Berlinale

Eröffnungsgala ohne AfD-Abgeordnete

Das Berlinale Logo am Berlinale-Palast.
Die 74. Berlinale steht in der Kritik wegen der Einladung von AfD-Politikern zur Eröffnungsgala am 15. Februar 2024. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Nach Kritik wurden die fünf AfD-Politiker von der Berlinale-Eröffnungsgala ausgeladen. Was sagt die AfD dazu? Und: Wie geht man in Zukunft mit Rechtspopulisten auf Kulturveranstaltungen um? Ein Überblick über die Debatte.
Am 15. Februar 2024 beginnen die 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin - kurz: Berlinale - mit einer großen Eröffnungsgala. Dazu werden auch immer Politiker eingeladen, zum Beispiel die Mitglieder der zuständigen Kulturausschüsse im Bundestag und im Berliner Abgeordnetenhaus. Das ist seit jeher gängige Praxis, auch weil das Filmfestival zu einem großen Teil vom Bund und vom Land Berlin finanziert wird.
In diesem Jahr gab es starke Kritik. In einem offenen Brief vom 2. Februar, der mittlerweile nicht mehr online zu finden ist, wurde von rund 200 Kultur- und Filmschaffenden die Rücknahme von Einladungen an AfD-Politiker gefordert. Nach tagelanger Debatte wurden die fünf Abgeordneten nun wieder ausgeladen.

Wie reagiert die Berlinale?

Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek hatte gleich zu Beginn der Kritik in den sozialen Medien eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es heißt, AfD-Mitglieder nähmen zutiefst antidemokratische Positionen ein, die den Werten der Berlinale widersprächen.
Als gewählte Mitglieder des Bundestags und des Berliner Abgeordnetenhauses seien AfD-Politiker aufgrund von Einladungsquoten über die Kulturstaatsministerin Claudia Roth und den Berliner Senat zur Eröffnung eingeladen worden, erklärt Rissenbeek. Listen mit entsprechenden Namen und Adressen würden von beiden Institutionen der Berlinale zur Verfügung gestellt. Die Berlinale verschicke dann die Einladungen.
Rissenbeek betont, man stecke in einem Dilemma, wenn durch diese Einladungspraxis „viele Filmschaffende, die wir eigentlich bei uns im Haus mit ihren Filmen begrüßen, sich unwohl fühlen“.

Ausladung der AfD-Politiker

Am 8. Februar hat die Festivalspitze schließlich beschlossen, die AfD-Politiker zur Berlinale-Eröffnung wieder auszuladen. „Gerade auch angesichts der Enthüllungen, die es in den vergangenen Wochen zu explizit antidemokratischen Positionen und einzelnen Politiker*innen der AfD gab, ist es für uns – als Berlinale und als Team – wichtig, unmissverständlich Stellung zu beziehen für eine offene Demokratie", wird das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian in einer Mitteilung zitiert.
"Wir haben daher heute alle zuvor eingeladenen AfD-Politiker*innen schriftlich ausgeladen und sie darüber informiert, dass sie auf der Berlinale nicht willkommen sind."
Das Duo nimmt dabei Bezug auf das von Recherche-Netzwerk Correctiv enthüllte Treffen, an dem AfD-Politiker, Mitglieder der rechtskonservativen Werteunion, Rechtsextreme und Unternehmer teilnahmen. Laut Correctiv diskutierten die Teilnehmer Ende November 2023 über die mögliche Vertreibung von Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aus Deutschland.
In Zeiten, in denen rechtsextreme Personen in die Parlamente kämen, wolle die Berlinale eine klare Position beziehen, heißt es weiter in der Berlinale-Mitteilung. Die Diskussion zum Umgang mit Politikern der AfD betreffe auch viele andere Organisationen und Festivals. "Diese Debatte muss gesamtgesellschaftlich und gemeinsam mit allen demokratischen Parteien geführt werden."

Wie reagiert die Kulturstaatsministerin?

Kulturstaatsministerin Claudia Roth zeigte Verständnis für die Ausladung. "Es liegt bei der Berlinale-Leitung, abschließend darüber zu entscheiden, wen sie zur Eröffnung einladen und wen nicht und wir respektieren diese Entscheidung", sagte ein Sprecher der Grünen-Politikerin. 
"Die Berichte zu dem Geheimtreffen in Potsdam haben jüngst sehr deutlich zutage gefördert, wie in der AfD darüber nachgedacht wird, einen großen Teil der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu entrechten und zu deportieren", so der Sprecher. "Es ist verständlich, dass Filmschaffende aus Deutschland, Europa und der Welt sich dafür einsetzen, dass Rassisten und Demokratiefeinde keinen Platz bei der Berlinale haben sollten."
Diese Auseinandersetzung sei aus Sicht Roths allerdings vor allem in der gesellschaftspolitischen Debatte zu führen. Das könnte aus ihrer Sicht durchaus auch bei einer Berlinale-Eröffnung geschehen.
Roth ließ zuvor über ihren Sprecher mitteilen, man habe aus Respekt der Bundesregierung vor dem Parlament und seinen gewählten Abgeordneten auch die Mitglieder des fachpolitisch zuständigen Kulturausschusses des Bundestages eingeladen. Das entspreche der demokratischen Praxis.

Was sagt die AfD zur Ausladung?

Die Berliner AfD-Landes- und -Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker hat die Ausladung mehrerer Politiker ihrer Partei inklusive ihr selbst von der Eröffnungsgala der Berlinale als "kulturpolitisches Fanal" kritisiert. "Mit ihrer Entscheidung beugt sich die Berlinale dem in den vergangenen Tagen aufgebauten öffentlichen Druck kulturpolitischer Aktivisten", sagte Brinker.
Brinker wies darauf hin, dass sie in den beiden vergangenen Jahren eingeladen gewesen sei und das auch wahrgenommen habe. Mit der Ausladung in diesem Jahr grenzten die Berlinale-Verantwortlichen nicht nur sie selbst und ihre AfD-Kollegen aus, sondern weite Teile der Gesellschaft, so die Politikerin.
Damit wirke die Ausladung weit über den Kulturbetrieb in die Gesellschaft hinein. "Sie grenzt aus, sie stigmatisiert und spricht demokratisch gewählten Vertretern der AfD die gleichen Rechte ab, die sie anderen zugesteht", so Brinker.

Waren AfD-Politiker in der Vergangenheit auf der Berlinale?

Dass AfD-Politiker zur Eröffnungsgala eingeladen werden, ist nicht neu. In den vergangenen Jahren wurde diese Einladungspraxis jedoch nicht kritisiert, worauf Rissenbeek ausdrücklich hinweist.
2019 hat ihr Vorgänger, Dieter Kosslick, sogar alle AfD-Mitglieder zur Berlinale eingeladen und ihnen das Angebot gemacht, dass er ihre Tickets bezahlen würde, wenn sie kämen und sich den Dokumentarfilm „Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto“ ansehen würden. Diese Aktion fand damals großen Zuspruch.
Doch die Zeiten ändern sich. Die AfD hat sich radikalisiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz behandelt die Partei mittlerweile als rechtsextremistischen Verdachtsfall. Außerdem finden seit Wochen Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus im Land statt.

Wie bewerten Beobachter das Vorgehen der Berlinale?

Deutschlandradio-Filmkritiker Patrick Wellinski spricht von einem PR-GAU und kritisiert die Berlinale-Leitung dafür, dass sie nicht besser darauf vorbereitet gewesen sei. Schließlich habe sie bei diesem quasi automatisierten Einladungsverfahren schon sehr früh gewusst, dass auch AfD-Politiker eingeladen würden. Gleichzeitig werde die AfD momentan öffentlich stark kritisiert. Man habe aber erst reagiert, nachdem es Widerspruch von Filmschaffenden gegeben habe.
Für Wellinski hat es den Anschein, als ob die Berlinale-Leitung gehofft habe, das Ganze würde nicht weiter auffallen. Doch, fragt er, „braucht es überhaupt Politiker bei der Eröffnung der Berlinale?“ In Cannes oder Venedig stünden jedenfalls keine Politiker auf der Bühne.

Braucht es eine neue Einladungspraxis?

In einer Stellungnahme fordert das Netzwerk Vision Kino eine Überprüfung der Einladungspraxis. Leopold Grün, Geschäftsführer des Netzwerks, betont, dass es ein Dilemma sei, da Veranstaltungen wie die Berlinale vom Bund unterstützt werden.
Daher sei es notwendig, die allgemeine Einladungspraxis solcher Veranstaltungen zu überdenken. Die Berlinale steht nun im Fokus dieses Anliegens wie unter einem Brennglas.
"Dass die Berlinale jetzt gehandelt hat, finden wir richtig und gut", sagt Grün weiter. "Wir wissen aber auch, wie schwierig so eine Entscheidung ist."

Öffentliche Ächtung statt Ausschluss

Deutschlandradio-Kulturkorrespondent Vladimir Balzer meint, die AfD wieder auszuladen, sei der falsche Weg. Schließlich sei sie trotz ihrer teilweise rechtsextremen Färbung eine rechtlich legale Partei mit Fraktionen im Bundestag und in den Landtagen – und damit Teil des parlamentarischen Systems. „Sie ist ein Faktor, wenn es darum geht, Kultur staatlich zu finanzieren.“
Auch die Berlinale bekommt vom Staat Geld, und dieses „wird nun mal parlamentarisch kontrolliert, auch von der AfD. Damit ist es selbstverständlich, dass ihre Abgeordneten zu Veranstaltungen der Institutionen eingeladen werden, deren Budgets sie demokratisch kontrollieren.“
Anders sehe es mit der rückwärtsgewandten Kulturpolitik der AfD aus, meint Balzer. Diese gelte es, mit allen Mitteln zurückzudrängen. Doch der richtige Weg sei nicht Ausschluss, sondern die öffentliche Ächtung. Insofern ist er d’accord mit der ersten Reaktion der Berlinale-Leitung auf die Kritik: Abgeordnete, die demokratische Werte nicht achten, seien nicht willkommen.
„Einladungen also formell aussprechen und dennoch zeigen, wo man steht. Das mag nach einem Widerspruch klingen, ist aber nichts anderes als Akzeptanz des parlamentarischen Systems, ohne dabei die eigenen Werte zu verraten. Das sollte die Botschaft des Kulturbetriebs sein.“

ckr
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