Kommentar
Die 75. Internationalen Filmfestspiele Berlin ("Berlinale") finden von 13. bis 23. Februar 2025 statt. © picture alliance / dpa / Christoph Soeder
Die Kulturszene marginalisiert jüdische Kulturschaffende
04:30 Minuten

Kein Thema spaltet die Kulturszene so wie der Krieg in Gaza – das hat auch die Berlinale wieder gezeigt. Für viele jüdische und israelische Kulturschaffende hat das schwerwiegende persönliche Folgen.
Welchen Sinn macht es, freiberuflich arbeitende Film-, Kunst- und Kulturschaffende mit einem Boykott zu belegen? Deren Auftritte und Aufführungen mit Sprechchören zu stören? Keinen. Und doch ist das seit mehreren Jahren, besonders seit dem 7. Oktober 2023, auch im deutschen Kulturbetrieb groß in Mode.
Die Rede ist nicht etwa von militanten Unterstützern einer Diktatur oder Autokratie, die von der kulturellen Landkarte und damit auch aus der Gemeinschaft der Kunstwelt ausgeschlossen werden sollen. Nein. Es sind die Vertreter jüdischer und israelischer Kulturinstitutionen aller Genres gemeint. Denn, so lautet die krude Argumentation derer, die lautstark Boykotte in großem Stil fordern: Diese seien „Kollaborateure eines kolonialistischen Regimes“.
Auch jüdische Filmschaffende sind von den Boykottaufrufen betroffen: Filme aus Israel sollen nach Wunsch der Boykotteure von der Teilnahme an Filmfestivals möglichst ganz ausgeschlossen werden. Und wie positioniert sich die Berlinale 2025? Die „Antisemitismus-Resolution“ sei „kein rechtsverbindliches Dokument“ und habe daher „keinen Einfluss auf die Durchführung der Berlinale“, heißt es auf den Internetseiten.
Frenetischer Beifall für BDS-Sympathien
Am Eröffnungstag erinnert eine Handvoll Menschen, darunter Filmschaffende, vor dem Berlinale-Palast mit einem Foto an das Schicksal des am 7. Oktober 2023 nach Gaza verschleppten Schauspielers und Berlinale-Preisträgers David Cunio. Gleichzeitig wird eine der prominentesten Verfechterinnen der Israel-Boykottaufrufe ausgezeichnet: Tilda Swinton. Die, wie sie stolz bei der Pressekonferenz betont, „große Bewunderin von BDS“, der Boykottbewegung mit der weltweit größten Reichweite, erntet dafür frenetischen Beifall im Netz.
Hass trifft auch Choreografen, Tänzer, Autoren
Nicht nur die Filmbranche soll boykottiert werden. Der Hass trifft auch Choreografen und Tänzer: Das weltweit gefeierte Tanzensemble Batsheva Dance Company musste im Januar 2025 bei seinem Auftritt in der Berliner Schaubühne von der Polizei geschützt werden.
Ein weiteres Beispiel: Offene Briefe fordern nichtjüdische Schriftsteller dazu auf, nicht mit israelischen Verlegern, Literaturagenturen und Literaturfestivals zusammenzuarbeiten. Ihre Werke nicht ins Hebräische übersetzen zu lassen. Nicht an Anthologien mitzuwirken, die von israelischen Verlagen herausgegeben werden.
Trauriger Höhepunkt der Ausgrenzung und Diskriminierung jüdischer und israelischer Schriftsteller ist die Absage eines deutsch-israelischen Pavillons bei der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2025 durch das Auswärtige Amt.
Das mantrahaft wiederholte „Nie wieder“
Schade. Nicht zuletzt wäre ein gemeinsamer Auftritt auch ein sichtbares Zeichen der Verbundenheit durch Sprache und Literatur und damit die gemeinsame Geschichte beider Länder. Denn: Viele israelische Schriftsteller haben biografische Wurzeln in Deutschland.
Genau das aber passiert nicht. Im Gegenteil. Ausgerechnet im Jahr des 60-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel wird israelischen Schriftstellern, von denen viele übrigens die Politik ihrer Regierung scharf kritisieren, die Solidarität verweigert.
Das steht im Gegensatz zu den gewohnt betroffenen Mienen und mantrahaft wiederholten Beteuerungen eines „Nie wieder“ an jedem Shoah-Gedenktag oder bei jedem Anschlag auf eine jüdische oder israelische Person oder Einrichtung.
Krokodilstränen der Außenministerin
Wenn es um das Gedenken der Vergangenheit geht, ist Deutschland mittlerweile medienwirksam professionell. Perfekt inszenierte Krokodilstränen der Außenministerin bei ihren öffentlichen internationalen Auftritten garantiert und inklusive. Aber dass zum Gedenken auch die Anerkennung aktueller Lebensrealitäten von Jüdinnen und Juden gehört, scheint nicht bei jedem angekommen zu sein.