Woche angucken und dann nachjustieren." Was passiere, wenn die 30 Spielstraßen eingerichtet seien, müsse man sehen.
Eine Woche später steht die Tischtennisplatte erneut auf der Lübbener Straße. Und Anna Bernegg ist wieder mit ihrem Team im Einsatz: "Ich habe unsere Campingstühle rausgebracht, und wie man sieht, gibt es noch ein bisschen anderes Campingmobiliar, was hier aufgestellt wurde. Und dann habe ich ganz hinten ein Volleyballnetz gespannt."
Jetzt spielen noch mehr Kinder hier, Nachbarn sitzen am Rand, plauschen. Diesmal ging es erst um 13 Uhr los, 12 Uhr war einfach zu früh, das berichteten alle Spielstraßen. Erste Erfahrungswerte.
Sie habe gedacht, dass die Autofahrer jetzt in der zweiten Woche und mit den verteilten Informationen selbst auf die Idee kommen würden, am Sonntag aus der Straße rauszufahren, erklärt Bernegg. Aber: "Das ist tatsächlich überhaupt gar nicht der Fall."
Also müssen sie weiter Autos beim Ausparken begleiten, so wie beim letzten Mal. Und nächste Woche werden sie hier wieder hier stehen.