Die Kamera als Mitbewohner in Aleppo
Regisseur Avo Kaprealian dokumentiert in seinem Berlinale-Film "Houses without Doors" den Krieg im syrischen Aleppo. Ein eindringliches Werk, in dem kein einziger Soldat zu sehen ist, das aber dennoch den Niedergang eines ganzen Stadtviertels wiedergibt.
Wo es passiert ist, fragt Regisseur Avo Kaprealian seine Mutter, die auf dem Balkon steht und auf die Straße schaut. "Dort drüben! Weißt Du dich nicht mehr? Es war ganz stark und nah, gleich da beim Blumenhändler von Al-Midan. Mit "es" ist eine der unzähligen Bomben gemeint, die in Aleppo im Laufe der letzten zwei Jahre eingeschlagen sind. Genauer gesagt im Stadtteil "Al-Midan".
Dort in der Midan Straße wohnt der armenische Syrer Avo Kaprealian mit seinen Eltern und Geschwistern. Für ihn ist es ein besonderer Ort, nicht nur weil er dort aufwuchs.
"In der Al-Midan Straße stand ursprünglich ein Camp. Hier kamen die Armenier zusammen, die im Ersten Weltkrieg vor dem Völkermord im Osmanischen Reich geflohen waren. In Syrien kamen sie zuerst in Derazo und dann in Aleppo an. Dort bauten sie viele Camps und eines war in der Al Median Straße. Wir Armenier nannten sie auch neues Dorf. Es ist eine Straße, in der hauptsächlich Armenier leben."
Kaprealian ließ sich nicht einschüchtern
Avo Kaprealian begann, den Alltag auf den Straßen von Al-Midan Anfang 2012 zu drehen, als der Bürgerkrieg in Syrien schon in vollem Gange war, aber Aleppo noch nicht betroffen war. Nach einigen Wochen kamen Leute vom staatlichen Sicherheitsdienst und zerstörten seine Festplatte, auf der er das Filmmaterial gespeichert hatte. Doch Kaprealian ließ sich nicht einschüchtern und drehte weiter.
Er filmte den Alltag im Viertel: Die Barrikaden aus Gummireifen, Kinder, die auf der Straße spielen, Menschenschlangen vor dem Lebensmittelladen, Männer, die Trümmer von der Straße tragen und selbige Fegen. Viele Bilder sind akustisch begleitet von Gewehrfeuer oder Bombeneinschlägen, die im Laufe des Films regelmäßiger werden und näher kommen. Allerdings sieht man weder Panzer noch Soldaten.
"Man sieht die Soldaten kaum. Sie feuern irgendwo ihre Bomben ab. Aber das Kriegskonzept ist heute nicht mehr so wie früher, als es noch konkrete Kämpfe gab. Einige wenige Male, hätte ich Soldaten aufnehmen können, aber ich wollte sie nicht im Film haben. Besonders der Median-Bezirk stellt eine Grenze dar, wo eigentlich von allen Seiten gefeuert wird."
Verbindet die Geschichte des Kinos mit der syrischen Gegenwart
Als die Kämpfe bis in die Al-Midan Straße vordringen, verlegt Kaprealian die Kamera in die Wohnung und filmt den Alltag der Familie und ihren Umgang mit Geschützfeuer, Scharfschützen und Stromausfällen. Den armenischen Syrern fällt die Flucht vor dem Krieg besonders schwer. Für sie ist die Tragödie des Exils Teil ihrer Geschichte - ein nun wiederkehrendes Familientrauma. Denn schließlich flieht Avo Kaprealian und seine Familie in den Libanon.
Kaprealian zeigt in "Houses without doors" nicht nur die aktuellen Ereignisse. Er hat auch diverse Szenen bekannter Filme in seine Dokumentation montiert, unter anderem des surrealistischen Westerns "El Topo" von Alejandro Jodorowsky. So verbindet er die Geschichte des Kinos mit der syrischen Gegenwart.
"Alejandro Jodorowsky ist ein Regisseur, der keine Grenzen kennt, eine große Vorstellungskraft hat und diese mit humanen Botschaften in seinen Filmen verbindet. Er erzählt immer von der menschlichen Natur und der Geschichte. In 'El Topo' sehen wir am Anfang einen Vater und seinen Sohn. Das war für mich wie mein Vater mit mir, wie die Verbindung zwischen den Generationen. Wie wir das übernehmen, was die vorhergehende Generation tat."
"Houses without doors" von Avo Kaprealian läuft auf der Berlinale noch am Samstag um 19.30 Uhr im Cinemaxx 4 am Potsdamer Platz.