Berlinale 2015

Kopfkino mit Göttin und Kobold

Die Zwillingselfen aus "Die Rache der Stellidaura", aufgeführt 2012 in Innsbruck
Die Geschichten beim Slam handeln von zauberhaften Gestalten wie Elfen oder Hexen. © Musikfestspiele Potsdam Sansoucci / Rupert Larl
Von Gerd Brendel |
Geschichten ohne Sex, ohne das Böse, ohne Leidenschaften, ohne Chaos: Beim "Storytelling Slam" auf der Berlinale kann man märchenhafte Fantasy-Storys hören. Schön, aber irgendwie fehlen die Grausamkeiten des realen Lebens.
Es war einmal eine Berlinale-Reihe mit dem schönen Titel "native Cinema" und weil es in dieser Reihe um die reiche Erzähltradition indigener Völker geht, beschlossen die Veranstalter einen Abend mit dem schönen Titel "Storytelling Slam" auszurichten, eine Art Geschichten-Erzählerinnen Open-Mike. Jeder, der wollte, konnte eine Geschichte erzählen.
"Jeder"? Eher "jede" - denn während im Kino heftig über abwesende Regisseurinnen geklagt wird, standen beim "Storytelling Slam" ausschließlich Frauen auf der Bühne. Allesamt großartige Märchenerzählerinnen, perfekte Regisseurinnen für das "Kino im Kopf im exotischen Stoffen", denn weil die alten Geschichten aus der Bibel durch Dauerreklame auf Bibel-TV, das "Wort zum Sonntag" und Hollywood zu Tode erzählt worden sind, bei den Nibelungen jeder an Wagner denkt und Homer jeder meint zu kennen, müssen die Erzählerinnen auf Traditionen von weither zurückgreifen.
Asa Simma erzählte zum Beispiel wie die Samen, das indigene Volk im nördlichen Skandinavien, sich die "Unterirdischen" vorstellen, als hilfreiche Geister, die in Höhlen leben, in Felsen und auf dem Grund der Seen, die auch mal eine verlorene Kreditkarte suchen helfen.
Britta Wilmsmeier, eine der besten deutschsprachigen Märchenerzählerinnen ihrer Zunft, erzählte die indische Geschichte, wie der Papagei zu seinen Federn kam als Lohn für seinen rührenden Versuch, die anderen Tiere vor einem Waldbrand zu retten. Ein göttlicher Vogel bewundert seinen Einsatz, vergießt Tränen der Rührung, löscht das Feuer und die göttlichen Tränen lassen dem Papageien anstelle der angesengten Flügel bunte Federn wachsen.
Jennah erzählte einen Schöpfungsmythos aus ihrer koreanischen Heimat, in dem eine göttliche Großmutter eine große Rolle spielt.
Es fehlt das Dreckige und Gemeine
Alles schöne bunte Geschichten, ideal als Vorlage für Fantasy-Streifen, aber spätestens als Erzählerin Nummer fünf im Schottenrock und Ethno-Schmuck auf die Bühne kommt mit ihrem : "Es war einmal" , wird mir klar, was mir bei all diesen Geschichten aus der guten alten Zeit, in der die Götter über die Erde spazierten und Tiere reden konnten, und alles seine Ordnung hatte - was mir bei all diesen Geschichten fehlt: Das Böse, der Sex, das Dreckige, das Gemeine, das Leidenschaftliche.
In diesen Welten, in der sich selbst das Erbrochene einer koreanischen Muttergöttin noch zu wunderschönen Inselketten verwandelt finden sich weder die Grausamkeit Grimmscher Märchen, noch die Konflikte griechischer Tragödien oder indischer Heldenepen, ganz zu schweigen von den Abgründen moderner Kinohelden und Heldinnen. Dann doch lieber im Kino das Chaos im Großstadtdurcheinander erleben. Mit der Kamera dicht über dem Erbrochenem des Hauptdarstellers, meinetwegen in schwarz-weiß, aber ohne Schottenrock und Ethno-Schmuck .

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