Berlinale-Chef: "Gutes Essen ist ein Menschenrecht"
Das Museum of Modern Art (MoMA) in New York widmet Berlinale-Chef Dieter Kosslick eine Filmreihe mit kulinarischem Bezug und anschließendem Menü. Von deutschen Fernsehköchen wünscht sich der Initiator der Berlinale-Reihe "Kulinarisches Kino" mehr Aufklärung über gesunde Lebensmittel.
Katrin Heise: Wenn man seine Leidenschaft zum Beruf machen kann, dann ist das schon was ziemlich Wunderbares. Berlinale-Leiter Dieter Kosslick hat sogar zwei große Leidenschaften zusammengebracht: den Film natürlich und das Kochen beziehungsweise Essen. Seit 2007 ist die Reihe "Kulinarisches Kino" auf der Berlinale Chefsache, kann man wohl sagen. Er sucht Filme aus und lädt Chefköche ein, anschließend wird ein passendes Gourmetmahl serviert.
Dem Publikum gefällt das wunderbar und das spricht sich rum bis nach New York. Jetzt ehrt das Museum of Modern Art Kosslick mit der Möglichkeit, im Rahmen der "Carte Blanche"-Serie seine Leidenschaft für Filme und Kochkunst zu zelebrieren. Ab heute wird aufgetischt und ich hatte vor seiner Abreise die Gelegenheit, Dieter Kosslick zu treffen. Schönen guten Tag, Herr Kosslick, schön, dass Sie sich Zeit nehmen!
Dieter Kosslick: Hallo, hallo!
Heise: "Carte Blanche", also die Freiheit, eigentlich alles tun zu dürfen, die räumt diese MoMa-Reihe ein, aber natürlich nicht jedem! Nicht jeder darf dort filmischer Chefkoch werden. Das ist doch schon eine ziemliche Ehre, die wird nur wenigen zuteil. Was bedeutet Ihnen diese Einladung zu "Carte Blanche"?
Kosslick: Ja, erst habe ich das nicht so ganz kapiert, dass das so eine große Ehre ist, und ich dachte, wir machen einfach ein Programm, nämlich das Programm des "Kulinarischen Kinos", was tatsächlich einige Jahre hier läuft. Und langsam wurde mir aber bewusst, dass das doch eine große Ehre ist, das zu machen, und das hat mich dann doch noch mal angespornt, den allerersten Film, der mich dazu gebracht hat - und das ist schon 18 Jahre her -, den allerersten Film zu zeigen, und den zeigen wir dort als Eröffnungsfilm. Der heißt: "The Big Night".
Heise: "The Big Night", was passiert in "Big Night"?
Kosslick: "The Big Night" ist ein überlanger Film mit einem berühmten Schauspieler in der Hauptrolle, Stanley Tucci, und unserer ehemaligen Jurypräsidentin Isabella Rossellini spielt dort auch mit. Das wusste ich natürlich damals noch nicht, dass wir wieder so zusammenkommen. Ich hoffe, sie hat heute Abend Zeit.
Und da geht es darum, dass zwei Italiener aus Bologna - der eine spielt den Geschäftsführer, der andere den Koch, begabter Koch -, die versuchen, ein Restaurant in New Jersey aufzumachen, und der Koch versucht einfach, fantastisch zu kochen. Und es kommt aber niemand. Und es kommt zu unglaublichen Geschichten. Sie verbinden sich mit einem Mafiaboss, der dann verspricht, dass er die ganzen Celebrities dort hinbringt.
Am Ende ist es so, dass die dann auch nicht kommen, aber sie haben alles Geld spendiert, um das beste Mahl herzustellen, man sieht es. Und sie essen es dann einfach selbst. Und wie es dann beim Essen und manchmal dann auch so ist, er verliebt sich dann irgendwann morgens um drei in die Blumenhändlerin und sie haben Glück und sie sind glücklich, aber sie haben alles verloren. Es ist ein tragisch-komischer Film übers Essen und er hat viel zu tun mit dem, wie heute sich die Kochwelt und Restaurantwelt entwickelt hat.
Heise: Ich denke, dass die Speisekarten jetzt für New York auch schon gedruckt sind, die Menüs schon feststehen. Nach welchen Kriterien haben Sie die zusammengestellt? Der erste Film, haben Sie ja schon erzählt, weil es einfach Ihr erster Film war, der Sie auch dazu gebracht hat ...
Kosslick: Ja, wir haben einige Filme genommen, die wir im "Kulinarischen Kino" gezeigt haben, in diesem Jahr zum Beispiel einen Film über Sushi. Das ist ein großartiger Film über einen Sushi-Meister über 90, der ein ganz kleines Restaurant im Hauptbahnhof in Tokio betreibt, da hat es nur sieben Plätze. Tim Raue hat übrigens hier für ihn gekocht an diesem Abend, der war nämlich mal in diesem Restaurant. Und das ist unfassbar, also da geht es darum, wie lange man eigentlich braucht, um ein Eieromelett zu machen, und da behauptet er seinem Sohn gegenüber, der dort auch schon seit vielen Jahrzehnten kocht: Man braucht einfach elf Jahre, um ein Eieromelett zu machen!
Das zeigen wir und reden gleichzeitig über Sushi, und wenn Sie wissen, was mit Sushi passiert, ist es nicht nur, dass das Fleisch der armen Fische verstrahlt ist in Japan, sondern es ist ja auch leergefischt mit dem Thunfisch. Und das führt wiederum dazu, dass die Lebensmittelindustrie ganz andere Sushi uns auftischt. Das kann man übrigens in der "Zeit" sehr gut nachlesen, dort ist das mal gelüftet worden. Wer Sushi mag und Sushi weiter essen will, soll diesen Artikel bitte nicht lesen.
Heise: Also durchaus kritisch, es wird einem nicht nur gut gehen in der Reihe. Auf dem Plan steht zum Beispiel - das sind wieder die Filme, wo man sich wohlfühlen kann - "Bella Marta" oder der wunderbare Zeichentrickfilm "Ratatouille", "Babettes Fest", aber eben auch "Food, Inc.", der Dokumentarfilm, wo einem ja eher der Appetit vergeht. - Sie wollen auch schocken?
Kosslick: Nein, ich will nicht schocken oder wir wollen nicht schocken, aber mein Kollege Thomas Struck, der ja der Kurator dieser Reihe ist, und ich, wir haben gesagt, wir können nicht hier eine Essfilm-Serie machen, darum geht es nicht, sondern es geht schon darum, dass wir den Leuten sagen, dass gutes Essen gut ist, aber es geht auch darum, die Hintergründe der Lebensmittelindustrie zu durchleuchten, was alles mit uns gemacht wird. Ich finde, gutes Essen - und das heißt nicht, teures Essen, sondern gutes Essen - ist ein Menschenrecht, und ich finde, was heute die Leute essen und vor allen Dingen, was sie dann ihren Kindern weitergeben, was die an den Schulen essen, das ist einfach unfassbar. Also, da gibt es ja Orangengetränke, die haben 32 Prozent Zucker, das muss man sich mal vorstellen. Die können eigentlich direkt vom Trinken zum Zahnarzt gehen. All diese Sachen wollen wir natürlich auch, wie wir so schön mal geschrieben haben, wir wollen Filme zeigen, die Appetit machen und ihn auch verderben.
Heise: Und was soll man dann, oder was soll der großartige Koch, der danach dann die Leute verwöhnen soll, was wird der dazu kochen?
Kosslick: Na ja, der Herr Kreuther, der ist der Oberkoch, Elsässer von Geburt an, der dort unfassbar gutes Essen kocht, schon seit Jahren, und der hat sich einige Kompositionen einfallen lassen, die einem dann nicht den Appetit verderben, sondern die sind dann natürlich, wenn es ... An diesem Abend wird es Fisch geben und es wird an diesem Abend, wenn wir diesen Film zeigen, eine Diskussion geben mit diesen beiden Köchen und mit Ruth Reichl, das ist quasi Frau Siebeck von Amerika, das ist die berühmteste Esskritikerin und auch Kolumnistin, die war auch Chefredakteurin des "Gourmet"-Magazin, und ich, wir werden diskutieren, kann man Sushi essen - aber das nur als Beispiel -, was kann man denn überhaupt noch essen, und müssen wir nicht ein völlig neues Landwirtschaftssystem haben, müssen nicht die Konsumenten mit den Bauern irgendwie Bündnisse schließen ... Also, das ist ein viel ernsteres Thema, als es nur Spaß macht, aber Spaß macht es auch.
Heise: Soll es ja auch machen! Sie hören Dieter Kosslick im Deutschlandradio Kultur, er kreiert eine kulinarische Filmreihe im MoMA in New York. Herr Kosslick, als Sie die Berlinale-Filmreihe "Kulinarisches Kino" vor fünf Jahren ins Leben riefen, da gab es ja bereits diesen Boom der Koch-Shows auf allen Fernsehsendern. Man könnte ja mutmaßen, Sie sind damit aufs Trittbrett aufgesprungen und dem Zeitgeist hinterhergefahren. Aber Sie sagen, Ihre Erweckung lag schon 18, 20 Jahre vorher?
Kosslick: Oh, meine Erweckung lag schon viel früher, ich komme ja aus Süddeutschland, ich bin in einer Bäckerei groß geworden, und der Zugang zu natürlichen Lebensmitteln ist mir quasi in der Kindheit eingeprägt worden. Nein, das war schon viel früher. Diese Koch-Shows finde ich ja, haben schon was Interessantes bewirkt, dass sich Leute mit dem Thema beschäftigen, aber sie beschäftigen sich nicht mit dem Essen. Also, es gibt ja auch den Witz, wahrscheinlich ist es sogar die Wahrheit: Die Leute sitzen vor den Koch-Shows und ziehen sich eine Fertigpizza rein ...
Heise: ... und merken den Widerspruch nicht ...
Kosslick: ... und anschließend denken Sie, sie haben gekocht, übrigens. Deshalb habe ich auch schon zu einigen Köchen, die ich kenne und die dort so etwas machen, gesagt, ihr müsst auch, neben diesem ganzen Spaß auch mehr Aufklärung betreiben, ihr müsst auch sagen, um was es geht. Es geht ja übrigens auch um ein Riesenproblem, wo jetzt die Versicherungen sich melden, nicht die Gesundheitsministerien der Welt, sondern die Versicherungen, weil die die Leute nicht mehr versichern wollen, weil die zu dick werden, weil die zu fett werden, weil in diesen ganzen Fertignahrungen natürlich unglaublich viele Fette versteckt sind und Zucker versteckt sind. Das müssen die Köche im Fernsehen dann auch mal sagen und nicht immer die Bratpfanne in die Kamera halten, für die sie dann nachher auch noch bezahlt werden.
Heise: Mittlerweile haben ja auch andere Filmfestivals die Idee des "Kulinarischen Kinos", der Reihe, übernommen. Also Spanien und Polen beispielsweise, in Poznan lief Anfang August jetzt schon die Reihe. Haben Sie da Reaktionen bekommen, wie lief das so?
Kosslick: Ja, das ist natürlich eine ganz verblüffende Geschichte gewesen. Der Jan Kaczmarek, das ist ein Pole, der in Amerika mehr Oscars bekommen hat für seine Filmmusik und der auch auf der Berlinale beim Talent Campus war, wir sind befreundet, und der hat gesagt, ich möchte mal ein ganz neues Festival machen, ich möchte eins machen über Film, über Filmmusik und über Essen. Und könnt ihr nicht da das für uns machen. - Und ja, das haben wir jetzt gemacht. Die Polen haben gestaunt, was jetzt alles, wie das mit der Kulinaristik und den Filmen ist, aber es war natürlich - wie soll es anders sein - ein sensationeller Erfolg.
Heise: Sie haben jetzt wahrscheinlich schon andere Anwärter auf dieses Kosslick-Franchise-Unternehmen?
Kosslick: Ja, es ist ein Berlinale-Franchise. Und interessanterweise hat auch Cannes, in dem Land, wo ja natürlich ...
Heise: ... wo man eigentlich die Küche schon beherrschen sollte ...
Kosslick: ... hat auch dieses Jahr Celebrity-Cooks, also Starköche haben da gekocht. - Aber nur für die oberen Fünftausend. Also, wir kochen ja für alle.
Heise: Was ist für Sie denn richtig gutes Essen, auf das Sie sich freuen, was Sie vielleicht dann auch selbst gekocht haben?
Kosslick: Also, für mich hat es was damit zu tun, da meine Mutter immer auch gekocht hat, dass es schon was mit meiner Geschichte auch zu tun hat. Also, in Süddeutschland isst man ja auch sehr gerne zum Beispiel Spätzle, das ist ein Geschenk, was ich jetzt hier nach New York, da habe ich den Köchen ein Spätzlebrett mitgebracht, mit dem meine Mutter früher immer die schwäbische Pasta selbst gemacht hat. Ich kann das übrigens auch! Das ist ein ganz komplizierter Vorgang, das sieht zwar so einfach aus, aber man braucht 14 verschiedene Geräte dazu, um das herzustellen, da brauchen Sie warmes Wasser, kaltes Wasser und so weiter und so fort.
Heise: Zeit!
Kosslick: Also, für mich hat was ... das Soul Food, das hat auch was mit meiner Seele zu tun und meiner Herkunft zu tun, und wenn es immer so heißt, Herr Kosslick Gourmet, ist ein bisschen in die falsche Richtung, weil darum geht es überhaupt gar nicht, sondern für mich ist eine Maultasche mit Spinat gefüllt natürlich auch ein mindestens Drei-Sterne-Gericht und es geht nicht darum, wie Loriot mal gesagt hat, so zu kochen, dass es sehr, sehr übersichtlich auf dem Teller ist. Also, das ist nicht mein Punkt.
Heise: Dieter Kosslick, Leiter der Berlinale und ab heute sozusagen Chefkoch im MoMA, wo er die "Kulinarische Filmreihe" präsentieren kann. Herr Kosslick, dann wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Kochen und Diskutieren in New York!
Kosslick: Ja, herzlichen Dank, danke für das Interesse!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dem Publikum gefällt das wunderbar und das spricht sich rum bis nach New York. Jetzt ehrt das Museum of Modern Art Kosslick mit der Möglichkeit, im Rahmen der "Carte Blanche"-Serie seine Leidenschaft für Filme und Kochkunst zu zelebrieren. Ab heute wird aufgetischt und ich hatte vor seiner Abreise die Gelegenheit, Dieter Kosslick zu treffen. Schönen guten Tag, Herr Kosslick, schön, dass Sie sich Zeit nehmen!
Dieter Kosslick: Hallo, hallo!
Heise: "Carte Blanche", also die Freiheit, eigentlich alles tun zu dürfen, die räumt diese MoMa-Reihe ein, aber natürlich nicht jedem! Nicht jeder darf dort filmischer Chefkoch werden. Das ist doch schon eine ziemliche Ehre, die wird nur wenigen zuteil. Was bedeutet Ihnen diese Einladung zu "Carte Blanche"?
Kosslick: Ja, erst habe ich das nicht so ganz kapiert, dass das so eine große Ehre ist, und ich dachte, wir machen einfach ein Programm, nämlich das Programm des "Kulinarischen Kinos", was tatsächlich einige Jahre hier läuft. Und langsam wurde mir aber bewusst, dass das doch eine große Ehre ist, das zu machen, und das hat mich dann doch noch mal angespornt, den allerersten Film, der mich dazu gebracht hat - und das ist schon 18 Jahre her -, den allerersten Film zu zeigen, und den zeigen wir dort als Eröffnungsfilm. Der heißt: "The Big Night".
Heise: "The Big Night", was passiert in "Big Night"?
Kosslick: "The Big Night" ist ein überlanger Film mit einem berühmten Schauspieler in der Hauptrolle, Stanley Tucci, und unserer ehemaligen Jurypräsidentin Isabella Rossellini spielt dort auch mit. Das wusste ich natürlich damals noch nicht, dass wir wieder so zusammenkommen. Ich hoffe, sie hat heute Abend Zeit.
Und da geht es darum, dass zwei Italiener aus Bologna - der eine spielt den Geschäftsführer, der andere den Koch, begabter Koch -, die versuchen, ein Restaurant in New Jersey aufzumachen, und der Koch versucht einfach, fantastisch zu kochen. Und es kommt aber niemand. Und es kommt zu unglaublichen Geschichten. Sie verbinden sich mit einem Mafiaboss, der dann verspricht, dass er die ganzen Celebrities dort hinbringt.
Am Ende ist es so, dass die dann auch nicht kommen, aber sie haben alles Geld spendiert, um das beste Mahl herzustellen, man sieht es. Und sie essen es dann einfach selbst. Und wie es dann beim Essen und manchmal dann auch so ist, er verliebt sich dann irgendwann morgens um drei in die Blumenhändlerin und sie haben Glück und sie sind glücklich, aber sie haben alles verloren. Es ist ein tragisch-komischer Film übers Essen und er hat viel zu tun mit dem, wie heute sich die Kochwelt und Restaurantwelt entwickelt hat.
Heise: Ich denke, dass die Speisekarten jetzt für New York auch schon gedruckt sind, die Menüs schon feststehen. Nach welchen Kriterien haben Sie die zusammengestellt? Der erste Film, haben Sie ja schon erzählt, weil es einfach Ihr erster Film war, der Sie auch dazu gebracht hat ...
Kosslick: Ja, wir haben einige Filme genommen, die wir im "Kulinarischen Kino" gezeigt haben, in diesem Jahr zum Beispiel einen Film über Sushi. Das ist ein großartiger Film über einen Sushi-Meister über 90, der ein ganz kleines Restaurant im Hauptbahnhof in Tokio betreibt, da hat es nur sieben Plätze. Tim Raue hat übrigens hier für ihn gekocht an diesem Abend, der war nämlich mal in diesem Restaurant. Und das ist unfassbar, also da geht es darum, wie lange man eigentlich braucht, um ein Eieromelett zu machen, und da behauptet er seinem Sohn gegenüber, der dort auch schon seit vielen Jahrzehnten kocht: Man braucht einfach elf Jahre, um ein Eieromelett zu machen!
Das zeigen wir und reden gleichzeitig über Sushi, und wenn Sie wissen, was mit Sushi passiert, ist es nicht nur, dass das Fleisch der armen Fische verstrahlt ist in Japan, sondern es ist ja auch leergefischt mit dem Thunfisch. Und das führt wiederum dazu, dass die Lebensmittelindustrie ganz andere Sushi uns auftischt. Das kann man übrigens in der "Zeit" sehr gut nachlesen, dort ist das mal gelüftet worden. Wer Sushi mag und Sushi weiter essen will, soll diesen Artikel bitte nicht lesen.
Heise: Also durchaus kritisch, es wird einem nicht nur gut gehen in der Reihe. Auf dem Plan steht zum Beispiel - das sind wieder die Filme, wo man sich wohlfühlen kann - "Bella Marta" oder der wunderbare Zeichentrickfilm "Ratatouille", "Babettes Fest", aber eben auch "Food, Inc.", der Dokumentarfilm, wo einem ja eher der Appetit vergeht. - Sie wollen auch schocken?
Kosslick: Nein, ich will nicht schocken oder wir wollen nicht schocken, aber mein Kollege Thomas Struck, der ja der Kurator dieser Reihe ist, und ich, wir haben gesagt, wir können nicht hier eine Essfilm-Serie machen, darum geht es nicht, sondern es geht schon darum, dass wir den Leuten sagen, dass gutes Essen gut ist, aber es geht auch darum, die Hintergründe der Lebensmittelindustrie zu durchleuchten, was alles mit uns gemacht wird. Ich finde, gutes Essen - und das heißt nicht, teures Essen, sondern gutes Essen - ist ein Menschenrecht, und ich finde, was heute die Leute essen und vor allen Dingen, was sie dann ihren Kindern weitergeben, was die an den Schulen essen, das ist einfach unfassbar. Also, da gibt es ja Orangengetränke, die haben 32 Prozent Zucker, das muss man sich mal vorstellen. Die können eigentlich direkt vom Trinken zum Zahnarzt gehen. All diese Sachen wollen wir natürlich auch, wie wir so schön mal geschrieben haben, wir wollen Filme zeigen, die Appetit machen und ihn auch verderben.
Heise: Und was soll man dann, oder was soll der großartige Koch, der danach dann die Leute verwöhnen soll, was wird der dazu kochen?
Kosslick: Na ja, der Herr Kreuther, der ist der Oberkoch, Elsässer von Geburt an, der dort unfassbar gutes Essen kocht, schon seit Jahren, und der hat sich einige Kompositionen einfallen lassen, die einem dann nicht den Appetit verderben, sondern die sind dann natürlich, wenn es ... An diesem Abend wird es Fisch geben und es wird an diesem Abend, wenn wir diesen Film zeigen, eine Diskussion geben mit diesen beiden Köchen und mit Ruth Reichl, das ist quasi Frau Siebeck von Amerika, das ist die berühmteste Esskritikerin und auch Kolumnistin, die war auch Chefredakteurin des "Gourmet"-Magazin, und ich, wir werden diskutieren, kann man Sushi essen - aber das nur als Beispiel -, was kann man denn überhaupt noch essen, und müssen wir nicht ein völlig neues Landwirtschaftssystem haben, müssen nicht die Konsumenten mit den Bauern irgendwie Bündnisse schließen ... Also, das ist ein viel ernsteres Thema, als es nur Spaß macht, aber Spaß macht es auch.
Heise: Soll es ja auch machen! Sie hören Dieter Kosslick im Deutschlandradio Kultur, er kreiert eine kulinarische Filmreihe im MoMA in New York. Herr Kosslick, als Sie die Berlinale-Filmreihe "Kulinarisches Kino" vor fünf Jahren ins Leben riefen, da gab es ja bereits diesen Boom der Koch-Shows auf allen Fernsehsendern. Man könnte ja mutmaßen, Sie sind damit aufs Trittbrett aufgesprungen und dem Zeitgeist hinterhergefahren. Aber Sie sagen, Ihre Erweckung lag schon 18, 20 Jahre vorher?
Kosslick: Oh, meine Erweckung lag schon viel früher, ich komme ja aus Süddeutschland, ich bin in einer Bäckerei groß geworden, und der Zugang zu natürlichen Lebensmitteln ist mir quasi in der Kindheit eingeprägt worden. Nein, das war schon viel früher. Diese Koch-Shows finde ich ja, haben schon was Interessantes bewirkt, dass sich Leute mit dem Thema beschäftigen, aber sie beschäftigen sich nicht mit dem Essen. Also, es gibt ja auch den Witz, wahrscheinlich ist es sogar die Wahrheit: Die Leute sitzen vor den Koch-Shows und ziehen sich eine Fertigpizza rein ...
Heise: ... und merken den Widerspruch nicht ...
Kosslick: ... und anschließend denken Sie, sie haben gekocht, übrigens. Deshalb habe ich auch schon zu einigen Köchen, die ich kenne und die dort so etwas machen, gesagt, ihr müsst auch, neben diesem ganzen Spaß auch mehr Aufklärung betreiben, ihr müsst auch sagen, um was es geht. Es geht ja übrigens auch um ein Riesenproblem, wo jetzt die Versicherungen sich melden, nicht die Gesundheitsministerien der Welt, sondern die Versicherungen, weil die die Leute nicht mehr versichern wollen, weil die zu dick werden, weil die zu fett werden, weil in diesen ganzen Fertignahrungen natürlich unglaublich viele Fette versteckt sind und Zucker versteckt sind. Das müssen die Köche im Fernsehen dann auch mal sagen und nicht immer die Bratpfanne in die Kamera halten, für die sie dann nachher auch noch bezahlt werden.
Heise: Mittlerweile haben ja auch andere Filmfestivals die Idee des "Kulinarischen Kinos", der Reihe, übernommen. Also Spanien und Polen beispielsweise, in Poznan lief Anfang August jetzt schon die Reihe. Haben Sie da Reaktionen bekommen, wie lief das so?
Kosslick: Ja, das ist natürlich eine ganz verblüffende Geschichte gewesen. Der Jan Kaczmarek, das ist ein Pole, der in Amerika mehr Oscars bekommen hat für seine Filmmusik und der auch auf der Berlinale beim Talent Campus war, wir sind befreundet, und der hat gesagt, ich möchte mal ein ganz neues Festival machen, ich möchte eins machen über Film, über Filmmusik und über Essen. Und könnt ihr nicht da das für uns machen. - Und ja, das haben wir jetzt gemacht. Die Polen haben gestaunt, was jetzt alles, wie das mit der Kulinaristik und den Filmen ist, aber es war natürlich - wie soll es anders sein - ein sensationeller Erfolg.
Heise: Sie haben jetzt wahrscheinlich schon andere Anwärter auf dieses Kosslick-Franchise-Unternehmen?
Kosslick: Ja, es ist ein Berlinale-Franchise. Und interessanterweise hat auch Cannes, in dem Land, wo ja natürlich ...
Heise: ... wo man eigentlich die Küche schon beherrschen sollte ...
Kosslick: ... hat auch dieses Jahr Celebrity-Cooks, also Starköche haben da gekocht. - Aber nur für die oberen Fünftausend. Also, wir kochen ja für alle.
Heise: Was ist für Sie denn richtig gutes Essen, auf das Sie sich freuen, was Sie vielleicht dann auch selbst gekocht haben?
Kosslick: Also, für mich hat es was damit zu tun, da meine Mutter immer auch gekocht hat, dass es schon was mit meiner Geschichte auch zu tun hat. Also, in Süddeutschland isst man ja auch sehr gerne zum Beispiel Spätzle, das ist ein Geschenk, was ich jetzt hier nach New York, da habe ich den Köchen ein Spätzlebrett mitgebracht, mit dem meine Mutter früher immer die schwäbische Pasta selbst gemacht hat. Ich kann das übrigens auch! Das ist ein ganz komplizierter Vorgang, das sieht zwar so einfach aus, aber man braucht 14 verschiedene Geräte dazu, um das herzustellen, da brauchen Sie warmes Wasser, kaltes Wasser und so weiter und so fort.
Heise: Zeit!
Kosslick: Also, für mich hat was ... das Soul Food, das hat auch was mit meiner Seele zu tun und meiner Herkunft zu tun, und wenn es immer so heißt, Herr Kosslick Gourmet, ist ein bisschen in die falsche Richtung, weil darum geht es überhaupt gar nicht, sondern für mich ist eine Maultasche mit Spinat gefüllt natürlich auch ein mindestens Drei-Sterne-Gericht und es geht nicht darum, wie Loriot mal gesagt hat, so zu kochen, dass es sehr, sehr übersichtlich auf dem Teller ist. Also, das ist nicht mein Punkt.
Heise: Dieter Kosslick, Leiter der Berlinale und ab heute sozusagen Chefkoch im MoMA, wo er die "Kulinarische Filmreihe" präsentieren kann. Herr Kosslick, dann wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Kochen und Diskutieren in New York!
Kosslick: Ja, herzlichen Dank, danke für das Interesse!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.