Erotische Film-Anarchie
Das Kübelkind trägt ein rotes Kleid, arbeitet als Prostituierte, masturbiert im Kornfeld... Die 1969 entstandenen "Geschichten vom Kübelkind" von Ula Stöckl und Edgar Reitz verweigern sich jedem Kino- und Fernsehformat. Nun wird die Kurzfilmserie nochmal auf der Berlinale gezeigt.
Im Jahr 1969 schüttete eine Krankenschwester eine Nachgeburt aus einer weißen Plastikschüssel in eine Mülltonne. Dort begann es in den Plazenta-Resten zu brodeln und zu schmatzen. Es entstand ein Kind, das sich schließlich aus der Tonne quälte, im roten Kleid mit schwarzen Haaren – gespielt von Kristine de Loup. Die 25-teilige Kurzfilmreihe "Geschichten vom Kübelkind" drehten Ula Stöckl und Edgar Reitz ausschließlich mit Freundinnen und Freunden als 16-Millimeter-Kurzfilme.
Inspiriert vom Geist der 68er
Die Serie war inspiriert vom Geist der 68er, missachtete alle bisherigen filmischen Formatvorgaben. Vor allem hatte sie eine weibliche Hauptfigur, die - weil Kind, aber doch auch Frau - macht, was sie will. Zuerst nur einem kleinen Kreis vorgeführt, wurde die Reihe auf der Berlinale 1971 einem größeren Publikum zugänglich gemacht. 2018 wird sie noch einmal auf der Berlinale im Forum Expanded gezeigt – zusammen mit dem Dokumentarfilm "Der Film verlässt das Kino: Vom Kübelkind-Experiment und anderen Utopien" von 2018 von Robert Fischer.
"Wir konnten unserer Lust am Kino, am Filme machen einfach grenzenlos Weg lassen", erzählt Ula Stöckl von damals. In den Filmgeschichten gehe es um das Aufzeigen eines Mikrokosmos von Gefühlen "und welche Machtstrukturen die Menschen verstümmeln. Das Kind ist natürlich kein Kind, sondern eine Mitte-20-jährige Frau, die sich völlig neu in der Welt wie ein Kind verhält, weil sie von unseren Erziehungs- und Machtstrukturen noch nicht beleckt wurde."
Eine Serie, die heute noch aktuell ist
Es entstand damals die Idee, die Serie in Kneipen oder Kabaretträumen vorzuführen. Das Publikum konnte sich wie aus einer Speisekarte aussuchen, welche Episoden es sehen wollte, erklärt Robert Fischer. Nicht nur dieses Wunschprogramm sei neu gewesen:
"Damals wurde sich vorgenommen, alle Regeln zu ignorieren, das geht los bei den Laufzeiten. Die kürzeste Episode ist eine Minute lang, die längste 25 Minuten lang. Es war von Anfang an klar, dass man damit auch nicht ins Kino oder Fernsehen gehen konnte. Normen, Regeln und Konventionen wurden ignoriert und absichtlich Grenzen gesprengt, das geht über sexuelle Dinge bis hin zu anderen Fragen. (...) Mich hat fasziniert, dass man an den Punkt der Filmgeschichte 1969/70 zurückgeht, und von dem Punkt aus einen Blick in die Zukunft des Kinos wirft, der heute noch aktuell ist und uns die 'Kübelkinder' noch Anregungen geben können."
Stöckl: Es ging nicht darum, wer die Idee hat
Beim Drehen sei es nie darum gegangen, wer die Idee zuerst hatte, ergänzt Ula Stöckl:
"Es geht in einer wirklichen Zusammenarbeit niemals darum, wer hat jetzt welche Idee zuerst gehabt, sondern das wichtige ist: Wir haben eine Idee, die ist toll, die machen wir. Es gibt keinen Anfang, keine Mitte, kein Ende. Es ist wie mitten im Leben. Das, was einen im Moment bewegt, das wird gemacht."
(cosa)