Gott im Supermarkt
Im "Super Welt", einem österreichischen Film des Regisseurs Karl Markovics, passiert Seltsames: Supermarktkassiererin Gabi hört plötzlich Gott in ihrem Kopf sprechen. Plötzlich ist die Stimme wieder weg. Und Gabi merkt, dass sie ein anderer Mensch geworden ist.
Philipp Gessler: Sie haben es sicherlich ebenfalls schon gehört. Es gibt ernsthafte Soziologen, die glauben, dass für viele Menschen der Besuch eines Kinos dem gleicht, was Menschen früher häufiger empfunden haben mögen, wenn sie einen Gottesdienst besucht haben: oft Anregung, häufig Rührung, auch manchmal eine gewisse Läuterung.
Nun ist mal wieder Berlinale in Berlin gewesen, und das größte deutsche Filmfestival wollen wir natürlich auch in "Religionen" würdigen. Wie jedes Jahr. Wir schauen dabei auf Filme, die einen mehr oder weniger deutlichen religiösen Hintergrund haben oder das religiöse Milieu als Setting nutzen – und wenn Sie das Berlinale-Programm anschauen, sehen Sie viele Filme, die genau diesen Kriterien genügen.
Für dieses Thema habe ich mit Kirsten Dietrich gesprochen, die evangelische Theologin ist und seit Jahren die Filme der Berlinale, nicht nur, aber auch mit religiösem Bezug rezensiert. Sie kennen Kirsten Dietrich als Moderatorin dieser Sendung. Meine erste Frage an sie war: Was man so mitkriegt, kommen zumindest die Kirchen in den Filmen dieses Jahres nicht gut weg. Stimmt das?
Kirsten Dietrich: Ja, das muss man wohl so zugeben. Der spektakulärste Beitrag ist der Wettbewerbsfilm "El Club", einen "Klub der Verlorenen" hat der chilenische Regisseur Pablo Larrain seine Versammlung sündiger Priester genannt. Er zeigt in einem wirklich ganz klugen und ziemlich bösen Film, wie die Liebe zur Kirche eigentlich die Aufdeckung der Wahrheit verhindert. Und das ist so ein bisschen der Ton, den auch andere Filme anschlagen, in denen die Kirche eine Rolle spielt, auch wenn da die Priester vielleicht nicht ganz so sündig, nicht ganz so moralisch verfallen sind.
Zum Beispiel der Film "Confetti Harvest". Da bricht ein Mädchen aus dem ganz engen Weltbild aus, das seine streng protestantische Sekte für es bereitstellt. Und die Dokumentation "Misfits", die zeigt, wie homosexuelle Jugendliche im frommen Bible Belt der USA unter dem Christentum der anderen leiden. Und dann ist es fast konsequent eigentlich, dass auch der Film "I am Michael", der erzählt zwar eigentlich von einem schwulen Aktivisten, der sich ganz bewusst dem Glauben zuwendet und von der Homosexualität abwendet – das ist eine wahre Geschichte übrigens –, aber das ist dann eine so persönliche Wandlung, dass er damit in überhaupt keine Kirche mehr passt und seine eigene gründet.
Filmemacher misstrauisch gegenüber dem Christentum
Gessler: Also kann man vielleicht diese Filme so zusammenfassen, dass sie doch geprägt sind von einem großen Misstrauen gegenüber religiösen Institutionen.
Dietrich: Ja, in Sachen Christentum würde ich das so sagen. In Sachen Islam eigentlich auch, erstaunlicherweise. Das Thema Fundamentalismus taucht zwar jetzt bei der Berlinale erstaunlicherweise gar nicht auf – vielleicht ist es dafür einfach noch zu früh, um sich damit im großen Film auseinanderzusetzen –, und die Filme zeigen eigentlich Menschen, die vor allen Dingen ihren Alltag meistern. Und das versuchen sie mit möglichst wenig Religion eigentlich zu tun. Also, in dem persischen Film "A Minor Leap Down", da deuten eigentlich nur die Kopftücher der weiblichen Darstellerinnen darauf hin, dass man sich hier eigentlich in einer religiös geprägten Gesellschaft bewegt.
Es gibt eine Ausnahme davon, das sind nämlich die Filme, die sich mit dem Buddhismus beschäftigen, und davon gibt es bei dieser Berlinale ganz erstaunlich viele. Und diese Filme zeigen vielleicht einzelne Menschen, die da Krisen oder Probleme haben, aber sie zeichnen auch ein religiöses System, das so in sich intakt ist und eigentlich ganz gut funktioniert. Das markanteste Beispiel dafür ist der Film "Golden Kingdom", der spielt in Myanmar, in einem ganz kleinen Kloster irgendwo in den Bergen, da ist er auch gedreht worden. Und er zeigt vier kleine Jungen, die dort als Mönche leben, die dort unglaublich selbstständig leben und die das Kloster als so den geborgenen Hort erfahren, der sie von den sozialen und politischen Verwerfungen ihres Landes schützt.
Gessler: Warum gerade der Buddhismus? Haben Sie da eine Erklärung dafür?
Dietrich: Ich glaube, das ist einfach die Neugierde, einmal, dass das eine Gegend ist, die einfach filmisch noch nicht sehr erschlossen ist, und dass es eine Religion ist, die auch von Filmen her noch nicht wirklich gut erschlossen ist. Es gibt gar nicht so viele Filme, die sich wirklich mit Buddhismus beschäftigen. Dann, das sagte mir der Regisseur von "Golden Kingdom", das Kameraequipment ist inzwischen so klein geworden, dass man auch wirklich in buddhistische, nicht sehr entwickelte Länder gehen kann und dort Filme drehen kann überhaupt. Das war vorher gar nicht so unbedingt möglich. Und dann spielt da auch vielleicht so ein bisschen so eine Sehnsucht danach, doch vielleicht dort irgendwie Spirituelles zu finden, an das man auch hier im Alltag anschließen kann.
Gessler: Nun ist ja Buddhismus, oder war er zumindest über lange Jahre, so eine Art Mode im Westen, auch eine Art Mode, weil eben die hiesige Religion, sagen wir mal, das Christentum oder zum Teil auch das Judentum, manchmal so etwas im Verfall erscheint. Ist das auch bei der Berlinale so, dass Religion oft in einer Art Verfallstadium gezeigt wird?
Dietrich: Ach, das wäre jetzt wahrscheinlich ein ein bisschen zu negativer Blick. Also, wenn die Filme sich dann darauf konzentrieren, auf einzelne Individuen, dann finden sie durchaus neue und interessante Perspektiven. Es ist eben einfach nur der Blick, ein ganz radikal individueller Blick. Es spielt spirituelle Praxis eine Rolle, die wird auch gezeigt, es spielen zum Beispiel Geister in ganz erstaunlich vielen Filmen eine Rolle, aber der Blick ist immer durch eine ganz, ganz, ganz individuelle Perspektive hindurch.
Es gibt da zwei ganz gute Beispiele für. Das ist einmal der japanische Film "The Voice of Water". Da sehen wir eine junge Frau, die ganz überzeugend so als religiöses Medium wirkt, und um sie herum entsteht eine Sekte, die so einen animistisch inspirierten Kult zelebriert. Und das Erstaunliche ist eigentlich, dass fast alle, die dort mitmachen, wissen, dass das eigentlich ein Fake ist und dass da gar keine wirkliche religiöse Erfahrung dahinter steht. Aber trotzdem, alle gehen hin, weil sie irgendwie das Gefühl haben, es hilft ihnen, es heilt sie, es bringt ihnen irgendetwas. Und die wirklichen Probleme entstehen erst dann, als diese junge Frau, dieses junge Medium, auf einmal anfängt, sich wirklich für Religion zu interessieren und sich dann dem Schamanismus ihrer koreanischen Vorfahren zuwendet.
Und fast wie eine Parallele dazu wirkt, ein anderer Film, der ist im Wettbewerb gelaufen, der polnische Film "Body" von Malgorszata Zumovska. Der spielt im katholischen Polen und zeigt eine Therapeutin, die die Botschaften Verstorbener empfangen kann. Und damit tröstet sie Trauernde, die anscheinend anderswo, zum Beispiel in der Kirche, keinen Trost dafür finden. Und der Film, der zeigt das erst mal ganz, ganz nüchtern und gar nicht unbedingt wertend. Er nimmt die Sehnsucht, die die Menschen von dieser Spiritistin empfangen, ganz ernst. Nur für seine Hauptfiguren, das sind Vater und Tochter, die um ihre verstorbene Mutter beziehungsweise Ehefrau trauern, für die findet der Film dann doch noch so einen ganz anderen Weg zum Trost, der dann wieder von der spiritistisch-spirituellen Welt hin ins ganz Menschliche, Diesseitige führt.
Parallelen zu deutschen Mittelklasse-Eltern
Gessler: Das heißt, kann man das so zusammenfassen, dass im Grunde Religion als etwas gezeigt wird, das man nicht ganz versteht, aber das vielleicht doch in manchen Situationen eine heilende Wirkung hat?
Dietrich: Ja, es ist vielleicht so der Gedanke, vielleicht könnte es ja doch helfen. Das merkt man ganz deutlich. Zum Beispiel, also auch wieder beim Thema Buddhismus merkt man das ganz deutlich in dem Film "So be it". Da wird eigentlich der ganz säkulare Buddhismus in Thailand gezeigt, und da ist so ein kleiner Junge, der in einer Reality Show mitmacht, das gibt es da anscheinend im Fernsehen, wo kleine Jungen mal ausprobieren können, wie das ist, ein Mönch zu sein. Und die Eltern erzählen dann, ja, seit er sich mit dem Buddhismus beschäftigt, kann er sich viel besser konzentrieren, er hat sich besser im Griff, er hat seine Emotionen besser im Griff. Und da dachte ich dann, das könnten auch deutsche Mittelklasse-Eltern hier sagen, die ihr Kind halt auf die katholische Schule schicken, obwohl sie selber mit der Kirche gar nichts am Hut haben.
Gessler: Es ist natürlich schwer bei den vielen Filmen, die sie gesehen haben – aber gibt es doch einen Lieblingsfilm?
Dietrich: Ja, den gibt es tatsächlich. Und es wirkt ein bisschen so, als ob ich den jetzt ausgewählt hätte, weil das so gut als Schlusspunkt passt, aber das ist wirklich der Film, der mir am allerbesten gefallen hat. Das ist der österreichische Film "Super Welt", von Karl Markovics ist der. Und "Super Welt" zeigt die Supermarktkassiererin Gabi, die in so einer ganz geordneten, bürgerlichen Welt lebt, in der es wenig Höhen, aber auch keine Tiefen gibt oder wenig Tiefen. Und in Gabis Kopf spricht auf einmal Gott.
Sie hört Gottes Stimme, und Gott möchte, dass Gabi so unspektakuläre Dinge tut wie einfach mal einen Tag draußen sein, von der Arbeit weggehen, die Natur genießen. Und das bringt die ganze Familie und ihr ganzes Umfeld in heillose Verwirrung. Und das Bezaubernde ist eigentlich, dass Gabi diese Erfahrung auch nicht will. Irgendwann brüllt sie diese Stimme an und sagt, ich muss eigentlich auch nicht wissen, warum ich morgens aufstehe, ich stehe sowieso auf. Und irgendwann ist Gott dann wieder weg, genauso unspektakulär, und dann erst merkt man, dass sich dann eben doch etwas für Gabi verändert hat. Und das ist so ganz zart und ganz unspektakulär und ganz liebevoll gezeichnet. Ja, das muss man einfach nur gern haben, finde ich.
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