Videoaktivistinnen im Guerilla-Style
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Als die Französin Carole Roussopoulus in den 70ern die neue Videotechnologie entdeckte, war sie begeistert. Mit der Schauspielerin Delphine Seyrig wurde sie zur Videoaktivistin. Die junge Regisseurin Calliso McNulty hat über sie eine Doku gedreht.
"Das Private ist politisch" so lautet ein alter Spruch der 68er-Frauenbewegung, der wohl immer aktuell bleibt, und in diesem Jahr ist er Motto der Berlinale. Neben einer großen Retrospektive, in der nur Filme von Frauen zu sehen sind, gibt es auch einige frühe Filme feministischer Pionierinnen zu entdecken. "Delphine et Carole – Insoumuses" von der Französin Calliso McNulty ist so ein Film. Gesa Ufer hat ihn gemeinsam mit der deutschen Regisseurin Ula Stöckl gesehen.
Max Oppel: Was erzählt dieser Film?
Gesa Ufer: Das ist eine Hommage an zwei Frauen, die schon in den 70er und 80er die damals nagelneue Videotechnik für sich entdeckt haben, um für die Frauenbewegung zu kämpfen: Die Schauspielerin Delphine Seyrig, die war stilprägend für Nouvelle-Vague-Filme, spielte mit in Bunuels "Der Diskrete Charme der Bourgoisie" oder "Letztes Jahr in Marienbad". Und wir erleben sie hier ausschnittweise als in Rollen als wunderschöne Fee, als verführerischer Vampir-Lady, oder auch als Kartoffel schneidende Hausfrau. Die andere war die Aktivistin Carole Roussopoulus, die ihren Job bei der Vogue irgendwann satt war, und sich so ein verrücktes kleines Gerät kaufte. Eine Videokamera, die´s ihr erlaubte von jetzt auf gleich mit der Kamera für die Sache der Frauen zu kämpfen. Ula Stöckl, das war meine Gesprächspartnerin, die hat diese Pionierarbeit sozusagen für Deutschland geleistet.
Oppel: Damit wir ein bisschen mehr wissen, erzähl uns, was sie gemacht hat.
Ufer: Im Grunde war sie diejenige, die den ersten feministischen Film in Deutschland überhaupt gedreht hat: "Neun Leben hat die Katze" von 1968. Das wurde ein richtiger Kultfilm. Inzwischen ist sie 81 Jahre alt und unterrichtet immer noch fleißig in den USA Regie. Eine wahnsinnig wache, kluge und interessante Gesprächspartnerin, die von diesem Film total begeistert war. Vor allem war sie beeindruckt, weil sie diese Videotechnik so irre fand. Und wie die beiden sich mit dieser Technik auskannten. Sie, Ula Stöckl, hatte auf der Filmhochschule nur gelernt mit 35mm, also mit dem großen Format, zu arbeiten. Das ist natürlich viel, viel teurer und viel, viel aufwendig als das Filmen auf Video.
Ula Stöckl: Mir ist da aufgefallen, dass ein besonderer Professionalismus in bestimmten Momenten einer Karriere auch hinderlich sein kann. Diese Freiheit, mit der die in ihre Demonstrationen und Vorträge gehen, die hat mir immer gefehlt. Weil für mich war Film Film.
Ufer: Und dieses Wendige, dieses sich reinstürzen – mit den Frauen reden statt über die Frauen zu reden – das haben die beiden Französinnen damals eben zu ihrer Spezialdisziplin gemacht.
Sexualität, Frauenrechte, Politik
Oppel: Das heißt, was sehen wir da?
Ufer: Delphine und Carol dokumentieren zum Beispiel den Protest von Prostituierten in Lyon, die für mehr Rechte kämpfen, sie lassen Frauen ganz privat über ihre Sexualität sprechen, rennen auf Demos, auf denen Frauen für mehr Gleichberechtigung kämpfen. Ula Stöckl war begeistert.
Stöckl: Das Neue ist eben wirklich sie so beweglich, dass sie ohne Genehmigung, also quasi Guerilla-Style überall rein kommen. Sie brauchen keine Dreh-Erlaubnisse.
Ufer: Was der Film aber auch zeigt, das ist, wie gerade Delphine, die Schauspielerin ihre Bekanntheit nutzt, um rhethorisch unglaublich gut in Talkshows aufzutreten und alten Betonkopf- Männern Paroli zu bieten.
Für meine Filmkritikerin, die Filmemacherin Ula Stöckl war das besonders erfreulich, weil sie Delphine Seyrig sonst eigentlich nur aus Kino-Filmen kannte, in denen sie vor allem gut aussehen und die klappen halten musste. Typisch für die Zeit.
Ula Stöckl: Sois belle et tais toi! (Sei schön und halt die Klappe!/ Anm. d. Red.) Was reden die Frauen denn in den Rollen? So gut wie nichts. Sie sind Schmuck und werden nur rumgeschoben!
Ufer: Und es ist gut, dass man an der Stelle denkt: Es hat sich ja doch schon einiges verändert seitdem.
Oppel: Jetzt läuft ja nicht nur der Dokumentarfilm über die beiden, sondern auch zwei Ihrer Werke. Wie wirken die aus heutiger Perspektive?
Ufer: Ehrlich gesagt ziemlich kurios. Einer spielt 1975. Das war – nach einem Dekret der Vereinten Nationen – das Jahr der Frau. Und am Ende dieses Jahres gab es eine Fernsehsendung in Frankreich mit lauter Männern und der französischen Kulturministerin Francoise Giroud. Und diese Sendung hieß "Uff, Endlich ist das Jahr der Frau vorbei". Und da überbieten sich dieser Talkshow diese Knaben aber auch die Frau in haarsträubenden Sprüchen über Frauen, die man so heute – hoffe ich – wirklich nicht mehr hören würde.
Und die beiden französischen Filmemacherinnen bastelten daraus einen neuen Film mit ganz subversiven Unter- und Zwischentiteln. "Maso et Miso vont en Bateau" heißt der. Und da geht um dieses Zwischen-den-Stühlen-Sitzen, was Frauen, bis heute kennen. Was man auch ehrlich gesagt erleben kann, wenn man die Frauen in ihren hochhackigen Schuhen und supersexy auf dem roten Teppich hier auf der Berlinale sieht. Diese Notwendigkeit zu gefallen einerseits, als Masochismus, und auf der anderen Seite diesen großen Wunsch der Selbstermächtigung, wenn nicht sogar der Machtübernahme.
Unterschiede in Deutschland und Frankreich
Oppel: Ula Stöckl hat selbst in Frankreich gelebt. Habt Ihr über Unterschiede gesprochen? Die Frauenbewegung dort war ja schon zum Teil anders aufgestellt als in Deutschland.
Ufer: Was ich sehr, sehr interessant fand – und das ist auffällig, wenn man sich diesen Dokumentarfilm aus diesen 70er-Jahren anschaut –,wie sagenhaft sorgfältig gekleidet und geschminkt diese frühen französischen Feministinnen alle auftreten. Ula Stöckl, die Mitbegründerin eines Frauenfilmfestivals in Frankreich war, hat erzählt, wie unterschiedlich die französischen Kolleginnen und Filmemacherinnen waren, wenn es zum Beispiel um das Label für den Film ging.
Ula Stöckl: Die haben sich alle unisono gegen das Label Feminismus ausgesprochen, weil sie sagten: Wir müssen mit den Männern arbeiten. Während wir deutschen Frauen eigentlich sagen konnten: In Deutschland ist das völlig egal, die Männer nehmen uns sowieso nicht wahr. Die Männer haben nichts dagegen, dass wir Filme machen. Aber sie ignorieren sie einfach.
Ufer:Frauen wie Ula Stöckl haben sich davon nicht beirren lassen und werden heute völlig zurecht gefeiert. Für mich eine der schönsten Begegnungen der diesjährigen Berlin.
Oppel: Das dokumentarische Porträt "Delphine et Carol – insoumuses", Gesa Ufer hat mit der Filmemacherin Ula Stöckl gesprochen.Viel Spaß noch auf der Berlinale!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.