Das war die Berlinale 2022
Doppelte Auszeichnung für den deutschen Film: Die Hauptdarstellerin Meltem Kaptan und die Drehbuchautorin Laila Stieler wurden für den Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" geehrt. © picture alliance / AA / Abdulhamid Hosbas
Richtiges Festivalgefühl kam nicht auf
05:27 Minuten
Die 72. Berlinale wird vor allem als Filmfestival mit rigidem Hygienekonzept in Erinnerung bleiben, weniger wegen der gezeigten Filme. Die Jury hat ein Kino ausgezeichnet, das auf Nummer sicher geht. Die großen Kritiker-Favoriten gingen leer aus.
Mit dem Goldenen Bären für den Film „Alcarràs“ der katalanischen Regisseurin Carla Simón hat zum siebten Mal eine Frau den wichtigsten Preis der Berlinale gewonnen. Die Jury rund um den US-Regisseur M. Night Shyamalan zeigte sich berührt von der Geschichte einer Bauernfamilie, die zum letzten Mal die Pfirsichernte bestellt, bevor sie ihr Grundstück aufgeben muss. Dabei taucht die Regisseurin tief ein in die Strukturen der Familie. Die Kamera ist nah an den Figuren, beobachtet, wie sie sich auf eine neue Zeit vorbereiten.
Die deutsche Filmbranche darf sich über gleich zwei Preise an Andreas Dresens Spielfilm „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ freuen. Neben dem "Besten Drehbuch" für Laila Stieler, wurde auch Kinodebütantin Meltem Kaptan für die beste Hauptrolle ausgezeichnet. Sie spielt in der Komödie Rabiye Kurnaz, die versucht, ihren Sohn Murat Kurnaz aus Guantanamo zu befreien.
Ansonsten scheint die Jury recht gespalten gewesen zu sein. Gerade die großen Kritiker-Favoriten wie „Rimini“ von Ulrich Seidl oder „Drii Winter“ von Michael Koch gingen komplett leer aus. Was bei allen Einwänden nur sehr schwer nachzuvollziehen ist. Es wirkt so, als hätte sich die Jury bewusst für zugänglichere Erzählweisen entschieden und gegen den Anspruch, Kino als Kunst zu begreifen.
Das Publikum kam nur zögerlich
Das passt dann auch wieder zur allgemeinen Stimmung dieser sehr seltsamen Berlinale, die vor allem durch das rigide Hygienekonzept geprägt war. Der Potsdamer Platz wirkte wie eine Hochsicherheitszone, abweisend und unfreundlich. Der Alltag des Publikums war geprägt von instabilen Onlinebuchungssystemen, täglichen Coronatests und dem Besorgen von Durchgangsberechtigungen. Der Spaß am „kollektiven Erlebnis Kino“ kam so kaum auf.
Verwunderlich war auch, dass die Publikumsvorstellungen der Berlinale-Filme quer durch alle Sektionen gar nicht so stark frequentiert wurden, wie von den Veranstaltern erhofft. Für viele Filme des Wettbewerbs gab es für die Gala-Premieren noch Tickets – und das, obwohl lediglich 50 Prozent Auslastung erlaubt war. Das ist für ein Festival, das sich die Publikumsdiversität auf die Fahnen schreibt, ein Problem. Es wirkt ganz so, als wäre das Publikum noch gar nicht bereit gewesen für eine derartige Präsenzveranstaltung.
Filme, die bleiben
Es gab sie dennoch: die kleinen Highlights, Filme, die man entdecken konnte und auf die man sich schon jetzt freuen kann, falls sie es zu uns in die Kinos schaffen. Wie zum Beispiel „Drii Winter“ des Schweizer Regisseurs Michael Koch, der von einer tragischen Liebe in den Bergen erzählt. Oder „Les Passagers de la Nuit“ von Mikhaël Hers, der von einer Familie in Paris erzählt, die in den 1980er-Jahren zu sich finden muss und dabei jedes Familienmitglied als eigenes Individuum betrachtet. Und natürlich darf ein Richie Bravo nicht fehlen, der glücklose Schlagersänger aus Ulrich Seidls „Rimini“, der sicherlich zu den denkwürdigsten Kinofiguren dieser Berlinale gehörte.
Am Ende lässt sich vielleicht festhalten, dass es allen – der Branche, dem Festival und dem Publikum – zu wünschen ist, dass die nächste Berlinale wieder ganz gewöhnlich, ohne Beschränkungen, stattfinden kann, und dann wirklich die ganze Stadt das Kino mit voller Leidenschaft feiert.