Berlinale-Film „Wir könnten genauso gut tot sein”
Alle drehen durch im Film "Wir könnten genauso gut tot sein" von Natalia Sinelnikova.
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Satire über die Dynamik der Angst
09:09 Minuten
Hygieneregeln, Verdächtigungen, totale Kontrolle: Der Eröffnungsfilm der Perspektive Deutsches Kino bei der Berlinale wirkt wie eine Parabel auf die Corona-Zeit. Regisseurin Sinelnikova sagt, sie habe einen Film über die Dynamik der Angst machen wollen.
Die Bewohner eines Hochhauses geben sich irrationalen Ängsten hin – und als plötzlich ein Hund verschwindet, drehen sie völlig durch: Jeder verdächtigt jeden, das Tier umgebracht zu haben.
Der Film „Wir könnten genauso gut tot sein” eröffnet die Perspektive Deutsches Kino bei der diesjährigen Berlinale. Die deutsch-rumänische Sozialsatire zeigt viele beklemmende Szenen, die an die Corona-Pandemie erinnern – und an die Panik, mit der viele Menschen auf die Pandemie reagiert haben.
Regisseurin Natalia Sinelnikova sieht diese Parallelen. Dennoch habe sie keinen Corona-Film machen wollen, sagt sie. „Wir haben vor der Corona-Zeit angefangen zu schreiben, und dann war es erschreckend, welche Parallelen zur Corona-Zeit plötzlich zu unserem Film aufgekommen sind.“
Sie wollte dagegen einen Film über „die Dynamik der Angst“ machen, so die Regisseurin. Es gehe in der Satire darum, „was Angst mit Menschen macht, welche Ventile sie sich in einer Gemeinschaft sucht und wie Angst die Gemeinschaft verändert.“
Im Badezimmer verschanzt, um andere zu schützen
Im Mittelpunkt steht Anna, die Sicherheitsbeauftragte des Hauses, die mit ihrer paranoiden Tochter Iris in einer Wohnung wohnt. Das Mädchen hat sich im Badezimmer verschanzt und meint, nicht herzukommen zu dürfen, weil sie den „bösen Blick“ habe: Iris glaubt, sie sei für den Tod des Hundes verantwortlich, da sie den Tod des Tieres gewünscht habe.
Der Gedanke dahinter war zum einen das Phänomen Hikikomori, erklärt Sinelnikova. So würden in Japan Jugendliche bezeichnet, die sich zu Hause oder in ihrem Zimmer einschließen, „weil sie überfordert sind mit der Leistungsgesellschaft und nicht Teil davon sein wollen“.
Iris spüre, dass sie nicht dazugehöre, und tue dann etwas, um dazuzugehören: Sie sperrt sich ein. Sie meine, dass sie so die Gemeinschaft schütze, so Sinelnikova.
Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und Realität
Der Film behandelt aber auch das Thema Migration. Regisseurin Sinelnikova, die als russisch-jüdischer Kontingentflüchtling nach Deutschland kam, sagt, sie wolle eine Welt darstellen, die daran erinnere, wie Deutschland sich selbst darstelle: als eine offene multikulturelle Gemeinschaft, eine Gesellschaft, wo es oft auch um Symbolpolitik gehe.
„Aber wie sieht es in der Realität aus? Wie fühlen sich Menschen, die tagtäglich diskriminiert werden?“ Das, so die Regisseurin, war ihr wichtig zu erzählen.
Wie viele andere Migranten sei sie Teil eines „Assimilationsprozesses“ gewesen, sagt Natalia Sinelnikova. „Das heißt, man hat versucht, so gut es geht, alles was an einem fremd erschien für die Gemeinschaft abzulegen und möglichst keine Probleme zu bereiten, möglichst zu verschmelzen mit der Gemeinschaft“, erklärt sie.
„Das ist etwas, das wir gespürt haben: Es tun zu müssen, um zu überleben oder um zu funktionieren. Um dann erst festzustellen, dass das vielleicht nicht der richtige Weg ist.“
Düster bis zum Schluss
Der Film hat kein Happy End, er bleibt düster bis zum Schluss. Sinelnikova sagt dazu, sie habe kein Märchen erzählen wollen. Man könne mit dem Film aber das Publikum wachrütteln.
„Ich glaube, das ist total wichtig, dass wir mit Filmen aufrütteln, das wir sozusagen unbequem sind und vielleicht auch unversöhnlich.“ Gleichzeitig sei der Film ihrer Meinung nach aber auch sehr witzig.
(tmk)